Wann weniger mehr und mehr weniger ist – Bürokratieabbau, Wettbewerbsfähigkeit und der Finanzsektor Rede beim Bundesbank Symposium „Bankenaufsicht im Dialog“
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich begrüße Sie herzlich zum Bundesbank Symposium.
Vor uns liegt ein dichtes Programm mit spannenden Themen – von künstlicher Intelligenz über Governance und Liquiditätsrisiken bis hin zu geopolitischer Unsicherheit.
Letztere zehrt seit einiger Zeit täglich an den Nerven – für wirtschaftspolitisches Kurshalten braucht es fast schon Buddha-hafte Geduld.
Und auch die Nachrichten aus der Realwirtschaft zeigen die Herausforderungen, vor denen wir derzeit stehen.
Ein Thema, das im Zusammenhang mit den niedrigen deutschen BIP-Zuwachsraten immer wieder genannt wird, ist die Belastung durch Regulierung und Bürokratie. Der Blick über den Atlantik auf die Aktivitäten der US-Administration hat auch hierzulande einige Debatten um Wettbewerbsfähigkeit durch Bürokratieabbau befeuert.
Auch in der Bankenregulierung ist die Diskussion längst angekommen und ich möchte sie heute aufgreifen, indem ich zwei Blickwinkel einnehmen werde: erstens einen übergeordneten, politischen. Dabei geht es mir darum, weg von einer polarisierten hin zu einer differenzierten Debatte zu kommen.
Hiervon ausgehend werde ich, zweitens, einen detaillierten Blick auf den Bankensektor werfen. Ich werde aufzeigen, wo wir Möglichkeiten sehen, bürokratischen Aufwand zu reduzieren; aber auch, wo Bürokratieabbau Schaden anrichten würde.
2 Die Vor- und Nachteile der Regulierung
Beginnen wir mit dem übergeordneten Blick auf die Vor- und Nachteile von Bürokratie.
Der Begriff „Bürokratie“ wurde im Frankreich des 18. Jahrhunderts geprägt und bedeutet „die Herrschaft des Büros“ – dass dies negativ konnotiert war, braucht keine weitere Erklärung.
Und genauso fühlt es sich für viele Unternehmerinnen und Unternehmer wohl an: wenn man im internationalen Wettbewerb mit chinesischen, amerikanischen und europäischen Konkurrenten versucht, zwischen Kostendruck, Innovation und der Verantwortung als Arbeitgeber zu manövrieren. Wenn dann über tausend Datenpunkte erhoben werden müssen und diese am besten noch gefaxt werden sollen, ist die Frage, ob man so wettbewerbsfähig sein kann, nicht ganz unberechtigt.
Zu viel Regulierung und eine zu unflexible Aufsicht können dazu führen, dass die Kosten den Nutzen übersteigen.
Es gibt zahlreiche Studien, die aufzeigen, dass der Aufwand, den Unternehmen zur Erfüllung regulatorischer Anforderungen aufbringen müssen, erhebliche Kosten mit sich bringt.
Besonders plakativ sind die Beispiele aus dem Bereich der Berichterstattung zur Nachhaltigkeit. Weil diese Regeln relativ neu sind bzw. noch eingeführt und umgesetzt werden, sind die neu entstehenden Kosten hier besonders deutlich.
Gerade kleinere Unternehmen, die keine Compliance-Abteilung haben, klagen darüber, dass Beschäftigte zu viel Zeit mit Compliance verbringen, anstatt Umsatz zu generieren oder für die Kunden da zu sein.
Ein weiterer Nachteil überbordender Regulierung entsteht, wenn die Kosten einer Tätigkeit so hoch werden, dass sich das Angebot nicht mehr kostendeckend erbringen lässt und daher eingestellt wird.
Ein besonders schwerer Nachteil wird oft gar nicht sichtbar. So kann der Wettbewerb in einem Sektor geschwächt werden, wenn Anforderungen zu hohe Einstiegshürden für Neueinsteiger bedeuten – dann werden die etablierten Firmen vor der Konkurrenz neuer Akteure geschützt; in der Folge können Innovation und Effizienz stagnieren und Preise überhöht sein.
