Die EU muss den digitalen Euro voranbringen Gastbeitrag im Handelsblatt

Europa braucht den digitalen Euro. Dafür bedarf es einer technischen und regulatorischen Vorbereitung durch das Euro-System, also durch die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken. Außerdem brauchen wir eine gesetzliche Grundlage auf europäischer Ebene.

Das Euro-System hat seine Hausaufgaben erledigt. Der Ball liegt nun beim Gesetzgeber in Brüssel. Wir brauchen ein demokratisches Signal, damit der digitale Euro als gesetzliches Zahlungsmittel neben das Bargeld treten kann. Gerade in der aktuellen geopolitischen Lage muss Europa endlich im digitalen Zahlungsverkehr unabhängiger werden.

Der digitale Euro würde zum ersten Mal ein gemeinsames europäisches Bezahlverfahren schaffen. Wer ihn nutzt, könnte überall im Euro-Raum und in jeder Form digital zahlen, beispielsweise kontaktlos oder online. Der digitale Euro würde den Zahlungsverkehr resilienter machen, da die Bürgerinnen und Bürger mit ihm auch offline bezahlen könnten und höchste Ansprüche an den Datenschutz gälten.

Auch wenn die genaue technische Grundlage für den digitalen Euro noch nicht finalisiert ist, steht eines bereits fest: Im Gegensatz zu einer öffentlichen Blockchain wie beim Bitcoin würde der digitale Euro auf der Infrastruktur des Euro-Systems betrieben. Damit wären eine effiziente Verarbeitung und ein sicherer Umgang mit Daten durch Verschlüsselung und Pseudonymisierung möglich.

Voraussetzung für die Einführung des digitalen Euros ist ein entsprechendes Gesetz. Doch der politische Prozess stockt.

Schon im Juni 2023 hat die Europäische Kommission einen Verordnungsentwurf vorgelegt, der derzeit im Rat der Europäischen Union und hoffentlich bald auch im Europäischen Parlament diskutiert wird. Nationale Regierungen und die Europäische Kommission betonen die Dringlichkeit, den Rechtsrahmen für den digitalen Euro zügig zu verabschieden, damit das Euro-System mit der konkreten Umsetzung beginnen kann. Es ist an der Zeit, beim Gesetzgebungsprozess zum digitalen Euro endlich zu einem Ergebnis zu gelangen, das es den Zentralbanken erlaubt, mit den praktischen Vorbereitungen loszulegen.

Der Aufbau einer eigenen europäischen Infrastruktur im Zahlungsverkehr ist ein wichtiger Beitrag zur europäischen Souveränität. Obwohl der Euro vor 25 Jahren eingeführt wurde, gibt es kein europäisches digitales Bezahlverfahren. Diese Lücke wurde von nicht europäischen, meist amerikanischen Unternehmen gefüllt, was zu einer Abhängigkeit im Zahlungsverkehr geführt hat. In den Vereinigten Staaten treiben diese Unternehmen die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs erfolgreich voran. Es sind Anbieter wie Mastercard, Visa oder Paypal, die den globalen Zahlungsverkehr dominieren und in Europa teils oligopolartige Strukturen aufgebaut haben.

Die Abhängigkeit von ausländischen Unternehmen könnte sich angesichts der rasanten Entwicklung von Stablecoins wiederholen und verstärken. Stablecoins dienen als Brücke zwischen der Kryptowelt und dem traditionellen Finanzsystem. Sie sind keine Währung, sondern werden von privaten Anbietern gegen Sicherheiten ausgegeben. Sie sind hauptsächlich an den US-Dollar gekoppelt und durch US-Staatsanleihen abgesichert. Noch sind sie weit davon entfernt, den Mainstream zu erreichen.

Stablecoins könnten aber insbesondere im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr bei digitalisierten Anwendungen rasch Marktanteile gewinnen. Es droht abermals eine Abhängigkeit von wenigen, nicht europäischen Unternehmen zu entstehen.

Auch die geopolitischen Entwicklungen unterstreichen, wie wichtig eine eigene europäische Infrastruktur im Zahlungsverkehr ist. So hat etwa der Fall des brasilianischen Richters Alexandre de Moraes gezeigt, wie schnell die Vereinigten Staaten harsche Sanktionen verhängen. Unter der Leitung von de Moraes hatte der Oberste Gerichtshof den ehemaligen brasilianischen Staatschef Jair Bolsonaro wegen eines Putschversuchs zu 27 Jahren Haft verurteilt. US-Finanzminister Scott Bessent hat daraufhin sämtliche US-Konten und -Vermögenswerte von de Moraes beschlagnahmt und ihm Geschäfte mit US-Unternehmen und -Bürgern untersagt. Damit ist er praktisch vom Finanzsystem ausgeschlossen.

Ähnliche Szenarien sind im europäischen Zahlungsverkehr vorstellbar, wenn wir auf Systeme von US-Anbietern angewiesen bleiben. Diese können dann darüber entscheiden, ob wir Europäer digital zahlen können oder nicht.

Statt multilateraler Regeln gilt leider zunehmend das Recht des Stärkeren. Deswegen muss der Gesetzgeber in Europa jetzt handeln und den Gesetzgebungsprozess beginnen. Sonst könnten Abhängigkeiten in kritischen Bereichen wie dem Zahlungsverkehr ausgenutzt werden. Und das nicht erst im Konfliktfall.