Risikomanagement in Zeiten wachsender Unsicherheit Rede beim NPL Forum 2025

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Prof. Schalast, sehr geehrter Herr Sonder, sehr geehrter Herr Martin,

herzlichen Dank für die Einladung zu dieser sehr spannenden Konferenz. Das Thema „Innovative Strategien für Finanzierungsgeschäft und Risikosteuerung“ ist angesichts des wirtschaftlichen Umfelds, das von hoher Unsicherheit geprägt ist, höchst aktuell und relevant. 

Beim Thema Unsicherheit und Risikomanagement kommt mir immer das Buch „Against the Gods: The Remarkable Story of Risk” von Peter L. Bernstein in den Sinn. Er stellt die These auf, dass die Erfindung der Wahrscheinlichkeitsrechnung den Einstieg in die Moderne markiert. Er sieht die Wahrscheinlichkeitsrechnung als einen Wendepunkt, weil sie den Menschen die Werkzeuge gab, die Zukunft nicht mehr nur als von Zufall oder göttlicher Vorsehung bestimmt zu betrachten, sondern als etwas, das durch menschliches Handeln beeinflusst werden kann.

Allerdings ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung im aktuellen Umfeld insofern weniger anwendbar, als die Unsicherheit über Eintrittswahrscheinlichkeiten unterschiedlicher Ereignisse hinausgeht. Es besteht fundamentale Unsicherheit darüber, welche Ereignisse für die Zukunftsbetrachtung überhaupt relevant sind.

Unabhängig vom aktuellen Umfeld gibt es beim Risikocontrolling einer Zentralbank Unterschiede zu dem in Geschäftsbanken. Entsprechend der Kernaufgaben der Bundesbank befasst sich das Risikocontrolling bei uns schwerpunktmäßig mit den finanziellen Risiken, die mit den geldpolitischen Operationen und der Verwaltung der Währungsreserven sowie weiterer Portfolios verbunden sind. Ein aktives Unternehmenskredit- oder Privatkundengeschäft betreibt die Bundesbank nicht. Aber auch auf unserer Bilanz finden sich die klassischen finanziellen Risiken wie Marktrisiken, Zinsänderungsrisiken und Adressausfallrisiken, die wir mit etablierten Methoden berechnen, um daraus eine angemessene Risikovorsorge abzuleiten und so unsere Bilanz vor Verlusten zu schützen. Vor diesem Hintergrund beziehe ich den Begriff „Risikocontrolling“ deshalb weniger auf eine organisatorische Einheit in Banken, sondern auf die Disziplin des Risikomanagements in einem allgemeineren Sinn, das wir alle betreiben. Ich nähere mich dem Thema: „Risikocontrolling in Zeiten wachsender Unsicherheit“ anhand von drei Hauptfragen:

  1. Leben wir wirklich in Zeiten wachsender Unsicherheit?
  2. Wie wirkt sich die wachsende Unsicherheit auf das Risikomanagement aus?
  3. Mit welchen Instrumenten kann das Risikomanagement mit der wachsenden Unsicherheit umgehen?

2 Leben wir wirklich in Zeiten wachsender Unsicherheit?

Unsicherheit lässt sich in unterschiedlichster Form messen. Hier möchte ich nur kurz zwei Beispiele antippen: Mit Fokus auf Finanzmärkte dienen z. B. Volatilitätskennziffern, um die Unsicherheit von Marktteilnehmern zu beschreiben. Der CBOE (Chicago Board Options Exchange) Volatility Index (kurz VIX genannt) drückt die erwartete Schwankungsbreite des US-amerikanischen Aktienindex S&P 500 aus. Analog dazu existiert für den Aktienmarkt im Euroraum der VSTOXX, der auf dem Aktienindex Euro STOXX 50 beruht.

Eine zweite Form der Messung ist textbasiert. Dazu ein Beispiel: Der „World University Index“ (WUI) misst, wie oft entsprechende Schlüsselwörter zu Unsicherheit in den Länderberichten der „Economist Intelligence Unit“ vorkommt (Research-Bereich der Zeitschrift Economist).[1]

Beide Arten von Unsicherheitsmaßen zeigen starke Ausschläge, die auf unterschiedliche Krisen und Ereignisse zurückgehen. Besonders ausgeprägt war die gemessene Unsicherheit beim Beginn der Corona-Pandemie und sie ist es (unterschiedlich ausgeprägt) auch am aktuellen Rand. Gerade mit Blick auf die marktbasierten Unsicherheitsmaße haben wir auch in früheren Perioden Cluster hoher Unsicherheit beobachtet.

