Zurück zu den Wurzeln: Zentralbanken und Finanzstabilität Begrüßungsworte anlässlich der Veranstaltung „Der Bundesbank-Finanzstabilitätsbericht wird 20: Herausforderungen gestern, heute und morgen“
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Lieber Herr Theurer, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir eine große Freude und Ehre, Sie heute zu einem ganz besonderen Anlass begrüßen zu dürfen: Der Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank feiert sein zwanzigjähriges Jubiläum!
Uns erwartet ein spannender Nachmittag mit zwei hochkarätig besetzten Diskussionsrunden. Auch alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer möchte ich herzlich willkommen heißen. Es freut mich, dass Sie heute hier sind, um mit uns zu diskutieren und zu feiern.
Ohne dabei zu viel vorwegzunehmen, möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick über die beiden Panels geben. In der ersten Diskussionsrunde, die mein Vorstandskollege Michael Theurer moderieren wird, blicken wir gemeinsam auf 20 Jahre Finanzstabilitätsbericht zurück.
Die zweite Diskussionsrunde leitet Gaston Gelos von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Er richtet den Blick noch stärker nach vorne und widmet sich den aktuellen und zukünftigen Risiken und Herausforderungen für die Finanzstabilität.
In meinem Beitrag möchte ich einen größeren Bogen spannen und folgender Frage nachgehen: Wie hat sich die Bedeutung der Finanzstabilität für Zentralbanken im Laufe der Zeit entwickelt?
2 Zentralbanken und Finanzstabilität
Da der Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank „erst“ 20 Jahre alt ist, könnte man leicht denken, das Thema Finanzstabilität sei für Zentralbanken erst seit Kurzem relevant. Doch das Gegenteil ist der Fall. Finanzstabilität war von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Zentralbankwesens, auch wenn ihre Bedeutung im Laufe der Geschichte unterschiedlich ausgeprägt war.
Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Bank of England damit, dem Finanzsystem über ihre Rediskontfazilität in Krisensituationen in begrenztem Ausmaß Liquidität zur Verfügung zu stellen.[1] Diese Interventionen inspirierten den damaligen Economist-Chefredakteur Walter Bagehot zu seinem berühmten Werk „Lombard Street“.
Bagehot empfahl darin, dass die Zentralbank in Zeiten von Bankenpaniken und Liquiditätsengpässen systematisch eingreifen sollte, um das Vertrauen in das Finanzsystem zu bewahren und einen Kollaps zu verhindern. Diese Empfehlungen sind heutzutage bekannt als das „Lender of last Resort“-Prinzip.[2]
Auch die Gründung der US Federal Reserve im Jahr 1913 war eine direkte Reaktion auf wiederkehrende Bankenpaniken.[3] Wir sehen: Zentralbanken und das Ziel der Finanzstabilität sind schon sehr lange miteinander verbunden.
Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts verlagerte sich der Fokus der Zentralbanken zunehmend auf das Sichern der Preisstabilität und das Fördern von Wachstum und Beschäftigung.[4] Die Finanzstabilität geriet dabei zunehmend in den Hintergrund – nicht zuletzt, weil Bankenpaniken selten geworden waren.[5] Doch diese Phase sollte nicht von Dauer sein.
Der Deregulierung und Liberalisierung des Finanzsystems in den 1980er Jahren folgten die Finanzkrisen und Verwerfungen der 1990er und frühen 2000er Jahre. Die Tequila-Krise in Mexiko, die Asienkrise, der Kollaps des Hedgefonds Long-Term Capital Management, kurz LTCM, sowie das Platzen der Dotcom-Blase zeigten eindrücklich, wie verwundbar das internationale Finanzsystem geworden war. Und wie rasch Finanzstabilität wieder verloren gehen kann.
Unter anderem als Reaktion hierauf begannen Zentralbanken weltweit, Finanzstabilitätsrisiken wieder stärker zu analysieren und zu überwachen. Ein bedeutender Meilenstein auf diesem Weg war die Einführung von Finanzstabilitätsberichten.
