Kapitel 3 Payment Systems IT Connection

„Maxin, kommst du?”

Kurz habe ich gedacht, ich hätte sie auf halber Strecke verloren, Mensch, Anita, du hast eine Sekunde mal nicht aufgepasst. Dabei war sie nur mit ihrer selbstlernenden Armbanduhr beschäftigt. Na, jetzt aber, höre ich schnelle Schritte hinter mir über den Teppich jagen, sie läuft schon fast wieder neben mir.

Wird langsam schwierig, schließlich haben wir einen engen Zeitplan. Ob wir das alles noch schaffen werden? Es ist kurz nach 16 Uhr – holla, ist das schon spät. Jetzt aber hurtig.

Inga

An der Tür von Raum 39.11 baumelt noch Weihnachtsdeko, dabei haben wir schon Mitte März. Die Tester sind dermaßen in ihrem Job, da bleibt für schnödes Beiwerk einfach echt keine Zeit. Am Stehtisch empfängt uns Inga in ihrer gewohnt spaßigen Art: „Moin in'n eenzig wohren un echten Mainframe-Fanclub!” Sie schnipst und zeigt mit dem Finger locker in unsere Richtung. Wie ich sie Maxine kurz vorher beschrieben habe: Grünes Halstuch nicht wegzudenken, stilvoll kombiniert mit Wrangler-Hemd und Levi’s-Stoffhose – ich glaube, das trifft sie wirklich ganz gut.

„Ik bün de Fru Ullström, gröt di.” – „Hi, und ich bin Maxin. Maxin Power”, erwidert sie. „Max in Power oder wat? So söll dat sien! Immer rut mit de Energie, wi bruukt den Blick von buten!” (Plattdeutsch sinngemäß für: „Max in Power oder was? Toller Name. Immer raus mit der Energie, wir brauchen den Blick von außen!”)

„Das nehm ich beim Wort”, kontert sie und kichert heftig. Was für ein Wortwechsel, ich amüsiere mich köstlich. Sie freut sich über Ingas klugen Humor, und ich freue mich jetzt inständig über sie, sie scheint sie richtig gerne zu mögen.

Ganz die Inga! So legt sie los: „Kummst du mol naast mi, Maxin, dor kannst du noch wat lehrn. Vergeet Netflix, hier kümmt Ullström!”

Maxin

Maxin, Inga und ich rutschen Seite an Seite neben ihren Computer, mit dem Arm schiebt sie einen kleinen grinsenden Marzipan-Schneemann weg, ein paar Klicks, ein paar Fenster, schwupp, da öffnet sich eine kleine Präsentation, groß geschrieben, mit dem Titel auf dem Deckblatt: „Zentrale Funktionen und Aufgaben für Testing & Deployment in Mainframe 2023” – oben in der Mitte das bekannte Bundesbank-Logo.

Maxin bleibt ganz ruhig. Sie ist voll bei der Sache. Toll, das zu sehen. „Denn mol ran an de Werkbank. Mal kieken in den Toolkasten.” – Inga führt gemächlich durch die gesamte Powerpoint, sie nimmt sich Zeit für die Sache.

Ist auch für mich nochmal eine ganz nette Auffrischung: Das Software-Verwaltungs-Tool GitLab, das ist vereinfacht gesagt der Ablageort für Inga, die anderen Tester und die Software Entwickler. Dort platzieren sie ihre neu entwickelten Source-Codes, es entspricht also einem Versionskontrollsystem. Im zweiten Schritt verarbeiten automatisierte Prozesse die bereitgestellten Codes. Sie werden von Computern jetzt ausgeführt, kompiliert und auf ihre Funktionalität überprüft. Sie bauen und fertigen das Upgrade. 

Inga

Passt alles, kommt es zu Schritt drei – erst jetzt folgt das eigentliche Testszenario, wandern die neuen Codes ins Testsystem. Inga beschreibt es etwas simpler und besser: „Das ist der Operationssaal der Tester, für die Arbeit am offenen Herzen. Auf dieser Plattform erfolgt das Deployment. (Deployment ist ein Begriff aus der Softwareentwicklung, der den Prozess des Veröffentlichens und Bereitstellens einer Anwendung oder Software auf einer Umgebung beschreibt.) Im vierten und letzten Schritt kommt dann noch die abschließende Qualitätssicherung, auf Basis der Programmiersprache Gherkin. Sie dient als „natürliche“ Sprache, die das Verhalten der jeweiligen Applikation beschreibt. Abschließend kommen weitere Techniken und Frameworks hinzu.” Kurze Pause.

