Kurs halten: Wie die Zentralbankunabhängigkeit uns durch unsichere Zeiten führt Rede bei der Foreign Policy Association

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich fühle mich zutiefst geehrt, diese prestigeträchtige Auszeichnung zu erhalten und damit in die Fußstapfen so namhafter Preisträger wie Timothy Geithner, dem ehemaligen Präsidenten der Federal Reserve Bank of New York und früheren US-Finanzminister, Jean-Claude Trichet, dem früheren Präsidenten der Europäischen Zentralbank, und François Villeroy de Galhau, meinem französischen Amtskollegen, zu treten. In einer Zeit, in der die transatlantischen Beziehungen mit erheblichen Herausforderungen verbunden sind, sehe ich sie als Anerkennung der gemeinsamen Werte der Foreign Policy Association, der Bundesbank, ja, aller Zentralbanken.

Was auf den ersten Blick wie zwei unterschiedliche Welten – Außenpolitik und Zentralbankwesen – erscheinen mag, ist tatsächlich an eine gemeinsame Mission gebunden: Das Streben nach Stabilität und internationaler Kooperation.

In meiner heutigen Rede möchte ich auf drei wesentliche Grundsätze eingehen, die die Arbeit von Zentralbanken leiten und damit auch unsere Mission unterstützen. Ich bin überzeugt, dass die Foreign Policy Association ähnliche Werte teilt, natürlich angepasst an die besonderen Herausforderungen und Verantwortlichkeiten der Außenpolitik.

Doch lassen Sie mich mit einem Zitat von Präsident Franklin D. Roosevelt beginnen. 1944 sagte er in seiner Radioansprache bei der Foreign Policy Association Folgendes: „Ich werde ohne Verbitterung und ohne vorschnelles Urteil zu Ihnen sprechen. Und ich werde dabei auch nicht den Kopf oder meine Beherrschung verlieren.“[1] Ich glaube, dieses Zitat ist ein guter Leitgedanke für meine heutigen Ausführungen. 

2 Unabhängigkeit

Der erste der drei Grundsätze, auf den ich eingehen möchte, ist die Zentralbankunabhängigkeit, denn sie ist von großer Bedeutung für Stabilität, Vertrauen und den sozialen Zusammenhalt. Wie Sie alle wissen, sind die meisten Zentralbanken damit betraut, die Inflation unter Kontrolle zu halten und sicherzustellen, dass diese weder zu hoch noch zu niedrig ist. Im Eurosystem, zu dem die Europäische Zentralbank und 20 nationale Zentralbanken gehören, ist es unser Ziel, die Inflation mittelfristig bei 2 Prozent zu halten.

Ich gebe zu, dass dies in den vergangenen Jahren nicht immer einfach war. Aber immer wieder haben wir gezeigt, dass wir unserer Aufgabe gerecht werden. Um dieses Mandat zu erfüllen, müssen wir uns bei unseren Entscheidungen von einer gründlichen wirtschaftlichen Analyse auf Basis solider Wirtschaftsdaten leiten lassen und nicht von politischem Nutzen. Verschwimmt diese Trennlinie, dann verliert unsere Arbeit nach und nach an Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit ist jedoch die Grundlage für Vertrauen, und ohne Vertrauen beginnt das Fundament der Stabilität zu bröckeln.

Die Geschichte hat uns eindringlich gezeigt, was passieren kann, wenn Zentralbanken nicht unabhängig handeln: Nicht selten kommt es dann zu einem Verlust des Vertrauens der Bevölkerung, zu Finanzmarktturbulenzen und einer galoppierenden Inflation. Ich möchte hier nicht das wohlbekannte deutsche Inflationstrauma nach den beiden Weltkriegen heraufbeschwören, sondern vielmehr an jüngere, weniger extreme Episoden erinnern.

Nehmen wir beispielsweise die „Große Inflation“ von 1965 bis 1982. In dieser schwierigen Phase, in der die Energiepreise massive Schwankungen aufwiesen, stand die US-amerikanische Notenbank unter politischem Druck: Sie sollte der Beschäftigung Vorrang vor der Inflationskontrolle einräumen. Die Inflation schnellte daraufhin in die Höhe und erreichte zweistellige Werte, wodurch die Kaufkraft sank und es zu einer allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit kam. Diese turbulente Zeit erinnert uns eindrücklich daran, von welch zentraler Bedeutung eine unabhängige Geldpolitik ist.

In den letzten Jahrzehnten waren in anderen Regionen ähnliche Ereignisse zu beobachten. So stieg die Inflation in der Türkei 2022 aufgrund des Beharrens von Präsident Erdoğan auf niedrigen Zinsen auf über 80 %. Dies höhlte den Wert der türkischen Lira aus, untergrub das Vertrauen der Bevölkerung und führte zu Instabilität. Später leitete die türkische Zentralbank einen Kurswechsel ein und hob die Zinsen 2023 und 2024 kräftig an. Das trug zwar dazu bei, die Inflation zu senken, doch sie ist mit über 30 % nach wie vor hoch.

Angesichts dieser historischen Lehren kann ich nicht umhin, zutiefst besorgt zu sein über die jüngste politische Kritik an den Zentralbanken. Denn sie geht über die üblichen hilfreichen öffentlichen Diskussionen und auch die unterschiedlichen Ansichten, die man über den täglichen geldpolitischen Kurs haben kann, hinaus. Sie stellt die Integrität einer Institution in Frage, die den Interessen der Bevölkerung und dem langfristigen Nutzen der Wirtschaft dienen soll. 

