Funktionale Aspekte
Die TARGET-Services im Überblick
Die heutige Marktinfrastruktur des Eurosystems umfasst TARGET2 für den Individualzahlungsverkehr und die Nebensystemverrechnung, TARGET2-Securities (T2S) für die Wertpapierabwicklung und TARGET Instant Payment Settlement (TIPS) für die Verrechnung von Instant Payments. Mit der TARGET2/T2S-Konsolidierung wird das heutige Leistungsangebot noch stärker integriert und auf eine gemeinsame Basis gestellt - es entstehen die TARGET-Services.
Konkret wird mit der TARGET2/T2S-Konsolidierung das heutige Zahlungsverkehrssystem TARGET2 im März 2023 abgeschaltet und im Rahmen eines Big Bang zeitgleich durch den neuen T2-Service ersetzt. T2 setzt sich dabei zusammen aus dem zentralen Liquiditätsmanagement (Central Liquidity Management, CLM) und dem RTGS-Abwicklungsservice (Real-Time Gross Settlement, RTGS). Im zentralen Liquiditätsmanagement wird zukünftig die Zentralbankliquidität der Teilnehmer an einem Ort gebündelt. Der Treasurer kann sie von dort aus den einzelnen Abwicklungszwecken – dem Individualzahlungsverkehr und der Nebensystemverrechnung (RTGS), der Wertpapierverrechnung (T2S) sowie den Instant Payments (TIPS) – flexibel und bedarfsgerecht zuweisen. Er wird dabei durch (optionale) Funktionalitäten zur Automatisierung der Liquiditätssteuerung in T2 unterstützt. Das zentrale Liquiditätsmanagement bildet somit den Liquiditätsrahmen um die zukünftigen TARGET-Services.
Die bereits etablierten Services T2S und TIPS bleiben bestehen. Gewisse Anpassungen sind allerdings auch in T2S und TIPS erforderlich, um sie in die neue integrierte Marktinfrastrukturlandschaft der TARGET-Services einzubetten. Im November 2023 kommt das gemeinsame Sicherheitenmanagementsystem (Eurosystem Collateral Management System, ECMS) als weiterer TARGET-Service dazu. Insgesamt umfassen die TARGET-Services somit T2 (bestehend aus CLM und RTGS), T2S, TIPS und ECMS.
Unterstützt werden die TARGET-Services durch mehrere gemeinsam genutzte Komponenten, wie beispielsweise ein gemeinsames Referenzdatenmanagement (Common Reference Data Management, CRDM), das gemeinsame Zugangsportal ESMIG (Eurosystem Market Infrastructure Gateway) und ein gemeinsames Data Warehouse für T2 und T2S. Diese gemeinsam genutzten Komponenten – die so genannten Common Components – bilden das gemeinschaftliche Fundament der integrierten Marktinfrastrukturlandschaft der TARGET-Services.
Aus TARGET2 wird T2 – Zentrales Liquiditätsmanagement und RTGS
Über TARGET2 werden heute sowohl die Zentralbankoperationen als auch der Individualzahlungsverkehr und die Nebensystemverrechnung abgewickelt. Im zukünftigen T2-Service werden diese beiden Aspekte klar voneinander getrennt und im zentralen Liquiditätsmanagement und dem RTGS-Abwicklungsservice abgebildet. Dies spiegelt sich auch in einer neuen Kontenstruktur wider:
- Zentralbankoperationen werden künftig über zentrale Geldkonten (Main Cash Account, MCA) im zentralen Liquiditätsmanagement abgewickelt. Dazu zählen unter anderem die Verrechnung von Offenmarktgeschäften und die Inanspruchnahme der Ständigen Fazilitäten. Auch die Mindestreserve wird über die zentralen Geldkonten gehalten, wobei automatisch die Guthaben auf DCAs und ggf. weiteren MCAs mitberücksichtigt werden können. Ebenso hängt die Kreditlinie eines Instituts an einem der zentralen Geldkonten.
- Der Individualzahlungsverkehr sowie die Nebensystemverrechnung werden über dedizierte Geldkonten (Dedicated Cash Accounts, DCAs) in RTGS abgewickelt. Mit Liquidität gespeist werden diese Konten von den MCAs.
Die aus TARGET2 bekannten PM- und HAM-Konten wird es nicht mehr geben.
Entscheidende Neuerung im Individualzahlungsverkehr – also im RTGS-Abwicklungsservice – ist zudem die deutliche Erweiterung des Abwicklungsfensters für Kunden- und Interbankenzahlungen: Während Zahlungen heute in TARGET2 erst ab 7:00 Uhr morgens abgewickelt werden können, ist dies zukünftig bereits ab 2:30 Uhr möglich. Global agierende Teilnehmer können ihren Kunden somit einen noch besseren und zeitzonenunabhängigeren Service für die Verrechnung von Euro-Zahlungen anbieten.
