„Ich kann mir eine Welt ohne Bargeld nicht vorstellen“ Interview mit der Wirtschaft in Sachsen, Juni- Ausgabe

Die Fragen stellte Ulrich Milde

Über den digitalen Euro wird schon lange gesprochen. Warum dauert es bis 2027, bis er kommen soll?

Der digitale Euro ist ein großes Projekt. Es ist wichtig, dass er auf einem soliden Fundament steht. Dafür braucht es einen gesetzlichen Rahmen, auf den sich das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union auf Grundlage eines Vorschlags der Europäischen Kommission einigen müssen. Mit einer Entscheidung des europäischen Gesetzgebers rechnen wir frühestens Ende 2025. Danach muss der Rat der Europäischen Zentralbank, der EZB, entscheiden, ob der digitale Euro eingeführt wird. Für eine reibungslose Einführung wird es eine mehrjährige Testphase mit der Kreditwirtschaft und dem Handel geben. Vor 2028 können Sie vermutlich nicht mit dem digitalen Euro bezahlen.

Warum ist er überhaupt nötig?

Stand jetzt haben wir in Europa keine eigene digitale Bezahllösung, mit der wir im gesamten Euroraum einkaufen können. Heute bezahlen Europäer mit Euro-Bargeld oder mit einem Sammelsurium an digitalen Bezahllösungen. Das ist weder einheitlich noch effizient. Diese Lücke soll der digitale Euro schließen. Mit ihm könnten die Menschen im gesamten Euroraum in allen Alltagssituationen bequem, kostengünstig und schnell bezahlen, so wie es bei Zahlungen an der Ladenkasse heute schon mit dem Euro-Bargeld möglich ist.

Aber Geld kann doch schon heute per Überweisung, Einzug, Geld- und Kreditkarte sowie über internationale Zahlungsdienstleister bezahlt werden.

Sicherlich können wir im Euroraum dank Sepa problemlos Geld überweisen. Aber darüber hinaus haben viele Länder in Europa keine eigenen Bezahllösungen, sondern verlassen sich ganz auf nicht-europäische Anbieter. Einzelne Länder wie Deutschland haben zwar nationale Lösungen wie die Girocard, aber bei Zahlungen im europäischen Ausland muss stets die Infrastruktur internationaler Kartenanbieter genutzt werden. Hier und auch beim Onlineshopping sind wir maßgeblich von internationalen, nicht-europäischen Anbietern abhängig. Dieser Abhängigkeit Europas wollen wir mit einer eigenen, europäischen Infrastruktur begegnen.

Worin liegt der Vorteil von öffentlichem Geld?

Geld, das von öffentlichen Stellen wie Zentralbanken und Staaten ausgegeben wird, gibt es heute in Form von Banknoten und Münzen. Diese sind gesetzliches Zahlungsmittel. Die Menschen schätzen die mit dem Euro-Bargeld verbundene Privatsphäre, die europaweite Verwendbarkeit und die Ausfallsicherheit. Diese Vorteile wollen wir zukünftig auch digital ermöglichen.

Wie würde der digitale Euro in der Praxis für die Verbraucher ablaufen?

Nehmen wir an, Sie nutzen heute schon die Onlinebanking-App Ihrer Bank. In dieser App könnte es zukünftig ein weiteres Konto für den digitalen Euro geben, das mit Ihrem aktuellen Bankkonto verknüpft ist. Über die App könnten Sie dann mit dem digitalen Euro Freunden Geld senden, an der Ladenkasse oder beim Onlineshopping bezahlen. So könnten Sie mit dem digitalen Euro in allen Alltagssituationen im gesamten Euroraum bezahlen.

Händler sollen gezwungen werden, den digitalen Euro zu akzeptieren. Das ist aber mit höheren Kosten verbunden.

