Lead Intervention „Wie die Reise begann – 20 Jahre Finanzstabilitätsbericht und sein Nutzen in der Politikberatung" Konferenz zu 20 Jahren Bundesbank Finanzstabilitätsbericht

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Hauptteil

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf dieser Konferenz nehmen wir die 20. Ausgabe des Bundesbank-Finanzstabilitätsberichts als Anlass, um einen Schritt zurückzutreten und zu reflektieren. Im ersten Panel befassen wir uns mit der Rolle des Finanzstabilitätsberichts als Teil der makroprudenziellen Kommunikation. Lassen Sie mich dies zunächst in den Kontext der aktuellen Situation stellen. 

Vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen, erratischer Handelspolitik und struktureller Herausforderungen wie demografischem Wandel und Digitalisierung steht die makroprudenzielle Überwachung und Politik vor großen Herausforderungen.

Das herausfordernde aktuelle Umfeld und das 20-jährige Jubiläum unseres Finanzstabilitätsberichts bieten uns heute eine wertvolle Gelegenheit, eine Standortbestimmung vorzunehmen. Warum ist die makroprudenzielle Überwachung und Politik so wichtig – und warum gerade auch jetzt?

Um diese Fragen zu beantworten, möchte ich zunächst einen Blick zurückwerfen. Die globale Finanzkrise hat weltweit – und auch in Deutschland – tiefe Spuren hinterlassen. Sie hat uns vor Augen geführt, wie teuer eine Finanzkrise für die Gesellschaft sein kann, und auch, wie wichtig es ist, das Finanzsystem als Ganzes im Blick zu behalten. 

Vor der globalen Finanzkrise lag der Fokus der Aufsicht vor allem auf der mikroprudenziellen Perspektive – also darauf, ob einzelne Banken und Finanzinstitute für sich genommen stabil und widerstandsfähig sind. Doch die Krise hat uns gelehrt, dass die Interaktionen innerhalb des Finanzsystems zu systemweiten Krisen führen können, unabhängig von der Stabilität einzelner Akteure. Diese Erkenntnis hat unser Verständnis von einem sicheren Finanzsystem grundlegend verändert. In der Aufsicht ergänzen sich seitdem die mikroprudenzielle und die makroprudenzielle Perspektive.

1.1 Makroprudenzielle Politik seit der globalen Finanzkrise

In Deutschland ist die makroprudenzielle Politik seit Anfang 2013 im Ausschuss für Finanzstabilität organisiert. In diesem Gremium beraten das Bundesfinanzministerium, die BaFin und die Deutsche Bundesbank regelmäßig über Risiken für die Finanzstabilität. Bei Bedarf können sie geeignete Maßnahmen empfehlen, wobei der konkrete Einsatz der Instrumente in der Verantwortung der BaFin liegt. Mit dem Finanzstabilitätsgesetz von 2012 erhielt die Bundesbank ein explizites Mandat für ein stabiles Finanzsystem, das neue Aufgaben mit sich brachte. Entsprechend diesem Mandat analysieren und beschreiben wir systematisch die Risiken und die Resilienz des Finanzsystems. Unsere Analysen stellen wir im AFS zur Diskussion. 

Seit der globalen Finanzkrise haben wir international gemeinsam viel erreicht. Die Qualität und Quantität der Eigenmittelanforderungen an Banken wurden verbessert, zusätzliche Kapitalpuffer eingeführt und gesetzliche Grundlagen für Instrumente zur Einführung von Mindeststandards für die Kreditvergabe geschaffen. Auch für Nichtbank-Finanzintermediäre und Versicherer wurden neue regulatorische Rahmenbedingungen etabliert. Diese Maßnahmen haben das Finanzsystem widerstandsfähiger gemacht und dazu beigetragen, dass es den Belastungen der vergangenen Jahre standhalten konnte – sei es der Brexit, die Corona-Pandemie oder die geopolitischen Spannungen, die durch den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgelöst wurden. 

Doch die Abwesenheit einer globalen Finanzkrise in den vergangenen Jahren darf uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Ereignisse wie die Bankenturbulenzen in den USA und der Schweiz im Frühjahr 2023 oder die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit den US-Zollankündigungen zeigen, dass die Lage auf den Finanzmärkten weiterhin von Unsicherheit geprägt ist. Dauerhafte Herausforderungen wie die geopolitischen Spannungen oder neue technologische Entwicklungen – von der zunehmenden Vernetzung von StableCoins mit dem traditionellen Finanzsystem bis hin zu den Auswirkungen von künstlicher Intelligenz und Quantum Computing – machen das Finanzsystem potenziell verwundbarer. 

Die Tatsache, dass Ereignisse wie die Bankenturbulenzen in den USA und der Schweiz im Frühjahr 2023 oder die US-Zollankündigungen im April dieses Jahres keine größeren Verwerfungen im Finanzsystem verursacht haben, deutet darauf hin, dass die mikro- und makroprudenzielle Regulierung wirksame Leitplanken geschaffen hat. 