Die Bank of England war hierbei internationaler Vorreiter und publizierte bereits 1996 ihren ersten Finanzstabilitätsbericht.[6] Die Bundesbank veröffentlichte ihren ersten Finanzstabilitätsbericht im Jahr 2005.[7] In den beiden Jahren zuvor erschienen bereits entsprechende Analysen im Monatsbericht.
Wie wichtig das Thema Finanzstabilität inzwischen geworden war, brachte einer meiner Vorgänger, Axel Weber, in seinem Vorwort treffend auf den Punkt: Finanzielle Stabilität hat nicht nur eine große Bedeutung für die monetäre Stabilität, sondern auch als selbstständiges Thema. Funktionsmängel im Finanzsystem, insbesondere auf Grund von Instabilitäten, können erhebliche volkswirtschaftliche Kosten hervorrufen.
Erstmals wurde hier Finanzstabilität von der Bundesbank auch konkret definiert – und zwar als die Fähigkeit des Finanzsystems, seine zentralen Funktionen in einer Volkswirtschaft gut zu erfüllen, und zwar auch in Stresssituationen und in strukturellen Umbruchphasen
.[8] Diese Definition gilt – in leicht angepasster Form – bis heute.[9] Die Finanzstabilitätsberichte dienten fortan als Frühwarnsystem für die Öffentlichkeit und als Plattform für die Analyse von Risiken.
Auch auf internationaler Ebene warnte insbesondere die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in ihren Jahresberichten und wissenschaftlichen Studien eindringlich vor exzessiver Kreditvergabe, Blasenbildung und systemischen Risiken.[10] Allerdings wurden diese Warnungen in der Euphorie der Märkte und im Vertrauen auf die Selbstregulierung des Finanzsektors häufig überhört.[11]
Die Folgen zeigten sich schon bald: Die globale Finanzkrise 2007/2008 stellte die Zentralbanken und das internationale Finanzsystem vor unerwartete Herausforderungen. Geschwindigkeit und Ausmaß der Krise übertrafen alle Befürchtungen. Die starke Vernetzung der Finanzmärkte löste Kettenreaktionen aus, die zu einem historischen Systemversagen führten.
In Deutschland wurden Stabilisierungshilfen in Höhe von 231 Mrd € beantragt, ein Institut wurde vom staatlichen Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung übernommen, und Abwicklungsanstalten wurden errichtet.[12] Das Bruttoinlandsprodukt ging 2009 um fast 6 Prozent zurück.
Es ist die globale Finanzkrise, die den Anstoß gibt zu einer grundlegenden institutionellen Neuverankerung der Finanzstabilität. Im Mai 2009 gründet die Deutsche Bundesbank einen eigenen Zentralbereich Finanzstabilität. Die Information der Öffentlichkeit durch den Finanzstabilitätsbericht mit seinen Analysen und Warnungen bleibt aber zunächst das einzige Mittel im Werkzeugkasten der Bundesbank.
Dies ändert sich am 1. Januar 2013: Das Finanzstabilitätsgesetz tritt in Kraft und gibt der Bundesbank – gemeinsam mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und dem Bundesministerium der Finanzen – erstmals ein offizielles Mandat für die Finanzstabilität.
Die drei Institutionen tagen seitdem regelmäßig im Ausschuss für Finanzstabilität (AFS). Hierbei obliegen der Bundesbank insbesondere die Überwachung und Analyse von Entwicklungen, die für die Finanzstabilität maßgeblich sind. Der AFS kann Empfehlungen zur Einführung makroprudenzieller Instrumente und Aktivierung makroprudenzieller Maßnahmen aussprechen.
Doch nicht nur in Deutschland, sondern auch auf internationaler Ebene hat die globale Finanzkrise zu weitreichenden institutionellen Anpassungen geführt. Das Financial Stability Board wurde 2009 ins Leben gerufen, um die internationale Zusammenarbeit und die Überwachung systemischer Risiken zu stärken. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) begann 2010, das europäische Finanzsystem zu überwachen und Systemrisken zu begrenzen.
Mit dem neuen Regulierungswerk Basel III wurden höhere und qualitativ bessere Eigenkapitalanforderungen für Banken eingeführt. Darüber hinaus wurden makroprudenzielle Instrumente entwickelt, die die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems stärken.
