Der digitale Euro: Innovationsmotor für die deutsche Industrie? Keynote bei der Konferenz mit dem BDI
Es gilt das gesprochene Wort.
Einleitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
zuallererst möchte ich mich herzlich für die hervorragende Zusammenarbeit mit dem BDI bedanken. Unsere gemeinsame Arbeit ist geprägt von Vertrauen, Professionalität und einem gemeinsamen Ziel: die Zukunft aktiv zu gestalten. Ohne unsere erfolgreiche Partnerschaft könnte diese Konferenz heute nicht stattfinden. Vielen Dank an alle Beteiligten für Ihr Engagement und Ihre Unterstützung.
Ich freue mich daher sehr, heute Abend hier in Berlin zu sein – einer Stadt, die auch als Europas „Unicorn-Fabrik“ bekannt ist. In den letzten Jahren hat Berlin mehr als 20 Einhörner hervorgebracht, also Start-Ups und FinTechs, die mit über einer Milliarde US-Dollar bewertet werden.
Berlin steht für Technologie, Innovation und Unternehmertum in Deutschland und in Europa. Technologie ist der Treiber für Fortschritt. Innovation ist der Schlüssel zu Wettbewerbsfähigkeit. Und das Unternehmertum ist die treibende Kraft dahinter. Wo, wenn nicht hier, lässt sich über den rasanten transformativen Fortschritt und Innovationen sprechen.
Dieser Fortschritt zeigt sich auch im Zahlungsverkehr. Im Alltag nutzen wir immer mehr digitale Bezahlverfahren, zum Beispiel wird immer häufiger mit dem Smartphone oder der Smartwatch bezahlt. Geld wird zunehmend digital und dieser Wandel wird durch technologische Innovationen wie die Distributed Ledger Technologie (DLT) und Stablecoins weiter vorangetrieben.
Zeichen der Zeit
Meine Damen und Herren,
Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.
Dieses Zitat stammt von Friedrich Schiller. Dennoch trifft es auch auf uns als Zentralbank und den europäischen Zahlungsverkehr zu. Denn mit der Zeit sind neue, globale Akteure in den europäischen Zahlungsverkehr gekommen und sie verändern heute mit ihren Innovationen die Spielregeln in unserem Markt.
Für Zentralbanken stellt sich daher eine wegweisende Frage: Was muss Zentralbankgeld zukünftig können, damit es weiter genutzt wird? Und welche Rolle wollen wir als Zentralbank in einer Welt einnehmen, die zunehmend von digitalen Innovationen und globalen Akteuren geprägt ist?
Die Antwort darauf ist entscheidend – nicht nur für die Zukunft des Zahlungsverkehrs, sondern für unsere Unabhängigkeit als Zentralbank und die wirtschaftliche Souveränität und Resilienz Europas.
Die Zentralbanken im Eurosystem haben sich entschieden, das Zentralbankgeld auf den neuesten Stand zu bringen. Denn wir wollen das Vertrauen und die Stabilität in den Euro sichern – auch in unserer zunehmend digitalen Welt.
Ein wichtiger Baustein auf diesem Weg ist die Einführung von digitalem Zentralbankgeld, kurz CBDC, das wir in zwei Varianten entwickeln. Die Retail-Variante ist der digitale Euro, also ein digitales Zahlungsmittel für alle Bürgerinnen und Bürger. Die zweite Variante, das sogenannte Wholesale-CBDC, dient zur Abwicklung von großen Finanzmarkttransaktionen in sicherem Zentralbankgeld bei gleichzeitiger Nutzung der Vorteile der DLT.
Der digitale Euro für Privatpersonen
Beginnen wir mit der Retail-Variante, dem digitalen Euro. Die Zentralbanken des Euroraums bieten damit zusätzlich zu Scheinen und Münzen ein digitales Zahlungsmittel an, das schnell, einfach und sicher verwendet werden kann.