„So, Schluss. Nu ward dat to nerdig!”, Inga ist auf der letzten Folie angelangt. „Wie cool, für mich als Entwicklerin ist das echt mega spannend. Dann weiß ich einfach sofort, was gut funktioniert und was ich in Zukunft vielleicht besser mal sein lasse.” Maxin ist Feuer und Flamme, das kann ich ihr sowas von ansehen. Sie hätte es gar nicht noch extra zu sagen brauchen. Eine schöne Bestätigung ist es trotzdem: Recht hat sie damit. Wahrscheinlich ahnt sie noch gar nicht, dass sie schon bald am Zug ist, ihr Können selbst unter Beweis zu stellen …

Was mir als „alter Häsin Anita” besonders gut gefällt: Inga hat einen ganz anderen Weg gewählt, unserer neuen Werkstudentin ihren Arbeitsbereich möglichst anschaulich zu erklären – das Team Mainframe Testing. Genau so gewinnen wir die jungen Leute!

* * *

Grüner Hoodie, Chino-Hose und meine weißen Lieblingsschuhe – das Outfit geht klar. Schnell jetzt, es ist gleich 08:30 Uhr. Anita, Ali und Mateusz sind sicher schon da. Im Team-Kalender wurden uns 90 Minuten geblockt: Großer Besprechungsraum, Morgenrunde. 

Rauf geht’s, wie gehabt, ab ins 34. Stockwerk. Das funktioniert inzwischen fast wie im Schlaf: Dreieinhalb Wochen bin ich jetzt schon hier. Verrückt wie die Zeit vergeht. Wie, ich soll ein paar Worte sagen? Was ich bisher über meinen Job in der Bundesbank denke? Uff, dafür ist es vielleicht noch ein bisschen zu früh, Leute. In einem Punkt bin ich mir aber absolut sicher: Ganz ehrlich, ich trau’s mich kaum zu sagen, doch … es ist ein spannender Haufen. Psst, nicht weitersagen!

Ich weiß noch genau, wie mir Inga von den Testern neulich das Ziel der Arbeit am Mainframe perfekt zusammengefasst hat. Ich glaube, ihre Worte klangen in etwa so, man muss sich ihren O-Ton allerdings im tiefsten Platt vorstellen: 

raptor

„Und wozu das alles? Das haben bestimmt meine Kolleginnen und Freunde aus den anderen Abteilungen schon gut erklärt: für die Applikationen auf dem Mainframe Z16 – dem Großrechner, über den hier alles läuft, unser Daten-Dino. Gibt es gefühlt schon ewig und strotzt vor Kraft, ohne Wenn und Aber. Ne echte Powermaschine ist das, jawohl!”

Daten-Dino, check, hab ich gedacht – noch so ein Name, kommt direkt dazu auf die Liste.

Dann, wir sitzen kaum zehn Minuten als Vierergespann der Softwareentwickler im gemeinsamen Meeting, fallen Anitas entscheidende zwei Sätze: „Maxin, jetzt kommst du ins Spiel. Du hast jetzt deinen ersten Task aus unserem Backlog.” Ali und Mateusz spitzen die Ohren.

„Worum geht’s, ist was passiert?”, frage ich unwissend neugierig. 

„Unser Versionsmanagement ist mal wieder an den Grenzen des Machbaren und die anderen Teams haben keine Ahnung, wie wir das endgültig lösen. Fakt ist, wir haben nicht genügend Umgebungen für unsere Tester zur Verfügung und es ist keine wirkliche Änderung der Lage in Sicht”, erklärt mir Anita. 

Das hatte ich neulich doch schon mal von Ali gehört. Ich gebe mir selbst einen langen Moment zum Nachdenken. 