Diese Liste ist nicht abschließend; aber mir ist wichtig, Ihnen deutlich zu machen, dass wir Bankenregulierer nicht naiv sind – uns ist völlig klar, dass Regulierung und Aufsicht nie perfekt sind und dass sie für Ihre Institute einen Aufwand verursachen.
Aber: Wir müssen regulatorische Kostenanalysen richtig einordnen. Die Kosten sind vielfach leichter zu messen als der Nutzen – und wie hoch der insbesondere bei Finanzmarktregulierung sein kann, werde ich gleich noch diskutieren.
Der Bürokratiekostenindex von Destatis, der den Erfüllungsaufwand für Unternehmen beziffern soll, deutet darauf hin, dass wir uns immerhin in die richtige Richtung bewegen. Er ist seit seiner Einführung im Jahr 2012 vom Indexwert 100 auf aktuell ca. 94 gefallen.[1] Gleichzeitig gibt es zahlreiche Studien, die darauf verweisen, dass Bürokratie einen hohen Nutzen hat. Wenn sich Studien außerdem anschauen, wie unterschiedliche Verwaltungsansätze wirken, zeigen sie bemerkenswerte Ergebnisse: Zum Beispiel, dass es mehr auf die Qualität der Arbeit der Verwaltungen ankommt als auf die Regulierungsdichte. In Regionen mit sehr guter Verwaltung entwickeln sich schnell wachsende Unternehmen auch bei hoher Regulierungsdichte positiv – während ineffiziente Verwaltungen negative Auswirkungen einer hohen Regulierungsdichte verschärfen.[2]
Ich könnte mehr als eine Rede mit Kosten-Nutzen-Analysen füllen. Aber schlussendlich, meine Damen und Herren, ist es doch so: Bürokratie soll und muss das Leben unangenehmer machen; es komplizierter machen – denn sonst wäre sie unnütz. Regeln gibt es ja überhaupt nur deshalb, weil Menschen, wenn sie wirtschaftlich handeln, zwar sich selbst nützen, aber nicht unbedingt ausreichend darauf achten, ob sie dem Gemeinwesen oder Dritten schaden. Und Verwaltungsvorschriften sind deshalb so eng gefasst, damit sichergestellt ist, dass Einzelne weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Wie wir seit Adam Smith wissen, beruht eine Marktwirtschaft darauf, dass jede Person im eigenen Interesse arbeitet, aber dadurch etwas anbietet, was andere kaufen möchten. Doch wir wissen aus der Volkswirtschaftslehre auch, dass jede Transaktion Auswirkungen auf Dritte hat, die nicht im Preis enthalten sind – Stichwort „Externalitäten“. Gäbe es keine Regeln für marktwirtschaftliches Agieren, dann müsste jede und jeder von uns stärker damit rechnen, aus dem Handeln Anderer Nachteile zu erleiden – dann schwände eine zentrale Ressource für Zusammenarbeit und Handel: Vertrauen.
Ein gutes Beispiel aus der Bankenregulierung ist das Thema Governance – hier würden wir Aufseher gerne eher weniger als mehr formelle Regeln sehen. Aber leider zeigen unsere Erfahrungen, dass die Governance-Qualität oftmals unzureichend ist und bleibt – im Sinne des Vertrauens in stabile Banken sind Vorgaben daher zwar unbequem, aber nützlich.
Daraus folgt: Ohne Bürokratie wäre unsere Gesellschaft weniger gesund, würde weniger Vertrauen, weniger Verlässlichkeit bieten und Bürger und Unternehmen wären höheren Diskriminierungsrisiken ausgesetzt. Und auch diese Liste ist nicht abschließend.
Mir ist wichtig: Ein generelles Bürokratie-Bashing bringt wenig, vielmehr müssen wir unterscheiden zwischen zwei Arten der Kritik an Verwaltung und Regulierung:
Eine grundsätzliche, die die Beschränkung des unternehmerischen Handelns generell als negativ ansieht.
