„Kapitalismus braucht Kapitalisten“ – und mutigere Sparer Interview mit PLATOW Brief
Das Gespräch führte Jan Mallien.
Herr Theurer, gemeinsam mit der BaFin schlagen Sie ein eigenes Regelwerk für kleine Banken vor. Die EZB warnt immer, dass zu viele Sonderregeln den europäischen Bankenmarkt zersplittern. Wie begegnen Sie dieser Sorge?
Unser Vorschlag ist eine europäische Lösung für alle kleinen Institute in der EU – egal ob in Spanien, Deutschland oder Österreich. Kleine Banken würden europaweit einheitlich behandelt, so wie große Banken heute schon. Unser Ziel sind einfachere Regeln für regional tätige Banken, von denen kein systemisches Risiko ausgeht.
Warum brauchen kleine Banken andere Regeln?
Gleiche Regeln belasten kleine Banken verhältnismäßig stärker und fördern die Marktkonzentration. Unser Vorschlag entlastet – aber nicht zum Nulltarif. Weniger Berichtspflichten gibt es nur mit mehr Eigenkapital. Statt komplizierter Risikogewichte setzen wir auf eine höhere ungewichtete Eigenkapitalquote– also die sogenannte Leverage Ratio.
Einige Verbände begrüßen Ihren Vorschlag, andere kritisieren, dass damit zentrale Probleme wie kleinteilige Regulierung oder der hohe IT-Aufwand nicht gelöst werden.
In Deutschland ist die Resonanz überwiegend positiv – besonders aus dem genossenschaftlichen Bereich und auch aus den Sparkassen. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, etwa von Instituten, für die das Regime nicht infrage kommt. Das ist bei jeder Schwellenregelung so. Wer knapp über der Grenze liegt, fühlt sich benachteiligt.
Teilnehmen dürfen nur Banken, die bestimmte Kriterien erfüllen – zum Beispiel eine durchschnittliche Bilanzsumme unter zehn Milliarden Euro in den vergangenen Jahren. Wie viele Banken könnten vom Kleinbankenregime profitieren?
In Deutschland wären das rund 1.000 Banken. Viele liegen bereits heute deutlich über den Mindestanforderungen für die Leverage Ratio. Die Teilnahme wäre freiwillig. Gleichzeitig gibt es klare Grenzen, zum Beispiel bei Anleihen- und Aktiengeschäften, damit keine zusätzlichen Risiken entstehen.
In der Schweiz gibt es ein ähnliches Modell mit einer freiwilligen Beteiligung. Dort nutzt es rund ein Viertel der Banken. Wäre eine ähnliche Beteiligung auch in Deutschland zu erwarten?
Wir geben keine Prognosen ab, sondern hören der Branche genau zu. Unser Vorschlag passt zur Linie der Bundesregierung und der EU-Kommission: Bürokratie abbauen, wo es möglich ist – ohne den Zweck der Regulierung zu gefährden.
Gibt es einen Zeitplan für die Umsetzung?
Das hängt von den gesetzgebenden Organen ab, aber wir nehmen wahr, dass unser Kleinbanken-Vorschlag sehr ernst genommen wird. Das gilt auch für die Kollegen im EZB-Rat. Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die Aufsicht in Europa weiterzuentwickeln.
Ihr Vorschlag zum Kleinbankenregime richtet sich an kleinere Institute. Sie haben aber auch eine umfassendere Reform der Kapitalanforderungen vorgeschlagen. Was genau schlagen Sie vor?
Unser zweiter Vorschlag betrifft alle Banken. Ziel ist, die Kapitalanforderungen zu vereinfachen. Wir wollen die Puffer bündeln, effektiver nutzbar machen und klar trennen zwischen dem laufenden Geschäft und einer Abwicklungssituation. Das reduziert Komplexität – für Banken und Aufsicht. Davon profitieren alle.
Also gleich viel Eigenkapital, aber einfacher geregelt?
Genau, weniger Bürokratie bei Berechnung, Erfassung und Meldung. Und mehr Klarheit hinsichtlich der Einsetzbarkeit.
Sollte Europa das Regelwerk Basel III weiter umsetzen?
Ja. Basel III ist die Lehre aus der Finanzkrise und schafft einheitliche internationale Mindeststandards. Das sorgt für Vergleichbarkeit allein schon wegen der unterschiedlichen Bilanzierungsregeln wie GAAP in den USA und IFRS in Europa. Dann gibt es immer noch gewisse Spielräume bei der Umsetzung.
Was meinen Sie konkret?
