Europas Momentum nutzen: Wohlstand sichern, Herausforderungen angehen 3. Finanzplatzkonferenz

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Meine sehr geehrten Damen und Herren, 

es ist mir eine große Freude, Sie heute hier im Namen der Deutschen Bundesbank zu begrüßen. Es ist unsere dritte Finanzplatzkonferenz, und Präsident Nagel und ich freuen uns ganz besonders, dass diese Veranstaltung auf großes Interesse stößt. 

Sie und ich sind heute hier, weil uns ein Thema gemeinsam am Herzen liegt: Die Zukunft Deutschlands, die Zukunft Europas. Wie schaffen wir es, die deutsche und europäische Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen? Wie stellen wir sicher, dass wir unser Land, ja uns selbst verteidigen können? Wie verhindern wir eine breitflächige Altersarmut, die auch zu mehr Populismus führen würde? 

Wie auch immer die politischen Antworten sein werden, eines braucht es immer, und davon viel: Geld!

Meine Damen und Herren, wir sind heute hier zusammengekommen, um genau darüber zu sprechen: „Wie finanzieren wir unsere Zukunft: Wie können Innovation, Verteidigung und Altersvorsorge finanziert werden?“

Das sind große Aufgaben und Fragen, die Deutschland und Europa bewegen. Wachstum, Verteidigungsfähigkeit und Kapitalmärkte müssen dabei auch europäisch gedacht werden. Denn die vergangenen Monate haben uns gezeigt: Die Welt ist rau und schnelllebig geworden. In dieser Welt werden wir nur bestehen können, wenn wir als Europäer geeint auftreten und von der Diskussion über eine Strategie ins zügige Umsetzen kommen – und den Bürgern unbequeme Wahrheiten zumuten. Es geht um nichts weniger als um unsere Existenz!

2 Europa: Wohlstand, Stabilität, Herausforderungen

Für viele Menschen in der Welt ist Europa ein „Sehnsuchtsort“. Oder wie Kenneth Rogoff sagte: ein Ort von „lifestyle superpower“. 

Europa bietet soziale Sicherheit, individuelle Freiheit und gesellschaftliche Vielfalt.

Ich empfinde es als Privileg, in Europa zu leben. Viele Menschen befürworten die europäische Idee. Das zeigt sich auch in der breiten Unterstützung für unsere Währung. 83 Prozent der Europäer unterstützen den Euro[1]. Für viele ist der Euro mehr als ein bloßes Zahlungsmittel. Er ist ein greifbares Symbol für vereinte Ziele und Visionen.

Diese Wertschätzung reicht über die Grenzen Europas hinaus.

Internationale Investoren zeigen zuletzt wachsendes Interesse an Europa und unseren Finanzmärkten – gerade in einem Umfeld mit geopolitischen Spannungen und Unsicherheiten. 

So hat der Euro insbesondere zum US-Dollar an Stärke gewonnen.

Dieser Zuspruch zeigt sich in steigenden Kapitalzuflüssen. Anleger diversifizieren ihre Portfolios, Emittenten aus dem Ausland legen vermehrt Anleihen in Euro auf – viele Emittenten davon aus den USA. Auch die europäischen Aktienmärkte entwickeln sich positiv.

All das stärkt Europas Potenzial als stabiler und unabhängiger Akteur im globalen Finanzsystem.

Woher kommt dieser Zuspruch? Unsere Wirtschaft und Gesellschaft basieren auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Werte, die in einer zunehmend unsicheren Welt nicht selbstverständlich sind. Wir bieten Investoren ein verlässliches Umfeld für langfristige Planungen und Investitionen.

Lassen Sie es uns auf den Punkt bringen: Ein Investment in Europa ist sicher, für In- und Ausländer. Dazu trägt auch die fest verankerte unabhängige Geldpolitik des Eurosystems bei. In wenigen Monaten hat es das Eurosystem geschafft, die Inflation von zweistellig zurück in die Nähe des Ziels von 2 Prozent zu bringen. Das zeugt von Unabhängigkeit und europäischer Einheit. 

Sie sehen, das Fundament ist stark. Aber reicht es aus, um Europa langfristig wettbewerbsfähig zu halten?

Die Antwort ist: Nein. Europa steht vor großen Herausforderungen, die entschlossenes Handeln erfordern.

3 Wachstumskräfte stärken

Eine zentrale Herausforderung Europas ist das niedrige Wirtschaftswachstum. In Deutschland ist das Bruttoinlandsprodukt zwei Jahre in Folge geschrumpft[2]. Aktuell sehen wir aber zarte Anzeichen für eine leichte Erholung. Die höheren Staatsausgaben dürften im nächsten Jahr zur Belebung der Wirtschaft beitragen.

Im Euroraum und in der EU zeigt sich eine etwas bessere Entwicklung, doch ist das Wachstum bestenfalls moderat. Lassen sie mich drei zentrale Handlungsfelder zur Stärkung des Wachstums nennen:

Erstens: Innovationskraft unserer Wirtschaft ausbauen. Zentral ist die Förderung von Forschung und Entwicklung, insbesondere im Hochtechnologiesektor.

Zweitens: Unseren Kapitalstock erneuern, indem wir Unternehmen das Investieren erleichtern. Dazu sollten wir die Bürokratiekosten senken, Regulierungen überprüfen und Genehmigungen beschleunigen.

Drittens: Die Verfügbarkeit von Arbeitskräften sicherstellen. Dazu kann eine gezielte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte beitragen.

