Fundament und Fortschritt: Der digitale Euro als Baustein europäischer Souveränität Impulsvortrag bei der Veranstaltung „IKF Impulse“ zum Thema „Bezahlen in der Zukunft – Wie und womit?“

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Studierende,

es ist mir eine große Freude, heute an der Ruhr-Universität Bochum zu sprechen – einem Ort, der nicht nur für akademische Exzellenz, sondern auch für eine ganz besondere Architektur steht. 
Wer Ihren Campus kennt, der weiß: Der Brutalismus prägt hier viele Gebäude – kantig, klar, funktional. Ein Stil, der in erster Linie eines verkörpert: Stabilität. Und auch wenn wir uns heute nicht in einem dieser Originalbauten befinden, trägt die Grundidee: Es geht um Substanz, um Dinge die halten. 

Auch die Zentrale der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main wird dem brutalistischen Baustil zugeordnet. Doch selbst der stabilste Bau kommt irgendwann in die Jahre. Deshalb wird unser Gebäude derzeit grundlegend saniert – ebenso wie zahlreiche Gebäude auf dem Campus Ihrer Universität. Manchmal ist es eben Zeit für ein Update und dafür, das Fundament zu erneuern. Ich finde, das ist ein starkes Bild – auch für unser Thema heute. Denn auch unser Geldsystem befindet sich im Umbau. Nicht über Nacht, sondern kontinuierlich.

Unser Zahlungsverhalten wandelt sich rapide. Bargeld bleibt wichtig, doch Karten, Apps und neue Bezahlsysteme erobern zunehmend unseren Alltag. Im Hintergrund entstehen dabei neue Technologien – und neue Fragen: Welche Rolle soll von der Zentralbank ausgegebenes Geld in einer digitalen Welt spielen? Wie schützen wir unsere Zahlungsinfrastruktur vor geopolitischer Abhängigkeit? Und: Wie gestalten wir ein digitales Europa, das mehr kann als nur zu reagieren? Die Antwort liegt nicht in einem einzelnen Produkt, sondern muss umfassender ausfallen. Uns schwebt ein digitales Finanzökosystem vor. Die Spannweite der Beteiligten reicht dabei von der Finanzindustrie bis zum Bäcker um die Ecke. Und genau darum geht es heute: um den digitalen Euro – seine Potenziale, seine Bedeutung für Europa und für Sie persönlich. Ich lade Sie ein, gemeinsam mit mir in den nächsten 20 Minuten einen Blick in die Zukunft des Geldes zu werfen.

2 Auf dem Weg in ein digitales Finanzökosystem

Wenn wir heute über den digitalen Euro sprechen, dann lohnt es sich, zunächst den Blick zu weiten. Es geht um ein digitales Finanzökosystem, das sich derzeit entwickelt – mit zwei zentralen Bausteinen: Retail und Wholesale. Beginnen wir mit dem Baustein, der im täglichen Leben am greifbarsten ist: dem Zahlungsverkehr für jedermann – im Expertenjargon „Retail“ genannt. Hier geht es um digitales Zentralbankgeld für Sie und mich. Sie können sich das wie einen „digitalen Zwilling“ des Bargelds vorstellen: staatlich garantiert, jederzeit verfügbar, europaweit einsetzbar. Ob im Geschäft, beim Online-Shopping oder wenn Geld an Freunde gezahlt wird – der digitale Euro soll das Bezahlen einfach, sicher und datensparsam machen. Und wichtig: Er soll das Bargeld nicht ersetzen, sondern sinnvoll ergänzen.

Weniger sichtbar, aber für das Finanzsystem unverzichtbar, ist der zweite Baustein: Wholesale-Zahlungen. Dabei geht es um Transaktionen zwischen Finanzinstituten – etwa, wenn Wertpapiergeschäfte abgewickelt werden. Hier setzen wir auf moderne Technologien wie die Distributed-Ledger-Technologie (DLT), die auch der Blockchain zugrunde liegt. Das Eurosystem und mittendrin die Bundesbank nehmen hierbei eine Vorreiterrolle ein. Es geht darum, den Finanzplatz Europa zukunftsfähig zu machen – mit sicherem und leistungsfähigem Zentralbankgeld auch in zunehmend digitalisierten Kapitalmärkten.

Ein drittes Feld, das langfristig weitere Perspektiven bietet, sind Zahlungen zwischen Unternehmen, also Business-to-Business (B2B). Viele dieser Anwendungen stehen noch am Anfang. Doch auch hier zeigt sich: ein stabiles, digitales Finanzfundament eröffnet uns in Zukunft zahlreiche Chancen.

