Aufs Beste hoffen, aufs Schlimmste vorbereiten: Wirtschaftliche Weichenstellungen in Zeiten geopolitischer Umbrüche Ludwig-Erhard-Lecture an der Universität Bayreuth
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Liebe Mitarbeitende und Studierende,
Herzlichen Dank für die Einladung an die Universität Bayreuth und die Gelegenheit, die Ludwig-Erhard-Lecture zu halten.
Ich habe mich sehr darüber gefreut, denn als gelernter Volkswirt ist Ludwig Erhard schon als Student ein Vorbild für mich gewesen.
Ich möchte heute aus seinen Augen auf die geopolitische Lage und die Bedeutung für die Wirtschaftspolitik schauen – insbesondere mit Blick auf die Stabilität des Finanzsystems und die Bankenaufsicht.
In Ludwig Erhards Buch „Wohlstand für alle“ heißt es: Mein Ideal von einer glücklichen Handelspolitik in einer freien Welt kann erst dann als erfüllt gelten, wenn die Handelspolitik zwischen den Ländern überhaupt nicht mehr gespalten ist, vielmehr sich die gesamte freie Welt auf einheitliche Spielregeln und Prinzipien festgelegt hat.
Globaler Freihandel und Soziale Marktwirtschaft waren für die Wirtschaftslehre in Deutschland lange Zeit fast schon in Stein gemeißelt.
Es sah so aus, als sei die Soziale Marktwirtschaft ein Garant für Stabilität und Demokratie. Doch spätestens seit der Finanzkrise von 2008, der zweifachen Wahl von Donald Trump, dem Brexit und dem Erstarken rechtsradikaler und autoritärer Strömungen zeigt sich, dass unsere Wirtschaftsordnung nicht ausreicht, um als Wohlstandsmotor und Demokratieförderer zu fungieren.
Aus meiner Sicht stellen sich daher zwei Fragen, die ich heute diskutieren möchte:
Zum einen, wo ist eine Ausrichtung an den Idealen des Ordoliberalismus, der Sozialen Marktwirtschaft und der internationalen Zusammenarbeit auch heute noch sinnvoll – und vor allem, was lernen wir daraus für die Regulierung und Beaufsichtigung von Banken und Finanzmärkten?
Zum zweiten, wo haben wir dazu gelernt? Also, wo haben diese Ansätze ihre Schwächen gezeigt und wo sollten wir unseren Kompass deshalb weiterentwickeln?
Ich werde diese Fragen heute in zwei Teilen beleuchten.
Im ersten Teil meiner Rede werde ich mich der aktuellen geo- und wirtschaftspolitischen Lage widmen; und was sie für die Soziale Marktwirtschaft und den ordoliberalen Ansatz bedeuten.
Im zweiten Teil werde ich diese Fragen konkret am Beispiel der Bankenregulierung beantworten.
2 Was würde Ludwig Erhard heute tun?
Ludwig Erhard und seine Mitstreiter gründeten den Ansatz der Sozialen Marktwirtschaft auf die Arbeiten der Freiburger Schule um Walter Eucken und andere. Ausgangspunkt waren die Folgen des Laissez-faire Kapitalismus im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert – die freien Märkte hatten zu Monopolisierung, Ungleichheit und ökonomischer Macht geführt, die auch in politische Macht mündete. Die Verwerfungen wurden gemeinhin als ein zentraler Faktor für die beiden Weltkriege und das Entstehen der Nazi-Diktatur gesehen. Gesucht wurde ein Gegenentwurf, der die Stärken von Märkten mit den Stärken eines politischen Rahmens vereinte.
Im Zentrum des ordoliberalen Ansatzes steht die Überzeugung, dass eine funktionierende Marktwirtschaft nur durch einen klaren rechtlichen und institutionellen Rahmen gewährleistet werden kann. Der Staat hat dabei die Aufgabe, die „Ordnung“ des Marktes zu sichern, ohne selbst in die Marktprozesse einzugreifen.
Zentral war aber auch die Betonung der sozialen Verantwortung. Der Markt soll zwar effizient sein, aber auch soziale Gerechtigkeit fördern. Dies wird durch Maßnahmen wie soziale Sicherungssysteme und die Verhinderung von Ausbeutung erreicht.