Flächendeckende Einführung ISO 20022-konformer Nachrichten
Eine weitere zentrale Neuerung ist die flächendeckende Verwendung ISO 20022-konformer Nachrichten über alle TARGET-Services hinweg. Während T2S und TIPS bereits heute ISO 20022-konforme Nachrichten nutzen, erfolgt die Kommunikation mit dem heutigen Zahlungsverkehrssystem TARGET2 nach wie vor auf dem SWIFT MT-Standard. Mit der TARGET2/T2S-Konsolidierung wird auch im T2-Service sämtliche Kommunikation auf den ISO 20022-Standard umgestellt. Die Umstellung erfolgt dabei als Big Bang am Migrationswochenende. Eine Übergangszeit, in der der SWIFT MT-Standard parallel zum ISO 20022-Standard genutzt werden kann, wird es nicht geben.
Bei den ISO 20022-Nachrichtenformaten richtet sich T2 soweit möglich nach der HVPS+ (High-value payment systems plus)-Leitlinie. Zudem erfolgt eine enge Abstimmung zwischen HVPS+ und CBPR+ (Cross-border payments and reporting plus) im Korrespondenzbankgeschäft.
Eurosystem Single Market Infrastructure Gateway (ESMIG)
Die einheitliche Schnittstelle ESMIG bildet den zentralen Zugangspunkt zu den Marktinfrastrukturen des Eurosystems. Sie ist eines der Kernelemente der gemeinsam genutzten Komponenten der TARGET-Services: Bereits seit November 2018 steht ESMIG für TIPS zur Verfügung. Im Juli 2022 folgte T2S und im März 2023 T2. Im November 2023 wird schließlich ECMS angeschlossen . Jeder Teilnehmer, also auch alle Banken, Wertpapierfirmen und Nebensysteme, müssen eine Anbindung über ESMIG realisieren, sofern sie technisch direkt mit den TARGET-Services kommunizieren wollen. Zur Verfügung stehen dazu die beiden vom Eurosystem lizensierten Netzwerkdienstleister SIA-Colt und SWIFT, die im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag erhalten haben.
Der netzwerkagnostische Zugang zu den TARGET-Services bedingt einen Wechsel von Y‑Shape auf V‑Shape. Das bedeutet, dass künftig zwei Zahlungsnachrichten pro Transaktion generiert werden: Die TARGET‑Plattform erhält im ersten Schritt vom sendenden Teilnehmer die Zahlungsnachricht im Original. Im zweiten Schritt erzeugt T2 eine neue Nachricht, die an den Zahlungsempfänger übermittelt (V-Shape) wird. Im Gegensatz dazu wird im heute eingesetzten Y‑Copy-Modell in TARGET2 der empfangende Teilnehmer technisch direkt vom sendenden Teilnehmer adressiert. TARGET2 erhält lediglich eine Kopie der Nachricht.
Teilnehmer können sowohl U2A (User-to-Application) als auch A2A (Application-to-Application) mit den TARGET-Services und den Common Components kommunizieren. Insbesondere für Teilnehmer mit geringen Transaktionsvolumina wird es einen so genannten „U2A-only“-Zugang geben. Dieser ersetzt den heutigen internetbasierten Zugang, der mit Einführung der TARGET2/T2S-Konsolidierung eingestellt wird. Im Zuge des „U2A-only“-Zugangs erfolgt die Kommunikation mit T2 allein über eine grafische Benutzeroberfläche. Die applikationsseitige Implementierung von Nachrichten ist somit nicht erforderlich.
Common Reference Data Management (CRDM)
Das gemeinsame Referenzdatenmanagement (Common Reference Data Management, CRDM) ist die zentrale Stammdatenverwaltung für die TARGET-Services. Die Idee ist, alle notwendigen Stammdaten einmalig an zentraler Stelle anzulegen und von dort aus zu verwalten. Dazu gehören zum Beispiel die Anlage und Pflege der an den TARGET-Services teilnehmenden Institute, die Konten der Institute in den einzelnen Abwicklungsservices (u. a. MCAs und DCAs) sowie das Access Rights Management.
CRDM basiert auf dem heute in T2S genutzten Stammdatenmodul und wird bereits für TIPS genutzt. Im Zuge der TARGET2/T2S-Konsolidierung wird CRDM weiterentwickelt und zur gemeinsam genutzten Komponente für CLM, RTGS, T2S und TIPS ausgebaut. Heutigen T2S-Teilnehmern wird das zukünftige Referenzdatenmanagement und die Vergabe und Verwaltung von Zugriffsrechten daher in weiten Teilen vertraut vorkommen.
Data Warehouse
Eine weitere für die Teilnehmer bedeutende Common Component stellt das gemeinsame Data Warehouse für T2 (CLM und RTGS) und T2S dar. Mit dem neuen Data Warehouse bekommen erstmals auch Institute selbst Zugriff auf ihre historischen Daten. Bislang war dieser Zugang in TARGET2 den Notenbanken vorbehalten gewesen. Über vordefinierte Berichte können sich die Institute eine umfangreiche Sammlung ihrer Daten am jeweils nächsten Geschäftstag aufrufen und herunterladen.
Daten aus TIPS sind im Data Warehouse nicht enthalten. Für ECMS wird ein eigenes Data Warehouse zur Verfügung gestellt.