Heute gibt es in Europa keine europäische, digitale Zahlungslösung, die im gesamten Euroraum und allen Bezahlsituationen genutzt werden kann. Mit unserem Eurobargeld sind Ländergrenzen im Euroraum kein Hindernis mehr, aber die deutsche Girocard endet spätestens an der deutschen Grenze.
Etwa zwei Drittel der Kartenzahlungen in Europa werden heutzutage über außereuropäische Unternehmen wie Visa oder Mastercard abgewickelt. Darüber hinaus haben 13 der 20 Länder des Euroraums kein nationales Kartensystem wie wir in Deutschland mit der Girocard. Diese Länder sind daher vollkommen auf nicht-europäische Kartensysteme angewiesen, auch im Inland.
Das macht uns abhängig von US-Konzernen und damit gehen Risiken für den europäischen Zahlungsverkehr und die europäische Wirtschaft einher. Europa muss mehr Souveränität wagen, auch im Zahlungsverkehr.
Zudem etablieren wir mit dem digitalen Euro ein europäisches Bezahlverfahren, dass auf einer europäischen Infrastruktur läuft und somit einen wichtigen Beitrag zur Unabhängigkeit Europas leistet. Mit dem digitalen Euro bleibt Europa handlungsfähig.
Der digitale Euro wird Zahlungen einfach, sicher und grenzüberschreitend im gesamten Euroraum ermöglichen. Den digitalen Euro könnten Sie genauso einfach nutzen wie Ihre Girocard und bestehende Bezahlapps auf Ihrem Smartphone – sei es an der Ladenkasse, beim Online-Shopping, für Überweisungen an Freunde oder bei Behörden. Das ist eine Premiere. Denn neben dem digitalen Euro bietet kein anderes digitales Zahlungsmittel all diese Möglichkeiten aus einer Hand.
Dabei steht der Schutz der Privatsphäre für die Nutzerinnen und Nutzer im Mittelpunkt. Der digitale Euro schützt vor kommerzieller Datennutzung, denn das Eurosystem hat kein Interesse daran und wird Nutzerinnen und Nutzer nicht direkt identifizieren können. Mit dem digitalen Euro entfällt also der Tauschhandel von komfortablem Bezahlen gegen Zahlungsdaten.
Selbst Offline-Zahlungen – also Zahlungen ohne Internetverbindung – sollen möglich sein. Damit bliebe der digitale Euro auch in Krisensituationen ein verlässliches und resilientes Zahlungsmittel: Denken Sie beispielsweise an die großflächigen Stromausfälle in Spanien vor einem halben Jahr. Geldautomaten funktionierten nicht mehr, Kreditkarten konnten nicht gelesen werden und Computer keine Zahlungen verarbeiten. In solchen Situationen könnte ein „offline“ digitaler Euro neben dem Bargeld das einzige Zahlungsmittel sein, um kurzfristig Abhilfe zu schaffen und notwendige Geschäfte erledigen zu können.
Der digitale Euro würde den europäischen Zahlungsverkehr daher effizienter, resilienter und unabhängiger machen.
Der digitale Euro für Unternehmen
Ein digitaler Euro wäre also für Privatpersonen ein Fortschritt. Aber welchen Mehrwert könnte er der deutschen Industrie bieten? Den größten Mehrwert würde der digitale Euro für Unternehmen da bieten, wo Kontakt zum Bürger besteht. Angebote, die sich direkt an Konsumenten richten (B2C) oder Zahlungen an Mitarbeitende, insbesondere wenn sie in verschiedenen Ländern der Eurozone mit verschiedenen Bezahlverfahren aktiv sind.
Der digitale Euro würde es Handelsunternehmen ermöglichen, Zahlungsprozesse effizienter, kostengünstiger und kundenfreundlicher zu gestalten und könnte Innovationen beschleunigen. Mit niedrigeren Gebühren und einer möglichst nahtlosen Integration in bestehende Zahlungssysteme wie zum Beispiel Kassenterminals, können Kunden mit dem digitalen Euro europaweit schnell und unkompliziert bezahlen. Dies würde nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit von europäischen Unternehmen stärken, sondern auch ein einheitliches und vertrauenswürdiges Zahlungserlebnis für Kunden schaffen.
