Europas Kleinbanken brauchen einfachere Regeln Gastbeitrag von Michael Theurer und Mark Branson in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Ein Blick auf die nackten Zahlen zeigt: Die Bankenregulierung ist schwergewichtig. Mehr als 650 Seiten umfasst mittlerweile die europäische Eigenmittelverordnung CRR. Die dazugehörige Verordnung CRD ergänzt das Regelwerk für Banken noch einmal um 165 Seiten. Und das nationale Gesetz zur Umsetzung der letzten Novelle der EU-Bankenregulierung in Deutschland ist 360 Seiten stark. Dagegen sind die MaRisk, die dazugehörigen aufsichtlichen Erwartungen der BaFin, mit 56 Seiten geradezu schlank. Jede Novelle der Regulierung umzusetzen, ist ein Kraftakt. Und es gibt jährlich mehrere davon.

Wenn man bedenkt, dass die kleinste Sparkasse Deutschlands etwa 50 Beschäftigte hat und sich mehrere davon mit Regulierung auseinandersetzen, stellt sich schon die Frage: Ist der Aufwand noch verhältnismäßig? 

Dass Banken robust reguliert und beaufsichtigt werden, ist Basis einer gesunden Volkswirtschaft. Die verheerenden Auswirkungen der großen Finanzkrise von 2008 sind ein gutes Beispiel dafür, wie schwer die Folgen unzureichender Regulierung und Aufsicht wiegen können. Die infolge der Finanzkrise verschärfte Regulierung und Aufsicht in der EU ließen den EU-Bankensektor die jüngsten Turbulenzen gut überstehen. 

Trotz des Erfolgs der aktuellen Regelwerke schlagen Bundesbank und BaFin einen anderen, einen neuen Ansatz für Deutschlands und Europas kleine, regionale Banken vor. Warum? Weil der Erfüllungsaufwand für sie – relativ zu ihrer Größe – deutlich höher ist als der ihrer großen Konkurrenten. Kleinere Banken haben im Verhältnis zu ihrer Bilanzsumme deutlich höhere regulatorische Kosten als große; das Spielfeld ist an dieser Stelle uneben. Was fehlt, ist Proportionalität.

Die Bankenaufsicht arbeitet schon seit langem daran, die Proportionalität in der Regulierung zu erhöhen. Dabei haben wir eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt und gelernt: Es ist möglich, Regulierung für kleinere Banken zu vereinfachen, ohne Sicherheitsstandards zu senken. Doch wir haben einen Punkt erreicht, an dem wir mit einem schrittweisen Ansatz nicht mehr weiterkommen. Es bräuchte vielmehr einen Befreiungsschlag.

Deshalb haben BaFin und Bundesbank einen Vorschlag für ein EU-weites Kleinbankenregime entwickelt, in welches unsere jahrzehntelange Expertise sowie die Erfahrungen aus anderen Ländern wie der Schweiz eingeflossen sind. 

Unser Ziel ist es, die regulatorische Belastung für kleinere und nicht-komplexe Banken mit traditionellen Geschäftsmodellen zu reduzieren, ohne Abstriche bei Kapital- und Liquiditätspuffern zu machen – im Gegenteil. 

Der Kern des Vorschlags ist die Abschaffung der komplexen, risikobasierten Kapitalanforderungen zugunsten der einfacheren Verschuldungsquote (Leverage Ratio). Als alleinige Kapitalanforderung würde sie deutlich über dem Basel-III-Mindestwert von 3 Prozent liegen. Eine hohe Anforderung sorgt dafür, dass trotz Vereinfachung ausreichend Kapital zum Auffangen möglicher Verluste vorhanden ist. Auch die meisten Liquiditätsanforderungen würden bestehen bleiben.

Unter dem Kleinbankenregime müssten diese Banken ihre im Vergleich zu den großen Banken geringeren Ressourcen nicht mehr aufwenden, um für jede einzelne Bilanzposition die entsprechenden Risikogewichte zu identifizieren. Erhebung, Verarbeitung und Pflege von Daten, die für diese Berechnung erforderlich sind, entfielen; umfangreiche regulatorische Berichte würden vereinfacht. Auch Frequenz und Umfang von Melde- und Offenlegungspflichten würden reduziert. 

Der Vorschlag richtet sich an kleine Banken mit einer Bilanzsumme von unter 10 Milliarden Euro, einem klaren Fokus auf das Geschäft im Europäischen Währungsraum und einem einfachen Geschäftsmodell. Die Teilnahme an dem Regime soll freiwillig sein. Etwa 1.000 Banken in Deutschland könnten sich formal qualifizieren, von denen viele bereits heute erheblich mehr Kapital halten als regulatorisch gefordert.

Mit dem neuen Regime hätten Banken mehr Ressourcen für ihr Kerngeschäft. Darüber hinaus könnten wir unsere Aufsicht noch effektiver auf die drängenden Themen wie z. B.IT- und Cyber-Sicherheit konzentrieren. 

Doch würde diese regulatorische Vereinfachung zu einem Preis kommen, der Finanzkrisen wahrscheinlicher macht? Im Gegenteil. Die Zulassungskriterien stellen sicher, dass nur Banken teilnehmen können, deren Insolvenz kein systemisches Problem im Finanzsektor darstellen würde. Und eine solch radikale Vereinfachung kann nur mit stark erhöhten Anforderungen bei der Verschuldungsquote einhergehen. Viele Ökonomen unterstützen einen solcher Ansatz seit langem. 

Auch künftig sind unser Finanzsystem und unsere Realwirtschaft auf beide angewiesen: international aktive Großbanken und regional tätige Kleinbanken. Denn sie übernehmen unterschiedliche Funktionen. Aber: Wenn man Kleinbanken wie Großbanken behandelt, können sie ihre wichtigen Funktionen nicht mehr vollständig wahrnehmen. Deshalb brauchen wir einen Paradigmenwechsel bei der Regulierung von kleinen, regionalen Banken. Entschieden werden kann das aber nur auf europäischer Ebene. Umso wichtiger ist es, dass die deutsche Aufsicht in die aktuelle Debatte aktiv ihre Ideen einbringt.

Michael Theurer ist Bundesbankvorstand für Banken, Finanzaufsicht und Finanzstabilität. Mark Branson ist Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin).