"Grundkenntnisse wirtschaftlicher Sachverhalte ermöglichen eine gesellschaftliche Teilhabe" Interview in der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen

Herr Lienenkämper, warum ist ökonomische Bildung aus Ihrer Sicht so wichtig, warum liegt Ihnen dieses Thema so am Herzen?

Ökonomische Bildung ist ein unverzichtbarer Teil der Allgemeinbildung. Die Vermittlung ökonomischen Wissens führt dazu, ökonomisch geprägte Lebenssituationen besser bewerten und bewältigen zu können. Denn nahezu alle Entscheidungen des eigenen Lebens – sei es beruflich oder privat – benötigen ökonomische Kenntnisse. Und wer diese hat, trifft für sich bessere Entscheidungen bei seinen eigenen Einnahmen und Ausgaben sowie beim Sparen und Anlegen. Das wirkt sich positiv auf die eigene finanzielle Situation aus und zahlt auf unser Ziel ein: Stabilität.

Welche Rolle spielt ökonomische Bildung für die wirtschaftliche Stabilität und den sozialen Zusammenhalt?

Die Grundkenntnisse wirtschaftlicher Sachverhalte ermöglichen den Menschen eine gesellschaftliche Teilhabe. Denn neben der Verbesserung der persönlichen ökonomischen Situation helfen ökonomische Kenntnisse, das Wirtschaftsgeschehen und damit zusammenhängende politische Diskussionen und Entscheidungen zu verstehen und diese einordnen zu können – auch im Hinblick auf demokratische Entscheidungsprozesse wie Wahlen. 

Wie würden Sie den aktuellen Stand der ökonomischen Bildung in Deutschland bewerten?

Empirische Studien zeigen, dass das Wissen der deutschen Bevölkerung über ökonomische Sachverhalte noch ausbaufähig ist – insbesondere in Bezug auf Finanzthemen. So erzielt Deutschland in der jüngsten OECD-Studie zwar 76 von 100 Punkten, was im internationalen Vergleich durchaus respektabel ist. Allerdings beschränken sich die in der Studie abgefragten Inhalte auf grundlegende Aspekte der Finanzkompetenz. Selbst Befragten, die eine Höchstpunktzahl von 100 erreichen, wird also lediglich ein Basisverständnis finanzieller Konzepte bescheinigt. 

Eine Eurobarometer-Umfrage der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2023 zeigt ein ähnliches Bild: Nur knapp die Hälfte der befragten Bürgerinnen und Bürger konnte mindestens drei von fünf Fragen zum Finanzwissen richtig beantworten, wusste also beispielsweise, dass Guthabenzinsen das eigene Guthaben vermehren. Im europäischen Vergleich belegt Deutschland mit diesem Ergebnis, gemeinsam mit der Tschechischen Republik, den achten Platz.

Daher wollen wir alle Akteure darin unterstützen, ein fundiertes Verständnis grundlegender ökonomischer Zusammenhänge in der Bevölkerung zu fördern. 

Gibt es aus Ihrer Sicht Reformbedarf im Schul- oder Hochschulcurriculum im Bereich Wirtschaft?

Das bislang unzureichende Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge liegt auch daran, dass ökonomische Themen in der Vergangenheit nicht Teil der Schulcurricular und der Lehrerausbildung waren. Hier hat sich in den vergangenen Jahren durchaus einiges getan. Trotzdem wäre mehr wünschenswert. Das Institut für Ökonomische Bildung (IÖB) kommt in seiner OeBIX- Studie zu dem Schluss, dass ökonomische Bildung in Deutschland schlechter verankert ist als andere Bildungsanliegen. 

Auch die Deutsche Bundesbank engagiert sich seit vielen Jahren: Welche konkreten Maßnahmen oder Bildungsprogramme verfolgt die Bundesbank zur Förderung der ökonomischen Bildung? 

Die ökonomische Bildung der Bundesbank hat es sich zur Aufgabe gemacht, grundlegendes Wissen in den Bereichen Geld, Währung und Zentralbank zu vermitteln. Zum einen bieten wir Materialen und Publikationen in gedruckter und digitaler Form an. Zum anderen nutzen wir dazu den persönlichen Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern, indem wir bundesweit Vortragsveranstaltungen und Lehrerseminare durchführen. Und letztlich haben wir mit unserem Geldmuseum in Frankfurt am Main einen attraktiven Lern- und Erlebnisort, der allen offensteht. 

Welche Themenbereiche stehen bei Ihrer Bildungsarbeit im Fokus? 

