Bankenregulierung: So komplex wie nötig, so einfach wie möglich 13. Regulatorische Fachtagung
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Lieber Ulf Slopek, sehr geehrte Professoren Höfer und Kruse, meine verehrten Damen und Herren, es ist mir eine große Freude, die 13. Regulatorische Fachtagung zu eröffnen. Ein herzliches Willkommen auch unseren Rednern und Panelisten.
Zu Beginn meiner Rede möchte ich Sie auf einen kurzen Ausflug in die Welt der Medizin mitnehmen. Um die Zahl der Todesfälle durch Infektionskrankheiten zu verringern, setzten Krankenhäuser lange auf ein ganzes Bündel an Maßnahmen: Zimmer wurden regelmäßig gelüftet, Bettdecken wurden häufig gewechselt, Patienten wurden isoliert und Ärzte trugen spezielle Schutzkleidung.
Mitte des 19. Jahrhunderts führte der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis dann eine einfache Regel ein: Alle Ärzte und Medizinstudenten mussten sich vor jeder Untersuchung die Hände mit einer Chlorlösung waschen. Das Ergebnis war spektakulär: Die Sterblichkeitsrate sank innerhalb weniger Monate von über zehn Prozent auf unter drei Prozent.
Die Lösung für das Problem, das ich gleich ansprechen werde, ist sicherlich nicht ganz so einfach, und auch der Effekt mag geringer ausfallen. Aber sie ahnen sicher schon, worauf ich hinauswill: Manchmal ist eine einfache, aber passende Lösung für ein Problem besser geeignet als ein komplexes Maßnahmenbündel.
Die heutige europäische Bankenregulierung ist genau so ein komplexes Bündel von Maßnahmen. Sie verfolgt unterschiedliche Ziele und setzt dabei auf eine Vielzahl an Instrumenten, die oft miteinander verflochten sind. Die Bankenregulierung in ihrer heutigen Form entstand in einem langen und iterativen Prozess. Es wurden neue Kapitalinstrumente eingeführt, die Mindestanforderungen erhöht und zusätzliche Kapitalpuffer geschaffen. Hinzu kamen weitere Vorgaben – etwa die Verschuldungsquote, auf Englisch Leverage Ratio – und neue Abwicklungsregeln.
Das Ergebnis: Unser Bankensystem ist heute deutlich widerstandsfähiger als vor der globalen Finanzkrise 2007. Das hat sich in den vergangenen Jahren eindrucksvoll gezeigt: Weder die Corona-Pandemie noch die Energiekrise oder die Turbulenzen am amerikanischen Bankenmarkt 2023 haben das europäische Bankensystem ernsthaft in Schwierigkeiten gebracht.
In Sachen Widerstandsfähigkeit hat das europäische Bankensystem also voll und ganz geliefert. Das ist uneingeschränkt positiv. Und das sollte man immer wieder betonen. Zur ehrlichen Bestandsaufnahme gehört aber auch: Die Bankenregulierung ist heute komplexer denn je.
Vor gut einem halben Jahr habe ich gemeinsam mit meinen EZB-Ratskollegen José Luis Escrivá (Banco de España), Fabio Panetta (Banca d’Italia) und François Villeroy de Galhau (Banque de France) einen Brief an Maria Luís Albuquerque geschrieben, ihrerseits Mitglied der EU-Kommission und zuständig für Finanzdienstleistungen und die Spar- und Investitionsunion.[1] In diesem Brief haben wir die Europäische Kommission dazu aufgerufen, ihre Initiative zur Vereinfachung – Simplification – auch auf den Bankensektor auszuweiten. Im Eurosystem beschäftigen wir uns mit dieser Thematik mittlerweile im Rahmen einer hochrangigen Arbeitsgruppe.[2]
In meiner Rede werde ich zunächst kurz ausführen, was genau mit Simplification gemeint ist – und was nicht. Anschließend werde ich Ihnen die Komplexität der bestehenden Eigenmittelregulierung in Europa darstellen und aufzeigen, warum dies zu Ineffizienzen führen kann. Abschließend möchte ich dann mit vier konkreten Denkanstößen darlegen, wie wirkungsvolle Bankenregulierung einfacher werden könnte.