Allerdings hat sich neben den quantitativ messbaren Veränderungen auch die Natur der Unsicherheit verändert. So verlieren Institutionen, die der internationalen Politikgestaltung und Konfliktlösung dienten, mehr und mehr an Bedeutung. Die Veränderung führt zu fundamentaler Unsicherheit über zukünftige Ereignisse und darüber, wie zukünftige, internationale Schocks gehandhabt werden können. 

Insofern würde ich die Frage nach gestiegener Unsicherheit zusammenfassend bejahen. Vor allem aber hat sich die Natur von Unsicherheit verändert: Wir haben es jetzt mit fundamentaler Unsicherheit zu tun.

3 Wie wirkt sich die wachsende Unsicherheit auf das Risikomanagement aus?

Mit der zweiten Frage möchte ich anhand von drei Beispielen, nämlich der Zollpolitik, den Finanzflüssen und Klimarisiken zeigen, was es für das Risikomanagement bedeutet, wenn eine solche fundamentale Unsicherheit hinzukommt.

In der derzeitigen Lage lesen wir immerhin recht ungewohnte Schlagzeilen. Statt „German Angst“ titelt die Süddeutsche Zeitung jetzt „American Angst“.[2] Und die dreht sich um Halloween. Aber nicht um das Gruseln, sondern um die Frage, ob es Halloween in gewohnter Form überhaupt geben wird. Der Artikel handelt von einem amerikanischen Unternehmer, der Halloween-Kostüme vertreibt, aber vor einem Dilemma steht: Er muss jetzt in China bestellen, weiß aber nicht, welche Einfuhrzölle ihn erwarten, wenn die Ware in den USA ankommt. Das Risiko, ob die Waren überhaupt ankommen, noch zu einem akzeptablen Preis verkäuflich sind oder abgeschrieben werden müssen, ist praktisch nicht kalkulierbar. Und damit auch nicht, ob es ein Halloween wie gewohnt geben wird.

Diese konkrete Anekdote bringt mich zu meinem ersten Beispiel, der Zollpolitik. Bundesbankpräsident Joachim Nagel sagte Anfang April dazu, dass die Entscheidungen der US-Administration zur Erhebung von Zöllen die globale ökonomische Stabilität gefährden. An den Börsen führte die Verunsicherung zu starken Schwankungen und zeitweise zu herben Verlusten. Dabei schaden hohe Importzölle hauptsächlich den US-Verbrauchern, wie die Forschung zu den Zöllen der ersten Trump-Administration gezeigt hat.[3] Die Kosten für eine durchschnittliche Familie damals wurden auf etwa 830 USD pro Jahr geschätzt.

Forschung aus der Bundesbank illustriert, dass Ankündigungsschocks der US-Handelspolitik unter der ersten Trump-Administration zu Rückgängen bei Produktion und Investitionen der wichtigsten Handelspartner führten. [4] Es ist anzunehmen, dass dies auch diesmal der Fall sein wird. Darüber hinaus zeigt eine neue Studie der Bundesbank, dass steigende geopolitische Risiken in den Handelspartnerländern die Importe von Waren dämpfen, sie teurer machen und die Lieferketten beeinträchtigen. Zudem dürften sie eine Fragmentierung des globalen Handels begünstigen.[5] 

Da die Vereinigten Staaten Europas wichtigster Handelspartner sind – 17 % der EU-Exporte gehen dorthin – werden sinkende Exporte die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen und die wirtschaftlichen Aussichten trüben. Der IWF hat deshalb seine Wachstumsprognosen für die Weltwirtschaft im April deutlich nach unten korrigiert: Im Vergleich zum Januar 2025 um 0,5 Prozentpunkte in diesem Jahr und um 0,3 Prozentpunkte im nächsten Jahr. Für die Vereinigten Staaten sogar um 0,9 Prozentpunkte bzw. 0,4 Prozentpunkte.

Lassen Sie mich zu meinem zweiten Beispiel kommen, der Veränderung von Finanzflüssen.

