Kraftvoller Einsatz für einen auch künftig stabilen Euro Gastbeitrag in der Börsenzeitung

Als der Filmregisseur Woody Allen 60 Jahre alt wurde, sagte er mit der ihm eigenen Ironie: "Ich wurde gerade 60. Ein Drittel meines Lebens ist nun praktisch vorbei."

Natürlich liegt die Lebenserwartung selbst von Woody Allen nicht bei 180 Jahren. Bei Notenbanken ist das freilich anders. In diesen Wochen feiert die Bundesbank ihren 60. Geburtstag. Damit ist sie in der Gemeinschaft der Zentralbanken zwar ehrwürdig, aber keineswegs altehrwürdig. Die Österreichische Nationalbank feierte im vergangenen Jahr ihr 200. Jubiläum und die Bank von England gibt es ebenso wie die Schwedische Reichsbank schon seit weit mehr als 300 Jahren.

Trotz ihres vergleichsweise jungen Alters blickt die Bundesbank auf eine lange Erfolgsgeschichte zurück. So trugen die Bundesbank und ihre Vorgängerinstitution, die Bank deutscher Länder, maßgeblich dazu bei, dass die D‑Mark von Anfang an eine stabile Währung war. Die D‑Mark wurde zum nationalen Identifikationssymbol, das nicht nur für stabiles Geld, sondern auch für wirtschaftliche Stärke und Wohlstand stand. Sie begleitete Deutschlands Aufstieg zur Exportnation.

Dieser Erfolg hatte zwei Voraussetzungen: Unabhängigkeit und eine auf die Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik. Es ist deshalb kein Zufall, dass es gerade Deutschland und die Schweiz waren, die mit ihren unabhängigen und stabilitätsorientierten Notenbanken die Hochinflationsphase der 1970er Jahre mit vergleichsweise geringen Inflationsraten und Arbeitslosigkeitsquoten überstanden.

In den 1980er und 90er Jahren haben sich viele Länder dem Modell der Bundesbank angenähert, ihre Notenbanken unabhängiger gemacht und auf das Ziel der Preisstabilität ausgerichtet. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildete zweifellos die Gründung der Europäischen Zentralbank (EZB), die nach dem Vorbild der Bundesbank geschaffen wurde.

Für die Bundesbank war dies Anerkennung und tiefer Einschnitt zugleich. Anerkennung, weil die von der Bundesbank auf die EZB übertragene Architektur aus föderalem Aufbau, Unabhängigkeit und klarem Mandat in den Europäischen Verträgen verankert wurde und damit rechtlich sogar noch besser abgesichert wurde als es zu D‑Mark‑Zeiten je der Fall war. Gleichzeitig war der Eintritt in die Währungsunion aber auch ein tiefer Einschnitt, weil er die Arbeit der Bundesbank grundlegend veränderte. Aus der Alleinverantwortung für die D‑Mark wurde eine Mitverantwortung für den Euro.

Mit-Verantwortung für den Euro heißt Mitbestimmung der Geldpolitik im EZB‑Rat, aber auch weiterhin, die Geldpolitik in Deutschland operativ umzusetzen. Auch die Bargeldversorgung und die Abwicklung des Zahlungsverkehrs in Deutschland sind Kernaufgaben der Bundesbank geblieben. Mittlerweile betreiben wir sogar gemeinsam mit der Banca d'Italia und der Banque de France das Rückgrat des europäischen Zahlungs- und Wertpapierabwicklungsgeschäfts: TARGET2 und TARGET2‑Securities. Außerdem überwacht die Bundesbank nicht nur gemeinsam mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die vielen kleinen und mittleren Banken in Deutschland, sondern sie ist auch in die Aufsicht der großen, systemrelevanten Banken im gesamten Euroraum einbezogen. Denn seit der Gründung der gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht ist der EZB‑Rat Letztentscheidungsinstanz für aufsichtliche Fragen im Euroraum. Die Bundesbank muss also nicht mehr nur die systemrelevanten Banken in Deutschland, sondern die in allen Euro-Ländern im Blick behalten.

Und noch eine Veränderung brachte die Finanzkrise: Als eine zentrale Lehre aus der Finanzkrise wird nicht mehr nur auf die Stabilität der einzelnen Finanzinstitute geachtet, sondern auch auf die Funktions- und die Leistungsfähigkeit des Finanzsystems als Ganzes. Schon im Jahr 2009 organisierte die Bundesbank daher einen Teil der Arbeitsabläufe neu und schuf einen Zentralbereich Finanzstabilität. Am 1. Januar 2013 trat dann das Finanzstabilitätsgesetz in Deutschland in Kraft. Wir haben seitdem die Aufgabe, Gefahren für die Finanzstabilität zu identifizieren und Warnungen und Empfehlungen vorzubereiten, wie solche Risiken verhindert werden können.

Aber eines bleibt unstrittig: Die größten Veränderungen gab es im Bereich der Geldpolitik. Seit der Einführung des Euro werden geldpolitischen Entscheidungen nicht mehr vom Zentralbankrat in Bockenheim für Deutschland getroffen, sondern vom EZB‑Rat im Frankfurter Ostend für den gesamten Euroraum. Dort hat der Bundesbankpräsident eine Stimme, genauso wie die anderen Notenbankenpräsidenten des Euro-Raums und die Mitglieder des EZB‑Direktoriums.

Natürlich sind die Diskussionen im EZB‑Rat auch manchmal kontrovers. Ein Stück weit liegt das in der Natur der Sache. Denn je herausfordernder die Zeiten sind, desto gründlicher muss über den nächsten Schritt nachgedacht werden. Die Bürgerinnen und Bürger Europas dürfen von ihren Währungshütern erwarten, dass sie gerade in einem solchen Umfeld intensiv über den richtigen Kurs in der Geldpolitik diskutieren.

Eines hat sich jedoch nicht geändert: Die geldpolitische Grundüberzeugung der Bundesbank. Ihre Kompassnadel war und bleibt auf Preisstabilität ausgerichtet. Das bestimmt meine Positionen im EZB‑Rat ebenso wie die meiner Bundesbankkollegen in den zahlreichen EZB‑Ausschüssen. Und weil schon die Gründerväter der Währungsunion wussten, dass die größte Gefahr für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik von unsoliden Fiskalpolitiken droht, setzen wir uns besonders für eine strikte Trennung von Geld- und Fiskalpolitik ein. Mervyn King, der ehemalige Gouverneur der Bank of England, sagte nicht ohne Grund: "Zentralbanken wird häufig vorgeworfen, sie seien von Inflation besessen. Das stimmt nicht. Wenn Sie von irgendetwas besessen sind, dann von der Fiskalpolitik."

Deshalb sehen wir auch den Ankauf von Staatsanleihen durch das Eurosystem kritisch. Denn er verwischt die Grenze zwischen der Geldpolitik und der Fiskalpolitik. Durch die Käufe wurde das Eurosystem zum größten Gläubiger der Euro‑Länder. Die Staaten zahlen für einen Gutteil ihrer Schulden weitgehend den gleichen Zinssatz, unabhängig davon, ob das Land viel oder wenig Schulden hat. Das kann beim einen oder anderen Finanzminister den Elan dämpfen, für dauerhaft tragfähige Staatsfinanzen zu sorgen. Und am Ende besteht die Gefahr, dass die Geldpolitik mit Blick auf die Staatsfinanzen unter Druck gerät, die Zinsen länger niedrig zu halten als es aus Sicht stabiler Preise geboten wäre.

Anders als bei früheren Ankaufprogrammen kaufen die Notenbanken des Eurosystems nun aber weitgehend nur die Papiere ihres eigenen Landes. Mögliche Verluste aus dem Ankauf von Staatsanleihen anderer Länder landen nun also nicht auf unserer Bilanz. Das hatte die Bundesbank immer wieder kritisiert, weil die Vergemeinschaftung staatlicher Solvenzrisiken über die Notenbankbilanz weit in die Sphäre der Fiskalpolitik hineinreicht.