Dieses Konzept bildet die Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft und es sollte „Wohlstand für alle“ bringen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begleitete es das Wachstum des zerstörten Deutschlands und Europas erfolgreich.
Und die Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft als Orientierungspunkt für wirtschaftspolitische Ausrichtung sind weiterhin sehr wertvoll.
Aber, ich hatte es bereits erwähnt, bei allen Erfolgen bereitet auch die aktuelle Wirtschaftsordnung erhebliche Probleme.
Diese Probleme haben zwei Facetten, eine nationale und eine internationale.
Schauen wir zunächst auf die internationale Facette, ich meine die Herausforderungen, vor denen die globale Handelsordnung steht.
Donald Trumps Finanz- und Zollpolitik wird weithin kritisiert – und das zurecht, denn sie zerstört Vertrauen und sät Ungewissheit. Aber zugleich zeigt sein Erstarken und das weiterer Nationalpopulisten, dass die Globalisierung auch Schattenseiten hat.[1]
Welche Form der internationalen wirtschaftlichen Koordination ist also tatsächlich tragfähig?
Um diese Frage zu beantworten, können wir uns einer Analyse des renommierten Ökonomen Dani Rodrik bedienen. Laut ihm stehen wir vor dem Globalisierungs-Trilemma. Wir können folgende drei Zustände unmöglich alle gleichzeitig erreichen: (a) vollständige globale Marktliberalisierung, (b) nationale Souveränität und (c) Demokratie. Das Trilemma besagt: Wir müssen zwei dieser drei Dinge wählen und eines aufgeben.[2]
Wenn wir beispielsweise die Demokratie aufgeben, könnte ein autokratischer Herrscher anordnen, dass sein Land vollständig für die Globalisierung geöffnet wird, egal wie sich das auf die Bürgerinnen und Bürger auswirkt.
Wenn wir die nationale Souveränität aufgeben, könnten wir eine globale Demokratie mit einem globalen Markt haben.
Wenn wir uns für eine vollständige wirtschaftliche Globalisierung ohne jegliche Handelshemmnisse entscheiden, dann müssen wir entweder unsere nationale Souveränität aufgeben oder unsere demokratische Fähigkeit, globale Regeln abzulehnen.
Das Trilemma verdeutlicht vor allem, dass freie globale Märkte nationale Wirtschaftsordnungen wie die Soziale Marktwirtschaft in ihren Ordnungsfähigkeiten stark beeinflussen und damit auch die nationale Souveränität und die Demokratie gefährden können.
Rodrik kommt zu der Schlussfolgerung, dass die Marktliberalisierung da begrenzt werden muss, wo unsere Gesellschaften dies für notwendig erachten.
Mit Blick auf die Wahrung der Finanzstabilität lernen wir, dass es nach wie vor sehr sinnvoll ist, wenn die verschiedenen nationalen Aufsichtsbehörden zusammenarbeiten – sowohl bei der Erarbeitung von Regeln als auch bei der Beaufsichtigung global tätiger Banken. Aber wir dürfen nicht naiv sein: Für die Finanzstabilität und das Funktionieren der Finanzmärkte zu Gunsten – und nicht auf Kosten – der Gesellschaft muss jeder Staat selbst sorgen.
Globalisierung ist also weiterhin sinnvoll und möglich; aber sie muss im Einklang mit den souveränen Idealen und Ordnungen von Nationalstaaten stehen und darf diese nicht unterminieren.
Das Globalisierungs-Trilemma zeigt: Die Probleme der aktuellen Wirtschaftsordnung haben nicht nur eine zwischenstaatliche und ökonomische Facette, sondern auch eine gesellschaftliche, die jeder Staat in der Regel für sich erlebt.
So steht der Wirtschaftsstandort Deutschland – und mit ihm die anderen Staaten der Welt – unter enormem Anpassungsdruck durch die digitale und ökologische Transformation unserer Gesellschaft und Wirtschaft.
Beide Entwicklungen verdeutlichen zwei grundsätzliche Probleme von Märkten: Zum einen zeigen die ökologischen Probleme, dass Markttransaktionen schwerwiegende, negative externe Effekte haben können, die zwar andere Menschen und die Gesellschaft als Ganzes belasten können, für die aber die beiden Tauschpartner nicht aufkommen müssen. Die CO₂-Belastung und der Klimawandel sind ein Paradebeispiel. Die Tatsache, dass die Menschheit mittlerweile sechs der neun planetaren Grenzen überschritten hat,[3] zeigt, dass die negativen Effekte der vergangenen Jahrzehnte mittlerweile enorme Kosten akkumuliert haben.
