Weniger Regulierung bei mehr Unsicherheit? Globale Debatten, lokale Banken Keynote beim 23. Retail-Bankentag der Börsen-Zeitung 2025

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich freue mich, heute bei Ihnen beim 23. Retail-Bankentag zu sein. 

Dass die Börsen-Zeitung ein wichtiger Grundpfeiler der hochwertigen Finanzberichterstattung in Deutschland ist – und als solche gar nicht wegzudenken –, das brauche ich eigentlich gar nicht zu betonen.

Durch Zufall bin ich in meiner Vorbereitung auf ein Zitat gestoßen, das mindestens einer Person im Saal bekannt sein sollte: Die Wirklichkeit ist spektakulär genug – wir müssen sie nur berichten, nicht anschärfen.

Das Zitat stammt ausnahmsweise nicht von Platon, sondern von Ihnen, lieber Herr Fechtner.

Heute werde ich versuchen, genau so, also differenziert und ohne Anschärfung, mit Ihnen über das Thema Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratie zu sprechen.

Wenn über die Transformation der deutschen Wirtschaft gesprochen wird, wird oft überbordende Bürokratie als Hemmschuh identifiziert.

Die Aktivitäten der Trump-Administration haben die Debatte um Bürokratieabbau zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit noch befeuert.

Auch in der Bankenregulierung ist die Diskussion längst angekommen. 

Vor diesem Hintergrund werde ich heute zum einen rekapitulieren, wie sehr die regulatorischen Reformen im Gefolge der Finanzkrise 2008 die Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors gestärkt haben. Zum anderen werde ich ausloten, welche Möglichkeiten bestehen, die Bankenregulierung zu vereinfachen und den Erfüllungsaufwand zu reduzieren. 
 

2 Wettbewerbsfähigkeit trotz oder durch Bankenregulierung?

Wir alle wissen, dass der Bankensektor ein stark regulierter Sektor ist. 

Vielfach wird kritisiert, dass der bürokratische Aufwand zu hoch sei und die wirtschaftliche Aktivität hemme. 

Mir ist wichtig, dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Regeln und deren faire Überwachung sind unabdingbar, um komplexe, arbeitsteilige Gesellschaften zu ordnen – nach archäologischem Wissen ist dies mindestens seit ca. 7000 Jahren ein Erfolgsgarant. 

Die Bankenregulierung ist noch keine 7000 Jahre alt, aber die Empirie spricht trotzdem Bände: Unzureichende globale Regulierung und eine nachsichtige Aufsicht trugen mit zur Finanzkrise von 2008 bei. 

Im Gegensatz dazu haben die bereits umgesetzten Basel III-Regeln die Finanzstabilität gestärkt.[1] 

Dank dieser Regeln hat das europäische Finanzsystem die Turbulenzen der Corona-Pandemie und die Bankenturbulenzen, die durch die Ausfälle der Silicon Valley Bank, der Credit Suisse und anderer Institute  ausgelöst wurden, ohne größere Schäden überstanden.

Gleichzeitig belegen empirische Studien, dass die Basel III-Reformen keinen signifikant negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum oder die Kreditvergabe hatten. Wenn wir die positiven Effekte der Regulierung wie reduzierte Volatilität berücksichtigen, sind die Nettoeffekte auf das BIP positiv.[2]

Darüber hinaus zeigt unabhängige Forschung, dass Banken mit höheren Kapitalniveaus tendenziell widerstandsfähiger sind; sie gewährleisten die Kreditversorgung der Realwirtschaft zuverlässiger, insbesondere in Krisenzeiten.[3]

Zusammengenommen heißt das: Bankenregulierung und Aufsicht bedeuten naturgemäß Kosten für die Institute; doch ihr Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft übersteigt die Kosten.

Deshalb bleiben wir als Bundesbank auf solide Regulierung und Aufsicht fokussiert. 

Hinzu kommt: Wenn andere Rechtsordnungen die Sicherheitsstandards senken, würden überschwappende Turbulenzen aus dem Ausland wahrscheinlicher werden – hierdurch würde solide EU-Regulierung nicht weniger, sondern im Gegenteil noch nützlicher werden.

Doch eine differenzierte Einschätzung führt auch dazu, dass wir uns selbstkritisch mit Regeln und Verfahren auseinandersetzen wollen; und dazu komme ich nun.

3 Wege zur Vereinfachung

Die Bundesbank sieht an mehreren Stellen Ansatzpunkte zur Vereinfachung von Regulierung und damit einer Verbesserung der Nutzen-Kosten-Relation.