2 Was bedeutet Simplification?
Lassen Sie mich mit der Frage starten, was genau mit Simplification gemeint ist – und was nicht. Wichtig zu betonen ist mir, dass Simplification in der Bankenregulierung nicht mit Deregulierung gleichzusetzen ist. Schon gar nicht wollen wir es darauf anlegen, die Stabilität des Bankensystems zu gefährden oder Risiken zu unterschätzen.
Vielmehr steht Simplification für einen gezielten Abbau unnötiger oder vielleicht sogar kontraproduktiver Komplexität. Das heißt: Wir wollen Regulierung klarer, verständlicher und effizienter machen – und dabei weiterhin die Stabilität des Bankensystems sichern. Ganz nach dem Motto: So einfach wie möglich, so komplex wie nötig.
Ein anschauliches Beispiel für Simplification findet sich bei den Offenlegungspflichten und Berichtsstandards. Auf europäischer und nationaler Ebene gibt es bereits zahlreiche Initiativen, die Überschneidungen im Meldewesen abbauen sowie Berichtsanforderungen verschlanken und harmonisieren sollen. Ein konkretes Beispiel ist der gemeinsam mit der BaFin unternommene Vorstoß, das Millionenkreditmeldewesen zum Jahresende 2026 einzustellen. Voraussetzung hierfür ist, dass bis dahin die erforderlichen Rechtsanpassungen umgesetzt wurden.
Aber auch in anderen Bereichen der Bankenregulierung lohnt es, sich mit dem Thema Simplification zu beschäftigen. Denn die heutige Bankenregulierung ist das Ergebnis vieler Reformen, die oft als Reaktion auf spezifische Krisen und neue Herausforderungen eingeführt wurden. Dabei mussten unterschiedliche Interessen und Ziele berücksichtigt werden. Jede einzelne Maßnahme hatte ihren guten Grund.
Doch mit der Zeit ist daraus ein immer dichteres Geflecht an Vorschriften geworden. Viele Regeln greifen ineinander, manche überschneiden sich, andere sind schwer verständlich oder aufwändig umzusetzen. Das ist kein Vorwurf an die Gesetzgeber – es ist vielmehr die Folge eines langen und komplizierten Verhandlungsprozesses.
Deshalb haben wir uns in der Bundesbank gefragt: Wie sähe eine optimale Bankenregulierung aus, wenn wir sie heute ganz neu entwerfen könnten? Auch gut funktionierende Dinge sollte man regelmäßig auf den Prüfstand stellen – das ist weder ungewöhnlich noch verwerflich. In der Geldpolitik tun wir das übrigens ganz selbstverständlich. Erst vor kurzem haben wir unsere geldpolitische Strategie einer erneuten Überprüfung unterzogen. Und was sich in der Geldpolitik bewährt hat, kann auch der Bankenregulierung guttun.
3 Eigenmittelregulierung: Status quo
Wie zeigt sich die Komplexität der europäischen Bankenregulierung – und welche unbeabsichtigten Nebenwirkungen kann sie haben? Konzentrieren möchte ich mich im Folgenden auf die Eigenmittelregulierung. Hier lässt sich die Komplexität gut veranschaulichen.
Europäische Banken sehen sich heute mit einer Vielzahl paralleler Eigenmittelanforderungen konfrontiert. Diese Anforderungen betreffen zum einen den Kapitalrahmen und zum anderen den Abwicklungsrahmen. Der Kapitalrahmen regelt, wie viel und welche Art von Eigenmitteln eine Bank im laufenden Geschäftsbetrieb – also im Going-Concern-Fall – vorhalten muss. Ziel ist es, die Solvenz und Stabilität der Bank im Alltag zu sichern und Verluste aus dem laufenden Geschäft abzufedern.