Zum zweiten, und dies wird durch die Effekte der Digitalisierung vorgeführt, führen auch Märkte zur Konzentration von Vermögen und Macht. Solche Konzentrationen zu verhindern, war eines der Hauptmotive der Freiburger Schule. Ausgangspunkt waren die schlechten Erfahrungen mit dem ungebremsten Kapitalismus des 19. Jahrhunderts. Dieser hatte zu großer Marktmacht einzelner Unternehmen und der Einschränkung des Wettbewerbs geführt und hatte negative Folgen für weite Teile der Gesellschaft.
Ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, dass ich alles schwarzsehe. Das ist bei weitem nicht so. Ich halte eine ehrliche Analyse vielmehr für eine Chance, dass wir unsere Wirtschaftsordnung – mit ihren vielen ausgezeichneten Eigenschaften und Errungenschaften – weiterentwickeln.
Zusammengenommen hat Deutschland vom Mittelweg der Sozialen Marktwirtschaft und des Ordoliberalismus profitiert – indem es die Märkte nutzte, um dezentral und damit effizient zu produzieren; und dabei auch anerkannte, dass Märkte nur funktionieren, wenn sie durch Leitplanken, Grenzen und einen Sozialstaat begrenzt und ergänzt werden.
Doch um den skizzierten, aktuellen geopolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen gerecht zu werden, müssen wir neu überlegen, wie wir diesen Mittelweg künftig ausgestalten. Das Globalisierungs-Trilemma zeigt, dass wir einen Mittelweg gehen sollten: aus globaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit einerseits und Politik zur Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts andererseits. So wird es möglich, dass wir negative externe Effekte und Machtkonzentration verhindern oder korrigieren können.
3 Banken und Finanzmärkte brauchen Ordnung
Die Frage nach dem passenden Mittelweg zwischen freiem Markt und ordnender Politik stellt sich auch bei der Regulierung von Finanzmärkten und Banken. Das liegt einerseits daran, dass Finanzmärkte und Banken sehr detaillierten Regeln folgen müssen; andererseits liegt es daran, dass die Regierung von Donald Trump zumindest angekündigt hat, dass sie Regulierung von Banken signifikant lockern will, um mehr Wachstum zu entfachen. Bei manchen hat dies zu der Sorge geführt, dass wirtschaftliche Aktivität in die USA abwandern könnte; manche fordern daher, dass auch die EU und Deutschland die Regeln lockern sollten.
Ich möchte im Folgenden darauf schauen, wie wir die Bankenregulierung künftig am besten gestalten.
Gerade in Zeiten niedriger BIP-Zuwachsraten wird vielfach in Frage gestellt, ob zu viel Regulierung und zu strenge Aufsicht eine „Wachstumsbremse“ seien.
Ist das die richtige Frage?
Erinnern Sie sich noch an die Finanzkrise von 2008? Zwar sind einige von Ihnen vielleicht zu jung; aber vermutlich hat jeder eine Vorstellung von dieser großen Finanz- und Wirtschaftskrise – die Folgen sind schließlich noch heute in Politik und Gesellschaft spürbar.
Aber erinnern wir uns auch noch an die Ursachen? An die Immobilen- und Kreditblasen in den USA und auch in Europa? An die von Alan Greenspan und vielen anderen ausgerufene Überlegenheit freier Finanzmärkte? An die hochgelobten Wachstumszahlen bis 2007?
Das hielt man damals für das überlegene Wirtschaftsmodell.
Bis die Blase platzte und ein Vielfaches der vorigen BIP-Zuwachsraten zerstört wurde. Der Finanzmarkt hatte kurzfristiges Wachstum geschaffen – auch dank nachsichtiger Aufsicht – aber keinen nachhaltigen gesellschaftlichen Mehrwert.
Wenn wir eines aus dieser Krise mitnehmen sollten, dann dieses: Echtes Wachstum, das diesen Namen verdient, muss anders erarbeitet werden.
Als Antwort auf die Krise mussten Staaten riesige Summen aufbringen, um das Finanzsystem zu stabilisieren.
