Impulsvortrag „Finanzstabilität in unsicheren Zeiten: Geopolitische Spannungen und hohe Staatsverschuldung" „Politisches Frühstück“ der Commerzbank AG

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Das Frühstück ist für viele von uns die erste Mahlzeit des Tages. Es legt die Grundlage für den Tag. Starten wir voller Energie in den Tag, oder mit schwerem Magen?

Gleichzeitig gibt es auch die Redewendung, etwas zu verfrühstücken. Das kann bedeuten: Was weg ist, ist weg. Wenn es erst der zwanzigste im Monat ist, aber man schon sein ganzes Gehalt verfrühstückt hat, ist das eher nicht so gut. Heute ist ja zum Glück erst der fünfte.

Wie können das Frühstück als Grundlage für den Tag, der Begriff verfrühstücken, und das Thema Finanzstabilität zusammenhängen? 

Finanzstabilität, also ein funktionierendes und stabiles Finanzsystem, ist die Grundlage für eine florierende Wirtschaft. Und diese Grundlage sollte auch in unsicheren Zeiten stabil sein.

Wann ist das Finanzsystem stabil? Wenn es zu jeder Zeit seine wesentlichen Aufgaben erfüllt: Banken vergeben Kredite an die Unternehmen und bieten Sparmöglichkeiten. Risiken werden verteilt und diversifiziert. Zu jeder Zeit – also auch unter Unsicherheit.

Heute geht es um die Finanzstabilität in unsicheren Zeiten. Dabei beleuchten wir zwei Themen. Beide sind aktuelle Herausforderungen für die Finanzstabilität. Das erste sind die Auswirkungen von geopolitischen Spannungen auf die Finanzstabilität. Das zweite Thema ist die Rolle hoher Staatsverschuldung. Dazu könnte gelten: Was verfrühstückt wurde, ist weg, und schränkt den fiskalischen Spielraum ein, um auf Krisen reagieren zu können. Dazu gleich mehr.

Ich bedanke mich bei der Commerzbank und Dr. Thilo Schweizer für die Einladung. Ich freue mich, meine Gedanken mit Ihnen zu teilen und im Anschluss zu diskutieren.

2 Welche Auswirkungen haben geopolitischen Spannungen auf die Finanzstabilität?

Kommen wir zum ersten Thema: Wie beeinflussen geopolitische Spannungen die Finanzstabilität?

In Zeiten grundlegender geopolitischer Veränderungen treten weltweit Verwundbarkeiten zutage, die zu Instabilität führen können.

Geopolitische Risiken wirken sich weitreichend auf das Wirtschafts- und Finanzsystem aus. Genauso wie ein schwerer Magen den Start in den Tag erschwert, können geopolitische Spannungen die Stabilität unseres Finanzsystems belasten.

Die Finanzstabilität kann durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Denken Sie an Produktionsprozesse, Investitionen und Lieferketten, sowie Risikoprämien, Vermögenswerte und Kapitalflüsse. Bedrohungen für kritische Infrastrukturen spielen ebenfalls eine große Rolle.

Steigende geopolitische Risiken verschlechtern das makrofinanzielle Umfeld erheblich, hauptsächlich durch finanzielle Kanäle: Sie erhöhen die Unsicherheit, die Risikoaversion und die Volatilität der Aktienmärkte und weiten die Kreditspreads von Unternehmen aus.

Änderungen im makrofinanziellen Umfeld haben direkte Auswirkungen auf die Realwirtschaft: steigende wirtschaftliche Unsicherheit, sinkendes Geschäftsklima, gestörte Lieferketten, beeinträchtigte kritische Infrastrukturen, Versorgungsengpässe und gedämpfter internationaler Handel.

Diese Entwicklungen belasten den Konsum, die Investitionen, die Produktion und die Kreditvergabe. Sie erhöhen die Liquiditäts- und Kreditrisiken im Bankensystem und verstärken die systemischen Risiken für die Finanzstabilität.

Ein aktuelles Beispiel dafür, wie geopolitische Spannungen die Märkte beeinflussen können, sind die Zollerhöhungen der Vereinigten Staaten, die sofort und erheblich auf die Aktien- und Anleihemärkte wirkten.