Es ist entscheidend, dass wir unsere vorausschauende Politik mit einem ganzheitlichen Blick auf das Finanzsystem fortsetzen und weiterentwickeln. 

Generell stehen uns im Bereich der makroprudenziellen Überwachung und Politik drei Arten von Instrumenten zur Verfügung. Nämlich erstens kommunikative Maßnahmen, zweitens formelle Warnungen und Empfehlungen, und drittens regulatorische Maßnahmen, die direkt auf die Entscheidungsoptionen von Finanzinstituten einwirken, um systemische Risiken zu begrenzen.

1.2 Finanzstabilitätsbericht als zentrales Kommunikationsinstrument 

Ein zentrales Element der makroprudenziellen Kommunikation in Deutschland ist der Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank. Im Jahr 2005 veröffentlichte die Bundesbank den ersten Bericht zur Finanzstabilität als eigenständige Publikation. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir in Deutschland – wie in den meisten anderen Ländern – noch kein makroprudenzielles Mandat, keine makroprudenziellen Instrumente und in der Bundesbank noch nicht einmal eine Abteilung für Finanzstabilität.

Für die Kommunikation unserer Erkenntnisse ist der Finanzstabilitätsbericht unser zentrales Instrument. Er informiert Expertinnen und Experten im Finanzsystem, in der Presse und im akademischen Bereich, Politikerinnen und Politiker als Multiplikatoren sowie die breite Öffentlichkeit über finanzstabilitätsrelevante Entwicklungen. Er zeigt Handlungsbedarf auf und formuliert Handlungsempfehlungen, wenn sich systemisch relevante Entwicklungen des Finanzsystems abzeichnen.

Das Risikoumfeld ist über die Jahre komplexer geworden. Je komplexer das Umfeld, desto wichtiger wird eine klare und verständliche Kommunikation. Der Finanzstabilitätsbericht spielt auch in dieser Hinsicht eine zentrale Rolle. Er hilft uns, die Öffentlichkeit, Finanzintermediäre und andere relevante Akteure zu sensibilisieren, Vertrauen zu schaffen und die Grundlage für fundierte Entscheidungen zu legen. Die Kommunikation kann gerade in unsicheren Zeiten übermäßige Risikobereitschaft dämpfen und Finanzstabilität fördern, indem sie auf Risiken hinweist, Orientierung bietet – und so Unsicherheit reduziert.

Milton Friedman schrieb 1953: „Unsicherheit ist ein zentraler Bestandteil der Wirtschaft, und die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen, ist entscheidend für den Erfolg von Märkten und Individuen.“[1]

Unsicherheit ist unvermeidlich. Aber wir können ‒ und wollen dazu beitragen, mit ihr umzugehen. 

Lassen Sie uns diese Konferenz nutzen, um gemeinsam zu diskutieren, wie wir die makroprudenzielle Politik weiter stärken und an die Herausforderungen der Zukunft anpassen können. Denn eines ist klar: Ein stabiles Finanzsystem ist keine Selbstverständlichkeit – es ist das Ergebnis eines kontinuierlichen Dialogs und vorausschauender Politik. 

2 Vorstellung des ersten Panels

Im ersten Panel haben wir:

  • Cornelia Holthausen,
    sie ist seit Dezember 2021 Generaldirektorin für makroprudenzielle Politik und Finanzstabilität bei der EZB und ausgewiesene Expertin in der Analyse von Geldmärkten, Zahlungsverkehrssystemen und Finanzstabilität.

  • Rupert Schaefer, 
    er ist seit November 2022 Exekutivdirektor für Strategie, Politik und Steuerung bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht sowie Mitglied des AFS. Herr Schaefer arbeitet mit mir, Herrn Branson und den anderen Mitgliedern von BaFin, Bundesbank und dem Bundesfinanzministerium im AFS zusammen. 

  • Doreen Herms,
    sie ist seit 2019 Referatsleiterin für Finanzmarktstabilität im Bundesministerium der Finanzen und leitet das AFS-Sekretariat. Ihre Karriere begann sie hier bei der Deutschen Bundesbank. 

  • Reiner Martin,
    er ist seit Mai 2023 Exekutivdirektor bei Národná banka Slovenska, der Zentralbank der Slowakei. Dort ist er verantwortlich für den Bereich Forschung, Statistik und wirtschaftliche Bildung Er hat langjährige Zentralbankerfahrung, und war unter anderem als stellvertretender Leiter des Referats für makrofinanzielle Verflechtungen bei der EZB tätig.

Ich freue mich, dass unsere Panel-Teilnehmer heute ihre unterschiedlichen Perspektiven einbringen.

Fußnote:

  1. Milton Friedman, Essays in Positive Economics, 1953, eigene Übersetzung.