Ein bedeutender Vorteil liegt in der europaweiten Infrastruktur, die der digitale Euro mit sich bringen würde. Diese wäre in allen Euroländern einheitlich nutzbar. Ein System für alle Euroländer. Vorbei die Zeit der fragmentierten Systeme, der länderspezifischen Barrieren und Besonderheiten. Stattdessen eine durchgängige, vernetzbare Plattform, die digitale Zahlungen im gesamten Euroraum ermöglicht. Auf dieser europäischen Plattform ließe sich aufsetzen. Sie könnte als Basis dienen für innovative private Dienstleistungen.
Weitere Effizienzen ließen sich für Unternehmen beim Datenschutz heben, Stichwort Identitätsnachweise. Im Jahr 2026 wird die European Digital Identity (EUDI) Wallet von der Europäischen Union angeboten, eine persönliche digitale Geldbörse auf dem Smartphone. Auch wenn das Zusammenwirken von EUDI-Wallet mit dem digitalen Euro noch Zukunftsmusik ist, bieten sich hier eventuell weitere Potenziale in der Autorisierung von Zahlungen.
Mit Blick auf die Verfügbarkeit böte der digitale Euro die größtmögliche Flexibilität für Unternehmen. Denn mit dem digitalen Euro könnte Ihr Kunde zu jeder Zeit und überall im Euroraum bezahlen, auch ohne Netzempfang.
Weiter in die Zukunft gedacht, liegt ein vielversprechender Anwendungsbereich des digitalen Euro in der Einführung von „Conditional Payments“ – also automatischen Zahlungen, die nur unter bestimmten, vorher definierten Bedingungen ausgeführt werden.
In diesem Jahr hat die Europäische Zentralbank (EZB) mit fast 70 Marktteilnehmern innovative Anwendungsfälle für den digitalen Euro untersucht und technische Experimente durchgeführt, darunter Händler, Fintechs, Start-ups und Banken, davon über 30 Prozent aus Deutschland. Diese Innovationsplattform soll im nächsten Jahr fortgesetzt werden, denn „Conditional Payments“ sind der wichtigste Innovationstreiber für Verbraucher und Unternehmen.
Durch „Conditional Payments“ könnte zum Beispiel beim Onlineshopping erst dann die Überweisung ausgeführt werden, wenn der Käufer den Wareneingang bestätigt hat. So würde der Verbraucherschutz gestärkt. In öffentlichen Verkehrsmitteln könnte die Tap-and-Go-Funktion genutzt und automatisch der günstigste Tarif ausgewählt werden und das europaweit.
Auch im B2B-Bereich könnten solche Mechanismen die Abwicklung komplexer Vertragsvereinbarungen vereinfachen, Kosten senken und die Standardisierung fördern.
Uns ist bewusst, dass es eine Nachfrage nach einer noch weitergehenden Digitalisierung im Zahlungsverkehr gibt: programmierbare Zahlungen. Wir erkennen das Potenzial und den Bedarf an einer solchen Funktionalität an. Dazu zählen Smart Contracts mit Machine-to-Machine-Zahlungen (M2M), automatische Zahlungen in autonomen Lieferketten oder die sofortige Lieferung von Wertpapieren gegen Zahlung (DvP).
Deswegen entwickelt das Eurosystem auch hier mit Hochdruck Lösungen. Mit der Wertpapieremission, dem Wertpapierhandel und Großbetragszahlungen in einer DLT-Umgebung werden erste Anwendungsfälle realisiert. Im Projekt Pontes, welches das Eurosystem im August dieses Jahres vorgestellt hat, geht es um die kurzfristige Bereitstellung von digitalem Zentralbankgeld in einer DLT-Umgebung für Finanzinstitute. Pontes dient als technische Brücke zwischen DLT-Marktplattformen und unserem Echtzeit-Bruttoabwicklungssystem, den TARGET-Services. Diese Lösung kombiniert Schlüsselkomponenten und Funktionalitäten der zuvor in unserer Explorationsphase getesteten Interoperabilitätsansätze. Unternehmen profitieren hier als Emittenten von Wertpapieren, da Prozesse verkürzt und verschlankt und so die Kosten von Wertpapieremissionen gesenkt werden können.