Eine spezifische, die konkrete Regelungen und Verfahren adressiert und die darlegt, warum die gesellschaftlichen Kosten den gesellschaftlichen Nutzen übersteigen.
Die grundsätzliche Kritik verkennt, dass Regeln und deren faire Überwachung unabdingbar sind, um komplexe, arbeitsteilige Gesellschaften zu ordnen – nach archäologischem Wissen ist dies mindestens seit ca. 7000 Jahren ein Erfolgsgarant.[3]
Außerdem diskreditiert die generelle Kritik die konstruktive Kritik an Regulierung und Aufsicht – für die es gute Argumente gibt.
Und deswegen möchte ich nun im zweiten Teil meiner Rede über die spezifische, konstruktive Kritik an der Regulierung und Aufsicht im Bankensektor sprechen.
3 Kosten und Nutzen der Bankenregulierung
Wie ist also die Bilanz für den Bankensektor?
Wir alle wissen, dass der Bankensektor ein stark regulierter Sektor ist. Vielfach wird kritisiert, dass der bürokratische Aufwand zu hoch sei und wirtschaftliches Wachstum kosten würde.
Ich habe eingangs die Deregulierung in den USA angesprochen. In einem global operierenden Finanzsektor stellt sich daher schnell die Frage, ob die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Banken durch eine stärkere Deregulierung in den USA gefährdet sei.
Die Empirie spricht eine andere Sprache: Unzureichende globale Regulierung und eine zu nachsichtige Aufsicht trugen mit zur Finanzkrise von 2008 bei.[4]
Im Gegensatz dazu haben die bereits umgesetzten Basel III-Regeln die Finanzstabilität gestärkt.[5]
Dank dieser Regeln hat das europäische Finanzsystem die Turbulenzen der Corona-Pandemie und die Bankenturbulenzen, die durch die Ausfälle der Silicon Valley Bank, Credit Suisse und anderer ausgelöst wurden, ohne größere Schäden überstanden.
Gleichzeitig zeigen empirische Studien, dass die Basel III-Reformen keinen signifikant negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum oder die Kreditvergabe hatten. Wenn wir die positiven Effekte der Regulierung, wie reduzierte Volatilität, berücksichtigen, tendieren die Nettoeffekte auf das BIP positiv.[6] Darüber hinaus zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass Banken mit höheren Kapitalniveaus tendenziell widerstandsfähiger sind; sie gewährleisten die Kreditversorgung der Realwirtschaft zuverlässiger, insbesondere in Krisenzeiten.[7]
Allerdings kann auch bei hoher Regeldichte eine zu nachsichtige Aufsicht zu anfälligen Banken führen. Das wissen wir spätestens seit den Bankenturbulenzen des Frühjahrs 2023. Es ist vor allem der rigorosen, selbstkritischen Aufarbeitung der US-Behörden zu verdanken, dass wir die zwei zentralen Lehren ziehen konnten: Institute können ungesund wachsen, wenn ihre Governance schwach ist und wenn Aufsichtsbehörden nicht konsequent agieren.[8]
Zusammengenommen heißt das: Bankenregulierung und Aufsicht bedeuten naturgemäß Kosten für die Institute; doch ihr Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft übersteigt die Kosten.
Deshalb bleiben wir als Bundesbank auf solide Regulierung und Aufsicht fokussiert.
Wenn andere Rechtsordnungen die Sicherheitsstandards senken, würden überschwappende Turbulenzen aus dem Ausland wahrscheinlicher werden – hierdurch würde solide EU-Regulierung nicht weniger, sondern im Gegenteil noch nützlicher werden.
Doch eine differenzierte Einschätzung und Haltung führt auch dazu, dass wir uns selbstkritisch mit konstruktiver Kritik an Regeln und Verfahren auseinandersetzen wollen.
4 „Walk the talk“: Ansätze zur Optimierung
Denn natürlich ist auch in der Bankenregulierung nicht alles Gold, was glänzt. Auch hier gibt es Schwierigkeiten. Ich höre vor allem vier Arten der Kritik:
Erstens: Die Kapital- und oder Liquiditätsanforderungen seien zu hoch.
