Brexit means Brexit – Aber was heißt das für den Finanzplatz Europa? Rede beim Jahresempfang des Verbands der Auslandsbanken
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einführung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, heute zu Ihnen über die Zukunft des Finanzplatzes Europa nach dem Brexit zu sprechen. Dabei möchte ich vor allem auf drei Aspekte eingehen.
Mein erster Punkt: Banken, die nach dem Brexit ihr Geschäft in die EU verlagern oder ihren Standort hier ausbauen wollen, müssen die gleichen aufsichtlichen Mindeststandards einhalten, die auch für die bereits ansässigen Auslandsbanken und für die inländischen Institute gelten. Gleichzeitig sind wir bemüht, Lösungen zu finden, die unnötigen Mehraufwand vermeiden.
Punkt zwei: Für Institute, die grenzüberschreitend tätig sind, wird es künftig sehr darauf ankommen, wie der jeweilige Aufseher die Drittstaaten-Institute beaufsichtigt – denn um solche handelt es sich dann – und wie die beteiligten Behörden grenzübergreifend zusammenarbeiten.
Und drittens: Im Zuge des Brexit tendieren wir dazu, uns auf die negativen Aspekte zu konzentrieren und darüber nachzudenken, wie man die Folgen möglichst abfedern kann. So richtig und wichtig diese Überlegungen sind, so sehr müssen wir aber weiterhin den einheitlichen Finanzmarkt der EU als Vision vorantreiben – ein „Digital Financial Centre of Europe“ bietet bislang unerschlossenes Potenzial.
2 Ein Ende des gemeinsamen Marktes erfordert eine getrennte Aufsicht
Zwei Jahre nach dem Brexit-Votum müssen wir davon ausgehen, dass die grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen künftig spürbaren Beschränkungen unterliegen werden. Für den Bereich der Finanzmärkte heißt das auf den Punkt gebracht: der Europäische Pass für Finanzdienstleistungen ist tot.
Dieser Beobachtung folgt sogleich die Frage: Kann es so etwas wie einen „Finanzpass light“ oder Ausnahmeregelungen geben?
Hier lautet die klare Antwort, dass es keine dauerhaften Ausnahmeregelungen geben kann und wird. Institute, die nach dem Brexit Geschäft in die EU verlagern oder hier ihren Standort ausbauen, werden die hohen aufsichtlichen Standards einhalten müssen, die auch für die Institute gelten, die bereits heute hier tätig sind.
Hinter dieser Antwort steht die eindeutige Grundhaltung, dass ein aufsichtlicher Eingriff in die Geschäftstätigkeit von Instituten in der eigenen Jurisdiktion jederzeit möglich sein muss. Dies ist eine notwendige Bedingung, die nicht verhandelbar ist.
Gleichzeitig verbietet uns diese Grundhaltung nicht, darüber nachzudenken, ob, und gegebenenfalls wo, operative Mehraufwendungen aufgrund des Zeitdrucks abgemildert werden können.
Hierbei könnte eine Übergangsphase, wie sie zumindest prinzipiell im März in Aussicht gestellt wurde, hilfreich sein. Diese würde die langfristigen Kosten des Austritts senken, denn Firmen könnten besonnen ihre Optionen abwägen und entscheiden, in welchen Märkten sie aktiv sein wollen und welche organisatorischen Gestaltungen am effektivsten sind, um Compliance und Profitabilität gleichermaßen zu gewährleisten. Allerdings können wir uns aktuell nicht auf eine Übergangsfrist verlassen, da ein Scheitern der Verhandlungen jederzeit möglich ist.
3 Aufsicht über künftige Drittstaaten-Institute: Vorgaben und Zusammenarbeit
Doch Übergangsphase hin oder her: für die Anforderungen an die künftigen Drittstaaten-Institute kommt es letztlich darauf an, wie der jeweilige Aufseher diese nach dem Brexit beaufsichtigt und wie die Behörden dabei zusammenarbeiten werden. Um hier Klarheit zu schaffen, hat der SSM bereits ein ganzes Bündel von wichtigen Grundsatzeinschätzungen – sogenannte Supervisory Policy Stances – verabschiedet.