Der Frust unter den Menschen war groß, denn auch wenn alle froh waren, dass der System-Crash nicht noch größere Wellen schlug, so sah man zugleich, dass zwar während der Finanzblase Gewinne privatisiert, doch in der Krise Verluste vergemeinschaftet wurden.
Der prominenteste Mitbegründer des Ordoliberalismus, Walter Eucken, hat lange vor dieser Krise hierzu gesagt: Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.
Und in diesem Geist wurden dann global, unter der Ägide der G 20, Regeln erarbeitet, die eine solche Krise und den Zwang zur staatlichen Rettung von Banken künftig vermeiden sollten.
Zentral waren die Basel III-Reformen, die deutlich höhere Anforderungen an das Eigenkapital und die Liquiditätsausstattung einführten.
Parallel entwickelte der neu gegründete internationale Finanzstabilitätsrat, kurz FSB, Abwicklungsregeln, um systemrelevante Banken geordnet abzuwickeln. Sie verlangen von Banken Abwicklungspläne und stärken die Gläubigerbeteiligung, um Steuerzahler vor den Kosten von Bankenrettungen zu schützen.
Darüber hinaus gab es eine Vielzahl weiterer Reforminitiativen, wie die Regulierung von Verbriefungen und von Derivaten sowie die Einführung von Boni-Obergrenzen.
Diese global harmonisierte Antwort fand noch in einem völlig anderen Geist statt, als wir ihn heute kennen.
Doch glücklicherweise haben wir in der EU und in Deutschland diese Reformen nicht nur konsequent umgesetzt,[4] sondern auch noch durch wichtige andere Elemente ergänzt.
Von zentraler Bedeutung war die Gründung der Europäischen Bankenunion: Denn in der EU hatte sich gezeigt, dass Banken zwar grenzüberschreitend agieren konnten – aber die Aufsicht endete an den nationalen Grenzen; dies schaffte Schlupflöcher und aufsichtliche Schwachstellen. Deshalb wurde mit der Bankenunion je eine einheitliche Aufsicht und eine einheitliche Abwicklung geschaffen. Sie umfasst den Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) unter der Europäischen Zentralbank und den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRM). Diese Institutionen gewährleisten eine zentralisierte Überwachung und geordnete Abwicklung von Banken, um die Finanzstabilität in der Eurozone zu stärken.
Jetzt könnten Sie fragen, ob diese Reformen denn etwas gebracht haben – oder ob die Kosten der Regulierung deren Nutzen übersteigen?
Erfreulicherweise gibt es empirische Studien, die eine klare Antwort liefern:
Zum einen konnte gezeigt werden, wie unzureichende Regulierung vor der Finanzkrise die Krise ermöglicht hat.[5]
Zum zweiten hat eine Studie des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht gezeigt, dass die gerade eben genannten, bereits umgesetzten Basel III-Regeln die Finanzstabilität gestärkt haben.[6]
Gleichzeitig belegen empirische Studien, dass die Basel III-Reformen keinen signifikant negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum oder die Kreditvergabe hatten. Wenn wir die positiven Effekte der Regulierung, wie reduzierte Volatilität berücksichtigen, sind die Nettoeffekte auf das BIP positiv.[7]
Darüber hinaus zeigt unabhängige Forschung, dass Banken mit höheren Kapitalniveaus tendenziell widerstandsfähiger sind; sie gewährleisten die Kreditversorgung der Realwirtschaft zuverlässiger, insbesondere in Krisenzeiten.[8]
Zusammengenommen heißt das: Bankenregulierung und Aufsicht bedeuten naturgemäß Kosten für die Institute; doch ihr Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft übersteigt die Kosten.
Im Frühjahr 2023 gab es einen Härtetest: bei den Bankenturbulenzen rund um die Silicon Valley Bank und die Credit Suisse. Hier mussten wir mit ansehen, was passiert, wenn Banken zu hohe Risiken eingehen und die Bankenaufsicht zu nachsichtig ist. Vor allem in den USA wütete die Krise, weil die Aufsicht dort zu viele Ausnahmen gewährte. Die europäischen Banken sind deutlich besser durch diese Krise gekommen.
Und trotzdem hat die Debatte über Bürokratie- oder Regulierungsabbau auch die Bankenregulierung erreicht. Die reicht von manch fundamentaler Kritik an der Beschränkung von Märkten und Unternehmen bis hin zu differenzierten Auseinandersetzungen, wo die Regeln verbesserungswürdig sind.