Die eindeutige Stabilitätsorientierung der Bundesbank macht es aber nicht nur in der Geldpolitik erforderlich, dass unsere Stimme im Chor der Notenbanken deutlich zu hören ist, sondern sie verlangt von uns auch, dass wir uns in die Debatte über den richtigen Ordnungsrahmen der Währungsunion zu Wort melden. Denn die Krise im Euroraum führte uns allen vor Augen, dass die Stabilität der Währungsunion kein Selbstläufer ist. Es bewahrheitete sich leider, was mein Amtsvorgänger Hans Tietmeyer schon vor 20 Jahren sagte: "Die Währungsunion wird nicht nur Sonnentage erleben. Es wird auch Regen und Stürme geben." Aber je mehr Regen und Stürme es gibt, desto größer ist die Gefahr, dass sich die Geldpolitik immer wieder in der Ausputzerrolle wiederfindet und ihre Aufgabe, Preisstabilität zu sichern, aus den Augen verliert.

Die umfangreichen Krisenmaßnahmen, die von der europäischen Politik und vom Eurosystem ergriffen wurden, haben zwar eine Eskalation der Krise verhindert. Dauerhaft stabil gemacht haben sie die Währungsunion aber nicht. Es wurden vor allem zusätzliche Elemente von Gemeinschaftshaftung eingeführt, wodurch Handeln und Haften aus dem Gleichgewicht geraten sind. Ich bin aber überzeugt, dass verantwortliche Entscheidungen nur dann getroffen werden, wenn derjenige, der handelt, auch für die Folgen einstehen muss. Die Bundesbank setzt sich deshalb für institutionelle Reformen der Währungsunion ein, die das Haftungsprinzip stärken und dafür sorgen, dass Handeln und Haften wieder auf der gleichen Ebene angesiedelt werden.

Reformvorschläge, die auf eine Ausweitung von Gemeinschaftshaftung hinauslaufen, ohne dass entsprechende Durchgriffsrechte auf die europäische Ebene verlagert werden, sehen wir deshalb skeptisch. Denn sie könnten am Ende in eine Transferunion führen. Dies würde die Probleme in Europa eher vergrößern anstatt sie zu lösen.

Solange keine Bereitschaft besteht, Souveränitätsrechte auf die europäische Ebene zu übertragen, bleibt nur der Weg, die nationale Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten zu stärken. Deshalb hat die Bundesbank Vorschläge entwickelt, wie die Bindungswirkung der Haushaltsregeln wieder gestärkt werden kann. Außerdem schlagen wir vor, dass sich die Laufzeit der Anleihen eines Euro‑Staates automatisch verlängert, wenn das Land europäische Rettungsgelder beantragt. So bleiben die Altgläubiger zunächst in der Haftung und werden nicht zulasten der europäischen Steuerzahler ausgelöst. Das würde den im Maastrichtvertrag verankerten gegenseitigen Haftungsausschluss zwischen den Euroländern glaubwürdiger machen und dafür sorgen, dass die Marktteilnehmer risikobewusstere Entscheidungen treffen.

In der Krise zeigte sich außerdem, dass sich wankende Banken und strauchelnde Staaten gegenseitig nach unten ziehen. Daher ist es notwendig, die enge wirtschaftliche Verflechtung von Banken und Staaten im Euroraum zu lösen. Deshalb haben wir uns mit Erfolg dafür eingesetzt, dass die für die Bankenregulierung maßgeblichen Gremien nun auf internationaler Ebene darüber nachdenken, wie sich die derzeit bestehende Bevorzugung von Staatsanleihen in Bankbilanzen verringern lässt. Kredite an den Staat sollten zukünftig ebenso risikoangemessen mit Eigenkapital unterlegt werden wie Kredite an private Schuldner.

Seit 60 Jahren scheut sich die Bundesbank nicht, politisch anzuecken, wenn sie Stabilitätsrisiken sieht. Ihrem Ansehen in der Bevölkerung hat das nicht geschadet. Woody Allen sagte übrigens auch einmal: "Ich denke viel an die Zukunft, weil das der Ort ist, wo ich den Rest meines Lebens verbringen werde." Daran hält sich auch die Bundesbank – und setzt sich deshalb mit ganzer Kraft dafür ein, dass der Euro auch in Zukunft eine stabile Währung ist.