Wenn der Euro unverändert fortbesteht, ist Target kein Risiko Gastbeitrag in "Die Welt"

TARGET2 ist das Zahlungssystem der Zentralbanken des Eurosystems für die schnelle Abwicklung von Überweisungen in Echtzeit. Über TARGET2 fließen pro Tag im Durchschnitt rund 340.000 Zahlungen im Wert von rund 1,7 Billionen Euro. Der TARGET2-Saldo in der Bundesbankbilanz entsteht durch grenzüberschreitende Transaktionen von Geschäftsbanken.
Dabei ist zu beachten, dass das Eurosystem eine Währung, aber 19 nationale Zentralbanken hat. Es gibt eine einheitliche Geldpolitik, die jedoch dezentral umgesetzt wird. Die Geschäftsbanken unterhalten keine direkten Geschäftsbeziehungen mit der EZB, sondern führen ein Konto bei einer nationalen Zentralbank. Durch grenzüberschreitende Überweisungen innerhalb des Eurosystems kann die durch geldpolitische Geschäfte geschaffene Zentralbankliquidität umverteilt werden. Fließen einem Land auf diesem Wege mehr finanzielle Mittel zu als abfließen, entstehen bei der nationalen Zentralbank des Landes – als Gegenposition zu den gestiegenen Einlagen von Kreditinstituten – TARGET2-Forderungen gegenüber der EZB. Umgekehrt baut die nationale Zentralbank des Landes, aus dem per saldo Mittel abfließen, TARGET2-Verbindlichkeiten gegenüber der EZB auf.

Die TARGET2-Forderungen der Deutschen Bundesbank sind im Verlauf der Finanzkrise nach 2008 und insbesondere mit der europäischen Staatsschuldenkrise kräftig gestiegen. Das Vertrauen in die Solvenz einzelner Banken und Bankensysteme wurde während dieser Krisen stark erschüttert, die Funktionsfähigkeit des Geldmarktes war eingeschränkt, und steigende Staatsverschuldung sowie anhaltende Leistungsbilanzdefizite trugen ihrerseits zu einer Vertrauenserosion bei.

Ein großer Teil des zusätzlich geschaffenen Zentralbankgeldes wurde deshalb auf Konten bei der Bundesbank oder in anderen Ländern gehalten, etwa in den Niederlanden, Luxemburg oder Finnland. Bis zum Sommer 2012 stiegen die TARGET2-Forderungen der Bundesbank auf ein Zwischenhoch von rund 750 Mrd. Euro. Mit der "whatever-it-takes"-Aussage des EZB-Präsidenten und einer allmählichen Beruhigung der Finanzmärkte entspannte sich die Situation. Die TARGET2-Forderungen der Bundesbank gingen binnen zweier Jahre um rund 300 Mrd. Euro zurück.

Der neuerliche Anstieg, der zum Jahresbeginn 2015 einsetzte, ist anders zu werten als die Entwicklung während der Finanz- und Staatsschuldenkrise. In den vergangenen Jahren waren die Wertpapierankäufe der Zentralbanken des Eurosystems die maßgebliche Ursache für die gestiegenen TARGET2-Salden: Wenn eine nationale Zentralbank des Eurosystems Wertpapiere von einer Geschäftsbank erwirbt, die bei einer anderen Zentralbank ein Konto führt, wirkt sich dies nämlich auf die TARGET2-Positionen beider Zentralbanken aus. Kauft zum Beispiel die Banca d’Italia ein Wertpapier von einer Geschäftsbank mit Sitz im Vereinigten Königreich, die ihr TARGET2-Konto bei der Bundesbank führt, dann erfolgt die Gutschrift auf diesem Konto. Die TARGET2-Forderungen der Bundesbank nehmen durch diesen Geschäftsfall genauso zu wie die TARGET2-Verbindlichkeiten der Banca d’Italia.

Viele internationale Banken aus Ländern außerhalb des Euroraums sind über eine deutsche Tochter an das TARGET2-System angebunden. Da ein erheblicher Teil der Wertpapierkäufe des Eurosystems über solche Geschäftsbanken abgewickelt wird, steigen die Einlagen von Kreditinstituten bei der Bundesbank kontinuierlich an und ebenso die TARGET2-Forderungen der Bundesbank gegenüber der EZB.

Das bedeutet aber nicht, dass in diesem Zusammenhang auch die Risiken aus den TARGET2-Forderungen der Bundesbank gestiegen wären. Die TARGET2-Forderungen der Bundesbank bestehen gegenüber der EZB, nicht gegenüber einer einzelnen nationalen Zentralbank.

Solange das Eurosystem unverändert fortbesteht, sind die TARGET2-Salden nicht risikobehaftet. Zudem wäre auch in dem Extremfall, dass ein Land mit hohen TARGET2-Verbindlichkeiten die Währungsunion verlässt, die Höhe der TARGET2-Forderungen der Bundesbank für das damit verbundene Risiko unerheblich. Entscheidend für den Ausgleich von TARGET2-Verbindlichkeiten bei einem Austritt aus der Währungsunion wären die Fähigkeit und Bereitschaft der Zentralbank des austretenden Landes, die gegenüber der EZB bestehende Verbindlichkeit zu begleichen.

Die Bundesbank geht vom Fortbestand des Eurosystems in seiner jetzigen Form aus. Der erörterte Fall eines Austritts eines Landes ist rein hypothetisch. Allgemein gilt zudem: Die TARGET2-Salden sind ein Symptom, die Ursachen für ihre Entwicklung liegen außerhalb von TARGET2. Weiterführende Maßnahmen müssen an den Ursachen möglicher Ungleichgewichte ansetzen und aus sich heraus sinnvoll sein.

Zu solchen Maßnahmen zählen insbesondere die Rückführung der Staatsverschuldung, strukturelle Reformen sowie eine Stärkung des Vertrauens in die Solvenz und Widerstandsfähigkeit der Banken. Mittel- bis langfristig dürften sie dann – gewissermaßen als Nebeneffekt – durch die Erhöhung des Vertrauens in die Wirtschaftspolitik im Euroraum zu einer Reduktion der TARGET2-Salden beitragen.

Auch der Ausstieg aus dem Wertpapierankaufprogramm wird voraussichtlich mit einem Rückgang der Forderungen und Verbindlichkeiten innerhalb des Eurosystems einhergehen, sofern zugleich die Zentralbankliquidität insgesamt zurückgeführt wird und der grenzüberschreitende Interbankenmarkt im Eurosystem an Bedeutung gewinnt. Eine weitergehende Integration der Finanzmärkte könnte diesen Prozess beschleunigen.