Das ist eine Chance für Europa Interview in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Das Gespräch führte Dennis Kremer.
Frau Mauderer, lassen Sie uns über Europa sprechen. Wie schlecht geht es dem Kontinent?
Verzeihen Sie bitte, aber ich finde die Fragestellung zu negativ. Wir Europäer müssen verstehen, dass wir gerade ein Momentum haben. Wir sind vielen negativen geopolitischen Einflüssen ausgesetzt, das stimmt. Aber wir haben zuletzt die Erfahrung gemacht, dass es uns gelingt, diesen Einflüssen zu trotzen, wenn wir als Einheit auftreten.
Ist uns das wirklich gelungen? Beim Besuch der europäischen Regierungschefs im Weißen Haus vor einigen Wochen hatte man nicht den Eindruck, dass Europa gerade besonders stark dasteht.
Ich komme in meinem jetzigen Job viel in der Welt herum. Und dabei merke ich immer wieder, dass für viele Menschen auf dieser Welt Europa ein echter Sehnsuchtsort ist. Es gibt Dinge, auf die wir sehr stolz sein können, das greifbarste Symbol dafür ist unsere gemeinsame Währung, der Euro.
Das klingt ein wenig so, als sei dies Wunschdenken einer Notenbankerin.
Ganz und gar nicht. Es mag in jüngster Zeit etwas untergegangen sein, aber die Zustimmung zum Euro ist mit 83 Prozent so hoch wie nie. Das freut mich sehr. Was uns außerdem Mut machen sollte, ist das steigende Interesse der internationalen Investoren an Europa. Wir sehen eine größere Nachfrage nach europäischen Aktien, aber auch nach europäischen Anleihen. Für Anleger spielt es eine große Rolle, dass die Prinzipien von Demokratie, Rechtsstaat und Gewaltenteilung auf unserem Kontinent fest verankert sind. Auch die Unabhängigkeit der Zentralbanken wird respektiert. Solche funktionierenden Grundprinzipien sind insbesondere für langfristig orientierte Investoren von großer Bedeutung. Anleger schauen sich daher die Entwicklungen in den USA genau an.
Trotzdem scheinen uns diese Prinzipien nicht überall zu helfen. Bei den Verhandlungen mit Donald Trump musste Europa am Ende höhere Zölle akzeptieren. Das wirkte eher wie ein Zeichen von Schwäche.
Es gelang zumindest, das Schlimmste abzuwenden. Ich finde, aus den jüngsten Ereignissen lässt sich doch vor allem eines lernen: Europa kann nur dann mit anderen Mächten auf Augenhöhe agieren, wenn es geeint auftritt. Das gilt sowohl politisch als auch wirtschaftlich. Die beiden großen Themen wirtschaftliche Stärke und Verteidigungsfähigkeit hängen dabei eng miteinander zusammen. Nur wer wirtschaftlich stark ist, ist in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Und nur wer wehrhaft ist, kann auch wirtschaftlich stark sein. Das bedingt sich gegenseitig, wobei Europa auf beiden Feldern sicherlich noch zulegen muss. Dann ergibt sich daraus zwangsläufig auch die entsprechende Verhandlungsstärke.
Deutschlands Wirtschaft ist zuletzt sogar noch einmal stärker geschrumpft als angenommen. Folgt man Ihnen, müsste das doch eher ein Anlass sein, sich Sorgen zu machen.
Das ist natürlich kein guter Zustand. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa ist das Wachstum von Wirtschaftsleistung und Produktivität niedrig. Wer dann von hier aus über den Atlantik blickt, sieht die Vereinigten Staaten in beiden Punkten deutlich vorne. Aber auch hier will ich Mut machen: Wir sehen doch gerade in der heutigen Zeit, wie schnell sich die Dinge ändern können. Die USA wuchsen doch auch deswegen lange so gut, weil sie eine hohe Migration zuließen – Einwanderer halfen dabei, die Volkswirtschaft nach vorne zu bringen. Nun scheint man sich politisch von dieser Idee abzuwenden. Das ist eine Chance für Europa, die besten Köpfe aus der ganzen Welt anzuziehen.
