„Für Banken haben die Risiken zugenommen“ Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung
Das Gespräch mit Joachim Wuermeling führte Markus Frühauf.
Herr Wuermeling, sind die deutschen Banken für eine Rezession gewappnet?
Stand heute sind die deutschen Banken für eine Rezession gewappnet. Doch aus der gestiegenen Inflation und der Zinswende entstehen zusätzliche Risiken. Zudem hat sich das konjunkturelle Umfeld deutlich eingetrübt. Auch hier haben die Risiken zugenommen. Wir beobachten die Entwicklungen deshalb sehr aufmerksam.
Wo sind die größten Schwachstellen?
Eine Schwachstelle der deutschen Banken ist ihre geringe Rentabilität. Interessanterweise sind davon große Banken eher betroffen als die kleinen. Rentabilität ist wichtig für Stabilität: Je höher die Gewinne sind, desto mehr Verluste können abgedeckt oder Puffer aufgebaut werden. Mit ihren seit der Finanzkrise verdoppelten Eigenkapitalquoten sind die deutschen Institute dennoch sehr gut aufgestellt. Das Überschusskapital beläuft sich auf insgesamt 150 Milliarden Euro, mit denen die Banken einiges verkraften können. Derzeit sehen wir keine erhöhten Zahlen zu notleidenden Krediten oder zu Ausfällen. Jedoch gibt es negative Indikatoren wie zum Beispiel die Ratingherabstufungen oder die höheren Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen. Deshalb bereiten sich die Banken auf eine höhere Risikovorsorge vor.
Wann wird die Zinswende zu höheren Erträgen führen?
Bei Wohnimmobilien ist das schon der Fall gewesen. Die Bauzinsen haben sich seit Jahresanfang verdreifacht, während die Refinanzierungskosten der Banken deutlich langsamer gestiegen sind. Die Zinsmarge hat sich hier schon ausgeweitet. Allerdings verzeichnen Banken aufgrund des Renditeanstiegs Kursverluste in ihren Anleihen- und Aktienbeständen.
Bereiten Ihnen die Wertverluste auf die Wertpapieranlagen Sorgen?
Nein, 70 Prozent der Banken werden ein Jahr nach der Zinswende im positiven Bereich ankommen. Das heißt, die bilanziellen Verluste werden verarbeitet und die Zinserträge gestiegen sein. Normalerweise weiten sich die Zinsmargen auch deshalb aus, weil die Einlagenzinsen langsamer als die Kreditzinsen steigen. Doch schon im Vorfeld der EZB-Zinserhöhungen hat der Kampf um Einlagen eingesetzt. Die Negativzinsen wurden abgeschafft und die Zinsen für Festgeld angehoben.
Die niedrigen Zinsen werden wegen den langfristigen Krediten nicht so schnell aus den Bankbilanzen verschwinden.
Es gibt Banken, die haben sich durch Derivate vor dem Zinsänderungsrisiko abgesichert. Andere Institute haben das nicht getan. Insgesamt weist rund die Hälfte der deutschen Banken ein erhöhtes Zinsänderungsrisiko auf. Darauf haben wir als Aufseher mit erheblichen Eigenkapitalzuschlägen reagiert. Das war vor allem bei kleineren Instituten der Fall, die in relativ geringem Umfang Derivate nutzen. Viele waren sich der eigenen Risiken aber bereits bewusst und hatten freiwillig ein gutes Kapitalpolster angelegt.
Resultieren aus der hohen Inflation für die Banken spezielle Risiken?
Ja, weil die Kreditnehmer mit höheren Kosten konfrontiert sind. Das trifft sowohl Unternehmen als auch private Haushalte. Die höhere Kostenbelastung schwächt tendenziell die Kapazitäten für den Schuldendienst, womit das Kreditausfallrisiko steigt. Deshalb müssen unter anderem Unternehmen, die sich stark über Fremdkapital finanziert haben, kritisch beobachtet werden.
Welche Bedeutung wird das Provisionsergebnis haben, das in den vergangenen Jahren besonders von der größeren Bereitschaft der Privatkunden zu Wertpapieranlagen getragen wurde?
Grundsätzlich lässt sich das Anlageverhalten sehr schwer prognostizieren. Für die Privatanleger gibt es nach dem Zinsanstieg zum Beispiel mit Fest- oder Tagesgeld wieder Alternativen zum Wertpapiersparen. Doch viele Sparer haben mit ihren Wertpapieranlagen in den vergangenen Jahren gute Erfahrungen gemacht, weshalb nicht mit einer Flucht daraus zu rechnen ist. Doch wird mit den steigenden Zinserträgen der Anteil der Provisionserträge generell deutlich sinken.
Im aktuell schwierigen Börsenumfeld mussten die amerikanischen Banken Federn lassen. Befürchten Sie eine Fortsetzung der Kurskorrekturen?