Im Vergleich zum Handel sind die Hinweise darauf, dass Finanzströme entlang geopolitischer Linien fragmentierter werden, derzeit weniger ausgeprägt. Aber auch hier könnten sich vor dem Hintergrund der gestiegenen Unsicherheit auf den Finanzmärkten weitreichende Konsequenzen ergeben. Insbesondere zeigen aktuelle Forschungsergebnisse der Bundesbank, dass geopolitische Schocks wie die Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 oder der Hamas-Angriff im Oktober 2023 die Kreditvergabe verringern, die Risikoaversion erhöhen, die Kreditspreads ausweiten und die Volatilität und die Zinssätze steigen lassen.[6] 

Nach den jüngsten Marktentwicklungen rund um den „Liberation Day“ (2. April) wurde die Annahme, dass der US-Dollar als Safe-Haven-Währung und US-Staatsanleihen als Kriseninstrumente dienen, von den Märkten infrage gestellt. Anders als in früheren Krisen stiegen die Renditen langlaufender US-Anleihen trotz eines Aktienverkaufs, und der US-Dollar wertete zunächst ab. Die Financial Times fragte, ob das Vertrauen in den US-Dollar schwindet. 

War das eine Ausnahme oder ein Hinweis auf neue Regeln? Diese Frage ist zentral für das Risikomanagement, denn stabile, risikoarme Anlagen sind zentral für funktionierende Märkte. Bundesbankpräsident Joachim Nagel betonte in einem Interview mit Bloomberg, wie wichtig ein starker Markt für US-Staatsanleihen ist – sowohl für das globale Finanzsystem als auch für die Bundesbank. Auch unsere Währungsreserven bestehen neben Goldreserven zu einem großen Teil aus US-Dollar-Anlagen, die gerade in Krisenzeiten verlässlich sein müssen. 

Bisher war das der Fall, doch die Unsicherheit nimmt zu. Eine bewährte Strategie im Risikomanagement ist Diversifikation. Die Bundesbank hat daher 2022 das britische Pfund in ihr Portfolio aufgenommen und den Anteil des US-Dollars leicht reduziert, der mit 83 % aber weiterhin dominiert. 

Weltweit suchen Zentralbanken angesichts geopolitischer Unsicherheiten nach einem neuen Gleichgewicht. Daten des IWF zeigen, dass der Anteil des US-Dollars an den globalen Devisenreserven weiter sinkt. Ob sich dieser Trend fortsetzt, bleibt offen. Zweifel an der Unabhängigkeit von Zentralbanken wie der Fed könnten diese Entwicklung beschleunigen, doch der Markt hat in der Vergangenheit gezeigt, dass er hier auch korrigierend eingreifen kann. 

Kürzlich war ich bei einer Forschungskonferenz des Europäischen Think Tanks Bruegel auf einem Panel mit Hélène Rey, die einen spannenden Ansatz vorstellte, über die aktuelle Situation konzeptionell nachzudenken.[7] Hélène zog die Parallele zu den 1930er Jahren, als das Vereinigte Königreich seine wirtschaftliche Führungsrolle verlor, die Vereinigten Staaten jedoch noch nicht bereit waren, diese zu übernehmen – ein Phänomen, das als "Kindleberger-Falle"[8] bekannt ist. Heute gibt es Anzeichen für ein abnehmendes Interesse der Vereinigten Staaten, das globale öffentliche Gut des dollarbasierten Finanzsystems bereitzustellen. Gleichzeitig bestehen Zweifel, ob die EU bereits in der Lage wäre, die Vereinigten Staaten diesbezüglich zu ersetzen. Wenn Europa seine finanzielle und politische Souveränität stärkt, beispielsweise durch die Schaffung eines einheitlichen Kapitalmarktes oder eines digitalen Euro, könnte der Euro als internationale Anlagewährung jedoch attraktiver werden.

Mein letztes Beispiel für die Auswirkungen erhöhter Unsicherheit ist der Umgang mit klimabezogenen finanziellen Risiken.

Der Slogan „Drill baby, drill“ steht für die Rückkehr der USA zur Förderung fossiler Energien und die Abkehr von Klimaschutzmaßnahmen. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich dieser „climate backlash“ auf Europa auswirkt. Zwar gibt es hier gesetzlich verankerte Klimaziele, doch der Kurswechsel der USA – als zweitgrößter Treibhausgasemittent – könnte global die Klimaziele gefährden und auch in anderen Ländern klimaschutzkritische Kräfte stärken, die auf Wettbewerbsnachteile verweisen. 

Diese Entwicklung erschwert die Modellierung klimabezogener Risiken. Bisher lag der Fokus auf „transitorischen Risiken“, also den Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen wie CO₂-Steuern auf Geschäftsmodelle und Kreditportfolios. Wenn jedoch Klimaschutzmaßnahmen verzögert oder zurückgenommen werden, müssen auch Szenarien mit stärkeren physischen Klimarisiken berücksichtigt werden. Zudem könnten abrupte Maßnahmen künftiger US-Regierungen, um verlorene Zeit aufzuholen, zu höheren Kosten führen. 

