Wir müssen umsteuern Interview in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Das Gespräch führten Maja Brankovic und Dennis Kremer.
Frau Mauderer, Sie sind in der Bundesbank für Nachhaltigkeit zuständig. Gerade überlagern Themen wie Krieg, Versorgungssicherheit und Inflation alles andere. War's das mit dem Kampf gegen den Klimawandel?
Im Gegenteil, mit der Invasion Russlands in der Ukraine ist deutlich geworden, dass wir zu stark abhängig von Energielieferungen sind. Und damit sehr verletzlich. Wir selbst haben nicht genug fossile Energieträger. Wir können also nur unabhängig werden, wenn wir uns von Gas, Kohle und Öl lösen. Und Energiesicherheit heißt in unserem Land: erneuerbare Energien. Der Krieg gibt Anlass dazu, die Transformation noch mal zu beschleunigen.
Kurzfristig setzen wir aber wieder auf Kohleenergie. Ist das der richtige Weg?
Wir müssen in der jetzigen Situation pragmatisch sein. Weil wir einfach nicht genügend erneuerbare Energien zur Verfügung haben, um den gesamten Energiebedarf zu decken. Deshalb müssen wir kurzfristig auf Energieträger zurückgreifen, von denen wir uns eigentlich verabschieden wollen: Kohle- und möglicherweise auch Atomstrom. Das darf aber nicht dazu führen, dass wir den Übergangskompromiss als langfristige Lösung verstehen. Parallel müssen die Anstrengungen laufen, den Weg zu den erneuerbaren Energien zu schaffen. Es ist unheimlich viel möglich. Wenn man sich die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre anschaut, sehen wir, dass Photovoltaik um 85 Prozent kostengünstiger geworden ist, die Windenergie um mehr als 50 Prozent. Der Strom, der aus Solar oder aus Onshore-Windkraft kommt, ist schon heute billiger als Strom aus fossilen Energieträgern. Es ist also nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll, dass wir umsteuern.
Wieso denken Sie als Vorstand der Bundesbank gerade über solche Fragen nach? Haben Sie mit der Inflation aktuell nicht andere Sorgen?
Das Mandat der Bundesbank ist durch den Klimawandel vielfältig betroffen. Klimarisiken sind auch finanzielle Risiken. Wir haben zum einen das physische Risiko, also die Kosten, die entstehen, wenn Umweltkatastrophen geschehen wie Waldbrände, Fluten, Trockenzeiten oder Hurrikans. Die Waldbrände in Kalifornien vor zwei Jahren haben knapp 20 Milliarden Dollar an Kosten verursacht, die Überflutungen im Ahrtal knapp 30 Milliarden Euro. Außerdem gibt es transitorische Risiken. Das sind Risiken, die durch den Übergang zur emissionsfreien Wirtschaft entstehen.
Welche Probleme sehen Sie da?
Was passiert zum Beispiel, wenn die Politik nicht rechtzeitig und in der gebotenen Intensität Entscheidungen trifft, die die Industrie zur CO2-Neutralität verpflichten? Im Moment gibt es noch kein Rahmenwerk, jedenfalls nicht global, das die Unternehmen dazu zwingt, über die nächsten Jahre und Jahrzehnte auf CO2-Neutralität umzuschwenken. Einige Unternehmen hoffen darum noch, dass sich für sie nichts ändert. Mit der Erderwärmung werden die gefährlichen Wetterphänomene aber massiv zunehmen. Irgendwann werden die Staaten ihre Industrien zur Umstellung zwingen müssen - dann aber vermutlich mit sehr großen Kosten und Geschäftsrisiken für die Firmen, weil keine Zeit mehr zur Umstellung bleibt.
Und das bedroht dann die Finanzstabilität?
Genau. Die Risiken sind umso größer, je später die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden. Außerdem beeinflusst der Klimawandel die Preise schon heute. In Ländern, wo Dürre oder Fluten die Ernte kaputt machen, steigen die Preise. Das sehen wir in Brasilien oder in Madagaskar. Und Indien hat den Export von Weizen stark beschränkt, weil auch dort die Dürre die Ernte einschränkt. Das wird unter Umständen auch den Preis in Europa beeinflussen. In Italien fehlt Wasser und große Ernteausfälle drohen. Auch das kann sich auf die Preise auswirken.
Hat der Krieg gegen die Ukraine einen ähnlichen Effekt?
Ja, gerade die Energiepreise sind stark gestiegen, als Folge der russischen Invasion und der Sanktionen des Westens gegen Russland. Das zeigt, welche Preisschocks entstehen können, wenn wir nicht rechtzeitig über Abhängigkeiten oder Schieflagen nachdenken. Ähnliches würden wir wahrscheinlich auch sehen, wenn von heute auf morgen politische Entscheidungen getroffen würden, dass CO2-intensive Ressourcen nicht mehr gewünscht sind.
Das heißt, im Sinne der Preisstabilität ist es besser, die Dekarbonisierung der Wirtschaft schrittweise vorzunehmen? Das verlangsamt doch den Prozess.
Es ist schon sinnvoll, den Unternehmen Planungssicherheit zu geben und ihnen möglichst früh die Ziele zu nennen. Was die Unternehmen heute wissen, gibt ihnen die Gelegenheit, ihr Geschäftsmodell über die Jahre anzupassen. Deswegen ist das politische Rahmenwerk wichtig.
