Europäische Einlagensicherung: Gut gemeint, doch viel zu früh Gastbeitrag im Handelsblatt

Die Europäische Kommission macht ernst. Neben der europäischen Bankenaufsicht und dem europäischen Abwicklungsmechanismus möchte sie nun die dritte Säule der Bankenunion errichten: Die gemeinsame europäische Einlagensicherung. Spätestens bis 2024 soll nach Ansicht der Kommission europaweit eine Sicherungseinrichtung für Bankeinlagen geschaffen sein, die mit einem gemeinsamen europäischen Topf dafür sorgt, dass Kundengelder bis zu 100.000 Euro pro Person und Institut im Falle einer Bankpleite gesichert sind. Bisher gibt es diese Regel aufgrund einer europäischen Richtlinie für die nationalen Sicherungssysteme, aber keinen gemeinsamen Fonds, in den alle Länder einzahlen und aus dem im Schadensfall die Bankkunden bedient werden.

Mit der gemeinschaftlichen Einlagensicherung beabsichtigt die EU-Kommission, die Auswirkungen möglicher Krisen, die das Bankensystem eines Mitgliedslandes betreffen und dessen nationale Einlagensicherung überfordern, auf europäischer Ebene aufzufangen. Es geht also letztlich darum, Risiken innerhalb der EU zu teilen. Dadurch sollen die Abhängigkeit der Banken von der wirtschaftlichen Lage ihres Heimatstaates verringert und das Vertrauen der Bankkunden in die europäischen Geldhäuser gestärkt werden.

Was auf den ersten Blick durchaus einleuchtend und sinnvoll erscheint, ist auf den zweiten Blick jedoch mehr als problematisch. Vor allem käme eine gemeinsame Einlagensicherung, die ab 2017 in drei Schritten aufgebaut werden soll, viel zu früh. Wesentliche Voraussetzungen für dieses europäische Projekt sind nämlich noch gar nicht erfüllt.

Dabei geht es vor allem um das Gleichgewicht von Haftung und Kontrolle, das durch eine gemeinsame Einlagensicherung gestört würde. Trotz europäischer Bankenaufsicht hat die nationale Wirtschaftspolitik noch immer großen Einfluss auf die wirtschaftliche Lage der heimischen Banken. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen - beispielsweise das Insolvenzrecht - sind in den einzelnen europäischen Staaten noch viel zu unterschiedlich. Dies hat direkte Auswirkungen auf die Belastungen, denen sich die Institute im Falle einer Insolvenz gegenüber sehen, und bestimmt damit in hohem Maße deren Risikolage. Eine stärkere europäische Kontrolle der nationalen Wirtschaftspolitik und ein harmonisierter europäischer Rechtsrahmen sind somit Grundvoraussetzungen für eine gemeinsame Einlagensicherung.

Und noch etwas darf nicht vergessen werden: Der beste Schutz für Einlagen sind stabile Banken. Hierfür wurde schon eine Menge getan. Was jetzt noch ansteht, ist die Auflösung der vielfach sehr engen Verbindung von Banken und Staaten: In einigen Ländern verfügen die Banken über beträchtliche Forderungen an den Staat. Staatstitel gelten als risikolos und müssen daher nicht mit Eigenkapital unterlegt werden. Dies aber ist falsch. Tatsächlich ist diese Bevorzugung eine ganz wesentliche Ursache für die Abhängigkeit der Banken von der wirtschaftlichen Lage des Heimatlandes. Deshalb muss die Entflechtung von Staaten und Banken mit der Abschaffung der regulatorischen Privilegierung von Forderungen gegenüber Staaten einhergehen. Wird dieses Problem nicht angegangen, könnte eine gemeinsame Einlagensicherung dazu führen, dass Staatsschulden faktisch vergemeinschaftet und damit Eurobonds sozusagen durch die Hintertür eingeführt werden. Dies muss unbedingt vermieden werden.

Es gibt durchaus plausible Gründe für den Aufbau einer europäischen Einlagensicherung. Wenn wir aber den letzten Schritt vor dem ersten wagen, geraten wir ins Stolpern. Um das zu vermeiden, müssen wir die richtige Schrittfolge wahren. Erstens müssen selbstverständlich in allen EU-Ländern die bereits vereinbarten Maßnahmen zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten umgesetzt werden, bevor über eine dritte Säule der Bankenunion verhandelt wird. Zweitens müssen Staatsrisiken in Bankbilanzen abgebaut werden, und die regulatorische Privilegierung öffentlicher Schuldtitel muss abgeschafft werden. Drittens brauchen wir echte Integrationsfortschritte im Bereich der Wirtschaftspolitik, einschließlich eines harmonisierten Insolvenzrechts.

So lange diese Minimalanforderungen nicht erfüllt sind, sehe ich keine bessere Möglichkeit, als die Einlagensicherung weiterhin in nationaler Verantwortung zu belassen. Im Juli dieses Jahres wurde die EU-Einlagensicherungsrichtlinie in Deutschland umgesetzt. Damit ist bereits eine europaweit harmonisierte Einlagensicherung zumindest auf nationaler Ebene verankert. Wir sind also bereits gut gewappnet. Eine gemeinsame europäische Einlagensicherung ist zwar eine gute Idee, jedoch zur falschen Zeit.