Im Kapitalrahmen gibt es vier zentrale Eigenkapitalanforderungen: drei risikogewichtete und eine ungewichtete. Risikogewichtet heißt: Die Aktiva werden je nach Risiko unterschiedlich bewertet. Ein besicherter Kredit an einen zuverlässigen Schuldner bekommt so ein kleineres Risikogewicht als ein unbesicherter Kredit an einen riskanten Schuldner. Über die Gewichtung lassen sich Kreditrisiken genauer erfassen.
Banken müssen für ihre risikogewichteten Aktiva drei Vorgaben erfüllen – für das harte Kernkapital, das zusätzliche Kernkapital und die gesamten Eigenmittel. Um diese für manche vielleicht etwas abstrakten Begriffe greifbarer zu machen: Zum harten Kernkapital zählen zum Beispiel ausgegebene Aktien oder einbehaltene Gewinne. Dieses Eigenkapital fängt Verluste am besten ab. Ein wichtiges Instrument im zusätzlichen Kernkapital sind bedingte Pflichtwandelanleihen, auch Coco-Anleihe genannt. Sie werden bei bestimmten Ereignissen automatisch von Fremd- in Eigenkapital umgewandelt. Zum Ergänzungskapital gehören vor allem nachrangige Verbindlichkeiten.
Als weitere Vorgabe müssen Banken eine Verschuldungsquote einhalten – die sogenannte Leverage Ratio. Dabei wird einfach gesagt das Kernkapital ins Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme gesetzt – ohne Risikogewichtung.[3] Die Leverage Ratio begrenzt die Verschuldung von Banken und stellt eine zusätzliche Sicherungsebene zu den risikogewichteten Kapitalanforderungen dar.
Für den Fall der Abwicklung einer Bank, also für den Gone-Concern-Fall, beinhaltet der Abwicklungsrahmen weitere Anforderungen. Ziel dabei: Auch Banken, deren Insolvenz die Finanzstabilität gefährden könnte, geordnet abwickeln zu können – und das, ohne die Steuerzahlenden zu belasten.
Wie dies in Europa ablaufen soll, regelt der Abwicklungsrahmen. Hierzu zählt die Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL). Diese umfasst ebenfalls sowohl risikogewichtete als auch ungewichtete Bestandteile. Um die Anforderungen im Abwicklungsrahmen zu erfüllen, können Banken neben Eigenkapital auch gewisse Instrumente des Fremdkapitals nutzen. Für globale, systemrelevante Banken gelten außerdem internationale Standards wie die Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC).
Insgesamt müssen große Banken in Europa bis zu neun verschiedene Eigenmittelanforderungen erfüllen. Weil hier verschiedene Anforderungen nebeneinanderstehen, sprechen wir von horizontaler Komplexität. Hinzu kommt eine vertikale Komplexität. Denn diese Anforderungen bestehen wiederum aus mehreren, übereinanderliegenden Schichten.
Alle europäischen Banken müssen gewisse Mindestanforderungen erfüllen, die erste Schicht. Zudem gilt es in der zweiten Schicht verschiedene Kapitalpuffer einzuhalten. Hierzu zählen in den risikogewichteten Kapitalanforderungen der Kapitalerhaltungspuffer, der Puffer für systemrelevante Banken, der antizyklische Kapitalpuffer und der Systemrisikopuffer. Mindestanforderungen und Puffer sind teils für alle Banken gleich, teils bank- oder länderspezifisch – und sie können sich im Zeitverlauf ändern. Außerdem gibt es mit der sogenannten Säule-2-Empfehlung eine dritte Schicht. Hierbei handelt es sich um eine zusätzliche, von der Aufsicht empfohlene Kapitalreserve. Und auch im Abwicklungsrahmen gibt es mehrere Schichten.
Falls Ihnen jetzt schon der Kopf raucht: Vielen Banken und Finanzinvestoren geht es genauso. Problematisch wird diese Komplexität, wenn sie zu Ineffizienzen führt oder sich die einzelnen Elemente gegenseitig behindern. Zwei zentrale Problemfelder möchte ich Ihnen nun kurz aufzeigen.