Die Ausgestaltung bei der Umsetzung kann variieren, denn Basel-Standards sind keine Gesetze und lassen gewisse Entscheidungsräume für die jeweilige Jurisdiktion, um Besonderheiten von Bankenmärkten zu berücksichtigen. Wichtig ist ein faktenbasiertes Vorgehen.
Sind europäische Banken gegenüber US-Instituten benachteiligt?
Das lässt sich so nicht sagen. In den USA gilt der Collins floor – oft mit höheren Anforderungen. Wir sollten abwarten, wie die USA Basel III final umsetzen – erst dann lässt sich ein Urteil bilden.
Im Gegensatz zu Europa ist das US-Finanzsystem stärker kapitalmarktbasiert. Die EU will hier ebenfalls mit der Kapitalmarktunion für neuen Schwung sorgen. Wo sehen Sie die größten Hindernisse?
Europa muss mehr Kapital mobilisieren. Dafür brauchen wir eine bessere Investmentkultur: Mehr Menschen sollen ihr Geld in wachstumsfördernde Anlagen stecken und bereit sein, Chancen und Risiken einzugehen. Hier muss ich als für Banken zuständiger Bundesbank-Vorstand sagen: Das Ziel lässt sich nicht durch neue Regeln erreichen – sondern nur durch einen Bewusstseinswandel bei den Sparern.
Sie fordern also, dass Sparer mehr Risiken eingehen?
Der Kapitalmarkt lebt von Eigenkapital, das Verluste tragen kann. Sparguthaben sind sicher und geschützt – aber für eine funktionierende Kapitalmarktunion braucht es Menschen, die in Unternehmen investieren. Kapitalismus braucht Kapitalisten.
Ein Bewusstseinswandel braucht Zeit. Wie lässt sich das erreichen?
In Schwedenetwa gab es zwischen 2016 und 2023 mehr Börsengänge als in Frankfurt, Paris und Mailand zusammen. Wichtig ist eine kapitalgedeckte Altersvorsorge. Sie stärkt den Kapitalmarkt.
Die EU-Kommission hat Vorschläge für eine Spar- und Investmentunion vorgelegt. Wie bewerten Sie diese?
Viele Ansätze sind gut – wichtig ist, dass sie zügig umgesetzt werden. Die EU ist ein Staatenverbund. Ihre Stärke liegt in der Vielfalt – der Erfolg hängt davon ab, ob jedes Land seine Hausaufgaben macht.
Als einer der letzten Bausteine der Bankenunion gilt eine gemeinsame Einlagensicherung (Edis). Das Projekt steckt seit Jahren fest.
Es gibt Fortschritte: Die hohen Altbestände notleidender Kredite aus der Finanzkrise sind gesunken, die nationalen Einlagensicherungsfonds wurden nach EU-Vorgaben aufgefüllt. Das sind wichtige Voraussetzungen. Zuerst muss die CMDI‑Reform, also der EU‑Rahmen für Krisenmanagement und Einlagensicherung, abgeschlossen werden. Danach stellt sich die Edis‑Frage neu. Ich würde sagen: Das Glas ist halb voll.
Es werden verschiedene Modelle diskutiert: Rückversicherungssystem, Mischmodell oder eine vollständige Harmonisierung. Was ist ihr präferierter Vorschlag?
Aus meiner Sicht wäre ein Rückversicherungssystem vorzuziehen. Es bietet ausreichende Stabilität im Notfall, ohne nationale Systeme zu ersetzen. Das wäre auch mit dem Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip vereinbar.
Braucht es Edis überhaupt?
Ja – bei asymmetrischen Schocks, wenn ein nationales Bankensystem stärker betroffen ist als andere. Bei symmetrischen Krisen, die alle gleichzeitig treffen, bringt Edis wenig. Im übertragenen Sinn könnten bei einem Brand in einem Land andere Länder sozusagen „Löschwasser“ bereitstellen. Allerdings müssen zunächst die Voraussetzungen erfüllt sein.
Was ist die größte Hürde aus ihrer Sicht?
Der Staaten-Banken-Nexus. Wenn Banken viele Staatsanleihen ihres eigenen Landes halten, können Staatsschuldenkrisen direkt auf den Bankensektor übergreifen. Dieses Risiko muss adressiert werden, wenn man über eine europäische Einlagensicherung spricht, etwa durch Konzentrationsgrenzen für Staatsanleihen in den Bankbilanzen.
Heißt das, Edis ist in den nächsten Jahren unrealistisch?
Nicht unbedingt. Gute Argumente bringen Bewegung in die Diskussion. Entscheidend ist, wer was beiträgt. Wie die Amerikaner sagen: The give and the take makes a deal.
Herr Theurer, vielen Dank für das Gespräch.
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