„Das geopolitische Momentum in diesen Wochen ist so stark wie noch nie“ Interview mit der WirtschaftsWoche
Das Gespräch führte Henrike Adamsen.
Herr Balz, Sie arbeiten seit 2021 für die Bundesbank am digitalen Euro – nervt es, dass Sie immer wieder erklären müssen, welchen Mehrwert die digitale Version des Bargelds überhaupt bietet?
Ich muss das in der Tat regelmäßig erläutern, aber es nervt mich nicht. Solange wir mit dem digitalen Euro noch nicht bezahlen können, bleibt er für die Menschen abstrakt. Viele wissen bisher wenig oder gar nichts darüber. Das ist völlig verständlich und ich werde deshalb nicht müde, den Unterschied zwischen bestehenden digitalen Bezahllösungen und dem digitalen Euro deutlich zu machen…
… der da wäre?
Erstere verwenden Geschäftsbankengeld, letztere Zentralbankgeld. Im Alltag macht das zwar keinen Unterschied, aber nur Bargeld oder zukünftig der digitale Euro werden von der Zentralbank herausgegeben und sind daher ausfallsicher. In einer Zeit, in der immer mehr Zahlungen online ablaufen, möchten wir neben dem Bargeld eine digitale Zahlungsmöglichkeit mit Zentralbankgeld schaffen. Der digitale Euro ist also eine notwendige Modernisierung.
Der US-Präsident Donald Trump hat der US-Notenbank Fed verboten, eine digitale Währung auszugeben. Warum wählt die Europäische Zentralbank einen anderen Weg?
Im Grunde arbeiten alle anderen großen Volkswirtschaften an digitalem Zentralbankgeld: Japan, Indien, Großbritannien und natürlich China. Die USA beschreiten hier eher einen Sonderweg.
Ist die Unterstützung für den digitalen Euro seit dem Beginn von Trumps zweiter Amtszeit gestiegen?
Ja. Das geopolitische Momentum in diesen Wochen und Monaten ist so stark wie noch nie. Europa muss im Zahlungsverkehr selbstständiger werden und sich grundsätzliche Fragen zu seiner Souveränität stellen. Denn die Euro-Länder sind sehr abhängig von amerikanischen Zahlungsdiensten wie Visa, Mastercard und Paypal.
Wie sieht diese Abhängigkeit aus?
In Deutschland dominieren beim Zahlen an der Ladenkasse Bargeld und die Girocard, hier herrscht also noch ein hohes Maß an nationaler Unabhängigkeit. Aber Euroländer wie Slowenien, die kein eigenes Kartensystem haben, müssen auf amerikanische Dienstleister zurückgreifen. Und wenn Sie im europäischen Ausland Urlaub machen, funktioniert ihre Girocard auch nur aufgrund einer Kooperation mit Visa- oder Mastercard. Blickt man auf alle Kartenzahlungen im Euroraum, laufen rund zwei Drittel der Transaktionen über nicht-europäische Anbieter. Und diese Transaktionen werden zu einem großen Anteil nicht auf heimischen Servern, sondern im Ausland verarbeitet.
Was ist denn die konkrete Angst – rechnen Sie wirklich damit, dass amerikanische Unternehmen plötzlich ihre Dienste in Europa abschalten?
Erst im Februar hat Microsoft aufgrund einer Exekutivanordnung des amerikanischen Präsidenten das E-Mail-Konto des Chefanklägers vom internationalen Strafgerichtshof gesperrt. Ebenso könnten Zahlungssysteme, auch aus militärischen Gründen, angehalten werden, ihre Dienste einzustellen. Das träfe eine kritische Infrastruktur. Ich will es so formulieren: Wir können es zumindest nicht ausschließen, auch wenn es derzeit keine konkreten Hinweise darauf gibt. Europa muss vorbereitet sein, sollte die Lage schwieriger werden.
Der US-Präsident treibt stattdessen die Einführung von Stablecoins voran, also von Kryptowährungen, die an den Dollar gebunden sind und dadurch als sicherer gelten. Was sind die Folgen für die Geldpolitik, sollten in Zukunft mehr Transaktionen über solche Coins laufen?
In den internationalen Gremien hat das Thema Stablecoins in den vergangenen Monaten erheblich an Bedeutung gewonnen. Stablecoins sind mit stabilen Währungen, Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten besichert, vor allem mit amerikanischen Staatsanleihen. Sollte es zu massiven Verkäufen kommen, könnte das die Finanzmärkte destabilisieren. Deshalb befürchtet etwa die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Risiken für die Finanzstabilität und Störungen in der geldpolitischen Transmission. Gleichzeitig eignen sich Stablecoins gerade durch ihre Bindung an stabile Vermögenswerte auch als Zahlungsmittel. Das ist ein Grund, warum EZB-Chefin Christine Lagarde beim digitalen Euro auf die Tube drücken möchte. Die Bundesregierung betont das ebenfalls.
Warum überlässt man digitale Währungen nicht den kommerziellen Banken? Es gibt ja bereits privatwirtschaftliche, europaweite Projekte wie die European Payment Initiative, die genau das voran treiben.