3 Der digitale Euro im Alltag – was er bringt und wie er funktioniert

Lassen Sie uns jetzt etwas konkreter werden – und darüber sprechen, was der digitale Euro für Ihren Alltag bedeuten würde. Der digitale Euro, wie ihn das Eurosystem derzeit plant, wäre eine neue, digitale Form von Zentralbankgeld. Genau wie Bargeld würde auch der digitale Euro von den Zentralbanken des Eurosystems herausgegeben – nicht von einem privaten Anbieter oder einem Technologiekonzern. Technisch würde er auf europäischen Infrastrukturen laufen. Mit dem digitalen Euro würden unsere kritischen Infrastrukturen also unabhängiger von außereuropäischen Kartensystemen werden, die vor allem in den USA angesiedelt sind. Angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen, dürfte klar geworden sein, dass einseitige Abhängigkeiten erpressbar machen. Insofern ist der digitale Euro als ein Beitrag zur Stärkung der europäischen Autonomie zu sehen.

Der digitale Euro wäre das erste digitale Zahlungsmittel, das im gesamten Euroraum nutzbar ist und ebenso wie Bargeld von den Zentralbanken ausgegeben wird. Außerdem wäre er für die Nutzerinnen und Nutzer kostenlos. Er soll über regulierte Finanzinstitute wie Banken und Zahlungsdienstleister bereitgestellt werden. Geplant ist, ihn in bestehende Konten zu integrieren. Standardmäßig soll dafür die App oder Wallet Ihrer Hausbank genutzt werden. Zusätzlich ist auch eine eigene App für den digitalen Euro ist in Planung. Selbst Bargeldeinzahlungen am Automaten könnten künftig zur Aufladung genutzt werden und somit eine Brücke zwischen analoger und digitaler Welt schlagen.

Um Risiken für die Stabilität des Finanzsystems zu vermeiden, soll es eine Obergrenze geben, wie viele digitale Euro pro Person gehalten werden dürfen. Damit sollen im Krisenfall massenhafte digitale Abhebungen verhindert werden. Die genaue Höhe dieses Limits steht noch nicht fest. Die Obergrenze wird aber ganz sicher in einem Bereich liegen, in dem beides sichergestellt ist: Nutzerfreundlichkeit und Komfort einerseits und Sicherheit für das Finanzsystem andererseits. Derzeit befindet sich das Projekt in der Vorbereitungsphase. Im Juni 2023 hat die Europäische Kommission einen Legislativvorschlag vorgelegt, der die rechtliche Grundlage für den digitalen Euro schaffen soll. Erst nach Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens kann der EZB-Rat entscheiden, ob der digitale Euro eingeführt werden soll. All das benötigt Zeit. Aktuell rechnen wir mit einer Einführung nicht vor dem Jahr 2028. Wenn es aber so weit ist, soll der digitale Euro den Alltag einfacher, sicherer und unabhängiger machen – und gleichzeitig ein hohes Maß an Datenschutz bieten. Denn im Gegensatz zu vielen kommerziellen Anbietern verfolgt das Eurosystem kein Geschäftsmodell, das auf der Verwendung persönlicher Daten basiert.

Kurzum: Der digitale Euro verbindet die Verlässlichkeit von Zentralbankgeld mit der Flexibilität moderner Zahlungslösungen – ganz im Sinne eines Europas, das gerade in geopolitisch turbulenten Zeiten resilienter und digital deutlich unabhängiger werden möchte.

4 Bedeutung des digitalen Euros für die Geldpolitik

Meine Damen und Herren, liebe Studierende,

wenn über den digitalen Euro diskutiert wird, dann kommen immer wieder zwei Fragen auf: Was kostet das alles? Und: Verändert sich dadurch unsere Geldpolitik – oder gar die Inflation? Beginnen wir mit der Kostenfrage. Für Privatpersonen sollen Transaktionen mit dem digitalen Euro – wie beim Bargeld – kostenlos sein. Die notwendige Infrastruktur – von der technischen Plattform über die Schnittstellen bis hin zur Sicherheit – wird vom Eurosystem in Zusammenarbeit mit den nationalen Zentralbanken und der Privatwirtschaft bereitgestellt. Das ist aufwändig, keine Frage. Aber es ist auch eine Investition in die Zukunft unserer Zahlungsinfrastruktur – vergleichbar mit dem Ausbau des Schienennetzes oder der digitalen Verwaltung. Der digitale Euro wäre ein öffentliches Gut, von dem viele profitieren und der unseren Alltag erleichtert.