In der Diskussion um Zuwanderung ist es wichtig, zwischen der Flüchtlingspolitik und einer arbeitsmarktorientierten Zuwanderung zu unterscheiden, die dem Fachkräftemangel im Unternehmenssektor begegnet.

4 Zugang zu Risikokapital verbessern

Blicken wir auf den internationalen Wettbewerb, in dem unsere Unternehmen stehen. Das Rennen um die Gewinner von morgen ist noch offen. Große US-Tech-Unternehmen sind in Garagen entstanden. Start-Ups können mit ihren neuen Ideen und Ansätzen selbst etablierte Wettbewerber unter Druck setzen.

Doch dafür brauchen sie Geld, vor allem Risikokapital. Gerade jungen und innovativen Unternehmen mangelt es oft an Finanzierungsmöglichkeiten. Oder das Geld kommt aus den USA oder Asien. Europa braucht daher einen tiefen und liquiden Kapitalmarkt. 

Die Spar- und Investitionsunion (SIU) spielt eine Schlüsselrolle. Die europäischen Kapitalmärkte müssen zusammenarbeiten und grenzüberschreitende Investitionen erleichtern. Doch auch das hohe Sparvermögen der Menschen könnte in produktive Investitionen gelenkt werden.

Insbesondere für uns in Deutschland heißt das: Mehr Kapitalmarktkultur wagen!

5 Kapitalmarkt für jedermann

Der Kapitalmarkt wird auch eine Rolle in der Altersvorsorge spielen müssen. Das umlagefinanzierte Rentensystem stößt an seine Grenzen. Wir brauchen einen Kapitalmarkt für jedermann.

Schweden hat sein Umlagesystem bereits in den 1990ern um kapitalgedeckte Elemente ergänzt. Im Ergebnis halten die dortigen Haushalte rund 85 Prozent ihres Finanzvermögens in Aktien, Schuldtiteln und Pensionsforderungen. Das entspricht knapp 290 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts Schwedens[3].

In Deutschland liegen die entsprechenden Quoten bei 62 Prozent des Finanzvermögens und 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – also deutlich niedriger[4].

Der schwedische Weg hat die finanzielle Lage der Bevölkerung verbessert und den Leistungsumfang in der Altersvorsorge gestärkt. 

Vor allem aber hat sich die Einstellung der Menschen zur Kapitalmarktanlage verändert. Schweden hat mit 10,5 Millionen Einwohnern in den letzten zehn Jahren 492 Börsengänge hervorgebracht. Deutschland mit 84 Millionen Einwohnern nur 104[5].

Die Bundesregierung prüft derzeit, wie Teile der Altersvorsorge kapitalmarktgedeckt gestaltet werden können. Das ist ein wichtiger Schritt hin zu einer tragfähigen Altersversorgung. Es wäre ein großer Schritt hin zum Kapitalmarkt für jedermann. 

6 Geopolitik erzwingt stärkere Verteidigung

In einer Welt, die von geopolitischen Umwälzungen geprägt ist, reicht wirtschaftliche Stärke allein nicht aus. Europa muss seine Verteidigungsfähigkeit stärken, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten. Investoren erwarten nicht nur attraktive wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Investoren erwarten den Schutz ihrer Investitionen, einschließlich militärischer Sicherheit.

Der Ausbau der Verteidigungsfähigkeit ist also nicht nur eine sicherheitspolitische, sondern auch eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Nur wer wirtschaftlich stark ist, kann sich selbst verteidigen. Und nur wer wehrhaft ist, kann auch wirtschaftlich stark sein.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Verteidigungsfähigkeit finanziert werden kann. Das schließt die Frage ein, ob Investitionen aus ESG-Fonds getätigt werden können, gerade mit Blick auf die veränderte geopolitische Lage.

7 Europas Momentum nutzen

Meine Damen und Herren,

die Herausforderungen sind groß, der benötigte Bedarf an finanziellen Mitteln ebenfalls. Das Fiskalpaket der Bundesregierung kann helfen, aber nur, wenn die Mittel für Investitionen genutzt werden. Einen Anstieg rein konsumptiver Ausgaben werden Investoren kritisch sehen, die Verschuldung würde teurer, das Vertrauen der Anleger aufs Spiel gesetzt. 

Der Bedarf an privater Finanzierung ist so groß wie nie. Daher ist es wichtig, dass wir uns heute hier darüber unterhalten. 

Lassen Sie mich resümieren: Deutschland und Europa stehen vor sehr großen Herausforderungen. Es ist an der Zeit, den Menschen unbequeme Wahrheiten zuzumuten. Wir haben aber das Momentum, Europa und Deutschland deutlich weiterzuentwickeln. 

In einer neuen Zeit müssen wir neu denken, Tabus brechen, nicht perfekt sein, sondern schnell ins Tun kommen. Es geht um uns, es geht um unsere Existenz! Lassen Sie uns etwas wagen! 

Vielen Dank.

Fußnoten:

  1. Europäische Kommission: Standard-Eurobarometer 103, Frühjahr 2025.
  2. Preisbereinigt ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach Zahlen des Statistischen Bundesamts vom 22.08.2025 2024 um 0,5 Prozent und 2023 um 0,9 Prozent geschrumpft. Die bis dahin bekannten Resultate (2024: − 0,2 %, 2023: − 0,3 %) wurden damit deutlich revidiert (vgl. Statistisches Bundesamt: Pressemitteilung Nr. 310 vom 22. August 2025, aufgerufen am 17.09.2025).
  3. Europäische Zentralbank: Sector accounts.
  4. Ebd.
  5. Bloomberg, eigene Berechnungen.