„Schneller Zinsanstieg ist wahrscheinlich.“ Interview mit Braunschweiger Zeitung, Wolfsburger Nachrichten und anderen Regionalzeitungen der Funke Mediengruppe

Das Gespräch mit Joachim Wuermeling führte Hannah Schmitz.

Herr Wuermeling, was macht die Bundesbank, wofür ist sie zuständig?

Wuermeling: Sie hat ganz praktische Aufgaben, zum Beispiel die Bargeldversorgung. Wir stellen Systeme für den Zahlungsverkehr zur Verfügung, wir beaufsichtigen die Banken und Finanzdienstleister und machen Analysen zur Finanzstabilität. Und wir verwalten die deutschen Goldreserven, die teils in Frankfurt, teils in London, teils in New York lagern. Die wichtigste Aufgabe von uns ist aber die Mitwirkung an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Bundesbank-Präsident wirkt an den Entscheidungen des EZB-Rates mit und wir setzen diese um.

Momentan tourt die Bundesbank mit einer Roadshow durch Deutschland, auch in Braunschweig und Wolfsburg macht der Truck Station. Warum wollen Sie mit den Menschen in Kontakt kommen?

Geldpolitik ist ein wichtiges aber auch kompliziertes Thema, das für Laien oft schwer zu verstehen ist. Und angesichts der hohen Inflationsraten gibt es daher gerade viel Gesprächsbedarf. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, zur finanziellen Bildung beizutragen. Bisher haben wir vor allem Veranstaltungen organisiert – dabei ist allerdings die Reichweite begrenzt. Deswegen haben wir uns entschieden, auf die Marktplätze zu gehen. Mit dem Truck fahren wir 90 Orte in Deutschland an, acht in Niedersachsen.

Woran machen Sie fest, dass sich die Menschen sich schwer damit tun, Geldpolitik zu verstehen?

Ich werde oft persönlich angesprochen und stelle fest, dass nur wenige Menschen wissen, wie Geld eigentlich entsteht, wie der EZB-Rat Zinsentscheidungen trifft und wie die Leitzinsen wirken. Die Banken sagen uns, dass sie ähnliche Rückmeldungen von ihren Kunden erhalten. Und es geht ja nicht nur um das Wissen an sich - mit mehr Finanzwissen könnten die Menschen auch bewusstere und bessere finanzielle Entscheidungen treffen und ihren Spielraum besser ausnutzen.

Angesichts der historisch hohen Inflation wird der finanzielle Spielraum für die meisten immer kleiner. Wie prognostizieren Sie die weitere Entwicklung?

Im Moment erwarten wir für dieses Jahr eine Inflationsrate von über 7 Prozent – mit Tendenz nach oben. In den vergangenen Monaten haben wir die höchsten Inflationsraten seit fast 50 Jahren in Deutschland gesehen. Seit Bestehen des Euro war eine zu hohe Inflation nur selten ein großes Problem, das hat sich jetzt geändert.

Wir können zwar nicht damit rechnen, dass die Inflationsrate so rasch wieder fällt, wie sie gestiegen ist. Sie wird aber nicht dauerhaft so hoch bleiben. Die Bundesbank geht davon aus, dass die Inflation im nächsten Jahr 4,5 Prozent beträgt und 2024 dann 2,6 Prozent. Die Prognosen sind allerdings angesichts der aktuellen Entwicklungen mit einer hohen Unsicherheit verbunden.

Wie wollen EZB und Bundesbank die Raten in den Griff bekommen?

Die hohe Inflation ist zum großen Teil importiert: Lieferengpässe und Energiepreisanstiege haben einen starken Einfluss. Auf diese Ursachen können wir mit Geldpolitik nicht unmittelbar Einfluss nehmen. Wir können aber sehr wohl Einfluss darauf nehmen, dass sich die hohen Inflationsraten nicht verfestigen.

Es liegt in unserer DNA und ist unser Auftrag, für Preisstabilität zu sorgen und gegen die Inflation anzukämpfen. Wir sehen in diesen Wochen wieder, wie wichtig das für das Wohlergehen der Menschen ist. Wir werden alle uns zur Verfügung stehenden Instrumente einsetzen. Es besteht nämlich die Gefahr, dass Löhne und Preise in eine Aufwärtsspirale geraten.

Wie sehen die nächsten Schritte der EZB aus?

Zum 1. Juli werden die Ankäufe von zusätzlichen Anleihen durch das Eurosystem eingestellt.

Später im Juli wird der EZB-Rat voraussichtlich beschließen, die Leitzinsen zu erhöhen. Für September ist die nächste, womöglich größere Leitzinserhöhung bereits angekündigt. Im Laufe des Jahres könnten die Zinsen noch weiter erhöht werden. Ich gehe – Stand jetzt – davon aus, dass es eher zu einer Beschleunigung des Zinsanstiegs kommt.

Donnerstag ist die Alarmstufe vom Notfallplan Gas eingetreten. Energie könnte bei uns knapp werden. Wo kann die Inflation im schlimmsten Fall noch hin galoppieren?

Ein Gas-Stopp wird womöglich zu einer merklichen Einschränkung der Wirtschaftstätigkeit führen. Aber wie genau die wirtschaftlichen Folgen eines Gasstopps aussehen werden, hängt von vielen, komplexen Wirkungsketten ab. Die können wir und unsere volkswirtschaftlichen Modelle nicht vollständig antizipieren. Es ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten, aber die Wirkungen werden massiv sein.