Das stimmt so nicht. Nur dort, wo heute schon elektronisches Bezahlen angeboten wird, soll zukünftig auch der digitale Euro verpflichtend akzeptiert werden. Für kleine Händler sind Ausnahmen von der Annahmepflicht im Gespräch. Aber Händler zahlen bereits heute je nach Kartenanbieter durchaus beträchtliche Gebühren. Der digitale Euro wäre mit niedrigeren Kosten verbunden, daher begrüßt der Handel den digitalen Euro ausdrücklich.

Was hat die Wirtschaft vom digitalen Euro?

Wir erleben eine digitale Transformation. Schon heute wird immer mehr digital bezahlt. Der digitale Euro könnte den Zahlungsverkehr effizienter machen, Kosten senken und den Finanzplatz Europa stärken. Er könnte auch die Innovationskraft im Finanzsektor fördern und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessern.

Ist der digitale Euro ein Schlag gegen die Banken, denen Geschäft weggenommen wird? 

Nein, das ist er ausdrücklich nicht. Wir wollen mit dem digitalen Euro ein zusätzliches Zahlungsmittel anbieten, eine Art digitalen Zwilling zu Bargeld. Wenn Menschen den digitalen Euro vermehrt nutzten, wäre das ähnlich wie in der stärker bargeldlastigen Wirtschaft der 50er- und 60er-Jahre, in der sich das deutsche Bankensystem bestens entwickelt hat. Und wie bei der Bargeldversorgung würden Banken eine wichtige Rolle beim digitalen Euro spielen, weil sie ihn verteilen und weitere Dienstleistungen anbieten würden. Durch die Partnerschaft von Zentral- und Geschäftsbanken stellen wir sicher, dass der digitale Euro ein integraler Bestandteil des europäischen Finanzsystems wird. Obergrenzen, wie viel digitale Euro jeder Einleger höchstens halten darf, würden die Finanzstabilität gewährleisten.

Die EZB wird beim digitalen Euro Informationen über die persönlichen Daten erhalten. Wo bleibt der Datenschutz?

Die Kundenbeziehung liegt bei den Geschäftsbanken und nicht bei der EZB oder bei den nationalen Zentralbanken des Eurosystems. Die Zentralbanken sähen deshalb nur pseudonymisierte Daten und könnten Transaktionen mit dem digitalen Euro nicht einzelnen Personen zuordnen. Der Datenschutz ist sogar einer der Gründe, warum wir uns für den digitalen Euro einsetzen. Mit ihm würden die Transaktionen nicht über ausländische Unternehmen und Server laufen, sondern in Europa bleiben.

Es wird immer weniger mit Bargeld bezahlt. Wie ist da der aktuelle Stand?

Bargeld ist in Deutschland und im Euroraum nach wie vor das meistgenutzte Zahlungsmittel. Allerdings geht der Anteil der Barzahlung schon seit Jahren stetig zurück. 2014 wurden in Deutschland noch mehr als 80 Prozent der Transaktionen an der Ladenkasse mit Bargeld bezahlt. 2023 waren es noch 51 Prozent. Die sinkende Bargeldnutzung ist kein rein deutsches Phänomen, wir sehen das im gesamten Euroraum.

Also wird der digitale Euro das Bargeld weiter verdrängen?

Nicht der digitale Euro verdrängt das Bargeld, die Digitalisierung verändert die Zahlungsgewohnheiten. Wäre die Bargeldverwendung nicht so stark zurückgegangen, würden wir vielleicht nicht über den digitalen Euro diskutieren. Uns ist wichtig, dass die Menschen die Wahl haben, wie sie zahlen wollen – egal ob bar, unbar oder zukünftig auch mit dem digitalen Euro.

Jetzt rücken Sie damit raus: Wann gibt es kein Bargeld mehr?

Ich kann mir eine Welt ohne Bargeld nicht vorstellen, denn Bargeld hat große Vorteile. Es ist inklusiv und wird vor allem in Krisenzeiten auch als Wertaufbewahrungsmittel geschätzt. Das Bargeld bleibt, unabhängig davon, ob es irgendwann zusätzlich einen digitalen Euro gibt.

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