Grußwort zur Eröffnung Kunstausstellung „Natur und Struktur“ in der Filiale der Deutschen Bundesbank

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Begrüßung

Liebe Gäste, 

ich begrüße Sie alle ganz herzlich in der Filiale der Deutschen Bundesbank in Chemnitz. 

„Schon wieder!“, mag der ein oder die andere von Ihnen denken. Im Juni diskutierten der Oberbürgermeister und ich genau hier über Themen wie Inflation, Wirtschaftswachstum und den digitalen Euro. Heute erleben Sie die Bundesbank von einer anderen Seite. Diese Seite ist vermutlich weniger bekannt, aber nicht weniger interessant. 

Ich freue mich sehr, die Kunstausstellung „Natur und Struktur“ mit Werken aus der Sammlung der Deutschen Bundesbank zu eröffnen. Dieser Satz wirft gleich drei Fragen auf: Weshalb stellen wir gerade hier und jetzt aus? Was zeigen wir eigentlich? Warum sammelt die Bundesbank überhaupt Kunst?

Auf alle drei Fragen gehe ich in meiner Rede ein. Aber keine Sorge: Ich werde mich möglichst kurz fassen. Kunst lebt ja in erster Linie vom Betrachten. Ich bin mir sicher, vor den Werken entspinnen sich heute Abend noch viele anregende Gespräche.

2 Kultur verbindet Europa

Beginnen wir mit dem Anlass. Für Chemnitz ist 2025 ein ganz besonderes Jahr. Als Europäische Kulturhauptstadt zieht Chemnitz Besucherinnen und Besucher aus aller Welt an und lädt dazu ein, gemeinsam Europas kulturellen Reichtum und seine Vielfalt zu feiern. Hier erleben wir ganz direkt, wie Kultur verbindet: Sie bringt Menschen zusammen, fördert den Austausch und eröffnet neue Perspektiven. 

Kultur ist die vielleicht schönste Art, das Zusammenwachsen Europas zu stärken. Dieses Ziel verfolgt die EU mit der Verleihung des Titels der Europäischen Kulturhauptstadt. Und diesem Anliegen fühlt sich auch die Bundesbank verbunden.

Wir tragen als Zentralbank Mitverantwortung für eine große Errungenschaft der Europäischen Integration. Eine, die viele von Ihnen wohl gerade bei sich haben: unsere gemeinsame Währung, der Euro. Mit unseren Partnern im Eurosystem setzt sich die Bundesbank für Preisstabilität ein. Damit sichern wir die Kaufkraft des Euro. Unsere Filialen wie hier in Chemnitz sorgen dafür, dass Euro-Bargeld deutschlandweit jederzeit zur Verfügung steht.

Das reiche kulturelle Erbe Europas könnte künftig auch unser Bargeld zieren. Derzeit läuft ein Design-Wettbewerb, um die nächste Generation der Euro-Banknoten zu gestalten. „Europäische Kultur“ ist als eines von zwei Themen noch im Rennen. Wir dürfen gespannt sein, welche Ideen aus dem Wettbewerb hervorgehen.

Die Bundesbank möchte das Europäische Kulturjahr in Chemnitz mit eigenen Akzenten bereichern. Daher haben wir hier in unserer Filiale eine Reihe von Veranstaltungen organisiert. Vielleicht waren Sie bei einer der Podiumsdiskussionen dabei oder haben sich die Ausstellung „Geld im Spiegel der Zeit“ angesehen. Den Abschluss bildet nun die Kunstausstellung „Natur und Struktur“. 

3 Idee und Konzept der Ausstellung

Die Idee dazu entwickelte sich aus dem Ort, an dem wir uns befinden. Dieses Gebäude aus dem Jahr 2004 stammt vom spanischen Architekten Josep Lluís Mateo. Bevor Mateo mit seinem Entwurf begann, besuchte er Chemnitz und Umgebung. Die traditionsreiche Bergbauregion inspirierte ihn, sich mit dem Spannungsfeld zwischen dem Organischen und Anorganischen zu befassen. 

