Bundesbank-Projektionen: Trotz Energiekrise kein schwerer Wirtschaftseinbruch

Die deutsche Wirtschaft wird nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank im Winter trotz der Energiekrise keinen schweren Einbruch erleben. „Die Wirtschaftsleistung dürfte zwar zunächst schrumpfen, ab der zweiten Jahreshälfte 2023 erwarten wir jedoch eine allmähliche Erholung“, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel anlässlich der aktuellen Projektionen. Für das kommende Jahr rechnen die Fachleute der Bundesbank mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um kalenderbereinigt 0,5 Prozent, nachdem es in diesem Jahr wohl um 1,8 Prozent zulegt. Ihren Projektionen zufolge wächst die deutsche Wirtschaft in den Jahren 2024 um 1,7 Prozent und 2025 um 1,4 Prozent. „Im Vergleich zur Juni-Projektion wurde die Änderungsrate des BIP für das Jahr 2023 erheblich nach unten revidiert“, sagte Nagel. Damals waren die Fachleute der Bundesbank noch von einem BIP-Anstieg von 2,4 Prozent ausgegangen (2024: 1,8 Prozent). Ursächlich hierfür seien die massiv verschlechterte Energieversorgung durch den vollständigen Stopp russischer Gaslieferungen, eine schwächer steigende Auslandsnachfrage und höhere Finanzierungskosten.

Wirtschaft dürfte zunächst schrumpfen

Der wirtschaftliche Abschwung geht auf mehrere Ursachen zurück. Die privaten Haushalte können dem Bericht zufolge aufgrund der hohen Inflation weniger konsumieren. Darunter leiden sowohl der Einzelhandel als auch andere konsumnahe Dienstleister – beispielsweise das Gastgewerbe, zu dem Restaurants oder Hotels gehören. Die Dienstleister würden zudem, wie andere Branchen auch, durch die hohen Energiekosten selbst belastet. Demnach bekommen besonders die energieintensiven Industrien die hohen Energiekosten zu spüren. Dazu gehören unter anderem die Chemie- oder die Glasindustrie. In diesen Branchen dämpften die hohen Energiekosten auch die Exporte. Laut den Fachleuten belasten die stark steigenden Arbeitskosten die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure zusätzlich. Außerdem gingen die Auftragseingänge aus dem Ausland in der Tendenz seit geraumer Zeit zurück. Die Investitionen von Unternehmen und im Wohnungsbau dürften zunächst merklich nachlassen. Aufgrund der hohen Unsicherheit in Bezug auf die Energieversorgung und ihre Kosten würden Projekte geschoben oder vollständig gestrichen. Die gestiegenen Finanzierungskosten seien eine zusätzliche Bürde.

„Ab der zweiten Jahreshälfte 2023 erholt sich die Wirtschaft“

Ab der zweiten Jahreshälfte 2023 erholt sich die deutsche Wirtschaft laut dem Ausblick aber allmählich. Die Unsicherheit nimmt dann ab, die Inflationsrate sinkt und die Löhne steigen kräftig, schreiben die Fachleute. Letzteres auch, weil der Arbeitsmarkt robust bleibe: „Die im Vergleich zum Arbeitsangebot hohe Arbeitsnachfrage spricht dafür, dass der Arbeitsmarkt dem konjunkturellen Gegenwind in den kommenden Quartalen weitgehend trotzt“, so die Expertinnen und Experten. Das heißt: Viele Unternehmen und Betriebe suchen weiterhin Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, obwohl die Wirtschaft schwächelt. Für Personen, die ihre Arbeitsstelle verloren haben, stehen die Aussichten für eine Neueinstellung sehr gut. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern steht somit auch in realer Rechnung wieder mehr Geld zur Verfügung steht, welches sie für Waren und Dienstleistungen ausgeben können. Auch die deutschen Exporte dürften ihre Schlagzahl ab dem Frühjahr 2023 wieder erhöhen, wenn die Belastungen durch die Energiepreise und die Anspannungen in den Lieferketten schrittweise abnehmen und die Nachfrage nach in Deutschland gefertigten Waren wieder deutlich steigt. Die Investitionen sollten dann ebenfalls steigen. „Insbesondere den Investitionen in Fahrzeuge könnten vorübergehend Nachholeffekte einen Schub geben, wenn sich die Lieferengpässe auflösen“, schreiben die Fachleute weiter.

