Bankenregulierung – Eine Zwischenbilanz aus Sicht der Aufsicht Gastbeitrag in der Sonderbeilage „Regulierung“ der Börsen-Zeitung
Wer hätte vor einigen Jahren gedacht, dass es das spröde Wort Bankenregulierung in die Überschriften von Boulevard-Blättern und in politische Talkshows schafft. Vielen ist zu wenig geschehen, sie sprechen von Regulierungs-Nebelkerzen, manchen zu viel, sie sprechen von Regulierungswut. Beide Extreme in der Debatte sind aus meiner Sicht falsch. Es wird Zeit für eine nüchterne Zwischenbilanz.
Maßgeblicher Wendepunkt
Der entscheidende Wendepunkt in der jüngsten Geschichte der Banken- und Finanzmarktregulierung ist das Jahr 2008. Die Staats- und Regierungschefs der G 20 haben damals in Washington die Grundsätze zur Reform der Finanzmärkte und insbesondere eine Verschärfung der Regulierung beschlossen. Der Antrieb dafür war der Ausbruch der Subprime-Krise in den USA und deren verheerende Auswirkungen für den globalen Finanzsektor und die Staaten, die in der Folge ihre strauchelnden Finanzinstitute auffangen mussten. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich darauf, mit konkreten Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit der Banken zu stärken.
Mit dem 2009 verabschiedeten Basel II.5-Regulierungspaket wollte der Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht unter anderen möglichst rasch die in der Krise hervorgetretenen Schwächen in der Regulierung des Investmentbanking beheben. Er erhöhte die Eigenkapitalanforderungen für Marktpreisrisiken im Handelsbuch der Banken und bei Verbriefungen. Darüber hinaus verschärfte er die Anforderungen an das Risikomanagement der Banken. In Deutschland gelten die Regeln seit Anfang 2012.
Schnelle Notfallversorgung
Nach der raschen Notfallversorgung war es der Politik und uns Aufsehern ein Anliegen, die Widerstandsfähigkeit von Banken und Bankensystem grundlegend zu stärken. Das Ergebnis ist das Basel III-Paket des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Damit soll die Gefahr, Banken in Krisensituationen abermals durch Steuermittel stützen zu müssen, verringert werden. Um dies zu erreichen, wird die Qualität des Kapitals erheblich verbessert und seine Quantität signifikant erhöht. Die neue Eigenkapitalklasse „hartes Kernkapital“ haftet bei Verlusten vollumfänglich und uneingeschränkt. Der geforderte Anteil des harten Kernkapitals an der Eigenkapitalquote wird von derzeit 2 auf künftig 4,5 Prozentpunkte erhöht. Zusätzlich führte der Baseler Ausschuss einen Kapitalerhaltungspuffer der gleichen Qualität in Höhe von 2,5 Prozentpunkten ein. Die Marke von 7% hartem Kernkapital wird zukünftig also die Untergrenze sein, die Institute vorhalten müssen. Dies ist aber noch nicht alles: Für global systemrelevante Banken gibt es einen zusätzlichen „Aufschlag“. Sie müssen je nach systemischer Relevanz einen weiteren Kapitalpuffer – auch in hartem Kernkapital – vorhalten, da der Ausfall dieser Banken schwerwiegende Konsequenzen für das gesamte Bankensystem haben könnte. In der Summe verlangt dies von manchen deutschen Banken einiges; sie werden die gewährte Übergangszeit bis zur vollen Wirkung der neuen Regeln im Jahr 2019 nutzen, um ihr Kapitalniveau auf das geforderte Maß anzuheben.
Basel III verlangt von den Banken aber nicht nur besseres und deutlich mehr Kapital. Neben den risikosensitiv berechneten Kapitalquoten hat der Baseler Ausschuss eine Kapitalanforderung eingeführt, die unabhängig vom Risiko allein auf den Verschuldensgrad der Bank abzielt und diesen auf maximal 3 % beschränkt: die Leverage Ratio. So soll eine exzessive Verschuldung der Banken gerade in konjunkturell guten Zeiten vermieden werden – eine Begrenzung, die eine Vielzahl von deutschen Instituten härter trifft, als die Erhöhung der risikosensitiven Kapitalquoten.
NSFR im Fokus
Und schließlich hat der Baseler Ausschuss als „lessons learnt“ aus der Krise seine Grundsätze zur Steuerung der Liquiditätsrisiken überarbeitet und erstmals harmonisierte Mindeststandards für Liquiditätsrisiken vorgelegt: Zum einen sollen die Institute in Stresszeiten ausreichend Liquidität für einen Monat vorhalten, zum anderen keine exzessive Fristentransformation betreiben. Das Konzept für die kurzfristige Stresstestkennziffer, die Liquidity Coverage Ratio (LCR), hat der Baseler Ausschuss Anfang 2013 in großen Teilen finalisiert. Nun sollen die Regeln für die Strukturkennziffer, Net Stable Funding Ratio (NSFR), zur Anwendungsreife gebracht werden.