Zweitens: Das Regelwerk sei zu komplex.
Drittens: Es gebe zu detaillierte Anforderungen, besonders im Bereich des Meldewesens.
Viertens: Die Regeln zielten vor allem auf die Stabilisierung der systemrelevanten und global tätigen Institute. Gerade kleinere Institute, die sich qua fehlender Größe keine Compliance-Abteilungen leisten können, würden benachteiligt. Es fehle also an Verhältnismäßigkeit – oder Proportionalität.
Dass Ihre Kritik ernst genommen wird, hören Sie oft. Doch Taten sagen mehr als Worte. Deshalb gehe ich auf diese Kritik ein, indem ich Ihnen aufzeige, an welchen Maßnahmen wir arbeiten.
4.1 Kapitalanforderungen und Komplexität
Beginnen wir mit den Mindestanforderungen an Kapital und Liquidität sowie dem Problem der steigenden Komplexität.
Nachdem die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat, wie schwach die auf dem Papier komfortabel kapitalisierten Institute tatsächlich auf der Brust waren, wurden striktere Anforderungen eingeführt und Schlupflöcher geschlossen. Das Ergebnis ist ein vielschichtiges, überlappendes Rahmenwerk. Dass das zu kompliziert ist, sehen wir auch. Wir setzen uns daher innerhalb der EU und des ESZB dafür ein, das derzeitige Kapitalrahmenwerk zu vereinfachen. Ich hoffe, dass wir mit unseren europäischen Partnern dabei Erfolg haben werden. Zu sagen, wohin dies genau führt, wäre aber verfrüht.
Allerdings steht schon fest, wohin es nicht führen darf: zu einer Senkung der Kapital- und Liquiditätsausstattung und damit weniger Resilienz des Bankensystems. Denn, wie ich schon ausgeführt habe, haben besser kapitalisierte Banken durch ihre Stabilität einen hohen Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Dabei ist auch interessant, woher die Komplexität in den Regeln stammt: natürlich aus der Komplexität des Geschäfts, aber eine Vielzahl der Ausnahme- und Einzelfallregelungen geht auch auf die Berücksichtigung von Bedürfnissen der Finanzwirtschaft zurück. Einfacher bedeutet weniger Einzelfallregelungen. Die Nutzung interner Modelle zum Beispiel führt zu mehr Komplexität und Aufwand; trotzdem entscheiden sich Institute dafür.
Die Haltung der Bundesbank hat Präsident Joachim Nagel im Schreiben mit anderen Notenbankgouverneuren unmissverständlich auf den Punkt gebracht: Vereinfachung heißt nicht […] Deregulierung.
Deshalb ist die Linie der Bundesbank klar: Reduzierung des Erfüllungsaufwands: ja; Absenkung oder Aufweichung von Mindeststandards: nein!
Es gibt einige Ansatzpunkte, wo wir Chancen zur Erleichterung sehen.
4.2 Basel III-Finalisierung und die Überarbeitung des Handelsbuchs
Schauen wir auf den Ausgangspunkt der Diskussionen um internationale Wettbewerbsfähigkeit: die Umsetzung der Finalisierung von Basel III. Von der vollständigen Umsetzung wollen und werden wir nicht abweichen – denn es handelt sich um einen umsichtig austarierten Kompromiss. Wohin laxe Ausnahmen führen, konnte man in den USA während der Bankenturbulenzen im Frühjahr 2023 sehen.
Im Bereich des Fundamental Review of the Trading Book, kurz FRTB, sollten wir prüfen, ob leichte Anpassungen sinnvoll sind. Es wird bereits eine wesentliche Entlastung dadurch eintreten, dass der Parallelbetrieb von Basel II.5-Ansätzen und den neuen Meldeverpflichtungen beendet wird.