Laut den Expertinnen und Experten werden die gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten jedoch erst 2025 wieder im normalen Maß ausgelastet. Dass die Wirtschaftsleistung bis dahin unterhalb ihres mittelfristigen Produktionspotenzials bleibt, liegt jedoch nicht an einer mangelnden Nachfrage. Vielmehr spielten die Angebotsstörungen eine Rolle, vor allem bei der Energieversorgung. Diese Störungen seien zu einem Teil als vorübergehend anzusehen. Allerdings rechnen die Fachleute nicht damit, dass die Kosten der Energieversorgung langfristig wieder auf ihr Niveau vor der aktuellen Krise zurückgingen.

Inflation geht nur allmählich zurück

Die Energiekrise verstärkt dem Bericht zufolge auch die Inflation hierzulande. Die am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessene Inflationsrate wird für das laufende Jahr auf 8,6 Prozent veranschlagt. Für das kommende Jahr sei ein Rückgang auf 7,2 Prozent zu erwarten. Die Teuerungsrate geht danach weiter zurück – auf 4,1 Prozent 2024 und schließlich auf 2,8 Prozent im Jahr 2025. In der Projektion vom Juni waren die Fachleute für 2023 noch von 4,5 Prozent ausgegangen (2024: 2,6 Prozent). Sie korrigierten ihre Prognose somit für alle Jahre erneut merklich nach oben. Die HVPI-Rate ohne Energie und Nahrungsmittel steige im kommenden Jahr zunächst noch leicht auf 4,3 Prozent. Dann sinke sie bis auf 2,6 Prozent im Jahr 2025.

Nach dem Jahresbeginn 2023 könnte die Inflationsrate ihre Höchstwerte allerdings hinter sich lassen und im weiteren Verlauf deutlich abnehmen. Laut dem Bericht mildert dann zum einen die staatliche Strom- und Gaspreisbremse die Anstiege der Kosten für Strom und Gas erheblich. Die Fachleute nehmen außerdem an, dass der Ölpreis sinkt. Zudem entfällt ab März 2023 der starke Anstieg der Energiepreise nach der russischen Invasion der Ukraine aus der Vorjahresrate. In den Jahren 2024 und 2025 dürfte sich die allmähliche Entspannung weiter fortsetzen. Der Preisanstieg bleibe aber hoch. Zwar dürfte die Verteuerung von Energie wegen sinkender Energierohstoffpreise merklich zurückgehen. Sie bleibt aber immer noch spürbar – unter anderem, weil es nach Auslaufen der Strom- und Gaspreisbremse zu kräftigen, sogenannten Rückpralleffekten kommen dürfte. Das heißt, dass die Preise für die Verbraucherinnen und Verbraucher wieder höher ausfallen, weil private Haushalte und Unternehmen durch diese staatlichen Maßnahmen nicht mehr entlastet werden. Zudem treiben kräftig steigende Löhne die Preise. „Dies ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Teuerung ohne Energie 2024 und 2025 merklich über dem längerfristigen Durchschnitt liegt“, schreiben die Fachleute.

Projektionen vom Dezember 2022

Projektionen unter großer Unsicherheit

Die Projektionen der Bundesbank unterliegen weiterhin einer ungewöhnlich hohen Unsicherheit. Zu den größten Unwägbarkeiten zählt die Bundesbank den weiteren Verlauf des Ukrainekriegs und der Energiekrise, die Folgen der staatlichen Gegenmaßnahmen und die Auswirkungen der hohen Teuerung. Die Risiken für das Wirtschaftswachstum seien vor allem wegen möglicher Engpässe bei der Energieversorgung überwiegend abwärtsgerichtet. Hinsichtlich der Inflation dominierten die Aufwärtsrisiken.