Die Inhalte der ökonomischen Bildungsarbeit der Bundesbank rund um die Themen Geld und Zentralbank leiten sich aus unseren gesetzlichen Aufgaben ab. Hierzu zählen insbesondere Themen rund um Geldpolitik und Finanzstabilität sowie das Bargeld und den unbaren Zahlungsverkehr. Der digitale Euro wird künftig mehr Raum einnehmen. Zusätzlich vermitteln wir auch Grundzüge der Finanzbildung. Hierfür haben wir unser erfolgreiches Lehrwerk „Geld verstehen“ im Programm. Diesen Bereich werden wir künftig weiter ausbauen. Im Gegensatz zur allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit bestimmt die Nachfrage, insbesondere von Lehrplänen der Schulen und Universitäten, die Inhalte der ökonomischen Bildung.

Welche Zielgruppen sprechen Sie mit Ihren Bildungsangeboten an – und wie werden diese Angebote angenommen?

Wir fokussieren unsere Bildungsangebote auf die Zielgruppen Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte sowie Studierende. Grundsätzlich stehen aber unsere Bildungsangebote allen zur Verfügung. Wir registrieren eine hohe Nachfrage – sei es an unseren Bildungsmaterialien oder Veranstaltungen. So hatten wir im Jahr 2024 bei rund 1.770 Veranstaltungen etwa 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. In unserem Geldmuseum konnten wir rund 47.000 Menschen begrüßen. 

Inwiefern nutzen Sie digitale Formate wie Online-Kurse, Podcasts oder Erklärvideos?

Unser Portfolio an Printmaterialien haben wir sukzessive um digitale Angebote ergänzt. Unser interaktives E-Book „Geld verstehen“ hat sogar schon zwei Preise für digitale Lernmedien gewonnen. Wir bieten zudem Erklärfilme und sogenannte Lernpfade mit künstlicher Intelligenz an. Trotz der neuen Formate bleiben die „klassischen“ Materialien aber weiter im Angebot, weil sie nach wie vor besonders stark nachgefragt werden. Bei Vorträgen setzen wir auf den direkten Kontakt. Online-Vorträge waren während der Pandemie ein guter Ansatz, jetzt ist aber wieder fast ausschließlich der Vortrag vor Ort gefragt. Wie bei allen Angeboten werden wir die digitalen Angebote auf Basis der Nachfrage weiter ausbauen. 

Messen Sie den Erfolg Ihrer Bildungsangebote? Gibt es wissenschaftliche Studien oder Evaluationen zur Wirkung Ihrer Programme? 

Wir bekommen über die unterschiedlichsten Kanäle sehr viel positive Rückmeldung auf unsere Angebote. Kritische oder negative Rückmeldungen sowie Wünsche der verschiedenen Zielgruppen versuchen wir aufzugreifen, um unsere Angebote weiterzuentwickeln. Die überwiegend positiven Ergebnisse einer externen Evaluation unseres Angebots der ökonomischen Bildung haben uns darin bestärkt unseren Weg weiterzugehen. Die kritisierten Punkte sind wir angegangen, indem wir beispielsweise unser Angebot auf die Sekundarstufe I erweitert haben. Zudem haben wir aktuell unser E-Book „Geld verstehen“ dem Forschungsvorhaben EvaFin zur Verfügung gestellt. Dabei wird von einem Forschungsverbund mehrerer Universitäten erforscht, inwieweit Angebote zur Finanzbildung zu einer besseren Finanzbildung beitragen. Dafür wird unser E-Book einer ausführlichen Evaluation unterzogen. 

Hat das Thema in der aktuellen Politik den entsprechenden Stellenwert. Oder könnten Sie sich noch etwas mehr Engagement vorstellen? 

Ich beobachte, dass das Thema nach wie vor hohen Stellenwert in der Politik hat. Gerade die finanzielle Bildung ist im Moment in aller Munde. Die Finanzminister der Länder haben auf ihrer 1000. Sitzung in Frankfurt eine nationale Finanzbildungsstrategie gefordert. Dies war auch Plan der „Initiative finanzielle Bildung“ der alten Bundesregierung, die eine solche Strategie ebenfalls konkret geplant hatte. Ob und wie die Initiative von der neuen Bundesregierung fortgeführt wird, bleibt abzuwarten. Wenn ja, wird sich die Bundesbank wieder gerne intensiv einbringen. Daneben hat sich das Eurosystem des Themas angenommen. Zusätzlich plant die Europäische Kommission eine Finanzbildungsstrategie im Rahmen der Spar- und Investitionsunion.

Welche Entwicklungen sehen Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren im Bereich ökonomische Bildung?

Ich kann erkennen, dass auf breiter Front ökonomische und finanzielle Kenntnisse für die Menschen als wichtig erachtet werden. Ich bin mir daher sicher, dass das Thema weiterhin in der Diskussion bleibt und halte das auch für notwendig. Wir als Bundesbank werden daher weiterhin im Rahmen unseres Mandats unseren Beitrag dazu leisten, dass Menschen mit besseren wirtschaftlichen Kenntnissen bessere Entscheidungen für sich treffen können. 

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