Der Bundesbank eigene „ESG Sentiment Score“ spiegelt auch den in jüngster Zeit stattfindenden Anstieg der Skepsis gegenüber dem Thema Nachhaltigkeit an den Finanzmärkten wider. Der Score fasst verschiedene ESG-Kennzahlen aus dem Finanzbereich zusammen und gibt einen Überblick über die „ESG-Stimmung“ an den Finanzmärkten. 

Sie sehen, die Unsicherheit betrifft nahezu alle Bereiche wirtschaftlichen Handelns. Die Bandbreite möglicher Ereignisse hat sich deutlich erweitert, was Risikomanagement noch herausfordernder macht

Aber welche Instrumente stehen uns zur Verfügung, um damit umzugehen? Damit komme ich zur dritten Frage.

4 Mit welchen Instrumenten kann das Risikomanagement mit der wachsenden Unsicherheit umgehen?

Haben Sie in Ihrer Bank, Ihrem Unternehmen schon einmal über die Einrichtung eines Chief Geopolitical Officer (CGO) nachgedacht? 

Das ist einer der Ratschläge, die heute erhältlich sind, um mit den aktuellen Herausforderungen umzugehen.[9]Ich bin jedoch skeptisch, ob neue Situationen immer neue Konzepte erfordern. Gut aufgestellte Risikomanagementsysteme verfügen bereits über die Werkzeuge und Expertise, um auch mit disruptiven Zeiten umzugehen. Ein häufig geäußerter Einwand ist, dass wachsende Unsicherheiten mit typischen Risikomodellen nicht mehr bewältigt werden können, da historische Daten aufgrund von Regimewechseln die Zukunft nicht mehr abbilden.

Hierzu ist es hilfreich, sich die verschiedenen Risikotypen vor Augen zu rufen, um dann zu überlegen, wie man mit ihnen umgehen kann. 

Erstens gibt es die quantifizierbaren Risiken. Diese sind messbar und können durch statistische Modelle und historische Daten analysiert werden. Hier maximieren wir die Bereiche, in denen wir Kontrolle über das Ergebnis haben, während wir die Bereiche minimieren, in denen wir keine Kontrolle haben, wie Peter L. Bernstein treffend formulierte.

Zweitens gibt es die nicht-quantifizierbaren, aber bekannten Risiken. Hier bewegen wir uns im Bereich der Knight'schen Unsicherheit[10] mit unbekannten Eintrittswahrscheinlichkeiten. Diese Risiken sind uns bekannt, aber ihre Auswirkungen sind schwer vorhersehbar. Hier ist es entscheidend, wachsam zu bleiben und flexibel zu reagieren. Wie Douglas Adams humorvoll bemerkte: We demand rigidly defined areas of doubt and uncertainty![11] Diese Haltung hilft uns, die Unsicherheiten zu akzeptieren und uns darauf vorzubereiten. 

Und schließlich gibt es die völlig unbekannten Risiken, die Unknowables. Diese sind die größten Herausforderungen, da sie uns überraschen und unvorbereitet treffen können. In solchen Situationen ist es wichtig, ein robustes und anpassungsfähiges Risikomanagementsystem zu haben, das uns hilft, schnell und effektiv zu reagieren. Denn wie Gary Cohn sagte: If you don't invest in risk management, it doesn't matter what business you're in, it's a risky business.[12]

Mit dieser Komplexität mussten Risikomanager schon immer umgehen. Risikomanagement ist eben nicht nur eine mathematisch-statistisch geprägte Disziplin, sondern letztlich eine Kunst, die uns hilft, inmitten von Unsicherheit und Wandel zu navigieren. 

So sehen wir auf der einen Seite keinen Grund, warum unsere vorhandenen Risikomodelle nicht weiterhin eingesetzt werden sollten. Was z. B. die Marktpreisrisiken betrifft, sind die Modelle mit Daten aus der Vergangenheit kalibriert, die auch Perioden mit sehr hoher Volatilität abdecken. Brauchbare Aussagen zu Verlusten für bestehende Portfolios bei seltenen Ereignissen sind also weiter möglich. Ähnliches gilt für die Quantifizierung von Ausfallrisiken, bei deren Analyse z. B. die geographische Lokation eines Schuldners auch jetzt schon mit einfließt. Die Bewertung könnte vor dem Hintergrund geopolitische Entwicklungen zukünftig allerdings anders ausfallen.