Wie ist diese Debatte zu bewerten? Handelt es sich hier um eine sinnvolle Kritik mit Blick auf den Finanzstandort? Oder ist sie nur ein neues Beispiel für This time is different
– einige von Ihnen haben diese Redewendung vielleicht schon gehört: Die Ökonomen Reinhart und Rogoff haben in ihrem so betitelten Werk eindrucksvoll belegt, dass die Finanzindustrie in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder die Politik davon überzeugen konnte, dass – egal wie verheerend die vorangegangene Finanzkrise gewesen war – dieses Mal alles anders sei und man die Finanzakteure nicht weiter beschränken müsse.
Also: ist die aktuelle Debatte über Bürokratie- bzw. Regulierungsabbau im Banken- und Finanzsektor sinnvolle oder interessengeleitete Kritik?
4 Die Zukunft der Bankenregulierung
Ich denke, beides spielt eine Rolle. Bankenregulierung ist in der Tat sehr detailliert und komplex – wobei man ehrlich sagen muss, dass dies vor allem darauf zurückzuführen ist, dass man die Kapitalanforderungen nicht so hoch ansetzen wollte, wie Experten wie Martin Hellwig dies beispielsweise fordern. Als Kompromiss hat man zwar die Anforderungen weniger hoch angesetzt, dafür aber viele, detaillierte Regeln erlassen, die sicherstellen sollen, dass es möglichst wenige Schlupflöcher gibt.
Ob dies der beste Ansatz ist, darf man sicherlich fragen. Ehrlich gesagt halte ich es für einen tragfähigen Kompromiss. Es handelt sich nicht um ein theoretisches Optimum, sondern um ein der politischen Praxis geschuldetes „Second Best“. Und damit erreichen wir einiges.
Deshalb sollten wir künftig die Bankenregulierung anhand eines Zweiklangs weiterentwickeln:
Einerseits sollten wir die Sicherung der Finanzstabilität priorisieren – denn sie ist ein essenzielles Gut für das sozialverträgliche Funktionieren einer Marktwirtschaft.
Darüber hinaus müssen wir uns die Frage stellen, wie wir es mit dem freien Finanzmarktverkehr einerseits und dem Multilateralismus und globalen Regeln andererseits halten. Ich denke, wir profitieren davon, wenn wir am multilateralen Ansatz festhalten. Dabei ist es umso wichtiger, dass wir sicherstellen, dass unser Finanzsystem stabil bleibt – unabhängig davon, wie andere Staaten agieren. Wenn nämlich andere Rechtsordnungen die Sicherheitsstandards senken, würden überschwappende Turbulenzen aus dem Ausland wahrscheinlicher werden – hierdurch würde solide EU-Regulierung nicht weniger, sondern im Gegenteil noch nützlicher werden.
Deshalb wollen wir auch die finalen Elemente des Basel III-Pakets – die Teile, die aktuell noch zur Umsetzung anstehen – vollständig umsetzen. Denn es handelt sich um einen umsichtig austarierten Kompromiss, hinter dem wir als Bundesbank stehen.
Nur in Ausnahmebereichen, wie zum Beispiel den Regeln zur Überarbeitung des Handelsbuches, werden wir prüfen, ob leichte Anpassungen sinnvoll sind.
Andererseits, und das ist der zweite Klang unseres Akkords, sollten wir prüfen, wo es möglich ist, das Niveau an Finanzstabilität zu erhalten, jedoch den hierfür nötigen Erfüllungsaufwand zu senken.
Die Bundesbank sieht an mehreren Stellen Ansatzpunkte zur Vereinfachung von Regulierung und damit einer Verbesserung der Nutzen-Kosten-Relation. Drei Beispiele möchte ich Ihnen nennen:
Das erste Beispiel betrifft die Mindestanforderungen an Kapital und Liquidität. Durch die Reformen seit 2008 ist ein vielschichtiges, überlappendes Rahmenwerk entstanden, das mittlerweile komplizierter als nötig ist. Wir setzen uns daher dafür ein, das derzeitige Kapitalrahmenwerk zu vereinfachen. Allerdings darf es dabei nicht zu einer Senkung der Mindestanforderungen kommen, denn das würde der Wirtschaft durch mehr Unsicherheit und Instabilität schaden. „Strikt, aber simpler“ ist das Gebot.