Dabei gehen wir im SSM weiter vom „worst case“, also einem No-Deal-Szenario, aus. Und das ist mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen im Vereinigten Königreich mehr als angemessen.
Denn kurz vor dem nächsten Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs sieht es nicht so aus, als ob Lösungen für ganz grundlegende Fragestellungen zur künftigen Partnerschaft schnell gefunden werden. Die Nordirland-Grenze ist nur eines der heiklen Themen. Insofern müsste der kommende Oktober-Gipfel ein riesiges Paket an Einigungen bringen. Diese wiederum wären dann in kürzester Zeit von den Parlamenten zu prüfen. Selbst wenn all dies gelänge, wären nur Rahmenbedingungen festgelegt, unter denen ein künftiges Abkommen im Detail auszuarbeiten ist – und das über einen mehrjährigen Zeitraum. Und weil während des gesamten Prozesses ein Scheitern der Verhandlungen – und damit ein harter Brexit – jederzeit möglich bleibt, sollten die Unternehmen hierauf vorbereitet sein.
Aus diesen Gründen beunruhigt es uns Bankenaufseher sehr, dass einige Banken in ihren Anstrengungen nachgelassen haben, rechtzeitig zum März 2019 eine lizenzierte und funktionsfähige Einheit in der EU bzw. im Vereinigten Königreich zu bilden. Ich sage es ganz deutlich: Diese Institute können nicht mit unserer Nachsicht rechnen – wir erwarten von allen Häusern, dass sie für einen harten Brexit vorsorgen. Und deshalb ist mein dringender Appell an alle Institute: Bereiten Sie sich so vor, dass der Geschäftsbetrieb auch nach einem harten Brexit zum 29. März 2019 weiterlaufen kann. Wer seinen Antrag erst nach Ende des aktuellen Quartals einreicht, dessen Chancen auf einen rechtzeitigen Abschluss des Lizensierungsverfahrens sinken beträchtlich.
Zudem erwarten wir, dass diese Anträge unsere Supervisory Policy Stances erfüllen. Lassen Sie uns ganz kurz auf die wichtigsten Aspekte schauen:
Da sind zunächst die Prinzipien für Zulassung sowie Governance, Risikomanagement und Outsourcing. Kern der auf mehreren hundert Seiten aufgeführten Anforderungen ist: Es wird keine leeren Hüllen geben. Banken im Euroraum müssen in der Lage sein, alle wesentlichen Risiken unabhängig und auf lokaler Ebene zu kontrollieren. Dafür benötigen sie Kontrolle über ihre Bücher und alle Positionen sowie lokal unabhängige Steuerungs- und Kontrollfunktionen, die an den lokalen Vorstand berichten – vor allem in den Bereichen Risikomanagement, Compliance und interne Revision.
Das bringt uns zu der Frage der Buchungsmodelle: Werden sogenannte „Back-to-Back-Hedges“ weiterhin akzeptiert? Hier erwartet der SSM, dass Banken in der Eurozone ausreichend lokale Kapazitäten haben, um zumindest einen spürbaren Teil der auf Euro lautenden Geschäfte selbst zu managen und nicht vollständig innerhalb des Konzerns an andere Einheiten auszulagern. Die lokalen Einheiten müssen im lokalen Markt etabliert sein, so dass sie im Fall einer Schieflage anderer Konzerneinheiten selbstständig am Markt agieren können. Allerdings sehen wir als Bundesbank natürlich die ökonomischen Vorteile von Back-to-Back-Hedges. Solche Geschäfte dienen ein Stück weit als Pipeline zu internationalen Kapitalressourcen an anderen Standorten.
Einige hoffen beim Thema Vertragskontinuität auf eine übergeordnete aufsichtliche oder gesetzliche Lösung. Hier rate ich davon ab, sich auf uns zu verlassen, denn es handelt sich hierbei weniger um ein aufsichtliches als um ein zivilrechtliches Problem.
