Weidmann: Der EZB-Rat ist über das Ziel hinausgeschossen

Aus Sicht von Bundesbankpräsident Jens Weidmann ist der EZB-Rat mit seinem umfassenden Paket zur weiteren Lockerung der Geldpolitik über das Ziel hinausgeschossen. „Denn die wirtschaftliche Lage ist nicht wirklich schlecht, die Löhne steigen deutlich, und die Gefahr einer Deflation, also dauerhaft sinkender Preise und Löhne, ist nicht zu erkennen“, sagte er in einem Interview mit der BILD-Zeitung. Weidmann begründete die vom Rat beschlossenen Maßnahmen mit der Abkühlung der Konjunktur in Deutschland und dem übrigen Euroraum und einer damit einhergehenden Abwärtskorrektur der Inflationsprognosen der EZB.

In seiner Sitzung hatte der EZB-Rat am Donnerstag diverse geldpolitische Maßnahmen beschlossen, um die Konjunktur und damit den Preisauftrieb im Euroraum zu stärken. So wird der Zinssatz für Einlagen der Banken bei den Notenbanken des Eurosystems von -0,4 Prozent auf -0,5 Prozent gesenkt, gleichzeitig wurde ein zweistufiges System für die Verzinsung der Reserveguthaben eingeführt, durch das nunmehr ein Teil der Überschussliquidität der Banken vom negativen Einlagenzinssatz befreit wird. Darüber hinaus nimmt das Eurosystem die Nettokäufe im Rahmen ihres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase ProgrammeAPP) wieder auf. Ab dem 1. November kaufen die Euro-Notenbanken monatlich Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Wert von 20 Milliarden Euro. Eine zeitliche Befristung für die Käufe setzten die Notenbanker nicht. Auch für langfristige Kredite – sogenannte TLTROs – lockerte der EZB-Rat die Bedingungen, sodass es für Banken noch attraktiver wird, sich Geld bei der Zentralbank zu leihen. 

Zinserhöhungen nicht auf die lange Bank schieben

Laut Weidmann wäre ein so weitreichendes Paket nicht notwendig gewesen, um den Preisauftrieb im Euroraum zu stützen. Nach dieser Entscheidung sei klar, dass die niedrigen Zinsen noch für geraume Zeit erhalten blieben. Wichtig sei für ihn, dass die expansive Geldpolitik zurückgefahren werde, sobald es der Inflationsausblick zulasse. Der EZB-Rat habe sich mit den jüngsten Beschlüssen aber lange gebunden.

Ausstieg wird immer schwerer

Im Grundsatz verteidigte Weidmann im Gespräch mit der BILD-Zeitung die expansive Geldpolitik der vergangenen Jahre als „angemessen“. Wichtig sei ihm dabei gewesen, dass die Geldpolitik nicht ins Schlepptau der Finanzpolitik gerate, da dies die Fähigkeit für stabile Preise zu sorgen, gefährde. „Mit dem Beschluss, noch mehr Staatsanleihen zu kaufen, ist dieses Risiko gestiegen, und es wird für die EZB immer schwerer, aus dieser Politik auszusteigen“, warnte Weidmann.

Weidmann räumte ein, dass Sparerinnen und Sparer durch die aktuelle Geldpolitik belastet würden. „Ganz allgemein wird es schwerer, für das Alter vorzusorgen, ohne mehr Risiko einzugehen“, sagte der Bundesbankpräsident. Dennoch bleibe es auch bei niedrigen Zinsen sinnvoll, etwas für später zurückzulegen und vorzusorgen.