3.1 Kapitalanforderungen und Komplexität

Beginnen wir mit den Mindestanforderungen an Kapital und Liquidität sowie dem Problem steigender Komplexität.

Nachdem die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat, wie schwach Institute, die auf dem Papier komfortabel kapitalisiert waren, tatsächlich auf der Brust waren, wurden striktere Anforderungen eingeführt und Schlupflöcher geschlossen. 

Das Ergebnis ist ein vielschichtiges, überlappendes Rahmenwerk, das mittlerweile komplizierter als nötig ist. 

Wir setzen uns daher innerhalb der EU und des ESZB dafür ein, das derzeitige Kapitalrahmenwerk zu vereinfachen. Ich hoffe, dass wir mit unseren europäischen Partnern dabei Erfolg haben werden. 

Zu sagen, wohin dies genau führt, wäre aber verfrüht.

Klar ist allerdings schon die Grenze: Eine Senkung der Mindestanforderungen würde der Wirtschaft durch mehr Unsicherheit und Instabilität schaden und kommt daher nicht in Frage. „Strikt, aber simpler“ ist das Gebot.

3.2 Basel III-Finalisierung und die Überarbeitung des Handelsbuches

Schauen wir auf die Umsetzung der Finalisierung von Basel III. Von der vollständigen Umsetzung wollen und werden wir nicht abweichen – denn es handelt sich um einen umsichtig austarierten Kompromiss. Wohin nachgiebige Ausnahmen führen, konnte man in den USA während der Bankenturbulenzen im Frühjahr 2023 sehen.

Allerdings sollten wir im Bereich des Fundamental Review of the Trading Book, kurz FRTB, prüfen, ob leichte Anpassungen sinnvoll sind. 

Es wird bereits eine wesentliche Entlastung dadurch eintreten, dass der Parallelbetrieb von Basel II.5-Ansätzen und den neuen Meldeverpflichtungen beendet wird.

Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission in ihrer aktuellen Konsultation eine Reihe von vereinfachenden Maßnahmen vor, um den Übergangsprozess zu erleichtern. Durch solche gezielten, temporären Anpassungen am FRTB können die Ansätze in den Instituten vereinfacht werden; die Implementierungs- und Betriebskosten könnten signifikant gesenkt werden. 

Die EU-Kommission könnte zu einem späteren Zeitpunkt auch einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, der die temporären Maßnahmen fortsetzt oder auch anpasst und erweitert.

Davon unabhängig besteht im SSM Konsens, dass wir die Genehmigungsprozesse bei der Handelsbuchabgrenzung und der aufsichtlichen Überprüfung der Implementierungsqualität des Standardansatzes möglichst effizient gestalten. 

Und für kleinere Institute (LSIs) wollen wir die Implementierungs- und Betriebskosten möglichst gering halten – deshalb planen wir, die SSM-Prozesse proportional anzupassen.

3.3 Prinzipienbasierte Regulierung und Aufsicht

Ich möchte von der Regulierung zur Aufsicht schauen – bzw. der Frage nachgehen, wie wir von den Regeln zu den Verfahren kommen. 

Wir als Bundesbank könnten uns eine stärker prinzipienbasierte Regulierung vorstellen. Und so arbeiten wir mit den anderen Mitgliedsstaaten bereits an der Vereinfachung diverser EBA-Richtlinien; wir plädieren auch dafür, CRR und CRD künftig stärker prinzipien- statt regelbasiert zu gestalten.

Davon unabhängig wird die deutsche Aufsicht künftig versuchen, sicherzustellen, dass die Praxis noch stärker prinzipienbasiert und risikoorientiert gelebt wird – sowohl im aufsichtlichen Überprüfungsprozess SREP als auch im nationalen Prozess.

Ein weiteres wichtiges Projekt auf unserer nationalen Agenda ist deshalb die Überprüfung der MaRisk, die wir gemeinsam mit der BaFin angestoßen haben. 

Die Stärke der MaRisk liegt in ihrem prinzipienbasierten Ansatz. Über die vergangenen Jahre ist das Regelwerk allerdings stark gewachsen. 

Ziel der Überprüfung ist eine Vereinfachung sowie eine noch stärkere Proportionalität und Risikoorientierung. 

Wir sehen großes Potenzial und wollen hier viel erreichen. Aber der Prozess steht erst am Anfang.

3.4 Stresstests

Weiter sind wir bereits im Bereich der aufsichtlichen Stresstests. In den EBA- und SSM-Stresstests werden derzeit Top-Down Modelle eingeführt – 2023 ein Top-Down-Modell für das Net Fee and Commission Income; 2025 wurden weitere Top-Down Elemente im Bereich Net Interest Income hinzugefügt. Dies wird eine wesentliche Ressourcenersparnis bringen. 