Warum hat die EZB die Inflationsrate so unterschätzt?

Weltweit wurden die hohen Raten nicht vorhergesehen, weil die Entwicklungen schlicht unvorhersehbar waren, wie zum Beispiel der Krieg Russlands gegen die Ukraine. Allerdings hatten wir im letzten Jahr schon Aufwärtsentwicklungen und eine Inflationsrate von 2,1 Prozent. Geldpolitisch standen wir aber immer noch auf dem Gaspedal. Deswegen haben wir uns als Bundesbank schon früh für eine Normalisierung und Straffung der Geldpolitik eingesetzt. Insofern sind wir umso glücklicher, dass wir die Zinstreppe jetzt schnell hinaufsteigen werden.

Aber auch schnell genug?

Die Zinserhöhungen wirken nur verzögert auf die Volkswirtschaft. In so einer Situation der Unsicherheit, politisch wie ökonomisch, sollten wir in der Geldpolitik nicht ruckartig handeln. Insofern ist dort ein umsichtiges Vorgehen notwendig. Aber eben auch ein entschlossenes.

Ist es nicht dennoch besorgniserregend, dass Zentralbanken die Lage so falsch eingeschätzt haben?

Auch andere Institutionen haben in ihren Prognosen diese Entwicklungen nicht vorausgesehen. Der Hauptgrund liegt darin, dass im Zuge des russischen Angriffskriegs die Rohstoffpreise außerordentlich stark gestiegen sind, während gleichzeitig Probleme bei den Lieferketten mehr als zunächst erwartet zu Engpässen auf der Angebotsseite geführt haben. Daraus müssen wir Lehren ziehen und unsere Modelle verbessern, also zum Beispiel die Dynamik bei Rohstoffpreisen stärker gewichten.

Welche Auswirkungen haben die Inflation und die geldpolitischen Maßnahmen der EZB auf das Bankensystem?

Beides hat einen erheblichen Einfluss auf die Banken.

Drei Tiefdruckgebiete ziehen auf: Steigende Zinsen können erstens dazu führen, dass Banken kurzfristig mehr Geld als vorher aufwenden müssen, um sich zu refinanzieren -- gleichzeitig steigen aber ihre Zinseinnahmen aus bestehenden langfristigen Krediten nicht. In Summe sinkt dadurch also das Zinsergebnis.

Als zweiten Effekt können Banken Wertverluste in den Beständen von Aktien und Anleihen verzeichnen, sie müssen also Abschreibungen tätigen. Das kann sich ebenfalls negativ auf den Gewinn auswirken.

Drittens wird das Kreditrisiko angesichts der wirtschaftlichen Risiken größer. Das sind drei Faktoren, die Banken in ihren Planungen völlig neu berücksichtigen müssen.

Es gibt allerdings auch einen Entlastungsfaktor, denn die Banken müssen durch die geplanten Zinsanhebungen der EZB keine Negativzinsen mehr an das Eurosystem zahlen. Sie sparen dadurch etwa 4,8 Milliarden Euro pro Jahr ein.

Können Banken damit die neuen Belastungen kompensieren?

Das wird zumindest nicht leicht. Aber das Bankensystem ist solide aufgestellt und verfügt über dicke Polster. Das Überschusskapital liegt im Moment bei rund 150 Milliarden Euro. Kurzfristig stehen Belastungen an, aber mittel- und langfristig sind die Effekte steigender Zinsen auf die Profitabilität eher positiv. Zudem gehen Banken nach Kostensenkungen und Gebührenerhöhungen gestärkt in die Schlechtwetterperiode. Ich gehe nach aktuellem Stand davon aus, dass die allermeisten Banken von einer Zinsänderung unterm Strich sogar profitieren werden, denn mittelfristig steigen bei höheren Zinsen die Erträge.

Vor wenigen Jahren musste die Norddeutsche Landesbank vor der Pleite gerettet werden - die Bundesbank und Sie persönlich waren in dieser Aktion stark involviert. Andere Landesbanken wurden in der Vergangenheit abgewickelt, heute gibt es nur noch vier. Brauchen wir sie überhaupt noch? Wäre ein Zentralinstitut, eine „Super-Landesbank“, wie sie der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Helmut Schleweis, fordert, nicht deutlich stabiler aufgestellt?

Ich freue mich, dass die NordLB nach dieser schwierigen Zeit wieder in ruhigeres Fahrwasser gekommen ist. Ansonsten bestimmt der Markt, ob eine Bankengruppe gebraucht wird oder nicht. Wir favorisieren keine bestimmte Marktstruktur, sondern schauen nur auf die Stabilität des Marktes insgesamt. Und insgesamt wurde die Resilienz des Systems durch diese schmerzliche Operation gestärkt.

Grundsätzlich begrüßen wir aber alle Überlegungen, die darauf abzielen, das Bankensystem robuster und stabiler zu machen, dazu gehören auch Effizienzsteigerungen. Konsolidierungen können dazu beitragen, sie sind aber nicht die einzige Option. Am Ende obliegt es den Institutionen und Eigentümern, die richtige Lösung zu finden.


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