Darüber hinaus schlägt die Kommission in ihrer aktuellen Konsultation eine Reihe von vereinfachenden Maßnahmen vor, um den Übergangsprozess für Institute zu erleichtern. Durch solche gezielten, temporären Anpassungen am FRTB können die Ansätze in den Instituten vereinfacht werden; die Implementierungs- und Betriebskosten könnten signifikant gesenkt werden.
Die Kommission könnte zu einem späteren Zeitpunkt auch einen Gesetzesvorschlag unterbreiten, der die temporären Maßnahmen fortsetzt oder auch anpasst und erweitert.
Davon unabhängig besteht im SSM Konsens, dass wir die Genehmigungsprozesse bei der Handelsbuchabgrenzung und der aufsichtlichen Überprüfung der Implementierungsqualität des Standardansatzes möglichst effizient gestalten.
Und für kleinere Institute (LSIs) wollen wir die Implementierungs- und Betriebskosten möglichst gering halten – deshalb planen wir, die SSM-Prozesse proportional anzupassen.
4.3 Prinzipienbasierte Regulierung und Aufsicht
Ich möchte von der Regulierung zur Aufsicht schauen – bzw. der Frage nachgehen, wie wir von den Regeln zu den Verfahren kommen.
Wir als Bundesbank könnten uns eine stärker prinzipienbasierte Regulierung vorstellen. Und so arbeiten wir mit den anderen Mitgliedstaaten bereits an der Vereinfachung diverser EBA-Richtlinien; wir plädieren auch dafür, CRR und CRD künftig stärker prinzipien- statt regelbasiert zu gestalten.
Davon unabhängig wird die deutsche Aufsicht künftig versuchen, sicherzustellen, dass die Praxis noch stärker prinzipienbasiert und risikoorientiert gelebt wird – damit meine ich nicht nur uns als laufende Aufsicht und Prüfer, sondern auch alle „externen Prüfer“.
Im aufsichtlichen Überprüfungsprozess SREP haben wir bereits diverse Initiativen angestoßen: Ich spreche von der SREP-Reform sowie von wichtigen nationalen Reformen, von denen Karlheinz Walch später berichten wird. Diese Reformen führen nicht nur zu schlankeren und flexibleren Prozessen in der Aufsicht, sondern auch zu einer bürokratischen Entlastung der Banken.
Ein weiteres wichtiges Projekt auf unserer nationalen Agenda ist die Überprüfung der MaRisk, die wir gemeinsam mit der BaFin angestoßen haben. Die Stärke der MaRisk liegt in ihrem prinzipienbasierten Ansatz. Über die vergangenen Jahre ist das Regelwerk allerdings stark gewachsen. Ziel der Überprüfung ist eine Vereinfachung sowie eine noch stärkere Proportionalität und Risikoorientierung. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich sehen großes Potenzial und wollen hier viel erreichen. Aber der Prozess steht erst am Anfang.
4.4 Stresstests
Bereits weiter sind wir im Bereich der aufsichtlichen Stresstests. In den EBA- und SSM-Stresstests werden derzeit Top-Down Modelle eingeführt – 2023 ein Top-Down-Modell für das Net Fee and Commission Income; 2025 wurden weitere Top-Down Elemente im Bereich Net Interest Income hinzugefügt. Dies wird eine wesentliche Ressourcenersparnis bringen.
Auch für die LSIs haben wir die Proportionalität fest im Blick. Bundesbank und BaFin verwenden bereits seit 2019 diverse Top-Down-Lösungen (bspw. im Kreditrisiko und den sonstigen GuV-Positionen). Zudem soll die sog. „Befreiungslösung“ für sehr kleine Institute ohne Berücksichtigung des relativen Risikobetrags als Wahlmöglichkeit geöffnet werden. Hierbei sollen zentrale Risikokategorien mit konservativen Haircuts versehen werden, wodurch Institute geringen Aufwand mit der Befüllung haben werden. Weitere Erleichterungen sind in der Qualitätssicherung und dem Umfang des Umfrageteils geplant.
Stresstests sind ein wichtiges Instrument; aber sie sind auch aufwändig – die genannten Änderungen werden die Institute deutlich entlasten.