Obwohl diese Episode eine kurzfristige Marktkorrektur auslöste, erscheinen die Bewertungen von Aktien und Unternehmensanleihen in den Vereinigten Staaten angesichts der erhöhten Risiken und der bestehenden (Handels-)Politikunsicherheit immer noch relativ hoch. Das Potenzial für Rückschläge bleibt erhöht.

Die jüngsten Entwicklungen haben zu einer erheblichen Revision der Wachstumsaussichten geführt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine globalen Wachstumsprognosen für das BIP um 0,5 Prozentpunkte auf 2,8 Prozent für 2025 und um 0,3 Prozentpunkte auf 3,0 Prozent für 2026 nach unten korrigiert.

In Deutschland bleibt der wirtschaftliche Trend allgemein schwach, und die Aussichten für das laufende Jahr sind erheblich getrübt. Auch der Arbeitsmarkt zeigt Schwächen. Dementsprechend wurden die jüngsten Wachstumsprognosen für Deutschland nach unten korrigiert. Für 2025 wird nun ein Nullwachstum des BIP erwartet, und für 2026 etwa 1,0 Prozent.

3 Welche Rolle spielt hohe Staatsverschuldung für Finanzstabilität?

Neben geopolitischen Risiken wirken sich auch öffentliche Schulden auf die Finanzstabilität aus. Das ist unser zweites Thema.

Nachhaltige öffentliche Finanzen sind eine Voraussetzung für Finanzstabilität; Zweifel an der Schuldentragfähigkeit können zu Marktturbulenzen und Staatsschuldenkrisen führen.

Mit hohen Schuldenstände können Regierungen und der private Sektor weniger effektiv auf wirtschaftliche Schocks reagieren.

Fiskalkonsolidierung ist angesichts höherer Zinssätze, schwachen Wachstums, struktureller Herausforderungen und geopolitischer Unsicherheiten eine große Herausforderung.

Zuletzt zeichnete ein neuer OECD-Bericht ein bedenkliches Bild der globalen Schuldenentwicklung. Demnach stiegen sowohl die staatliche als auch die Unternehmensverschuldung im Jahr 2024 weiter an. 

Konkret haben Regierungen und Unternehmen im Jahr 2024 weltweit 25 Billionen US-Dollar an den Märkten geliehen, fast das Dreifache des Betrags des Jahres 2007. Für 2025 geht die OECD von zusätzlichen Schulden in Höhe von 17 Billionen US-Dollar allein durch die OECD-Staaten aus.

Der IWF schreibt in seinem jüngsten Bericht zum Ausblick für die Weltwirtschaft, dass derzeit verstärkt hohe Schulden, niedriges Wachstum und steigende Refinanzierungskosten zusammentreffen.[1] Gleichzeitig ist der Ruf nach fiskalischer Unterstützung laut – und vielfach gerechtfertigt, oder sogar unumgänglich. Doch wie sollen höhere Ausgaben finanziert werden? Hier sind Länder mit niedrigerer Verschuldung im Vorteil. Denn sie haben größeren fiskalischen Spielraum, um auf die aktuellen Herausforderungen mit Impulsen zu reagieren. Hier könnte also tatsächlich gelten, was früher verfrühstückt wurde, schränkt heute den Spielraum ein.

Der IWF sagt auch, dass Länder mit höheren Schulden stärker von steigenden Zinsen und damit höheren Refinanzierungskosten betroffen sind. Höhere Ausgaben für die Schuldenlast beschränken dann zusätzlich den ohnehin schon schmalen fiskalischen Spielraum.

Der aktuelle Fiskal-Monitor des IMF zeigt hierzu empirisch, dass ein Anstieg der Zinsausgaben um 1 Prozentpunkt des (potenziellen) BIP mittelfristig die anderen Ausgaben permanent um 0,6 Prozentpunkte des BIP sinken lässt.[2] Die Zinsausgaben verdrängen also den Spielraum, der für andere wichtige öffentliche Ausgaben verfügbar ist – und das dauerhaft. Deshalb ist es so wichtig, die Schuldenlast zu senken, um fiskalisch wieder mehr Raum zu gewinnen. Damit nicht gilt: Was weg ist, ist weg.