Erstens: Die Vielzahl an Kapitalanforderungen bereitet Banken, Aufsehern und Marktteilnehmern Schwierigkeiten, jederzeit zu erkennen, welche Anforderung gerade bindet. Denn dies hängt von vielen Faktoren ab – etwa von der Kapitalstruktur und den vorhandenen Puffern.
Zweitens: Es gibt zahlreiche Neben- und Wechselwirkungen, die die eigentlichen Ziele der Vorgaben untergraben können. Beispielsweise verringern die Doppelanrechnung von Eigenmitteln für Puffer und parallele Mindestanforderungen die tatsächlich verfügbaren Puffer. Und dies kann wiederum dazu führen, dass die Aufsicht Puffer zwar freigibt, Banken diese aber nicht nutzen können. Dieses Problem ist bereits gut dokumentiert.[4]
Ein anderes Beispiel: Große Banken erfüllen einen Teil ihrer Anforderungen häufig mit zusätzlichem Kernkapital wie bedingten Wandelanleihen. Im Ergebnis haben sie weniger hartes Eigenkapital, um Verluste abzufedern.
Auch die unterschiedlichen Auslösepunkte für Krisenmaßnahmen können problematisch sein: Aus Sicht des Kapitalrahmens erscheint ein möglichst später Auslösepunkt sinnvoll, damit Banken ihre Puffer auch nutzen und die Kreditvergabe aufrechterhalten. Dies kann aus Abwicklungssicht dann aber zu wenig Kapital für eine geordnete Abwicklung lassen
Wie Sie sehen, führt die komplexe Regulierung teils zu unerwünschten Nebenwirkungen – und untergräbt damit ihr eigentliches Ziel.
4 Mögliche Handlungsfelder
Wie könnten wir die Komplexität der Eigenmittelregulierung spürbar verringern? Hierzu möchte ich Ihnen vier Denkanstöße vorstellen.
4.1 Zahl der Eigenmittelanforderungen verringern
Ein erster Ansatzpunkt wäre, die Zahl der Eigenmittelanforderungen zu verringern. Im Kapitalrahmen könnte nur noch das harte Kernkapital als anrechenbar zugelassen werden. Dadurch würde sich die Zahl der parallelen Anforderungen für Banken im laufenden Geschäftsbetrieb bereits halbieren. Es blieben eine risikogewichtete und eine ungewichtete Anforderung für das harte Kernkapital.
Gerade beim zusätzlichen Kernkapital gibt es seit Jahren Zweifel, ob es im laufenden Betrieb wirklich wie vorgesehen Verluste auffangen kann.[5] Und auch die internationalen Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen: In Krisen trägt das zusätzliche Kernkapital oft erst dann Verluste, wenn die Bank bereits kurz vor dem Scheitern steht.[6] Würde man stattdessen konsequent auf hartes Kernkapital setzen, wäre die Verlusttragfähigkeit der Banken im laufenden Geschäft deutlich gestärkt. Denn das harte Kernkapital deckt Verluste uneingeschränkt ab und ist nicht an Rückzahlungen oder Umwandlungen gebunden. Außerdem würde der Kapitalrahmen so deutlich übersichtlicher und weniger komplex.
4.2 Kapital- und Abwicklungsrahmen klarer voneinander trennen
Ein zweiter Ansatzpunkt wäre, Kapitalrahmen und Abwicklungsrahmen klarer voneinander zu trennen. Dazu könnten wir im Abwicklungsrahmen für je eine risikogewichtete und eine ungewichtete Anforderung nur noch Instrumente zulassen, die nicht zum harten Eigenkapital des Kapitalrahmens gehören. Also zusätzliches Kernkapital, Ergänzungskapital und nachrangige Verbindlichkeiten.
Diese würden dann nur noch im Abwicklungsrahmen anerkannt. So blieben die für die Abwicklung vorgesehenen Mittel von Verlusten im normalen Geschäftsbetrieb unberührt und stünden im Krisenfall wirklich zur Verfügung. Denn auch wenn hartes Kernkapital die beste Verlusttragfähigkeit bietet, kann es durch die Doppelanrechnung in Kapital- und Abwicklungsrahmen bei einer Abwicklung meist schon weitgehend aufgebraucht sein.