Das spiegelt sich etwa in der Auswahl der Materialien des Gebäudes wider. Unterschiedliche Werkstoffe, teils natürlich entstanden, teils von Menschenhand geschaffen, stehen sich direkt gegenüber: So setzt sich die transparente Vorderfassade aus mehreren Glasschichten zusammen. Die innenliegenden Elemente sind mit organischen Formen bedruckt, die an die Strukturen von Alabaster erinnern. Die massiven Teile der Fassade bestehen dagegen aus Sandstein.

Ein weiteres Beispiel ist die Eingangshalle, durch die Sie gekommen sind: Dort treffen Steinplatten aus Schiefer und Sandstein auf glänzende Metallflächen und eine Holzwand aus Längsschnitten heimischer Baumstämme. Die Holzelemente verweisen auch auf den „Versteinerten Wald“ – das beeindruckende Chemnitzer Naturdenkmal.

Wenn Sie mehr zur Architektur erfahren möchten, finden Sie hier im Nachbarraum eine Präsentation. Fotografien von Michael Moser zeigen verschiedene Details des Gebäudes. Auch das ursprüngliche Architekturmodell ist zu sehen.

Hier im Gebäude vereinen sich so viele spannende Themen. Wir wollen diesen Faden nun mit Hilfe der Kunst aufnehmen und weiterspinnen. Die Ausstellung lädt dazu ein, zu erkunden, was verbindet: zwischen Natur und Kultur, zwischen Lebendigem und Gebautem, zwischen Chaos und Ordnung. Immer wieder zeigen sich Verbindungslinien. Dadurch entpuppen sich scheinbare Gegensätze oft als sich ergänzende Aspekte unser Lebenswelt. In der Ausstellung geschieht dies anschaulich, indem wir vielfältige Werke aus unterschiedlichen Zeiträumen zusammenbringen. 

Lassen Sie mich drei Beispiele herausgreifen: Im Untergeschoss beziehen sich Isa Genzken und Titus Schade auf Fragen der Architektur und ihrer Materialien. Isa Genzken ließ sich bei ihren spiegelnden Collagen von Hochhausfassaden inspirieren. Dafür nutzt sie Materialien, die man eher nicht mit Kunst verbindet, wie Klebeband, Spiegelfolien und Aufkleber. Bei Titus Schade spielen gemalte Holzoberflächen eine wichtige Rolle. Als Motiv greift er zum Beispiel traditionelles Fachwerk auf, aber auch moderne Baustile. Es entsteht ein Architektur-Repertoire im Miniaturformat, das an Modellbau erinnert.

Hier im Obergeschoss geht es vor allem um abstrakte Strukturen. So wie auf dem Gemälde von Esther Stocker. Dem Bild liegt ein strenges Raster in Schwarz und Grau zugrunde. Darüber sind unregelmäßig weiße Flächen verteilt. Dies stört die geometrische Ordnung und eine gewisse Unruhe kommt ins Bild. Die Komposition erinnert an die flirrenden Bildschirmoberflächen, die unsere Gegenwart prägen.

Diese drei Beispiele deuten bereits an, mit welchen Fragen die Kunstwerke uns als Betrachtende konfrontieren. Wie nehmen wir unsere Umgebung wahr? Welche Assoziationen rufen bestimmte Materialien hervor? Wie ordnen wir unsere Sinneseindrücke? Diese Fragen gehen weit über die Interpretation von Kunst hinaus. Sie betreffen ganz allgemein die Art und Weise, wie wir die Welt und unsere Gegenwart sehen. Und dies führt uns zu den Ursprüngen unserer Sammlung und zu der Frage, warum die Bundesbank überhaupt Kunst sammelt.

4 Kunstsammlung der Bundesbank

Die Wurzeln unserer Sammlung reichen zurück bis in die Mitte der 1950er Jahre, als die Bank deutscher Länder die ersten Werke ankaufte. Darunter befanden sich viele Arbeiten der fortschrittlichen abstrakten Kunst der Nachkriegszeit. Diese Strömung brach mit alten Sehgewohnheiten und machte es den Betrachtenden nicht immer leicht.

