Erhöht die Geldpolitik die Ungleichheit?

Das Ziel der Geldpolitik des Eurosystems ist ein stabiler Euro. Vermögen oder Einkommen in einer Gesellschaft umzuverteilen, ist dagegen die Aufgabe der Politik. Trotz dieser klaren Aufgabenteilung stehen die Notenbanken des Eurosystems derzeit in der Kritik, die ungleiche Verteilung von Vermögen in der Gesellschaft zu verstärken. "In der Öffentlichkeit werden die Kaufprogramme der Notenbanken für deutliche Preissteigerungen bestimmter Vermögensteile wie Immobilien und Aktien verantwortlich gemacht, die mit einer Umverteilung hin zu Personen mit höherem Vermögen assoziiert werden", heißt es im Monatsbericht.
Diese Schlussfolgerung ist aus Sicht der Bundesbank-Ökonomen aber vorschnell.

Kritiker klammern Ungleichheit vermindernde Effekte aus

Zunächst würden viele Kritiker ausklammern, dass sich die Maßnahmen des Eurosystems nicht nur auf die Vermögenspreise, sondern beispielsweise auch auf die Konjunktur und den Arbeitsmarkt auswirkten. Verbessern geldpolitische Maßnahmen aber die Situation am Arbeitsmarkt, können sie das Risiko einer Arbeitslosigkeit senken. Auf diese Weise würden gering qualifizierte, ärmere Haushalte profitieren. Denn deren Mitglieder sind üblicherweise gefährdeter, ihre Arbeitsplätze zu verlieren, wenn sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert. Der Arbeitsmarkt-Effekt habe auf diese Weise das Potenzial, die Verteilungsungleichheit zu verringern.

Verteilungseffekte können sich mit der Zeit verändern

Darüber hinaus würden viele Studien nicht berücksichtigen, dass mögliche Verteilungseffekte der Geldpolitik nicht über alle Kanäle gleichzeitig wirken. Aktienkurse, von deren Anstieg eher vermögendere Haushalte profitierten, reagierten typischerweise unmittelbar auf geldpolitische Maßnahmen. Der Einfluss von Geldpolitik etwa auf die Beschäftigung zeige sich dagegen erst nach einiger Zeit. Diese Effekte führten jedoch eher dazu, dass ärmere Haushalte profitierten. Aus Sicht der Autoren folgt daraus, dass sich die Verteilungseffekte geldpolitischer Sondermaßnahmen mit fortschreitendem zeitlichem Abstand zur geldpolitischen Maßnahme verändern können. "Maßnahmen, die zunächst als nach oben umverteilend erscheinen, können sich später als gegenteilig wirkend entpuppen", schreiben die Bundesbank-Experten. Zudem hätten die Kritiker oftmals nicht beachtet, wie sich die Situation ohne den Einsatz geldpolitischer Maßnahmen entwickelt hätte. Stattdessen seien sie von der Verteilungssituation vor Beginn der geldpolitischen Maßnahme ausgegangen. Die geldpolitischen Maßnahmen seien aber oftmals gerade deshalb aufgesetzt worden, weil sich die gesamtwirtschaftliche Lage damals zu ändern drohte.

Gesamteffekt auf Vermögensverteilung unklar

Auf Basis aktueller Forschungen untersuchten die Ökonomen der Bundesbank, welche Verteilungseffekte die geldpolitischen Sondermaßnahmen des Eurosystems denn tatsächlich gehabt haben könnten. Die geldpolitischen Sondermaßnahmen könnten die Vermögensungleichheit über einen Anstieg der Vermögenspreise kurzfristig erhöht haben, so die Bundesbank-Experten. Der mittel- bis langfristige Effekt sei bislang aber unklar, da dieser wesentlich von den gesamtwirtschaftlichen Anpassungsprozessen in Reaktion auf die geldpolitischen Maßnahmen abhänge.

Bei der Einkommensverteilung dürften die geldpolitischen Sondermaßnahmen sogar zu einem Rückgang der Ungleichheit geführt haben. Jüngere empirische Studien aus den USA und dem Vereinigten Königreich hätten gezeigt, dass eine überraschende Senkung der Leitzinsen die Einkommensungleichheit reduziert. Dass die Senkung kurzfristig die Arbeitslosigkeit verringert habe, sei dabei für dieses Ergebnis zentral gewesen. "Ein Rückgang der Einkommensungleichheit infolge der geldpolitischen Sondermaßnahmen erscheint wahrscheinlich, sofern Sondermaßnahmen wenigstens in den wesentlichen Zügen nicht gänzlich anders auf die Verteilung wirken als herkömmliche Geldpolitik", schlussfolgern die Bundesbank-Ökonomen deshalb.