Heute ist die Finanzstabilität aus dem Mandat der Zentralbanken nicht mehr wegzudenken. Makroprudenzielle Überwachung, die Analyse systemischer Risiken und die Politikberatung sind mittlerweile fest im institutionellen Gefüge verankert.
Die Finanzstabilitätsberichte der Bundesbank und anderer Zentralbanken sind zu einem fest etablierten Werkzeug geworden – für die Politik, den Finanzsektor und die Öffentlichkeit. Damit sind die Zentralbanken – im besten Sinne – zu ihren Wurzeln zurückgekehrt.
3 Schluss
Gleichzeitig gilt: Die Arbeit ist nie abgeschlossen. Die Herausforderungen für die Finanzstabilität verändern sich ständig. Das sieht man anschaulich an den jüngsten Meldungen aus den USA.
Ein US-amerikanischer Autofinanzierer und ein Autoteileproduzent beantragen im September Gläubigerschutz. Im Oktober geraten zwei US-Regionalbanken wegen Betrugsfällen in Schwierigkeiten.[13] Seien Sie gewiss: Wir verfolgen die aktuellen Entwicklungen sehr aufmerksam.
Neue Risiken könnten außerdem durch den Strukturwandel in der Realwirtschaft und im Finanzsystem, durch die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz oder durch die aktuellen geopolitischen Entwicklungen entstehen. Genau diese Themen werden wir in unserer zweiten Diskussionsrunde besprechen.
Doch zunächst wollen wir gemeinsam einen genaueren Blick auf die Entwicklung des Finanzstabilitätsberichts der Bundesbank und auf aktuelle Herausforderungen werfen. Dazu übergebe ich nun das Wort an meinen Vorstandskollegen, Michael Theurer.
Ich freue mich auf spannende Diskussionen und neue Impulse. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Fußnoten
- Vgl.: Anson, M., D. Bholat, M. Kang und R. Thomas (2017), The Bank of England as lender of last resort: new historical evidence from daily transactional data, Bank of England Staff Working Paper No. 691.
- Vgl.: Bordo, M. (1990), The Lender of Last Resort: Alternative Views and Historical Experience, Federal Reserve Bank of Richmond, Economic Review, January/February 1990.
- Vgl.: Johnson, R. (2010), Historical Beginnings... The Federal Reserve.
- Vgl.: Bordo, M. (2007), A Brief History of Central Banks, Federal Reserve Bank of Cleveland, Economic Commentary.
- Vgl.: Reinhart, C. und K. Rogoff (2008), This Time is Different: A Panoramic View of Eight Centuries of Financial Crises, NBER Working Paper No. 13882 sowie Laeven, L. und F. Valencia (2013), Systemic Banking Crises Database, IMF Economic Review, Vol. 61 (2), S. 225‑270.
- Bank of England (1996), Financial Stability Review, Issue One, Autumn 1996.
- Deutsche Bundesbank (2005), Finanzstabilitätsbericht, November 2005, S. 6.
- Vgl.: Deutsche Bundesbank (2005), op. cit.
- So heißt es im aktuellen Finanzstabilitätsbericht:
Unter Finanzstabilität versteht die Bundesbank einen Zustand, in dem das Finanzsystem jederzeit in der Lage ist, seine volkswirtschaftlichen Funktionen zu erfüllen.
Vgl.: Deutsche Bundesbank (2025), Finanzstabilitätsbericht, November 2025. - Vgl. z.B.: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (2007), 77. Jahresbericht 2006/07 sowie Borio, C. und W. White (2004), Whither monetary and financial stability? the implications of evolving policy regimes, BIS Working Papers No. 147.
- Vgl.: Rajan, R. (2005), Has Financial Development Made the World Riskier?, NBER Working Paper No. 11728.
- Siehe Deutsche Bundesbank (2010), Geschäftsbericht 2009, S. 93.
- Der Autofinanzierer Tricolor beantragte am 10. September Gläubigerschutz, der Autoteileproduzent First Brands am 29. September. Die US-Regionalbanken Western Alliance Bank und Zions Bank meldeten am 16. Oktober, dass sie von Betrug durch Kreditnehmer betroffen seien.