Gefährdet Deutschland seinen Ruf als sicherer Hafen? Gastbeitrag von Michael Theurer im Handelsblatt
Anleihen bonitätsstarker Staaten gelten als sichere Bank. In Stressphasen, Krisen oder bei Marktunsicherheiten bevorzugen Investoren solche sicheren Häfen, um ihr Kapital zu schützen.
Mit Blick auf die Finanzstabilität bereiten uns als Aufseher deshalb hohe staatliche Schuldenquoten Sorgen. Warum? Das hat drei Gründe.
Erstens können Zweifel, ob ein Staat seine Schulden bedient, zu Marktturbulenzen und Staatsschuldenkrisen führen. Dies zeigte sich beispielsweise im September 2022 in Großbritannien, als die damalige Regierung unter Liz Truss nicht-gegenfinanzierte Steuersenkungen ankündigte. Die Finanzmärkte bewerteten daraufhin die fiskalische Tragfähigkeit Großbritanniens neu, es kam zu erheblichen Zinsanstiegen und Kursverlusten bei britischen Staatsanleihen, die britische Premierministerin trat zurück – der sogenannte „Liz-Truss-Moment“. Im Euroraum ist dieses Thema auch deshalb relevant, weil hier die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank verboten ist.
Zweitens schränken hohe Schulden den staatlichen Spielraum ein, um auf wirtschaftliche Schocks reagieren zu können. Auch dadurch kann das Finanzsystem eher unter Stress geraten. Nachhaltige öffentliche Finanzen sind also eine wichtige Voraussetzung für ein stabiles Finanzsystem. In den vergangenen Jahren ist die Schuldenquote in vielen Staaten stark gestiegen – nicht zuletzt in Ländern des Euroraums. Die globale Staatsverschuldung könnte bis Ende des Jahrzehnts den bisherigen Höhepunkt während der Corona-Pandemie übersteigen, erwartet der Internationale Währungsfonds. Mit steigender Staatsverschuldung belasten Zinszahlungen zunehmend den Haushalt. Eine Herausforderung, der sich zunehmend auch die USA gegenübersehen. Die Frage der Schuldentragfähigkeit gewinnt für die Finanzmärkte an Bedeutung.
Auch in Deutschland wird die staatliche Schuldenquote absehbar steigen. Könnte Deutschland dadurch seinen Ruf als sicherer Hafen verlieren? Das steht derzeit nicht zu befürchten. Deutschland genießt weiterhin hohe Bonität und bewegt sich bei der Staatsverschuldung im internationalen Vergleich in ruhigen Gewässern – und das wird absehbar auch bei steigender Schuldenquote so bleiben. Allerdings werden steigende Zinszahlungen den fiskalischen Spielraum künftig erheblich einengen. Es ist wichtig, dass Deutschland die hohen Defizite wieder verlässlich zurückführt. Für die Länder des Euroraums hat Deutschland eine Ankerfunktion.
Drittens sehen wir Aufseher hohe Staatsschulden im Euroraum deshalb mit Sorge, weil Staaten und Banken im Euroraum noch immer eng miteinander verflochten sind. In der Finanz- und Staatsschuldenkrise haben wir gesehen, dass dieser Staaten-Banken-Nexus die Finanzstabilität im Euroraum gefährden kann.
Zweifel an der staatlichen Solvenz haben die Bonität von Banken verschlechtert, während andererseits Schieflagen einzelner Banken zu staatlichen Stützungsmaßnahmen und führten und damit zur Belastung der öffentlichen Haushalte.
Zu den Gründen für den engen Nexus zwischen Banken und Staaten zählt auch, dass Forderungen der Banken gegenüber dem Staat regulatorisch privilegiert sind. Sie gelten per Definition als sicher und müssen nicht mit Eigenkapital unterlegt werden und unterliegen keinen Großkreditgrenzen. In Krisen könnten sich Probleme bei Staaten oder Banken auch heute noch gegenseitig verstärken. Wenn Staaten wegen zu hoher Verschuldung in Schwierigkeiten geraten, wirkt sich das über steigende Staatsanleiherenditen negativ auf die Bilanzen der heimischen Banken aus. Geraten die Banken in Schwierigkeiten, kann dies über die vernetzten Finanzmärkte die Finanzstabilität im gesamten Euroraum beeinträchtigen.
Die Bankenunion zu vollenden, ohne die Risiken aus dem Staaten-Banken-Nexus deutlich zu reduzieren, ist daher nicht überzeugend. Dieses Problem muss entschieden angegangen werden, um die Finanzstabilität im Euroraum langfristig zu sichern. Dafür sollten Banken Anreize erhalten, große, nicht diversifizierte Engagements in Schuldtiteln einzelner Staaten zu vermeiden. Konzentrationslimite können solche Anreize setzen, also eine Obergrenze für Kredite an einen einzelnen Schuldner, ebenso Kapitalzuschläge, also zusätzliche Eigenkapitalanforderungen für die Banken.
Diese könnten gestaffelt werden: Beispielsweise könnten bei höheren Staatsschuldenquoten Kapitalzuschläge höher ausfallen. Im Ergebnis kommt es darauf an, dass die Risiken aus Investitionen in Staatsschulden auf Bankebene angemessen begrenzt werden.
Maßnahmen sind also nötig und möglich, um Staaten, Banken und Finanzstabilität in ruhigen Gewässern zu halten. Denn ein stabiler Finanzsektor ist Voraussetzung für eine positive realwirtschaftliche Entwicklung und nachhaltiges Wirtschaftswachstum.
Michael Theurer ist seit September 2024 Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank. Er verantwortet die Ressorts Banken und Finanzaufsicht sowie Finanzstabilität.