Ein nicht nur für die Auslandsbanken sehr wichtiges Thema ist die Beaufsichtigung der künftigen Drittstaaten-CCPs aus dem Vereinigten Königreich. Aus Sicht der Bundesbank muss klar geregelt und sichergestellt sein, dass die kontinentaleuropäischen Behörden nicht nur über hinreichende Informations-, sondern auch über handfeste Eingriffsrechte bei den britischen CCPs verfügen – ansonsten scheint eine Verlagerung in die EU nur schwer zu umgehen.
Je mehr wir uns mit der Thematik beschäftigen, umso stärker erkennen wir, welche gravierenden Folgen das Ausscheiden von für uns systemrelevanten CCPs aus unserer Jurisdiktion hat. Volker Brühl vom Center for Financial Studies hat in einer jüngst veröffentlichten Studie hierzu vieles systematisch zusammengeführt: Er hat sehr präzise dargelegt und einmal bis zum Ende durchgespielt, was Probleme eines Drittstaaten-CCP bedeuten können:
für die geldpolitische Transmission im Euroraum,
für die Funktionsfähigkeit unseres Abwicklungsregimes,
für die Inanspruchnahme der nationalen Zentralbanken, vor allem der Bundesbank, als Lender of Last Resort.
Mir bereiten diese Szenarien, auf die ich dann keinerlei aufsichtlichen Einfluss habe, zunehmend Unbehagen.
Und wenn Kollege Brian Bussey von der Commodity Futures Trading Commission (CFTC) betont, es müsse einen Lead Supervisor geben, LCH sei aber am Wichtigsten für die USA, dann sehe ich uns hier schon an dritter Stelle. Das wäre angesichts der systematischen Bedeutung des CCP für den Euroraum nicht akzeptabel.
Der ECON-Ausschuss des Europäischen Parlaments hat in Sachen Verlagerung gerade die erste Positionierung vorgenommen – und auch hier spielt die Möglichkeit der „Relocation“ weiterhin eine gewichtige Rolle
Uns als Bundesbank geht es hierbei nicht um Strukturpolitik oder Handelsfragen. Wir sind wettbewerblich geprägt und neutral. Unser Mandat ist Preis- und Finanzstabilität. Und die wird von diesen Entscheidungen maßgeblich beeinflusst.
Mit diesen Policy Stances gibt es schon einen klaren, transparenten Erwartungsrahmen im SSM.
4 Die Zukunft des Finanzplatzes Europa
Meine Damen und Herren, so sehr wir die britische Entscheidung, die EU zu verlassen, bedauern, so müssen wir doch nach vorne schauen und sollten uns Gedanken darüber machen, wie Finanzdienstleistungen auf dem Kontinent künftig erbracht werden können.
Einerseits müssen wir uns die Folgen des Brexit aus der Perspektive jeder einzelnen Bank anschauen. Bisher vermeiden die Banken größere Änderungen, auch weil sie damit beschäftigt sind, große akute Herausforderungen zu schultern und deren Kosten zu stemmen. Dabei geraten strategische Aspekte leicht aus dem Blick. Die Tektonik für Finanzinstitute verschiebt sich nicht nur durch den Brexit, sondern auch durch Digitalisierung und Regulatorik. Bei einem solchen Aufbruch tradierter Strukturen und Märkte wird der Kuchen neu verteilt – es gibt Verlierer, aber auch Gewinner. Es besteht durchaus die Gefahr, dass vor lauter Festhalten an traditionellen Positionen in London neue Optionen auf dem Kontinent ignoriert werden – allerdings nicht von allen; das sind dann die Gewinner. Mein Appell an Sie alle ist: Nehmen Sie mittel- und langfristige strategische Optionen in den Blick.