Erfreulich vorangekommen
Noch ist die Gesetzgebung zur Umsetzung von Basel III in der EU nicht abgeschlossen, aber mit der Einigung im Trilog zwischen Parlament, Rat und Kommission Ende Februar ist man einen erfreulichen Schritt vorangekommen. Auf EU-Ebene wird Basel III mittels der Capital Requirements Directive IV/Capital Requirements Regulation (CRD IV/CRR) umgesetzt. Das Europäische Parlament plant nach derzeitigem Stand, am 17. April 2013 hierüber im Plenum abzustimmen. Eine Anwendung ab Anfang 2014 erscheint somit möglich. Mit der Umsetzung von Basel II.5 und III in europäisches bzw. deutsches Recht sind für mich ganz wesentliche Erkenntnisse aus der Krise gezogen worden; diese zwei Regulierungspakte stellen den Kern der Regelverbesserung dar.
Weitere Fortschritte
Die neuen Baseler Standards können allerdings nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn sie auf allen wesentlichen Finanzmärkten angewendet werden. Nur so können wir sicherstellen, dass der europäische Bankenmarkt nicht über Zweit- und Drittrundeneffekte von Banken solcher Länder angesteckt wird, in denen beispielsweise für bestimmte Geschäfte wie komplexe Verbriefungen nicht ausreichend Kapital vorgehalten werden muss.
Basel III enthält überwiegend mikroprudenzielle Regeln, also solche, die das Risiko auf Ebene einzelner Institute oder Institutsgruppen adressieren. Eine wichtige Erkenntnis der Finanzmarktkrise ist aber auch, dass Erkenntnisse aus der makroökonomischen Analyse mit der der mikroprudenziellen Aufsicht verknüpft werden müssen, um die Entwicklung von Risiken für die Finanzstabilität wie für einzelne Banken besser erkennen zu können. Auch hier gibt es Fortschritte: Mit Jahresbeginn wurde in Deutschland der Ausschuss für Finanzstabilität gegründet. Er soll frühzeitig Gefahren für die Finanzstabilität erkennen und mit seinen beiden Instrumenten, den Warnungen und Empfehlungen, dagegen vorgehen. Die Bundesbank wird bei dieser makroprudenziellen Analyse und Überwachung eine wichtige Rolle spielen. Sie legt dem Ausschuss Analysen vor und schlägt gegebenenfalls den Einsatz der Instrumente vor, über die der Ausschuss unter Vorsitz des Bundesministeriums für Finanzen entscheidet. Die Bundesbank agiert auch als Schnittstelle zum Europäischen Rat für Systemrisiken (ESRB). So kann eine Institution die Informationsketten aus verschiedenen Aufgaben zusammenbringen und Synergieffekte nutzen: etwa der Informationsfluss und die Risikobewertung aus der Analyse auf internationaler Ebene, aus der laufenden Aufsicht über Kreditinstitute und Finanzdienstleister, aus dem neuen makroprudenziellen Mandat, aus der Geldpolitik und aus den Märkten.
Nicht zuletzt steht die Bankenaufsicht in der Eurozone vor einer fundamentalen Umwälzung, die neben Risiken auch große Chancen bietet: Derzeit entsteht ein einheitlicher Aufsichtsmechanismus unter dem Dach der EZB, genannt Single Supervisory Mechanism (SSM). Das Projekt ist ambitioniert. Richtig aufgestellt kann die neue Bankenaufsicht aber effektiver und effizienter als nationale Aufseher handeln. Sie kann auf ein größeres Informationsspektrum zurückgreifen und dadurch früher und besser Risikotrends erkennen; sie kann durch ihre Aufsichtspraxis auch für ein „level playing field“ sorgen – und zwar dort, wo es angebracht ist.
Kenntnisse weitergeben
Die Länder, die am SSM teilnehmen, verlagern damit die Verantwortung für und die Entscheidungsbefugnis in der Aufsicht über die betroffenen Banken von der nationalen Ebene auf die EZB. Die nationalen Bankenaufseher sollten und müssen jedoch auch weiterhin eine wichtige Rolle in der Sachverhaltsaufklärung spielen. Dies ist schon aus Kapazitätsgründen geboten; es ist aber auch notwendig, damit die Kenntnisse der nationalen Aufseher über die spezifischen Rahmenbedingungen, unter denen die heimischen Kreditinstitute agieren, auch der europäischen Aufsicht weiter zur Verfügung stehen.
Vorteile realisieren
Viele Erkenntnisse aus der Krise sind also entweder schon umgesetzt oder befinden sich in der Umsetzung. Ich biete hier keine vollständige Liste der abgeschlossenen oder der noch anstehenden Regulierungsprojekte bzw. der Veränderungen in der Bankenaufsicht. Trotzdem wird meines Erachtens aber auch so deutlich, dass von Stillstand in der Regulierung und Aufsicht keine Rede sein kann. Vielmehr müssen wir nun die Wirkung der einzelnen Regeln, vor allem ihre Wirkung in der Summe, sorgfältig beobachten. Und genauso sorgfältig müssen die Regierungen, die EZB und die beteiligten Aufseher bei dem Mammutprojekt SSM vorgehen, da wir nur so die möglichen Vorteile einer europäischen Bankenaufsicht realisieren können. Die Bundesbank ist bereit, ihren Teil dazu beizutragen.