Auch für die LSIs haben wir die Proportionalität fest im Blick. Bundesbank und BaFin verwenden bereits seit 2019 diverse Top-Down-Lösungen (bspw. im Kreditrisiko und den sonstigen GuV-Positionen). 

Zudem soll die sogenannte „Befreiungslösung“ für sehr kleine Institute ohne Berücksichtigung des relativen Risikobetrags als Wahlmöglichkeit geöffnet werden. Hierbei sollen zentrale Risikokategorien mit konservativen Haircuts versehen werden, wodurch Institute geringen Aufwand mit der Befüllung haben werden. Weitere Erleichterungen sind in der Qualitätssicherung und dem Umfang des Umfrageteils geplant.

3.5 „Moonshot“ Proportionalität?

Es gibt also einige Ansatzpunkte, über die wir die Regeln und deren Einhaltung erleichtern können – ohne den Nutzen für die Finanzstabilität entscheidend zu schwächen.

Darüber hinaus arbeiten wir an weiteren Reformen, zum Beispiel im Bereich des Reportings. Hierzu habe ich vergangene Woche beim jährlichen Bundesbank-Symposium gesprochen. Heute möchte ich auf ein weiteres Thema schauen: Proportionalität.

Denn von den erwähnten Reformansätzen profitieren vor allem kleinere Institute. Aber dennoch – das ist mir bewusst –, wünscht sich mancher mehr; vielleicht sogar ein ganz eigenes Regime für kleinere Institute.

Zum Abschluss meiner Rede möchte ich auf die Frage schauen, ob die EU hier noch mehr machen könnte und sollte.

Bereits vor fast zehn Jahren war die Bundesbank eine der prominentesten Unterstützerinnen einer „small banking box“ – eines eigenen Regelwerks für kleine Institute.

Die Skepsis in der EU war groß, und so konnte sich dieser Vorschlag damals nicht durchsetzen. Aber die Diskussion mündete immerhin in der Einführung des SNCI-Kriteriums („small and non-complex institutions“). Davon sind die kleinen, nicht komplexen Institute mit einer Bilanzsumme von weniger als 5 Mrd Euro erfasst.

Als Folge gelten einige Erleichterungen, vor allem diverse Meldeerleichterungen.

In Deutschland wären wir für mehr bereit gewesen. Und so verwundert nicht, dass einige auf andere Staaten schauen, in denen weitergehende Erleichterungen eingeführt wurden – vor allem die Schweiz, das Vereinigten Königreich und die USA.

In allen drei Staaten gibt es Erleichterungen für Institute mit kleinen Bilanzsummen, die zusätzlich nicht komplex sind und keine riskanten Profile haben. 

Erfüllen die Institute diese Anforderungen, gibt es Erleichterungen, die über die in der EU gewährten hinausgehen. 

Im Vereinigten Königreich hat die Aufsichtsbehörde PRA zuletzt ihr „Strong and Simple Framework[4] vorgestellt.[5] Die PRA hat die Schwelle bei 20 Mrd. Pfund gesetzt; zusätzlich gelten weitere qualitative Kriterien für wenig komplexe Banken.

Der neue Rahmen wird teilweise bereits angewendet, so etwa beim Berichtswesen. Andere Elemente werden noch entwickelt. Ein Vorschlag betrifft Vereinfachungen für Kapitalanforderungen:

  • Die Risikogewichte werden anhand vereinfachter Basel-Regeln berechnet.

  • Die Säule 2 soll radikal vereinfacht werden.

  • Künftig soll es einen einzigen, konstanteren und vorhersehbaren Eigenkapitalpuffer geben.

Im Ergebnis werden die Anforderungen also deutlich einfacher, damit aber auch weniger risikosensitiv und weniger individuell ausgestaltet. Insgesamt hat die PRA betont, die Stabilität und Sicherheit des Bankensystems auf demselben Niveau zu halten. Von Kapitalerleichterungen ist demnach insgesamt nicht auszugehen.

Das Prinzip „Strikt, aber simpler“ gilt auch in der Schweiz, die ebenfalls ein Rahmenwerk für ihre kleinen Banken geschaffen hat. Es gilt für Banken mit einer Bilanzsumme unter 15 Mrd. Schweizer Franken. Verlangt wird die Einhaltung einer Leverage Ratio von mindestens 8 Prozent statt 3 Prozent. Dafür werden einige Erleichterungen eingeräumt:

  • Die Anforderungen an Qualität und Quantität der Eigenmittel werden unkomplizierter;

  • Risikogewichte und Pufferanforderungen werden nicht ermittelt;

  • die langfristige Refinanzierungsquote NSFR (Net Stable Funding Ratio) fällt weg.