Wir beobachten gegenwärtig auffallend hohe Schwankungen an den Kapitalmärkten. Die Neubewertung betrifft verschiedene Vermögensklassen. Wir befinden uns in einer Phase hoher Unsicherheit, die auf die Finanzmärkte durchschlägt. Hinzu kommt die Normalisierung der Geldpolitik. Die deutsche Bankbranche ist aber so solide aufgestellt, dass sie etwaige realwirtschaftliche Schocks - wie zum Bespiel einen Gaslieferstopp - eher dämpfend auffängt als sie zu verstärken.
Wie ist die Lage am Immobilienmarkt?
Es gibt derzeit eine Abkühlung. Aufgrund des Zinsanstiegs können sich viele Interessenten die begehrte Immobilie nicht mehr leisten. Auch die professionellen Investoren halten sich angesichts der schweren Kalkulierbarkeit zurück. Ähnliches gilt für Versicherer, Versorgungswerke oder Stiftungen, die in den vergangenen Jahren mangels Alternativen auf den Immobilienmarkt ausgewichen sind. Inzwischen können sie aber mit Bundesanleihen wieder auskömmliche Erträge erzielen. Die Nachfrage wird am Immobilienmarkt zwar sinken, aber sie wird noch immer über dem Angebot liegen. Deshalb ist mit Preiskorrekturen zu rechnen, aber nicht mit einem Einbruch.
Was können die Banken nun tun und was die Aufseher?
Die Banken müssen weiterhin auf eine hohe Eigenkapitalausstattung und damit auf ihre Widerstandskraft achten. Sie sollten das Eigenkapital eher behalten als ausschütten, die Risiken früh erkennen und schlechtere Kreditqualitäten rasch in ihren Bilanzen verarbeiten. Die Aufseher werden sehr intensiv auf die Risikolage eingehen und die Banken dazu auffordern, sich auf die ungünstigen Szenarien wie zum Beispiel Gaslieferstopp und Rezession vorzubereiten.
Sollten mit den Altmitteln von 2,3 Milliarden Euro im Restrukturierungsfonds die Banken entlastet oder die Verluste aus Bankenrettungen teilweise abgedeckt werden?
Wir halten es für vertretbar, wenn diese Mittel für noch ausstehende Beiträge der Banken an den europäischen Abwicklungsfonds SRF verwendet werden. Diese Mittel haben die Banken selbst aufgebracht, um damit Abwicklungen in Schieflagen zu finanzieren. Es handelt sich hier nicht um Steuergelder.
Wie sind Sie mit dem Abschneiden der deutschen Banken im Klimastresstest der EZB zufrieden?
Es hat sich hier um eine Lernübung sowohl für Banken als auch für die Aufsicht gehandelt. Es war auffallend, wie viele Banken im Euroraum sich damit noch nicht ausreichend beschäftigt haben. Die deutschen Banken haben aber vergleichsweise gut abgeschnitten und sind in ihren Methodiken zum Teil führend gewesen. Nach den Ergebnissen des Stresstests sind die Transitionsrisiken beherrschbar. Die Klimarisiken sind für die Bankbilanzen geringer als für die Gesellschaft. Doch wir müssen wachsam bleiben. Schließlich bereitet die Quantifizierung der Risiken erhebliche Schwierigkeiten, daran werden Banken und Aufseher auch weiter arbeiten müssen. Klar ist: Kreditentscheidungen können künftig nicht frei von Klimaerwägungen getroffen werden, da die finanzierten Aktiva der Kunden auch mittelfristig werthaltig sein müssen.
Müssen sich Handwerksbetriebe nach Ende der Übergangsphasen zur Basel-III-Umsetzung ein externes Rating besorgen, wenn sie einen Bankkredit brauchen?
Nein, das wird nicht der Fall sein, weil viele Mittelständler unter die Ausnahmeregelungen für kleine und mittelgroße Unternehmen fallen. Dies betrifft in Deutschland etwa 99 Prozent der Unternehmen. Das wird in der Diskussion um die EU-Umsetzung von Basel III oft vergessen. Zudem wird ein Großteil dieser Unternehmen von Instituten betreut, die den Kreditrisikostandardansatz verwenden. Das Risikogewicht für Unternehmen ohne externe Bonitätsbeurteilung ändert sich für diese Institute nicht.
Doch es werden mehr Unternehmen als bisher ein externes Rating benötigen. In Frankreich erstellt die Notenbank solche Bonitätsnoten, die Bundesbank aber nicht.
Auch wir müssen bei Unternehmen prüfen, ob ihre Kredite notenbankfähig sind, wenn sie von Banken als Sicherheiten eingereicht werden. Bislang haben wir diese Bewertungen im Gegensatz zur Banque de France nicht in der Bankenaufsicht, sondern ausschließlich für die Geldpolitik verwendet. Meines Erachtens kann man darüber aber noch einmal nachdenken.
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