3 Statistische Unabhängigkeit

Damit komme ich zum zweiten Grundsatz, der uns in unserer Arbeit leitet und mit dem ersten Prinzip eng verknüpft ist, nämlich unabhängige und verlässliche Statistiken. Dieser Grundsatz ist in jüngster Zeit besonders in das Blickfeld geraten. So hinterfragten gewählte Mandatsträger offen die Zuverlässigkeit wichtiger Wirtschaftsdaten, die scheinbar nicht der Sichtweise der Regierung entsprachen. Derartige Unterstellungen sind von erheblicher Bedeutung. Noch bedeutsamer ist es, wenn die Personen, die die unerwünschten Daten melden, ersetzt werden. 

Verlässliche Statistiken sind – insbesondere für Zentralbanken – von höchstem Wert. Sie bilden das Rückgrat einer soliden Geldpolitik. Was also macht gute Statistiken aus? Ich möchte Sie nicht mit zu vielen Details langweilen, deshalb gehe ich im Weiteren auf drei Kernbestandteile ein. Erstens die Genauigkeit der Daten. Damit wird sichergestellt, dass die Daten die Realität widerspiegeln. Zweitens die Transparenz. Dadurch können Nutzerinnen und Nutzer die hinter den Zahlen stehenden Methoden nachvollziehen und ihnen ihr Vertrauen schenken. Und drittens Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.

Genauigkeit und Transparenz bilden die Grundlage für Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. Sie sind jedoch mit Kosten verbunden. Statistikbehörden müssen sich stets darum bemühen, diese Kosten niedrig zu halten. Dies kann unter anderem dadurch geschehen, dass sie eine digitale Dividende erzielen. Wohl durchdachte Meldepflichten sind aber mehr als eine bürokratische Last. Sie sind eine notwendige Voraussetzung für eine gute Datenbasis. Durch Unparteilichkeit wird gewährleistet, dass die Daten als neutrale Orientierungshilfe in Entscheidungsfindungsprozesse einfließen. Unabhängigkeit stellt wiederum sicher, dass kein Einfluss auf die Methoden, Prozesse und Entscheidungen von Statistikerinnen und Statistikern sowie von Statistikbehörden genommen wird. Ohne dies alles werden selbst die genauesten und transparentesten Statistiken unterminiert.

4 Fokus auf dem zentralen Mandat

Wenden wir uns nun dem dritten Grundsatz zu, der uns Zentralbanken als Leitgedanke dient: ein klarer Fokus auf dem Mandat. Dieser Grundsatz gewinnt mit zunehmender Unsicherheit und steigenden politischen Spannungen noch mehr an Bedeutung. Und Anzeichen von Unsicherheit gibt es reichlich.

So verändern die eskalierenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China sowie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die Weltordnung. Der steigende Bedarf an Staatsausgaben setzt die öffentlichen Haushalte und die Finanzpolitik verstärkt unter Druck. KI entwickelt sich rasant weiter, verändert ganze Branchen und wird Teil unseres täglichen Lebens.

Dies ist sowohl für Zentralbanken als auch für die Außenpolitik kein einfaches Umfeld. Dennoch müssen wir an unseren Grundsätzen festhalten und uns für sie einsetzen. Als Zentralbanker müssen wir die Kaufkraft der privaten Haushalte sichern und den Wohlstand schützen. Unsere geldpolitischen Entscheidungen müssen auf dieses Ziel ausgerichtet sein. Sie dürfen nicht durch andere, politisch opportune Zwecke verwässert werden. 

5 Schlussbemerkungen

Meine Damen und Herren,
Präsident Roosevelt schrieb einmal an den damaligen Präsidenten der FPA, Generalmajor Frank R. McCoy, dass die Foreign Policy Association eine überaus wichtige Aufgabe erfülle, indem sie dazu beitrage, die Fakten im Zusammenhang mit den Problemen dieser Welt und deren Auswirkungen auf die Vereinigten Staaten transparent darzulegen.[2] 

Dieses Bekenntnis zu Wahrheit und Transparenz findet sich auch eindeutig in meinem Leitbild als Zentralbanker wieder. Die Menschen setzen in unsere beiden Institutionen – die FPA und die Bundesbank – das Vertrauen, dass wir die Fundamente schützen, die ihnen und der Wirtschaft zu Wohlstand verhelfen. 

So ist es Aufgabe der Zentralbanken, Preisstabilität zu gewährleisten und das Vertrauen in das Finanzsystem zu stärken. Die FPA wiederum vermittelt den Bürgerinnen und Bürgern das Wissen, das nötig ist, um komplexe globale Entwicklungen und ihre Auswirkungen zu verstehen. 

Um es mit den Worten von Bob Dylan zu sagen: „The times they are a-changin‘“ – die Zeiten ändern sich. Es liegt in unserer Verantwortung, für Stabilität und Vertrauen zu sorgen.

Fußnoten:: 

  1.  Radio Address at a Dinner of the Foreign Policy Association. New York, N. Y. | The American Presidency Project.
  2.  President's Message – Foreign Policy Association