Ansprache von Helmut Schlesinger anlässlich der Gedenkfeier für Karl Otto Pöhl

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr verehrte Frau Dr. Pöhl,

sehr verehrte Angehörige der Familie Pöhl,

erlauben Sie mir, Ihnen auch von dieser Stelle aus mein tief empfundenes Beileid zum Tode Ihres Mannes und Vaters auszudrücken. Bei diesem schmerzlichen Verlust können solche Worte nicht wirklich Trost spenden. Immerhin mag die historische Würdigung, die soeben Herr Bundesbankpräsident im Hinblick auf das öffentliche Wirken von Karl Otto Pöhl aussprach, das Gedenken an ihn stützen und erleichtern.

Für mich waren die dreizehn Jahre, in denen ich die Ehre hatte, mit Herrn Pöhl in den Entscheidungsgremien der Bundesbank – im Direktorium und im Zentralbankrat – als Kollege und ab 1980 als Vizepräsident und damit als sein Vertreter – zusammenzuarbeiten, Jahre, an die ich mit großer Dankbarkeit zurückdenke. Es lag an der so offenen Persönlichkeit von Herrn Pöhl, dass sich diese Zusammenarbeit ohne eine Hürde der Hierarchie vollzogen hat und, was noch mehr zählt, dass wir im geldpolitischen Kurs der Bundesbank übereinstimmten. Gelegentliche unterschiedliche Wertungen, wie sie vorkommen müssen, hoben sich im Hinblick auf das gemeinsame Ziel, die besten geldpolitischen Lösungen zu finden, auf. Seine Ausbildung als Volkswirt, seine frühe Tätigkeit im Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung und dann die verantwortliche Tätigkeit im Wirtschaftsministerium unter Karl Schiller (mit dem ich selbst als Bundesbanker gut zusammenarbeitete) erleichterten all dies. Eine gemeinsame stark marktwirtschaftliche Haltung erlaubte es uns auch, im Zentralbankrat mit seinen 17 stimmberechtigten Mitgliedern den notwendigen Konsens zu erreichen.

Eine besondere Note hat Herr Pöhl in die Außenwirkung der Bundesbank gebracht. Seine Erfahrung als früherer Journalist und seine Position in der Bundesregierung erleichterten den Umgang mit der Presse und erhöhten das Ansehen der Bundesbank im Inland und im Ausland. Es fehlte ja nicht an Kritik an der Stabilitätspolitik der Bundesbank und der Stärke der D-Mark insbesondere im Ausland und in internationalen Organisationen. Nicht schulmeisterlich, sondern politisch einfühlsam warb Herr Pöhl um Verständnis für unsere Politik bei unseren Nachbarn. Insbesondere auf europäischer Ebene nahmen die Herausforderungen an Herrn Pöhl zu. Am Anfang seiner Amtszeit als Vizepräsident musste er die Bundesbank in den Verhandlungen um das Europäische Währungssystem vertreten. Dieses System mit stabilen Wechselkursen in Europa war das Lieblingsprojekt der beiden damals führenden Politiker, Guiscard d'Estaing und Helmut Schmidt. Herr Pöhl hatte nun die Bundesbanksorgen wegen möglicherweise zu hoher Interventionspflichten seinem bis vor kurzem höchsten Chef nahezubringen, mit dem es zu einem guten Kompromiss kam.

Zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident im Jahr 1980 war die Bundesbank in einem hochinflationären internationalen Umfeld gezwungen, gegen den starken Preisanstieg im Inland mit kräftigen Zinserhöhungen vorzugehen, was zu Spannungen im EWS führte und zu wiederholten Verhandlungen in der 10er + 7er Gruppe. Herrn Pöhl war es gelungen, mit seiner persönlichen Ausstrahlung, seinem Geschick, die Probleme auf ihren wahren Kern zu reduzieren ohne Abstriche an der eigenen Politik vorzunehmen, größere Verstimmungen auf internationaler Ebene zu vermeiden. 