Zusätzlich untersucht das Eurosystem im Projekt Appia, wie Bargeld, Vermögenswerte, Infrastrukturen und Marktteilnehmer in einem vollständig digitalen Umfeld interagieren können. Auch hier können sich Anwendungsfelder für Unternehmen finden, beispielsweise über Angebote eines tokenisierten Geschäftsbankengelds. Appia greift auf Marktexpertise zurück und stellt damit sicher, dass zukünftige Lösungen sowohl innovativ als auch praxistauglich sind. Auf diese Weise bietet Appia einen strategischen Rahmen für die zukünftige Rolle des Zentralbankgeldes im digitalen Finanzsystem. Zusammen legen diese beiden Schwerpunkte den Grundstein für ein sicheres, effizientes und zukunftsorientiertes Finanzsystem in Europa.
Denn für ein starkes und souveränes Europa ist digitales Zentralbankgeld ein wichtiger Anker, sei es in Form des digitalen Euro oder Wholesale-CBDC.
Ausblick
Die Dringlichkeit für den digitalen Euro und Wholesale-CBDC ist gegeben. Bei Wholesale-CBDC schreiten wir voran. Mit dem Projekt Pontes hat sich das Eurosystem sogar verpflichtet bis Ende 2026 eine kurzfristige und pragmatische Lösung bereitzustellen.
Für die Einführung des digitalen Euro braucht es mehr Zeit, denn sie ist grundlegender. Aktuell verhandeln der Rat und das Europäischen Parlament in Brüssel den Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission. Wir erwarten, dass das Trilog-Verfahren 2026 beginnt und schnell voranschreitet, sodass das Gesetzgebungsverfahren dann hoffentlich abgeschlossen werden kann.
Nach dessen Abschluss wird das Eurosystem voraussichtlich zweieinhalb bis drei Jahre Zeit benötigen, um den digitalen Euro tatsächlich einzuführen. Mit dem digitalen Euro können Sie daher frühestens 2029 rechnen.
Die Einführung des digitalen Euro ist ein ambitioniertes, gesamteuropäisches Vorhaben, das sorgfältige Vorbereitung erfordert. Über 25 Jahre nach Einführung des Euros sind wir bereit und werden mit seinem „digitalen Zwilling“ einen wesentlichen Schritt gehen.
Schluss
Meine Damen und Herren,
unter dem Motto unsere digitale Souveränität gemeinsam gestaltet
wird in knapp zwei Wochen, am 18. November, hier in Berlin der europäische Gipfel zur digitalen Souveränität stattfinden. Auf Einladung des deutschen und des französischen Digitalministeriums soll auf dem Gipfel ein starker Impuls für ein digital souveränes Europa gegeben und beispielsweise erste Implementierungen der EUDI-Wallet präsentiert werden.
Die Bedeutung unserer digitalen Souveränität wurde auch von der Politik als Dreh- und Angelpunkt für die Zukunft Europas erkannt.
Der digitale Euro ist ein Symbol für Unabhängigkeit, wirtschaftliche Sicherheit und Innovation. Ein Innovationstreiber, der die Wirtschaftskraft Europas voranbringen kann. Er ist eine strategische Investition in Europas Zukunft. Und um diese Zukunft erfolgreich zu gestalten, braucht es Mut, Zusammenarbeit und vor allem Vertrauen.
Lassen Sie uns heute gemeinsam diskutieren, wie wir diesen Weg für ein starkes, digitales und zukunftsfähiges Europa gestalten wollen.
Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit!