Bundesbank untersucht Messfehler bei Inflationsrate

Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) ist der zentrale Indikator für die Messung von Preisstabilität und damit für die Ausrichtung der Geldpolitik im Euroraum. Anhand von Verbraucherpreisindizes wie dem HVPI wird üblicherweise die Preisentwicklung eines repräsentativen Warenkorbs über die Zeit und somit die Inflationsrate gemessen. Bei der Messung der Preisentwicklung können jedoch verschiedene Arten von Messfehlern auftreten. Wird beispielsweise für bestimmte Waren und Dienstleistungen mehr Geld ausgegeben, sind diese im Index im Folgejahr höher zu gewichten und umgekehrt. Solche Anpassungen der sogenannten Ausgabengewichte einzelner Positionen im Warenkorb fließen aber meist erst mit zeitlicher Verzögerung in den Verbraucherpreisindex ein. Folglich wird die Preisentwicklung bis dahin nicht ganz repräsentativ abgebildet.

Die Forscherinnen und Forscher der Bundesbank haben deshalb rückblickend die Messgenauigkeit des deutschen HVPI im Zeitraum von 1997 bis 2019 untersucht. Das Ergebnis: Würden Ausgabenstrukturen jederzeit exakt abgebildet, fiele die Inflationsrate in Deutschland im Durchschnitt um etwa einen neuntel Prozentpunkt geringer aus. „Dabei liegen ungefähr 80 Prozent aller Abweichungen in einem Bereich von 0 bis 0,25 Prozentpunkten“, schreiben die Fachleute in ihrem Forschungspapier. Die durch eine nicht vollends repräsentative Gewichtung bedingten Verzerrungen seien im Allgemeinen zwar eher klein, so die Einschätzung der Forscherinnen und Forscher. Sie seien jedoch nur eine Quelle möglicher Messfehler beim HVPI. So berücksichtige die Analyse beispielsweise keine Verzerrungen, die dadurch entstehen, dass neue Produkte erst verspätet in den Warenkorb aufgenommen werden oder statistische Verfahren die qualitativen Verbesserungen von Produkten nicht exakt identifizieren können.

Verzerrende Einflüsse in etwa gleich hoch

Für ihre Untersuchung berechneten die Forscherinnen und Forscher einen Referenzindex, der die tatsächliche Preisentwicklung im Nachhinein genauer abbildet als der HVPI. Dies liegt daran, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Analyse über bessere Informationen verfügten als dies zum jeweiligen Berechnungszeitpunkt des HVPI der Fall gewesen war. Zum einen wussten sie mehr über die Konsumausgaben der Haushalte und konnten somit genauer bestimmen, wie hoch die Gewichte für bestimmte Waren und Dienstleistungen im Index eigentlich hätten sein müssen. Zum anderen verwendeten die Fachleute eine Formel, die im Gegensatz zur Berechnungsformel des HVPI neben dem Warenkorb des Vorjahres auch den Warenkorb des jeweils aktuellen Jahres berücksichtigt. Die Expertinnen und Experten verglichen dann die Inflationsrate basierend auf dem Referenzindex mit der veröffentlichen Inflationsrate. Sie konnten so ferner feststellen, dass die verzerrenden Einflüsse von Formel und vorläufiger Datenlage im Durchschnitt etwa gleich hoch ausfallen.

Preisstabilität herrscht, wenn sich das Preisniveau trotz des Auf und Ab einzelner Preise an den Märkten nur wenig verändert. Der EZB-Rat definiert Preisstabilität bislang als Anstieg des HVPI im Euroraum von unter 2 Prozent. Innerhalb dieses definitorischen Rahmens strebt er auf mittlere Sicht eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 Prozent an. Durch diese Formulierung stellt die Definition klar, dass nicht nur eine Inflation von über 2 Prozent, sondern auch eine Deflation, also ein rückläufiges Preisniveau, mit Preisstabilität unvereinbar ist. Indem ein „Anstieg des HVPI von unter, aber nahe 2 Prozent“ angestrebt wird, werden auch mögliche Messfehler im HVPI sowie die potenziellen Auswirkungen von Inflationsunterschieden im Euroraum berücksichtigt. Derzeit überprüft die EZB ihre geldpolitische Strategie und überarbeitet in diesem Rahmen auch ihr Inflationsziel.