Am Anfang seiner zweiten Amtszeit, 1988, in die Herr Pöhl (wie auch ich) nun von der CDU-FDP-Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl berufen wurde, begann ein für die Bundesbank schwer zu überblickender politischer Prozess an dessen Ende die Aufgabe ihrer Selbständigkeit als geldpolitischer Instanz liegen sollte. Die EU-Regierungschefs hatten eine Arbeitsgruppe unter dem EU-Präsidenten Delors ins Leben gerufen, die den Entwurf einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion auszuarbeiten hatte. Herr Pöhl wurde Mitglied dieser Kommission, in der von Anfang an die Grundprinzipien für eine Währungsunion festgelegt wurden, die bis heute gelten, auch wenn sie nicht immer eingehalten werden. Die Details für das System der Europäischen Zentralbank wurden dann von den nationalen Notenbankpräsidenten unter Vorsitz von Herrn Pöhl erarbeitet, was es erleichterte, die später zu gründende Europäische Zentralbank nach dem Muster der ebenfalls föderal aufgebauten Bundesbank zu formieren. So kam ein wohl ausgewogener Entwurf zustande, der in der Regierungskonferenz in Maastricht weitestgehend übernommen wurde. Eine bittere Überraschung war freilich, dass in letzter Minute ein Enddatum für das Inkrafttreten der Währungsunion und damit auch das Ende der Selbstständigkeit der Bundesbank, festgelegt wurde. Herr Pöhl hatte Gelegenheit, auch in europäischen Gremien darauf hinzuweisen, dass der Zeitraum zu gering sein könnte, um die fundamentalen Ungleichgewichte der einzelnen Nationalwirtschaften zu beseitigen.

Wie berechtigt diese Sorge schließlich war, hat Herr Pöhl nicht mehr im Amt als Bundesbankpräsident erlebt. Mitte 1991 ist er, wie ein ihm nahestehender Publizist meines Erachtens zutreffend schrieb, aus "einem Komplex persönlicher und politischer Gründe" zurückgetreten. So sehr ich diese Gründe verstand, so habe ich ihn gebeten, das nochmals zu bedenken, da ein Rücktritt an der Spitze der Bank diese noch mehr ins Licht der Öffentlichkeit rückt und Anlass zu vielerlei Spekulationen gibt.

Deutschland stand 1991 vor der Aufgabe, die Wiedervereinigung, für die sich ein Jahr zuvor ein Fenster in der weltpolitischen Konstellation geöffnet hatte, nun wirtschaftlich, sozial und politisch zu vollenden. Die reine geldpolitische Aktion war mit der Umstellung der Ostmark auf die D-Mark und der Schaffung eines funktionierenden Bankensystems abgeschlossen. Die zusätzliche Geldmenge war zwar etwas großzügiger als von uns vorgeschlagen umgestellt worden, nicht 2 zu 1 sondern 1,8 zu 1 im Endeffekt. Das allein war aber nicht so gravierend. Aber die Leistungsfähigkeit der nun auf marktwirtschaftlicher Basis zu arbeitenden Wirtschaft der neuen Bundesländer war weit über- und die finanziellen Lasten für den Westen waren weit unterschätzt worden. Für die Bundesbank blieb die Aufgabe, die unter diesen Umständen ausgelösten inflatorischen Tendenzen einzudämmen. Als Herr Pöhl mir seine Absicht mitteilte, zurückzutreten, meinte er, diese Aufgabe sei doch etwas für mich; es kam dann auch so für mich und meine Kollegen.

Herr Pöhl realisierte dann, was er schon öfter angedeutet hatte: "Es gibt auch ein Leben nach der Bundesbank." Ich bin froh, dass er die folgenden Jahre so gut nutzen konnte und seine Familie dann auch mehr von ihm hatte. Ich wünsche Ihnen, liebe Frau Pöhl und Ihrer Familie, dass Sie dieser Zeit besonders gedenken können und daran Trost finden.