Zweitens: Wir als Bundesbank könnten uns eine stärker prinzipienbasierte Regulierung vorstellen – im Gegensatz zu bis ins letzte Detail ausformulierten Regeln. Und so arbeiten wir mit den anderen Mitgliedstaaten bereits an der Vereinfachung diverser europäischer Regeln und schlagen auch vor, die Gesetze künftig eher prinzipien-orientiert auszugestalten. Auch auf nationaler Ebene prüfen wir systematisch die Anforderungen – insbesondere die sogenannten MaRisk, die Mindestanforderungen an das Risikomanagement.
Drittens: Es wird zunehmend wieder diskutiert, ob es ein separates Regelwerk für kleinere Banken braucht – also z. B. für Ihre örtliche Volksbank, die keine eigene Compliance-Abteilung hat. Diese Institute haben schon heute weniger strenge Vorgaben zu erfüllen – aber trotzdem ist der Aufwand relativ zur Größe für sie immer noch höher als für international aktive Banken. Und da sind wir bei den Prinzipien des Ordoliberalismus, nämlich der Gefahr, dass der Bankenmarkt irgendwann einem Kartell oder Monopol gleicht. Eine solche Machtkonzentration wäre kontraproduktiv. Und deshalb ist es gut, zu fragen, wo wir die Wettbewerbsordnung so gestalten können, dass große und kleine die gleichen Chancen haben.
Und damit komme ich zum Schluss.
5 Schluss
Meine Damen und Herren,
Natürlich ende ich mit einem Zitat von Ludwig Erhard:
Wohlstand ist eine Grundlage, aber kein Leitbild für Lebensgestaltung. Ihn zu bewahren ist noch schwerer, als ihn zu erwerben.
Und auch Walter Eucken möchte ich noch einmal zu Wort kommen lassen:
Der Geist der Freiheit hat die Industrialisierung schaffen helfen – und diese Industrialisierung ist zu einer schweren Bedrohung der Freiheit geworden.
[9] .
Die wirtschaftliche Ordnung: Sie war und ist die Basis für Deutschlands Wohlstand – heute geht es darum, unsere Prinzipien anzuwenden und weiterzuentwickeln, damit soziale Marktwirtschaft, Demokratie und Frieden auch weiterhin den Dreiklang unserer Gesellschaft bilden.
Diese prinzipielle Weiterentwicklung der Wirtschaftspolitik hilft uns vor allem bei der Wahrung der Finanzstabilität und der Bankenaufsicht: Die Bankenregulierung seit 2008 ist ein Beispiel für eine erfolgreiche, ordnende Politik – und um ihren Erfolg zu bewahren, prüfen wir, wo wir den gleichen gesellschaftlichen Nutzen mit geringerem Erfüllungsaufwand erreichen können.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Fussnoten:
- D Rodrik (2021). Why does globalization fuel populism? Economics, culture, and the rise of right-wing populism. Annual review of economics, 13(1), 133‑170.
- D Rodrik (2000), How far will international economic integration go? Journal of Economic Perspectives. 14(1), 177‑186.
- Planetary boundaries – Stockholm Resilience Centre
- • Basel III wurde durch die Kapitaladäquanzverordnung (CRR) und die Kapitaladäquanzrichtlinie (CRD) umgesetzt; die Abwicklungsregeln durch die Bankensanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (BRRD).
- Goldbach, R. (2015). Global governance and regulatory failure: the political economy of banking. Basingstoke, Hants: Palgrave Macmillan.
- Evaluation of the impact and efficacy of the Basel III reforms.
- Assessing the impact of Basel III: Evidence from macroeconomic models: literature review and simulations
- Admati, A. R., DeMarzo, P. M., Hellwig, M., & Pfleiderer, P. (2010). Fallacies, irrelevant facts, and myths in the discussion of capital regulation: Why bank equity is not expensive (No. 2010, 42). Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods; Admati, A., & Hellwig, M. (2014). The bankers' new clothes: What's wrong with banking and what to do about it. Princeton University Press.
- • Das Ordnungspolitische Problem, S. 56‑90, in: Walter Eucken, Franz Böhm (Hrsg.), ORDO , Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Band 1, Opladen, 1948, S.73