  • Darüber hinaus gibt es einige qualitative Erleichterungen, z. B. bei Offenlegung, Outsourcing und Risikokontrolle.

Auch in den USA versprach man sich von der Nicht-Anwendung der Basel-Regeln bei kleineren und mittelgroßen Instituten eine Vereinfachung. Die Krise der Silicon Valley Bank hat die Robustheit dieses Ansatzes in Zweifel gezogen.

Was ziehen wir aus dem Blick in andere Jurisdiktionen? In der EU und in Deutschland können wir die Frage nach einem eigenen Regulierungsansatz für kleinere Institute zunächst auf die grundsätzliche Frage konzentrieren: Wollen wir einfachere, dafür aber robustere Anforderungen?

Ich möchte deshalb hier kein abschließendes Urteil fällen, sondern Fragen stellen, die uns in dieser Diskussion leiten könnten.

  • Wären Institute bereit, für einfachere Regeln höhere Kapital- und Liquiditätsquoten zu akzeptieren?

  • Wie stehen die Institute zu weniger detaillierten, dafür aber konservativeren Schätzmethoden?

  • Die Banken tragen selbst die Verantwortung für ihre Risiken. Dieser Verantwortung sind leider nicht immer alle im selben Ausmaß gerecht geworden. Wie können wir also mit einfachen Regeln sicherstellen, dass alle Banken über ein angemessenes Risikomanagement verfügen, ohne dass wir als Aufsicht bis ins kleinste Detail ausbuchstabieren, was das genau heißt?

  • Könnte man sich als Bank freiwillig für die Teilnahme an einem Kleinbankenregime entscheiden oder wäre dies verbindlich?

  • Wo würde man die quantitative Schwelle ziehen und was wären andere mögliche qualitative Schwellen?

Dies sind nur Beispiele für Fragen, die sich stellen, wenn wir über eine systemische Reform der Regulierung kleinerer Institute nachdenken. Ich bin gespannt auf Ihre Sichtweisen. Und damit komme ich zum Schluss.

4 Schluss

Meine Damen und Herren,

wir erleben derzeit eine Transformation unserer Wirtschaft und zugleich der internationalen Ordnung. 

Deshalb stellt sich auch die Frage, wie wir unsere wirtschaftspolitische Ordnung weiterentwickeln.

Dazu gehört auch die Bankenregulierung. Aber: Auch dieses Mal ist nicht alles anders, um die Ökonomen Reinhart und Rogoff zu zitieren. Wie sie in ihrem Werk eindrucksvoll belegen, endet der Glaube, dieses Mal brauche es keine strikte Bankenregulierung, über kurz oder lang unweigerlich im Crash. Und wir alle haben die jüngste große Finanzkrise selbst noch erlebt. Die Geschichte würde auf uns mit wenig Nachsicht blicken, erlägen wir einer solchen Versuchung aufs Neue.

Unsere Linie ist deshalb unmissverständlich: Reduzierung des Erfüllungsaufwands ja; Absenkung oder Aufweichung von Mindeststandards nein.

Nach diesem Prinzip arbeiten wir an diversen Vereinfachungen – eine Auswahl habe ich Ihnen heute vorgestellt. 

Vor allem die kleineren Institute profitieren hiervon und werden künftig noch mehr profitieren.

Wie weit die Vereinfachungen dabei gehen können, hängt besonders davon ab, ob man die nötigen robusteren Anforderungen als geringere Belastung einschätzt.

Zu diesen Themen müssen Institute und Aufsicht konstruktiv miteinander im Gespräch sein, weshalb Veranstaltungen wie die heutige so wichtig sind.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

  1.  Evaluation of the impact and efficacy of the Basel III reforms.
  2.  Assessing the impact of Basel III: Evidence from macroeconomic models: literature review and simulations
  3. Admati, A. R., DeMarzo, P. M., Hellwig, M., & Pfleiderer, P. (2010). Fallacies, irrelevant facts, and myths in the discussion of capital regulation: Why bank equity is not expensive (No. 2010, 42). Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods; Admati, A., & Hellwig, M. (2014). The bankers' new clothes: What's wrong with banking and what to do about it. Princeton University Press.
  4. Strong and Simple Framework: The simplified capital regime for Small Domestic Deposit Takers (SDDTs)“.
  5. https://www.bankofengland.co.uk/prudential-regulation/strong-and-simple