In Deutschland wurde der fiskalische Spielraum durch die Grundgesetzänderung im März dieses Jahres zunächst deutlich erhöht. Vor allem von den Ausnahmen für Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse und dem Sondervermögen für Infrastrukturausgaben erwarten viele Wachstumsimpulse für die deutsche Wirtschaft.

Gleichzeitig birgt der neu gewonnene Spielraum auch Gefahren. Darauf geht auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) in seinem Frühjahrsgutachten ein.[3] Der SVR betont wie wichtig es ist, dass der neue fiskalische Spielraum für zusätzliche Investitionen genutzt wird. Investitionsorientierte Ausgaben haben einen größeren Wachstumseffekt und dämpfen so den Anstieg der Schuldenstandsquote. Ein Risiko ist, dass die Mittel zu stark konsumtiv genutzt werden, was zu höherer Staatsverschuldung führt. Außerdem müsse durch verbindliche Regeln sichergestellt werden, dass nicht einfach Ausgaben aus dem Kernhaushalt verschoben werden, sondern zusätzlich investiert wird.

Bindende Regeln sind wichtig, damit Staatsschulden nicht aus dem Ruder laufen und der Staat auch in zukünftigen Krisen handlungsfähig bleibt. 

Deshalb unterstützt die Bundesbank bindende Fiskalregeln in der EU und in Deutschland.

Grundsätzlich ist es gut vertretbar, bei einer niedrigen staatlichen Schuldenquote den Kreditrahmen der Schuldenbremse an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. 

Voraussetzung für höhere Obergrenzen muss aber bleiben, dass sie zuverlässig binden und in Einklang mit soliden Staatsfinanzen stehen. 

Eine solche Reform der Schuldenbremse unter Berücksichtigung dieser wichtigen Eckfeiler hat die Bundesbank im März vorgeschlagen. Auch der SVR hält eine Reform der Schuldenbremse über die Grundgesetzänderung für sinnvoll, um flexibler auf Krisen reagieren zu können.

Der Reformvorschlag der Bundesbank orientiert sich am 60-Prozent-Referenzwert für die Schuldenquote aus den EU-Verträgen als Anker der Schuldenbremse. 

Im Detail sieht der Vorschlag vor, die Kreditspielräume des Bundes von 0,35 Prozent auf maximal 1,4 Prozent des BIP zu erhöhen, wenn die Schuldenquote unter der 60-Prozent-Marke liegt.

Diese Spielräume umfassen 0,5 Prozent des BIP ohne Verwendungsvorgaben als Niedrigschuldensockel sowie 0,9 Prozent des BIP ausschließlich für zusätzliche Investitionen. 

Überschreitet die Schuldenquote die 60-Prozent-Marke, bleibt der Spielraum von 0,9 Prozent für Investitionen bestehen. Der 0,5 Prozent-Sockel entfällt dann.

So wird einerseits eine Schuldenquote von unter 60 Prozent belohnt und zugleich Planungssicherheit für Investitionen geschaffen.

Eine solche Reform würde dazu beitragen, dass Deutschlands Staatsfinanzen auch in Zukunft solide sind – und wir ein Vertrauensanker für die Währungsunion bleiben.

Auch in Europa werden erhöhte Verteidigungsausgaben aufgrund gestiegener geopolitischer Spannungen den Druck auf die öffentlichen Finanzen weiter erhöhen. Das ist eine Verbindung zum ersten Thema.

Was ist die Verbindung zum Finanzsystem? Bedeutende Bestände an inländischen Staatsanleihen in den Bankbilanzen können Probleme im Finanzsektor und den öffentlichen Finanzen verstärken.

Risiken aus der Verbindung zwischen Staat und Banken im Euroraum bleiben erhöht. Der Staat-Banken-Nexus ist die enge und riskante finanzielle Verflechtung zwischen Banken und ihren Heimatstaaten, ausgelöst durch große Bestände an inländischen Staatsanleihen in den Bilanzen nationaler Banken. Aktuelle Vorschriften begünstigen Forderungen gegenüber Staaten und schaffen Anreize, übermäßig in inländische Staatsanleihen zu investieren.