Andererseits müssen wir die Folgen des Brexit auch mit Blick auf den gesamten EU-Finanzmarkt betrachten. Es geht um nicht weniger als die Finanzierung der europäischen Wirtschaft, besonders in Zeiten, in denen die globale Wirtschafts- und Finanzordnung zunehmend instabil wird. Die bisherigen EU-Initiativen Finanzbinnenmarkt, Bankenunion und Kapitalmarktunion waren alle nach innen gerichtet. Einen internationalen Finanzplatz hatte Europa mit London. Das ändert sich nun. Und deshalb stellt sich die Frage, ob wir in der EU 27 den Ehrgeiz haben sollten, einen global wettbewerbsfähigen Finanzplatz zu entwickeln, der mehr ist als die Summe seiner Teile hier in Frankfurt, in Paris, Amsterdam oder Dublin. Der französische Zentralbankgouverneur Villeroy de Galhau hat kürzlich von einem polyzentrischen integrierten Netzwerk gesprochen – und dahin gehen auch meine Überlegungen, die stark das digitale Potenzial einbeziehen.
Mit der Idee eines „Digital Financial Centre of Europe“ möchte ich zu einer breiten, zukunftsgerichteten Debatte beitragen.
Das Konzept ruht auf drei Säulen:
Die erste Säule ist das Netzwerk. Bisher ist das Potenzial europäischer Finanzdienstleistungen auf mehrere Standorte verteilt. So entsteht keine kumulative Wirkung. Damit ein vollwertiges „finanzielles Ökosystem“ wirklich gedeihen kann, müssen jedoch Angebot und Nachfrage nach Finanzdienstleitungen vor Ort ausreichend vorhanden sein. Derzeit kann das kein europäisches Finanzzentrum bieten. Jedoch könnten die kontinentalen Finanzzentren ein aggregiertes Potenzial ausschöpfen, wenn sie ein Netzwerk bilden, in dem jedes Finanzprodukt zu jeder Zeit in jeder Menge gekauft und verkauft werden kann – wie es eben ein global wettbewerbsfähiger Finanzplatz können muss.
Die Digitalisierung bildet die zweite Säule. Die kontinentalen Finanzzentren brauchen eine starke digitale Marktinfrastruktur, die alle neuen digitalen Möglichkeiten vollumfänglich ausschöpft – die Distributed Ledger Technology (DLT) ist nur eine davon. Nur dann können sie die Fragmentierung wirksam überwinden und Agglomerationseffekte von örtlicher Nähe nachbilden. Hier ist auch das Eurosystem gefordert, das mit dem TARGET-System bereits eine elementare Infrastruktur für den Zahlungsverkehr zur Verfügung stellt.
Diese ersten beiden Säulen schaffen ein digitales Netzwerk europäischer Finanzzentren. Damit dieses europäische Finanz-„Amazon“ sein Potenzial aber voll entfalten kann, ist eine marktgetriebene Spezialisierung als dritte Säule notwendig. Marktorientierte Spezialisierung kann helfen, Skaleneffekte zu erzielen, Innovationspotenzial zu steigern und Exzellenz zu erreichen. In einer „Coopetition“ – eine Wortschöpfung aus den englischen Begriffen für Kooperation und Wettbewerb – könnten europäische Finanzzentren kooperieren, konkurrieren und gleichzeitig ihre eigenen Kernkompetenzen entwickeln. Aber das ist eine Zukunftsvision.
Es ist ein Zukunftsbild, das auch sehr in unserem ureigenen Interesse als Zentralbank liegt. Denn eine starke Währung, Preis- und Finanzstabilität können wir umso besser fördern, je mehr die relevanten Finanzströme dort verlaufen, wo unser Regime gilt.
5 Fazit
Meine Damen und Herren, „Brexit means Brexit“ – aber was das für den Finanzplatz Europa am Ende des Tages bedeutet, liegt in unserer Hand.
Das gilt für Sie als inländische und als ausländische Banken, für Sie als Gestalter von Politik auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene und für uns als Zentralbanken und Aufseher.
Jetzt kommt es auf einen Perspektivwechsel an. Lassen Sie uns den Brexit als Chance für uns verstehen, nicht durch naives Schönreden einer bedauerlichen Entwicklung, sondern durch nüchterne, aber zukunftsgewandte Gestaltung.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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