Die klare Trennung von Kapital- und Abwicklungsrahmen hätte einen weiteren Vorteil: Die Anforderungen würden sich nicht mehr überschneiden. Und so könnten Banken ihre Kapitalpuffer jederzeit nutzen, ohne gleichzeitig eine Mindestanforderung zu verletzen.
Die Komplexität des Abwicklungsrahmens könnte nochmals verringert werden, indem nur noch nachrangige Verbindlichkeiten zugelassen würden. Instrumente wie vorrangige Anleihen könnten somit nicht mehr zur Deckung der Anforderungen verwendet werden. Dies würde eine effektive Abwicklung erleichtern, da nachrangige Instrumente gezielt abgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden können. Und das ohne unerwünschte Nebenwirkungen für das Finanzsystem.
4.3 Kapitalpuffer bündeln
Ein dritter Ansatzpunkt wäre, die verschiedenen Kapitalpuffer zu bündeln. Ziel ist hierbei nicht, die bestehende Aufgabenteilung zwischen europäischen und nationalen Aufsichtsbehörden auszuhebeln. Es geht darum, innerhalb der bestehenden Zuständigkeiten die Regulierung zu vereinfachen.
Eine von mehreren Möglichkeiten wäre, den antizyklische Kapitalpuffer und den Systemrisikopuffer aus der nationalen makroprudenziellen Aufsicht zu einem einzigen, freigebbaren Puffer zusammenzufassen. Er könnte dann in Stressphasen flexibel durch die Aufsicht freigegeben und durch die Banken genutzt werden. Wenn die Aufsicht den Puffer in einer Stressphase freigibt, sinken die Eigenmittelanforderungen der Banken. Und dies unterstützt sie dabei, weiter Kredite an Unternehmen und Haushalte zu vergeben.
4.4 Kleinbankenregime einführen
Mein vierter Ansatzpunkt: Für Kleinbanken könnten die Eigenmittelanforderungen noch stärker vereinfacht werden. Kleinbanken unterliegen in vielen Bereichen bereits jetzt dem Grundsatz der Proportionalität. Proportionalität in der Bankenregulierung bedeutet: Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen richten sich nach Größe, Geschäftsmodell, Komplexität und Risikoprofil der Banken. Das Ziel: Kleinere und weniger komplexe Institute nicht mit denselben umfangreichen Vorschriften zu belasten wie große, international tätige Banken.
Bei den Eigenkapitalanforderungen gelten für kleine Banken in Europa derzeit allerdings ähnlich komplexe Vorgaben wie für große Banken. Im Kapitalrahmen besteht also noch erhebliches Potenzial, die Proportionalität zu stärken. Denn gerade die komplexen Anforderungen des risikobasierten Rahmenwerks mit ihren Ausnahmen und Sonderregelungen stellen Kleinbanken vor große Herausforderungen.
Inspiration für eine Vereinfachung findet sich zum Beispiel in der Schweiz. Dort können sich Kleinbanken freiwillig für ein Regime entscheiden, bei dem die risikogewichteten Anforderungen entfallen.[7] Auch für kleine, wenig komplexe und risikoarme Banken in der EU wäre das überlegenswert. Damit würden die aufwändige Berechnung und Dokumentation risikogewichteter Aktiva entfallen – ebenso wie viele Melde- und Offenlegungspflichten. Im Gegenzug würde die Verschuldungsquote, also die Anforderung an das Kernkapital im Verhältnis zu den ungewichteten Aktiva, entsprechend erhöht.[8] Die genaue Höhe der Verschuldungsquote wäre noch zu bestimmen.
Unterm Strich würde die Komplexität der Eigenkapitalanforderungen für kleine Banken deutlich sinken, aber ihre Widerstandsfähigkeit bliebe erhalten. Auch hier gilt also: Simplification ist nicht Deregulierung, sondern einfachere, aber wirksame Regulierung.