Es ist gut, wenn Unternehmen hier eigene Lösungen anbieten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Das haben sie in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht geschafft. Am Ende soll eine öffentlich-private Partnerschaft entstehen, denn wir brauchen vor allem die Geschäftsbanken als Verteiler, um den digitalen Euro zu den Menschen zu bringen.
Mit anderen Worten: Gäbe es ein europäisches Mastercard, hätte sich der digitale Euro erledigt?
Ein wichtiger Grund für die Einführung des digitalen Euro ist, dass es keinen echten europäischen Zahlungsverkehrsdienstleister gibt. Ein lauter Weckruf war für uns, als der amerikanische Konzern Meta 2017 die Libra als digitale Währung einführen wollte. Damit hätte ein privates Unternehmen mit einer globalen Reichweite von 2,7 Milliarden Nutzern in kürzester Zeit eine Konkurrenzwährung aufbauen können.
Ein Vorteil des digitalen Euros sollen Kostenersparnisse sein, beispielsweise für Händler die hohe Transaktionsgebühren tragen müssen. Hat die EZB schon Zahlen vorgelegt, wie hoch dieses Einsparpotenzial ausfällt?
Das ist in der jetzigen Projektphase schwer zu berechnen. Aber ich erwarte, ausgehend vom vorliegenden Gesetzesvorschlag, dass die durchschnittlichen Kosten für den Handel im Laden und online zurückgehen werden. Denn im Gegensatz zu den großen amerikanischen Anbietern stellt das Eurosystem die Infrastruktur für den digitalen Euro den privaten Zahlungsdienstleistern unentgeltlich zur Verfügung. Wichtig ist auch, dass die Basisfunktionen des digitalen Euro für den Verbraucher gebührenfrei sein werden.
Machen Sie damit den Banken nicht ihr Geschäft mit den Kontoführungsgebühren kaputt?
Die Kontoführungsgebühren werden davon nicht berührt. Sie werden wie bislang auch von den Banken im Wettbewerb festgelegt. Grundsätzlich wird der Handel Entgelte für die Annahme von Transaktionen mit dem digitalen Euro bezahlen. Das ist heute beispielsweise bei Kartenzahlungen nicht anders, aber für Transaktionen mit dem digitalen Euro werden die Entgelte sicherlich niedriger sein. Einen Teil dieser Entgelte erhalten die kontoführenden Banken für ihre Leistungen. An der genauen Ausgestaltung dieses sogenannten Kompensationsmodells wird gerade gearbeitet.
Die Kritik der Geschäftsbanken am digitalen Euro ist ziemlich laut: er sei zu teuer, die Einführung würde zu viel Personal in Beschlag nehmen und auch noch ihre Liquidität reduzieren, wenn Menschen Geld statt auf dem Girokonto als digitalen Euro halten.
Wir sehen die Kreditwirtschaft als wesentlichen Partner für das Projekt. Der digitale Euro wird nur funktionieren, wenn wir zusammenarbeiten. Bei der Liquidität kann ich Entwarnung geben: Als Zentralbank schützen wir die Finanzstabilität, daher liegt es in unserem ureigenen Interesse, Liquiditätsabflüsse bei Banken zu vermeiden. Deswegen diskutieren wir eine Obergrenze, wie viel Geld auf dem digitalen Euro-Konto liegen darf.
Die EZB wirbt auch damit, dass der digitale Euro Innovationen am Finanzmarkt hervorbringen kann. Dabei kommt die Blockchain-Technologie nun gar nicht zum Einsatz. Wo genau liegt also die technische Neuerung?
An der technischen Lösung wird noch gearbeitet, finale Entscheidungen haben wir noch nicht getroffen. Klar ist, dass die Banken ihre IT-Umgebung anpassen müssen. Wird der digitale Euro auf Basis der Blockchain-Technologie eingeführt, wären die Anpassungen umfangreicher.
Wann rechnen Sie mit der Einführung des digitalen Euros?
Wir warten auf den Abschluss des europäischen Gesetzgebungsverfahrens. Im EU-Parlament gibt es eine gewisse Zurückhaltung. Manche Abgeordnete befürworten digitales Zentralbankgeld zunächst nur für die Abwicklung von Geschäften zwischen Finanzinstituten, nicht für Endverbraucher. Da sprechen wir aber nicht mehr von unserem Projekt „digitaler Euro“ für Alltagszahlungen, sondern von digitalem Zentralbankgeld für den Interbankenmarkt, sogenanntes wholesale CBDC.
Muss man am Ende nicht sagen, europäischen Verbrauchern ist egal, ob ihre Daten auf amerikanischen Servern gespeichert werden oder mit welcher Art von Geld sie zahlen?
Wenn ich die Brille eines privaten Nutzers aufsetze, würde ich eventuell auch zu so einer Meinung tendieren. Aber: Wir sind eine öffentliche Institution und müssen das große Ganze im Blick behalten, nämlich was gut ist für Europa. Der digitale Euro wird Europa ein hohes Maß an Souveränität bringen. Und die Menschen werden künftig im gesamten Euroraum an der Ladenkasse, im Onlinehandel oder zwischen Freunden und Bekannten nicht nur mit Bargeld, sondern auch mit einem digitalen europäischen Zahlungsmittel bezahlen können.
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