Momentum für Europa – Wirtschaft, Sicherheit und Zukunft gestalten Rede zum Jahresempfang in der Hauptverwaltung Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Begrüßung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
es freut mich sehr, heute bei ihnen in der Hauptverwaltung zu sein. Ich bin immer gerne hier – die Region ist meine Heimat, der ich mich tief verbunden fühle. Und der Norden hat einiges zu bieten:
Die Region spielt eine Schlüsselrolle in der nachhaltigen Transformation unseres Landes. Als Vorreiter der Energiewende leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele. Die Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee sind ein Beispiel für ihre Innovationskraft. Solche Projekte schaffen Arbeitsplätze und stärken die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Markt für grüne Technologien.
Mit ihrem Wirtschaftswachstum belegten Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein 2024 die Spitzenplätze in Deutschland[1]. Als Top-Drei lagen sie klar über dem Bundesdurchschnitt – eine großartige Leistung!
Im ersten Halbjahr 2025 waren Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg wieder vorne dabei – mit Platz zwei und vier[2]. Und mit Bremen ist dieses Mal ein anderes Nordlicht Spitzenreiter.
Gesamtwirtschaftlich ist das Bild allerdings wenig erfreulich: Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland schrumpfte 2024 um 0,5 Prozent[3]. Es war das zweite Jahr in Folge mit rückläufiger Wirtschaftsleistung[4]. Zwar sehen wir für 2025 leichte Anzeichen einer Erholung, aber das Wachstum dürfte moderat bleiben. Das betrifft uns alle – früher oder später auch die wirtschaftlichen „Leuchttürme“ im Norden.
Wirtschaftswachstum ist von zentraler Bedeutung, um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Deutschland und Europa stehen dabei vor entscheidenden Fragen:
Wie bringen wir unsere Wirtschaft wieder auf Kurs?
Wie sichern wir unsere Verteidigungsfähigkeit in einer unsicheren Welt?
Wie verhindern wir Altersarmut und die damit verbundenen gesellschaftlichen Spannungen?
Und wie finanzieren wir das alles?
Wachstum, Verteidigungsfähigkeit, Kapitalmärkte – dieser Dreiklang ist entscheidend für die Zukunft Deutschlands und Europas.
2 Europa: Stabiles Fundament – große Herausforderungen
Die positive Nachricht vorweg: Die Rahmenbedingungen sind gut, unser Kontinent hat viel zu bieten. Europa steht für soziale Sicherheit, individuelle Freiheit und gesellschaftliche Vielfalt. Diese Werte machen Europa attraktiv, gerade in einer unsicheren Welt.
Der Euro ist ein Symbol dieser Attraktivität. 83 Prozent der Europäer unterstützen unsere Währung[5]. Für viele ist der Euro nicht nur Zahlungsmittel, sondern auch ein greifbares Zeichen gemeinsamer Ziele und Visionen.
Auch international genießt unsere Währung Vertrauen: Zuletzt hat der Euro insbesondere zum US-Dollar an Stärke gewonnen. Emittenten aus dem Ausland legen vermehrt Anleihen in Euro auf. Und die europäischen Aktienmärkte entwickeln sich positiv.
Dieses Momentum beruht auf den Grundpfeilern unserer Wirtschaft und Gesellschaft: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Prinzipien, die heutzutage leider nicht selbstverständlich sind. Sie schaffen ein stabiles Umfeld für Investoren, und machen Europa zu einem verlässlichen Partner.
Unser Kontinent steht auf einer soliden Grundlage. Aber reicht das aus, um Europa langfristig wettbewerbsfähig zu halten? Nein – Europa steht vor großen Herausforderungen, die entschlossenes Handeln erfordern.
3 Wirtschaftliche Dynamik entfesseln
Ich sagte es eingangs: Die deutsche Wirtschaft ist zuletzt geschrumpft. Im Euroraum ist das Wachstum bestenfalls moderat. Wie kommen wir aus diesem Wachstumstal heraus?
Erstens: Wir müssen die Innovationskraft unserer Wirtschaft stärken. Besonders wichtig ist die Förderung von Forschung und Entwicklung, vor allem im Hochtechnologiesektor.
Zweitens: Wir müssen unseren Kapitalstock erneuern, indem wir Unternehmen das Investieren erleichtern. Das heißt: Bürokratische Hürden abbauen, Regulierungen prüfen und Genehmigungen beschleunigen.
Drittens: Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften muss gesichert sein. Eine gezielte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte kann dazu beitragen. Dabei ist es wichtig, zwischen Flüchtlingspolitik und arbeitsmarktorientierter Zuwanderung zu unterscheiden. Letztere muss auf den Fachkräftemangel und die Bedürfnisse der Unternehmen ausgerichtet sein.
4 Risikokapital als Wachstumsmotor
Damit unsere Unternehmen im Wettbewerb bestehen, benötigen sie nicht nur Fachkräfte – sondern auch Zugang zu Kapital. Das Rennen um die Marktführer von morgen ist noch offen. Denken sie daran: Viele der heutigen Tech-Giganten begannen einst in Garagen. Für solche Erfolgsgeschichten braucht es Risikokapital. Gerade jungen und innovativen Unternehmen fehlt es oft daran. Deshalb brauchen wir einen tiefen und differenzierten Kapitalmarkt, um die unterschiedlichen Finanzierungsansprüche der Unternehmen adressieren zu können.