Zusammengenommen könnten die vorgeschlagenen Maßnahmen die Komplexität der europäischen Bankenregulierung spürbar reduzieren und unerwünschte Nebenwirkungen verringern. Und das alles, ohne die Stabilität des Bankensystems zu gefährden. Oder, sie vielleicht sogar noch weiter zu erhöhen.
5 Schluss
Meine verehrten Damen und Herren, zu Beginn meiner Rede habe ich vom Arzt Ignaz Semmelweis berichtet. Obwohl seine einfache Maßnahme des Händewaschens durchschlagenden Erfolg hatte, stieß sie nicht sofort bei allen Kollegen auf Gegenliebe. Aber die Bedeutung der Händehygiene setzte sich schließlich weltweit durch und gilt heute als eine der wichtigsten und einfachsten Maßnahmen zur Infektionsprävention.
Auch wenn es um die Reduzierung von Komplexität in der Bankenregulierung geht, müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten. Denn oftmals geht man intuitiv davon aus, dass ein komplexes Thema wie die Stabilität von Banken nur mit ebenso komplexer Regulierung zu bewältigen sei. Aber wenn ich Sie heute von einer Sache überzeugen konnte, dann hoffentlich davon: Es lohnt sich, die Komplexität unserer Bankenregulierung kritisch zu hinterfragen.
Das Problem zu erkennen, ist häufig noch einfach – die optimale Lösung zu finden, dagegen oft deutlich schwieriger. Einige konkrete Denkanstöße habe ich Ihnen heute bereits vorgestellt. Lassen Sie mich diese nochmal kurz und knapp zusammenfassen:
Erstens: Im Kapitalrahmen könnte ausschließlich hartes Kernkapital verwendet werden. Hierdurch halbiert sich die Zahl der Eigenmittelanforderungen.
Zweitens: Im Abwicklungsrahmen könnten nur Instrumente zugelassen werden, die nicht zum harten Kernkapital gehören. So werden die Anforderungen im Kapital- und Abwicklungsrahmen klar voneinander getrennt.
Drittens: Die makroprudenziellen Kapitalpuffer könnten zusammengefasst und so ausgestaltet werden, dass sie im Krisenfall leichter und flexibler freigegeben werden können.
Viertens: Für kleinere, risikoarme Banken könnten die Anforderungen weiter vereinfacht werden. Statt komplexer, risikogewichteter Vorgaben besser eine höhere, aber unkomplizierte Verschuldungsquote.
Klar ist: Wir stehen am Anfang eines langen Weges. Die vier Denkanstöße müssen noch weiter analytisch untermauert und auf mögliche Nebeneffekte hin untersucht werden. Außerdem gilt es, zahlreiche Details sorgfältig festzulegen und eingehend zu prüfen.
Mit dieser Rede möchte ich die Diskussion mit unseren nationalen und europäischen Partnern weiter voranbringen. Denn ich bin überzeugt: Wir sollten auf diesem Weg mutig voranschreiten. Simplification ist machbar – ganz nach dem Motto: so komplex wie nötig, so einfach wie möglich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Fußnoten:
- Gemeinsames Schreiben des Bundesbankpräsidenten und der Governeure de France, Banca d'Italia und Banco de España an die Kommissarin Albuquerque zu Bankenregulierung
- What is the ECB High-Level Task Force on Simplification?
- Siehe Eigenmittel | Deutsche Bundesbank für eine ausführliche Erläuterung der verschiedenen Kapitalarten.
- Vgl. z. B.: ESRB (2021), Report of the Analytical Task Force on the overlap between capital buffers and minimum requirements, Dezember 2021 oder BCBS (2022), Buffer usability and cyclicality in the Basel framework, 5 Oktober 2022.
- BCBS (2022), Evaluation of the impact and efficacy of the Basel III reforms, 14 December 2022.
- BCBS (2023), Report on the 2023 banking turmoil, 5 October 2023.
- Dossier Kleinbanken | FINMA
- Admati, A. und M. Hellwig (2013), The Bankers' New Clothes. What’s Wrong with Banking and What to Do about It, Princeton University Press, argumentieren ebenfalls für die Verschuldungsquote als einzige Anforderung in der Eigenkapitalregulierung.