Viele Europäer scheinen das anders zu sehen, die Skepsis in der Bevölkerung ist bei diesem Thema groß.
Wir sollten die Themen Flüchtlingspolitik und arbeitsmarktorientierte Zuwanderung auseinanderhalten. Ein Beispiel, an dem sich der Rest Europas orientieren könnte, ist meiner Ansicht nach Spanien. Das Land kam im zweiten Quartal auf ein Wirtschaftswachstum von 2,8 Prozent im Jahresvergleich – das ist die höchste Wachstumsrate unter den großen Ländern im Euroraum. Und Spanien profitiert dabei auch vom Zustrom an ausländischen Fachkräften, die dringend gebraucht werden. Natürlich fällt vielen Zuwanderern die Integration dort auch leichter, weil sie oft aus Südamerika kommen und eine gemeinsame Sprache haben. Aber insgesamt ist das ein Beispiel dafür, wie man mit gelungener Integration in wenigen Jahren wirtschaftliche Erfolge feiern kann. In Zeiten des demografischen Wandels in Europa ist dies wichtiger denn je.
Betonen Sie das so, weil Sie die Befürchtung haben, dass diese Einsicht in der momentanen politischen Diskussion untergeht?
Ja. Selbstverständlich muss man die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Darum finde ich es so wichtig, ihnen zu sagen: Wenn wir dauerhaft unser Wachstums- und Wohlstandsniveau sichern wollen, braucht es in Zeiten einer alternden Bevölkerung eben auch gezielte Zuwanderung. Sonst bleibt das Wirtschaftswachstum am Ende aus. Aber mir ist auch klar, dass sich diese Zusammenhänge nicht so leicht vermitteln lassen.
Die neue Bundesregierung macht Schulden in Rekordhöhe und will so auch das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Die Bundesbank steht diesem Ansatz traditionell kritisch gegenüber.
Auch hier ist mir die internationale Perspektive wichtig: Und international wurde außerordentlich begrüßt, dass Deutschland endlich verstanden hat, dass es investieren muss. Seien Sie gewiss: Wofür genau wir das Geld dann ausgeben werden, darauf werden auch die internationalen Anleger ein Auge haben. Wird es eher in den Konsum fließen oder tatsächlich für Investitionen im eigentlichen Sinne verwendet? Fördern wir damit überkommene Geschäftsmodelle von Industriezweigen, die sich auf politische Lobbyarbeit verstehen, oder fördern wir Zukunftsbranchen? Wenn Deutschland hier auf den falschen Pfad abbiegt, würden auch die Anleger darauf mit Enttäuschung reagieren.
Haben Sie als Vertreterin der Bundesbank das Gefühl, dass Deutschland auf dem richtigen Weg ist?
Erst die nächsten Monate werden zeigen, wohin das Geld konkret fließt und auch wie schnell unser Land all die Vorhaben umsetzen kann. Die Regierung hat sich für den Herbst zudem weitere Reformen vorgenommen. Wichtig wäre auch, das Thema Rente verstärkt in den Blick zu nehmen.
Deutschland verschuldet sich gerade in einem Maße, wie es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie vorgekommen ist. Sollte man da wirklich so gelassen bleiben wie Sie?
Die großen Zahlen, um die es geht, klingen im ersten Moment schwindelerregend. Aber im internationalen Vergleich ist der deutsche Schuldenstand vergleichsweise moderat – im Besonderen mit Blick auf die Vereinigten Staaten. Die USA kommen auf mehr als 120 Prozent, wenn man die Höhe ihrer Schulden ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung setzt. Im Vergleich dazu stehen wir mit einer Schuldenquote in Höhe von 62,5 Prozent im Jahr 2024 sehr solide da. Aber ich wiederhole gerne noch einmal: Für mich ist entscheidend, wie das frische Geld ausgegeben wird und ob das dem Wirtschaftswachstum hilft. Nur dann ist es sinnvoll, sich zu verschulden.