Dann sage ich: „Mh, verstehe. Vielleicht bringt es was, mal in eine ganz andere Richtung zu denken. Also an der Uni setzen wir regelmäßig Container ein, das klappt wirklich gut. Und neulich habe ich das auch mal irgendwo anders gesehen. Keine Ahnung, wäre das vielleicht eine Möglichkeit? Wenn das Team gemeinsam sowas probiert? So eine Container-Lösung könnte die Deployments möglicherweise entschieden flexibler und schneller machen. Und der Softwareentwicklung und dem gesamten Betrieb des Mainframes wäre insgesamt bestimmt geholfen. Womöglich könnte man sich von diesem Ansatz zumindest inspirieren lassen? Aber das ist nur so ein Blitzgedanke, der mir instinktiv kommt …” 

Mateusz

Anita und Mateusz sehen mich skeptisch an, nur Ali nickt vorsichtig zustimmend. Kurz ist es nochmal ganz ruhig, nur das leise Surren des Beamers durchzieht den Raum. Dann sagt Ali: „Gute Idee, Maxin … Wirklich …” Mit forschem Blick schaut er zu Anita und Mateusz hinüber. „Warum ham ma des no nie bisher in Eawägung gzogn? I ko des mia auf an Hieb guad vurstelln. Virtuelle schnelle Server, wie lauter kloane Mainframes, a Traum! Aba wia mechst des umsetzn, Maxin?” 

Mateusz legt nachdenklich einen Finger an die Lippe, Anita muss erstmal die dick geränderte Brille kurz anheben. Die Geste ist Pflicht – immer, wenn es ans Eingemachte geht. Das kenne ich jetzt schon. Da weißt du, was Phase ist. Mateusz und Anita ziehen die Stirn in Falten. Sie warten gespannt darauf, was ich zu antworten weiß. 

„Ehrlich: Warum nicht eine leichtgewichtige Möglichkeit entwickeln, auf denen Container deployed werden? Im Idealfall hätten dann alle in der Entwicklung eine eigene Testinstanz, ganz unabhängig von anderen Kolleginnen und Kollegen. Vielleicht laufen die dann sogar auf Notebooks und nicht nur auf den großen verkabelten Rechnern”, erläutere ich.

Wieder nachdenkliche Stille. Dann knallt es plötzlich aus Mateusz heraus: „Ha, des wiad a richtiga Game-Changer, des woass i scho jetzad!” Wow, fühlt sich das gut an. Genau das musste ich jetzt von einem wie ihm hören. Maxin, denke ich, du hast es drauf.

Magic box

„Vielleicht sollten wir das neue Container-System dann auf den Namen 'Maxin's Magic Box' taufen”, fügt Anita scherzend hinzu. „Nein, mal im vollen Ernst: Wie die Details explizit aussehen, können wir jetzt noch nicht wissen und das müssen wir auch gar nicht. Aber die Grundidee erscheint mir sehr sinnvoll. Klasse, Maxin. Ich denke, das ist wirklich eine innovative Lösung, die uns helfen könnte, unsere Deployment-Probleme nachhaltig zu lösen. Erste Aufgabe mit Bravour bestanden! Was meint ihr, Kollegen?” Jetzt bin ich diejenige, die schweigend zuhört. Mein Bein wippt rhythmisch unter dem Tisch, will vor lauter Aufregung und Tatendrang nicht mehr Ruhe geben.

Ali nickt noch immer zustimmend. „Jo, des könnt tatsächlich unsane Entwicklungsprozess massiv verbessern und die Effizienz in oin olle Teams steign, de eng am Mainframe oabeita. I bin gspannt, wia mia des letztlich zamm umsetzn kennan.”

Jetzt heißt es Überzeugungsarbeit leisten, denke ich. Bleib am Ball, Maxin, ermutige ich mich selbst: „Klar, das Ganze wird sicherlich eine Herausforderung sein – aber ich denke, mit einem klassischen Proof of Concept könnten wir im ersten Schritt gut starten. Wir könnten eine einfache Lösung anhand eines kleinen beispielhaften Anwendungsfalls erproben. Funktioniert alles nach Plan, ließe sich das Ganze immer weiterentwickeln. Das bedeutet viel Arbeit – doch es wäre eine Investition in die Zukunft, die sich auf viele Jahre für die gesamte Bundesbank-IT auszahlen würde.”

Anita nickt und ergänzt: „Mehr noch, es wäre auch eine großartige Gelegenheit für dich, Maxin, deine frisch erworbenen Fähigkeiten und deine Expertise direkt in der Praxis zu zeigen. Du könntest einen unserer erfahrenen Kollegen helfen, also ihm oder ihr bei der Umsetzung des Projekts organisatorisch ein wenig zur Seite springen. So kommst du gleichzeitig Stück für Stück in so ein komplexes Thema.”

Mega, denke ich. So viel spontane Offenheit und Vertrauen habe ich von meinem Team nach derart kurzer Zeit nicht erwartet. Aber legen wir langsam los. Das Abenteuer ruft …

Challenge starten!