Wie gut kann man in dieser unsicheren Zeit überhaupt planen? Ob Ukrainekrieg oder Corona: Alle müssen sich gefühlt ständig, abrupt und schnell auf Neues einstellen.
Es gibt immer ein unternehmerisches Risiko. Es können Ereignisse eintreten, deren Eintrittswahrscheinlichkeit Firmen niedrig eingeschätzt haben. Aber wenn wir es mit Phänomenen wie dem Klimawandel zu tun haben, von denen die Wissenschaft uns sagt, dass sie kommen werden: Dann wäre es schon angezeigt, rechtzeitig zu reagieren.
Die hohen Energiepreise könnten den Druck auf die Unternehmen erhöhen, sich anzupassen: Haben sie also auch etwas Gutes?
Das ist eine sehr komplexe Frage. Auch Preise steuern die Nachfrage. Aus ökologischer Sicht haben die Preissteigerungen darum eine wünschenswerte Lenkungswirkung. Die Erneuerbaren werden im Vergleich zu den fossilen Energieträgern attraktiver. In weiten Teilen sind sie es sogar schon heute. Gleichzeitig ist aber natürlich klar, dass diese hohen Energiepreise die Verbraucher belasten. Es ist wichtig, soziale Härten abzufedern.
Wie soll diese Entlastung Ihrer Meinung nach aussehen?
Ich bin gegen eine Entlastung bei der Nutzung fossiler Energieträger und für eine pauschale Entlastung, unabhängig vom Energieverbrauch. In diesem Fall können Verbraucher selbst entscheiden, wie sie den erhaltenen Betrag verwenden.
War der Tankrabatt also eine schlechte Idee?
Das war eine politische Entscheidung. Wenn man sich für eine Entlastung entscheidet, so ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoll, einen vom Energieverbrauch unabhängigen Betrag zu zahlen, wie die beschlossene Einmalzahlung von 300 Euro. Und sinnvoll wäre es natürlich auch, die Höhe solcher Einmalzahlungen nach sozialer Betroffenheit zu staffeln. Denn die hohen Preise treffen vor allem einkommensschwächere Bevölkerungsschichten.
Sie haben in der Bundesbank auch die Finanzbranche im Blick. Die wirbt gerne mit Nachhaltigkeitslabels für ihre Produkte. Aber ist da überhaupt etwas dahinter?
Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Grundsätzlich geht die ganze Debatte um Labels am Kern des Problems vorbei: Es geht nicht darum, schicke Labels zu kreieren, die keinen Beitrag zur grünen Transformation leisten. Die Branche kann ihr Geld in Technologien investieren, die uns dem Ziel der CO2-Neutralität näherbringen. Oder aber ihr Geld und das Geld der Anleger fließt in Unternehmen mit hohem CO2-Ausstoß, die sich nachprüfbar verpflichten, wirklich etwas daran zu verändern. Der Effekt ist dann viel größer, als wenn das Geld beispielsweise einem Onlinehändler oder einem anderen Dienstleistungsunternehmen zufließt, das ohnehin keinen großen Ausstoß an Kohlenstoffdioxid hat. Wir müssen die Finanzströme grundsätzlich nachhaltig machen. Darum geht es.
Und wer bestimmt, was nachhaltig ist? Die EU mit ihrem neuen Regelwerk, der sogenannten Taxonomie?
Wir als Gesellschaft müssen definieren, was nachhaltig ist. Wichtig ist, dass das Regelwerk verlässlich ist. Die EU ist dabei, ein sehr komplexes Regelwerk zu schaffen. Eine gewisse Detailtiefe ist nötig, weil es nicht zu viel Interpretationsspielraum geben darf. Andererseits darf es nicht zu komplex sein, weil es in der Umsetzung zu Schwierigkeiten führt.
Neben der Komplexität stellen sich aber auch grundsätzliche Fragen, zum Beispiel zur Atomkraft. In Frankreich gilt sie als nachhaltig, in Deutschland nicht.
Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen in Europa. Das EU-Parlament wird Anfang Juli über den weiteren Umgang mit der Taxonomie entscheiden. Aber wie immer die Entscheidung auch ausfallen wird: Das Empfinden, was als nachhaltig gilt, kann sich schnell ändern. Das hat der Krieg gegen die Ukraine gezeigt. Seitdem betrachten viele in Europa die früher verpönten Rüstungshersteller mit ganz anderen Augen.
Zeigt das nicht, dass Nachhaltigkeit ein beliebiger, kaum zu definierender Begriff ist?
Das sehe ich anders. Das können Sie schon definieren. In einem sind sich nämlich alle einig: Alle Projekte, die die Erderwärmung stoppen oder verlangsamen, fallen darunter.
Sie selbst fahren Fahrrad statt Dienstwagen, wie man hört. Wegen des Klimas?
Ich habe einen Dienstwagen, aber ich benutze ihn fast nie. Hier in Frankfurt mache ich eigentlich alles mit dem Fahrrad. Ich bin auf dem Land groß geworden, da war das einfach so. Wenn Sie irgendwo hinwollten, mussten Sie aufs Fahrrad steigen. Egal wo ich seither war: Ich war immer mit dem Fahrrad unterwegs.
Sie fahren bei Wind und Wetter?
Eigentlich schon, ja. Ich komme aus Schleswig-Holstein. Dagegen herrscht in Frankfurt ein laues Lüftchen.
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