Und die Inflation? Kurz gesagt: Der digitale Euro würde die Preisentwicklung in Europa nicht verändern. Denn die Grundmechanismen unserer Geldpolitik blieben gleich. Ob die Zinsen steigen oder fallen, ob dem System Liquidität zugeführt oder entzogen wird – das entscheidet nach wie vor der EZB-Rat auf der Grundlage geldpolitischer Analysen. Der digitale Euro wäre also kein zusätzliches Geld, das einfach „oben drauf“ kommt. Er wäre ein anderer Zugang zu ohnehin vorhandenem Geld. Entscheidend ist, wie viel Geld im Umlauf ist – nicht, in welcher Form. Und auch die Rolle der Geschäftsbanken würde sich nicht grundlegend ändern. Kreditvergabe, Sparangebote, Beratung – all das bliebe in den Händen der Kreditinstitute. Der digitale Euro würde kein Ersatz für klassische Konten oder Finanzdienstleistungen sein – und das ist auch gut so. Denn wir wollen kein Parallelsystem schaffen, sondern eine moderne Ergänzung, die zuverlässig funktioniert und das bestehende System stärkt.

5 Wholesale-CBDC als Fundament für die Finanzmärkte

Blicken wir nun auf eine Seite des digitalen Zentralbankgeldes, die seltener im Rampenlicht steht – aber von zentraler Bedeutung für den Finanzmarkt ist: die sogenannte Wholesale-Variante, kurz: Wholesale-CBDC. Während es bei der Retail-Variante um Zahlungen von Bürgerinnen und Bürgern im Alltag geht, zielt Wholesale-CBDC auf Transaktionen zwischen Finanzinstituten – etwa wenn eine Bank eine Aktie oder Staatsanleihe an eine andere Bank verkauft. Gerade in diesen Bereichen gibt es derzeit einen enormen technologischen Wandel.

Tokenisierung und die Nutzung der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) eröffnen hier neue Möglichkeiten: Sie versprechen schnellere, automatisierte, kostengünstigere Prozesse – bei gleichzeitig höherer Transparenz. Damit dieses Potenzial voll ausgeschöpft werden kann, braucht es ein geeignetes Abwicklungsinstrument auf der Geldseite. Und das ist genau die Rolle, die Wholesale-CBDC spielen kann. In der Bundesbank wurde dafür die sogenannte Trigger-Lösung entwickelt – eine technische Brücke, die es ermöglicht, DLT-basierte Plattformen mit den etablierten Zahlungssystemen des Eurosystems zu verbinden. Die Lösung wurde erfolgreich getestet und hat international große Aufmerksamkeit erhalten. Gemeinsam mit Partnern im Eurosystem – der Banque de France, der Banca d’Italia und der Banco de España – arbeiten wir nun an der nächsten Stufe und möchten die DLT-basierte Transaktionsabwicklung entschieden vorantreiben. Dabei setzen wir uns dafür ein, dass dem Markt hierfür bereits 2026 eine kurzfristige Lösung bereitgestellt werden kann. Gleichzeitig arbeiten wir an einer technisch anspruchsvolleren langfristigen Lösung, die beispielsweise auch die Abwicklung von Fremdwährungsgeschäften umfasst.

6 Schluss

Meine Damen und Herren, liebe Studierende,

wir haben heute über eine Entwicklung gesprochen, die technischer klingt als sie eigentlich ist. Es geht beim digitalen Euro nicht nur um neue Schnittstellen, neue Apps oder neue Abwicklungswege. Es geht um eine zentrale Frage: Wie wollen wir bezahlen – und in wessen Händen soll das Fundament unseres Zahlungsverkehrs liegen? Europa steht vor der Chance, hier eigene Antworten zu geben. Mit dem digitalen Euro kann ein Zahlungsverkehr entstehen, der technologisch auf der Höhe der Zeit, offen für Innovation – und zugleich unabhängig und vertrauenswürdig ist.

Dabei ist uns bewusst: Nicht alle Neuerungen werden auf Anhieb Begeisterung auslösen. Beim Auto hat es auch eine Weile gedauert, bis man das Pferd im Stall ließ. Der digitale Euro wird dann überzeugen, wenn sein Nutzen im Alltag spürbar wird – einfach, sicher, verlässlich. Und genau daran arbeiten wir. Vielleicht ist es am Ende wie beim eingangs erwähnten Brutalismus: zunächst etwas ungewohnt und nicht sofort beliebt – aber mit einer klaren Idee von Stabilität und Funktionalität.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!