Seit Jahresanfang hat der Euro gegenüber dem Dollar rund zehn Prozent an Wert gewonnen. Schadet das nicht dem Wachstum der deutschen Wirtschaft, die noch immer stark vom Export abhängt?
Man sollte nicht vergessen, dass Importe dadurch billiger werden – aber natürlich macht die Währungsentwicklung das Geschäft gerade für exportorientierte Unternehmen schwieriger. Ich glaube allerdings nicht, dass sich das an einer bestimmten Schwelle des Wechselkurses festmachen lässt. Es kommt eher darauf an, in welcher Geschwindigkeit sich das Euro-Dollar-Verhältnis verändert. Die jüngste Veränderung hatte durchaus ein hohes Tempo, auf das sich Unternehmen nicht so leicht einstellen können. Der Druck der Devisenmärkte zwingt deutsche Unternehmen dazu, noch wettbewerbsfähiger zu werden, wenn sie exportstark bleiben wollen. Dass wir mit solchen Situationen umgehen können, haben wir schon oft bewiesen. Denken Sie etwa an die 1980er Jahre, als die Deutsche Mark sehr stark war.
Gehen Sie davon aus, dass die Euro-Stärke andauern wird? Handelt es sich nicht vielmehr um eine Dollar-Schwäche, die auch schnell wieder vorbei sein kann?
Bei einer Dollar-Schwäche profitiert von den großen Währungen der Euro am meisten. Wir sehen vermehrt, dass internationale Investoren, übrigens auch aus den USA, Anleihen in Euro begeben. Das verstärkte Interesse an diesen sogenannten Reverse-Yankee-Bonds zeigt aber auch: Der Euro wird hier als Alternative zum Dollar gesehen. 58 Prozent der Devisenreserven entfallen auf den Dollar, aber gleich dahinter kommt der Euro mit rund 20 Prozent. Der Euro ist also die zweitwichtigste Währung der Welt. Allein das ist schon ein enormer Vertrauensbeweis.
Reicht das aus, um dem Dollar seine Rolle als Leitwährung streitig zu machen?
Ganz klar nein. Die Stärke des Dollar hat sich über Dekaden herausgebildet, sie wird nicht über Nacht verschwinden. Aber sie schwächt sich zumindest etwas ab.
Sollte Europa nicht den Moment nutzen, um zum Beispiel auch vermehrt mit eigenen Kryptowährungen zu experimentieren? Derzeit sind die USA weit enteilt.
Auch wenn der Begriff mittlerweile üblich geworden ist: Es handelt sich nicht um Währungen, sondern um Kryptoanlagen wie etwa Bitcoin und Ether. Die haben nichts mit Währungen wie dem Dollar oder dem Euro gemein. Die Wertentwicklung dieser Anlagen schwank stark. Junge Menschen interessieren sich sehr dafür, aber sie sollten wissen, dass man damit in kürzester Zeit auch viel verlieren kann. Dieser relativ junge Markt entwickelt sich weiter. Denken Sie nur an die zuletzt wieder intensiv diskutierten Stable Coins. Wir haben diese Entwicklungen im Blick. Wenn wir in der Bundesbank von einer digitalen Währung sprechen, meinen wir den digitalen Euro. Auch wenn die Grundsatzentscheidung über die Einführung des digitalen Euro noch nicht gefallen ist, bin ich der Auffassung, dass Europa hier schon jetzt eine Vorreiterrolle für sich beanspruchen kann.
Weniger vorbildlich ist die Rolle der Bundesbank auf einem anderen Feld: Die Kosten für die Sanierung der alten Bundesbank-Zentrale sind aus dem Ruder gelaufen. Was tun Sie dagegen?
Die Bundesbank ist sich ihrer Verantwortung bewusst und wird eine vernünftige wirtschaftliche Entscheidung treffen.
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