Auf der anderen Seite setzen wir dort, wo die Anwendung statistischer Modelle an ihre Grenzen stößt, qualitative Ansätze ein. Das betrifft vor allem die Risikobewertung in der längeren Frist, gerade auch wenn diese in strategische Anlageentscheidungen einfließt. Hier wird dann mit Szenarien und darauf aufbauenden Stresstests gearbeitet. Die Beschreibung plausibler und/oder besonders ungünstiger Entwicklungspfade tritt dabei an die Stelle wahrscheinlichkeitsbasierter Kennzahlen. Durch die Fülle der dabei zu treffenden Annahmen sind hier prinzipiell unendlich viele Varianten möglich. Eine praktikable Auswahl mit wenigen Szenarien zu finden, die den Möglichkeitenraum breit abdecken, ist hier mehr Kunst als Wissenschaft.

Generell ist von Wunschdenken abzuraten. Denn das führt zur selektiven Wahrnehmung und Fehleinschätzung der Situation. Gerade an den Börsen ist immer wieder zu beobachten, wie nach einem Schockereignis recht kleine Bröckchen Hoffnung gebender Informationen ausreichen um wieder eine „Wohlfühlstimmung“ erzeugen. So waren bereits Mitte Mai die vom „Liberation Day“ ausgelösten Kursverluste wieder aufgeholt.

Abschließend ist mir noch ein Punkt für das übergreifende Risikomanagement wichtig. Die aktuellen Disruptionen betreffen nahezu alle Bereiche eines Unternehmens, einer Bank oder Zentralbank. In der Bundesbank reichen sie von bilanziellen Risiken über Auswirkungen auf Finanzstabilität, Geldpolitik und Zahlungsverkehr bis hin zu Cybersicherheit und Abhängigkeiten bei IT-Anwendungen. Jeder Bereich hat dabei eigene Perspektiven auf Risiken und deren Auswirkungen. Unser Ziel ist es, diese Perspektiven geordnet zusammenzuführen, um Abhängigkeiten und Überschneidungen zu erkennen und ein umfassendes Lagebild zu liefern.

Mein abschließendes Fazit: 

Es gibt keine magische Silberkugel (silver bullet), keine einfache Lösung des Problems der wachsenden Unsicherheit, und wir brauchen diese Silberkugel auch gar nicht.

Abhängigkeiten zu reduzieren und mehr Souveränität zu erreichen, ist ein langfristiger Prozess, der beharrlich verfolgt werden muss. Man kann nicht so einfach aus einer Weltwährung aussteigen oder mal eben auf einen „sicheren“ heimischen IT-Anbieter umsteigen. Abhängigkeiten zu reduzieren und mehr Souveränität zu erreichen, geht nicht von heute auf morgen, es ist jedoch notwendig, entsprechende Optionen der Entkoppelung zu erschließen und umzusetzen.

Risikomanager haben in der Regel einen gut ausgestatteten Werkzeugkasten, einschließlich Szenarioanalysen. Sie können ihre Expertise selbstbewusst in Entscheidungsprozesse einbringen. Gutes Risikomanagement bedeutet, die Stärken und Grenzen von Modellen zu kennen. 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen viel Erfolg bei der Bewältigung der Herausforderungen, die vor uns liegen.

Fußnoten:

  1. https://worlduncertaintyindex.com/
  2. Nezik, Werner (2025), https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/wirtschaft/us-wirtschaft-unsicherheit-handelskrise-zoelle-e174044/?reduced=true
  3. “Amiti, M., St. J. Redding, and D. E. Weinstein (2019), The Impact of the 2018 Tariffs on Prices and Welfare.
  4. Norbert Metiu (2021), Anticipation effects of protectionist U.S. trade policies.
  5. Khalil, M., D. Osten and F. Strobel (2025), Trade dynamics under geopolitical risk, Discussion paper 03/2025. See also Bundesbank (2025), Geopolitical risks are weighing on euro area and US foreign trade, Research Brief 74th edition March 2025.
  6. Metiu, N. (2025), Global financial transmission of geopolitical risk shocks, mimeo.
  7. Link zur Aufzeichnung des Panels: https://www.youtube.com/watch?v=03oUUKhCNC8
  8. Nye (2017).
  9. Dane Alivarius (2025), Business in the geoeconomics era, Harvard Business School, Business in the geoeconomics era | Institute for Business in Global Society
  10.  Knight (1921), Risk, Uncertainty, and Profit.
  11. Adams (1979), The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy.
  12. Gary Cohn zugeschrieben