Aber das war von den verantwortlichen Direktoriumsmitgliedern der Bank so gewollt. Die Beschäftigten sollten sich über die Kunst mit der Gegenwart in der jungen Bundesrepublik auseinandersetzen und den eigenen Horizont erweitern. Deshalb wurde die Kunst in das alltägliche Arbeitsumfeld von Büros, Fluren und Besprechungsräumen einbezogen. Diese Idee von „Kunst am Arbeitsplatz“ leitet uns bis heute. Und wie ich immer wieder erlebe: Die Werke führen zu lebhaften Gesprächen. 

Darüber hinaus ist die Kunstsammlung Ausdruck unseres gesellschaftlichen Engagements. Seit ihren Anfängen verfolgt sie das Ziel, Kultur zu fördern und Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Bis heute wird die Sammlung immer wieder durch zeitgenössische Werke ergänzt. Sie gibt damit einen Einblick in die kunstgeschichtlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik.

Dabei beschränkte sich unser Engagement nicht auf die Zentrale in Frankfurt. Auch die früheren Landeszentralbanken bauten Kunstsammlungen auf, oft mit regionalen Bezügen. So konzentrierte man sich hier in Sachsen und Thüringen seit den 1990er Jahren auf Werke aus der Region. Dazu gehören in der Ausstellung zum Beispiel die Werke von Henriette Grahnert, Eberhard Havekost und Thomas Scheibitz, die an den Hochschulen in Dresden und Leipzig studiert haben.

Besonders freuen wir uns, dass wir hier in Chemnitz auch Werke von Künstlern mit direktem Bezug zur Stadt zeigen können. Bei Karl Schmidt-Rottluff verrät es schon der Name: Er wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Rottluff geboren, heute ein Stadtteil von Chemnitz. In einem Debattierclub Chemnitzer Gymnasiasten lernte er Erich Heckel kennen. Beide gründeten später die bekannte Künstlergruppe „Brücke“ und wurden zu prägenden Vertretern des deutschen Expressionismus.

Zu einer jüngeren Generation gehört der 1965 in Karl-Marx-Stadt geborene Carsten Nicolai. Er arbeitet an den Schnittstellen von Naturwissenschaft, bildender Kunst und Musik. Weil er sich für audiovisuelle Phänomene interessiert, wurde Nicolai in einem Interview gefragt, ob er gerne Physiker geworden wäre. Seine Antwort: „Ich wäre lieber Gärtner geworden.“[1] Die Natur sei eine sehr komplexe Angelegenheit und jede Art von Spezialistentum greife zu kurz. Ihn interessiere eher, was zwischen den Spezialisten passiert, also die Korrespondenzen. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen, außer: Willkommen in unserer Ausstellung! 

5 Schluss

Meine Damen und Herren, 

zum Schluss möchte ich mich bei allen am Ausstellungsprojekt Beteiligten herzlich bedanken. Ganz besonders danke ich den Kolleginnen und Kollegen in Leipzig und Chemnitz sowie den Kuratorinnen unserer Kunstsammlung. Gemeinsam haben sie die Ausstellung auf die Beine gestellt. Und sie sorgen dafür, dass die Türen bis zum 7. November allen Interessierten offenstehen und zahlreiche Führungen stattfinden. Außerdem danke ich den Künstlerinnen und Künstlern, deren Werke wir hier zeigen.

Wie eingangs erwähnt: Kunst lebt vom Betrachten. Dem möchte ich nun nicht länger im Weg stehen. Ich hoffe, Sie haben Lust auf die Ausstellung bekommen und sind genauso gespannt wie ich. Wenn Sie noch mehr wissen möchten, stehen Ihnen jetzt vier Kunstfachleute direkt bei den Kunstwerken zur Verfügung. Uns allen wünsche ich einen Abend voller neuer Eindrücke und Entdeckungen! 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.