Frühere Krisen haben gezeigt, dass hohe gegenseitige Abhängigkeit zwischen Staaten und Banken die Finanzstabilität gefährden kann. Zweifel an der Solvenz von Staaten beeinträchtigen die Kreditwürdigkeit der Banken, und Banknotlagen lösen staatliche Unterstützungsmaßnahmen aus. Diese werfen wiederum Fragen zur Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen auf. Diese Rückkopplungsschleife stellt erhebliche Risiken für die Finanzstabilität und makroökonomische Entwicklungen dar.

Im Euroraum wurden regulatorische Änderungen umgesetzt, um die Ansteckung von Banken auf Staaten zu begrenzen. Allerdings bedroht die Ansteckung von Staaten auf Banken weiterhin die Finanzstabilität.

Um die Ansteckungseffekte von Staaten auf Banken im Euroraum zu reduzieren, müssen die bestehenden regulatorischen Fehlanreize beseitigt oder erheblich reduziert werden.

Dazu könnten Konzentrationslimits für Staatsanleihen in Bankbilanzen ein Instrument sein. Diese können Konzentrationsrisiken durch angemessene Risikogewichtszuschläge erheblich verringern. Zusätzliche, risikoadäquate Kapitalanforderungen für Banken wären eine weitere Möglichkeit, einer hohen Konzentration von Staatsschulden in Bankbilanzen entgegenzuwirken

Wie hängen der vorhin erwähnte fiskalische Spielraum und Finanzstabilität zusammen? Der europäische Abwicklungsmechanismus und strengere Regulierung stellen sicher, dass Banken in Schieflage primär durch ihre Gläubiger und den Abwicklungsfonds stabilisiert werden – ohne dass der Steuerzahler einspringen muss. Trotzdem haben wir während der Corona-Pandemie gesehen, wie wertvoll der fiskalische Spielraum in Deutschland war. Durch die staatlichen Rettungsmaßnahmen, zum Beispiel für Unternehmen, sind unerwartete Verluste erst gar nicht im Bankensystem angekommen. Auch wenn es nicht die Aufgabe von Fiskalpolitik ist, für ein stabiles Finanzsystem zu sorgen, hat die Pandemie gezeigt: Finanzstabilität ist auch nicht völlig unabhängig davon, was mit Steuermitteln passiert, oder nicht passiert.

4 Schlussfolgerung

Kommen wir zum Schluss:

Finanzstabilität ist die Grundlage für eine florierende Wirtschaft. Unser Finanzsystem muss widerstandsfähig sein, um Herausforderungen standzuhalten. Geopolitische Risiken und hohe öffentliche Schulden sind zwei dieser Herausforderungen.

Geopolitische Spannungen erhöhen die Unsicherheit und Risikoaversion. Hohe Staatsverschuldung schränkt den fiskalischen Spielraum ein.

Die Probleme von Staaten sollten nicht zu den Problemen von Banken werden. Hier wären aus meiner Sicht risikoadäquate Kapitalanforderungen und Großkreditgrenzen sinnvolle Maßnahmen.

Wie hängen geopolitische Spannungen und hohe Staatsverschuldung zusammen, und wie wirken sie sich auf Finanzstabilität aus? Die Reaktion auf geopolitische Spannung und hohe Staatsverschuldung schränken beide den fiskalischen Spielraum ein. Dieser Spielraum ist aktuell in vielen Ländern eingeschränkt. Das kann drei Folgen haben:

a) Fiskalische Stabilisierungsmaßnahmen werden erschwert, wodurch im Fall der Fälle das Finanzsystem stärker belastet wird.

b) Der Staaten-Banken-Nexus gefährdet die Finanzstabilität.

Und c) der fiskalische Spielraum sollte mittel- bis langfristig wieder erhöht werden, indem die Staatsverschuldung abgebaut wird.

Mit unserem politischen Frühstück können wir heute eine gute Grundlage für einen erfolgreichen Tag legen, und jetzt gestärkt in die Diskussion gehen.

Fußnoten:

  1. Vgl.: Internationaler Währungsfonds (2025), World Economic Outlook, A Critical Juncture Amid Policy Shifts, April 2025.
  2. Vgl.: Internationaler Währungsfonds (2025), Fiscal Monitor, Fiscal Policy under Uncertainty, April 2025. Studie mit 75 Industrie- und Entwicklungsländern (S. 16).
  3. Vgl.: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2025), Frühjahrs-Gutachten 2025, Mai.