Die europäische Spar- und Investitionsunion (SIU) ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie kann unsere Kapitalmärkte enger verzahnen und grenzüberschreitende Investitionen erleichtern. Zugleich kann sie helfen, das hohe Sparvermögen der europäischen Haushalte in produktive Investitionen zu lenken.
Für Deutschland heißt das: Mehr Kapitalmarktkultur wagen!
5 Kapitalmarkt für jedermann
Der Kapitalmarkt ist ein wichtiger Baustein für die Altersvorsorge. Denn unser umlagefinanziertes Rentensystem stößt an Grenzen. Wir brauchen einen „Kapitalmarkt für jedermann“.
Schweden ist hier ein Musterbeispiel: Das Land hat früh kapitalgedeckte Elemente in seine Altersvorsorge integriert. Heute halten schwedische Haushalte rund 85 Prozent ihres Finanzvermögens in Aktien, Schuldtitel oder Pensionsforderungen[6]. In Deutschland sind es nur 62 Prozent.
Rechnet man den Wert aller Aktien, Schuldtitel und Pensionsforderungen zusammen, kommen die schwedischen Haushalte auf knapp 290 Prozent des Bruttoinlandsprodukts[7]. In Deutschland sind es 130 Prozent – weniger als die Hälfte!
Die Systemumstellung in Schweden hat nicht nur die finanzielle Lage der Haushalte und die Leistungen der Altersvorsorge verbessert. Auch die Einstellung zur Kapitalmarktanlage hat sich gewandelt.
Schweden hat mit seinen 10,5 Millionen Einwohnern seit 2015 492 Börsengänge verzeichnet[8]. Deutschland mit 84 Millionen Einwohnern brachte es im selben Zeitraum nur auf 104 Börsengänge.
Die Bundesregierung prüft derzeit, wie Teile der Altersvorsorge kapitalmarktgedeckt gestaltet werden können. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer tragfähigen Altersversorgung – es wäre ein großer Schritt hin zu einem Kapitalmarkt für jedermann.
6 Verteidigung in unsicheren Zeiten stärken
In einer Welt voller geopolitischer Risiken reicht wirtschaftliche Stärke allein nicht aus. Europa muss seine Verteidigungsfähigkeit stärken, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Dabei geht es nicht nur um sicherheitspolitische Überlegungen, sondern auch um wirtschaftliche Notwendigkeiten. Investoren erwarten attraktive wirtschaftliche Rahmenbedingungen, aber auch den Schutz ihrer Investitionen.
Das gilt auch für den Norden Deutschlands als bedeutenden Wirtschaftsstandort und Tor zur Welt. Die Häfen in Hamburg, Lübeck-Travemünde oder Rostock sind Dreh- und Angelpunkte des internationalen Handels. Sie stellen strategisch wichtige Infrastruktur dar, die geschützt werden muss.
Zudem leistet die Region einen wichtigen Beitrag zur Verteidigungsfähigkeit Europas. Hiesige Unternehmen sind führend in der Luft- und Raumfahrttechnik, im Schiffbau und in der Sicherheitstechnologie. Ich denke etwa an die Marinewerften in Kiel und Flensburg – ihnen fallen sicher noch andere Beispiele ein. Die Region trägt damit wesentlich zur Sicherheit Europas bei.
7 Europas Momentum nutzen
Meine Damen und Herren,
die Herausforderungen unserer Zeit sind gewaltig – ebenso groß ist der finanzielle Bedarf. Das Fiskalpaket der Bundesregierung kann helfen, wenn die Mittel gezielt in Investitionen fließen.
Rein konsumtive Ausgaben hingegen würden das Vertrauen der Investoren belasten, die Verschuldung verteuern und die finanzpolitische Solidität gefährden. Ohne private Mittel ist der Finanzbedarf aber nicht zu decken – die Herausforderungen zu sind groß.
Lassen sie mich zusammenfassen:
Es ist an der Zeit, offen über unbequeme Wahrheiten zu sprechen und sie den Menschen zuzumuten. Wir müssen das Momentum an den Märkten nutzen, um Europa und Deutschland voranzubringen. Eine Zeit des Wandels erfordert neues Denken und mutige Entscheidungen. Vor allem müssen wir zügig ins Handeln kommen, auch wenn nicht alles sofort perfekt ist.
Denn es geht um unsere Zukunft, unsere gemeinsame Verantwortung, unsere Existenz. Lassen Sie uns den Mut aufbringen, Neues zu wagen und neue Wege zu gehen!
Vielen Dank.
Fußnoten:
- BIP | Statistikportal.de.
- Ebd.
- Preisbereinigt ist das BIP nach Zahlen des Statistischen Bundesamts vom 22.08.2025 2024 um 0,5 Prozent und 2023 um 0,9 Prozent geschrumpft. (Vgl. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/08/PD25_310_811.html.)
- Ebd.
- Europäische Kommission: Standard-Eurobarometer, Frühjahr 2025.
- Europäische Zentralbank: Sector accounts.
- Ebd.
- Bloomberg, eigene Berechnungen.