4.5 Reporting, ESG und Omnibus-Gesetz
Kommen wir zu einem weiteren Lieblingsthema, wenn es um Bürokratieentlastung geht: das Reporting.
An der Reduzierung des Aufwands arbeiten wir mit kurzfristigem Erreichungsziel auf internationaler Ebene.
Die EU-Kommission hat am 26. Februar mit dem Omnibus-Paket I einen Vorschlag vorgelegt, um die Nachhaltigkeitsberichterstattung einfacher und effizienter zu gestalten.
Im Kern geht es darum, erstens die Anzahl der von der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) direkt betroffenen Unternehmen deutlich zu senken; zweitens werden die Datenanforderungen vereinfacht.
Zudem schlägt die Kommission vor, einen „Value-Chain-Cap“ einzuziehen: Dies ist eine Obergrenze für Anforderungen an indirekt von der Berichtspflicht betroffene Unternehmen.
Auch wenn das Omnibus-Paket nicht die Bankenregulierung im eigentlichen Sinn betrifft, bleiben die aufsichtlichen Anforderungen davon nicht unberührt.
Grundsätzlich begrüßen wir die von der Kommission angestrebte Entlastung der Wirtschaft. Banken sind aber darauf angewiesen, insbesondere für ihr Risikomanagement genug Informationen von ihren Kunden zu erhalten. Unsere Botschaft an dieser Stelle lautet: Wir unterstützen eine sinnvolle und proportionale Ausgestaltung von Nachhaltigkeitsanforderungen. Zugleich lehnen wir aber eine Obergrenze für Informationen ab, die Banken insbesondere für die Beurteilung ihrer Risiken benötigen. Das gilt auch für ESG-Informationen.
Bei der Säule 3-Offenlegung von ESG-Risiken setzt sich die deutsche Aufsicht bei der EBA dafür ein, diese proportional auszugestalten. Wir berücksichtigen hierbei die Entwicklungen des Omnibus-Vorschlags. So viel kann ich schon verraten: Kleine Institute werden nicht annähernd so viel offenlegen müssen, wie es große kapitalmarktorientierte Institute derzeit müssen. Außerdem setzen wir uns dafür ein, den Instituten ausreichend Zeit zur Implementierung zu lassen.
Neben den Omnibus-Paketen sind außerdem Überprüfungen verschiedener Implementierungsstandards vorgesehen bzw. laufen bereits. Hierbei setzen wir uns auch weiterhin für proportionale Lösungen ein.
Auch effizientere Prozesse können zu Vereinfachungen führen und sind teils bereits angestoßen (z. B. das Integrated Reporting Framework, IReF). Hier soll es zukünftig insbesondere heißen: „Define once – report once.“
4.6 Smart Regulation: Sup- und Reg-Tech erhöhen Effizienz
Es gibt einen letzten Optimierungsbereich, den ich aus Zeitgründen nur kurz streifen möchte, nämlich den der „Smart Regulation“, vielfach auch mit den Schlagwörtern Reg-Tech und Sup-Tech umschrieben.
Ich hatte vorhin schon eine Studie angesprochen, derzufolge die Regulierungsdichte in ihrer Bedeutung in den Hintergrund treten kann, wenn die Aufsichtsbehörden proaktiv walten: Dafür braucht es laut der Studie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Regeln proaktiv umsetzen und Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen bei ihrer Einhaltung unterstützen.
Wir in der Bundesbank arbeiten intensiv an Smart Regulation und Smart Supervision, damit wir unsere Ressourcen effizient und effektiv dorthin leiten, wo sie den höchsten Nutzen stiften. Karlheinz Walch wird Ihnen später berichten, welche KI- und Digitalisierungsprojekte wir intern verfolgen, um auch für die Institute den Aufwand zu senken. Ich sehe die Digitalisierung aller aufsichtlichen Einreichungen und die automatisierte Auswertung als eine Priorität unserer Weiterentwicklung. Daran arbeiten wir schon seit längerem intensiv und in den kommenden Jahren werden Sie und wir dies alltäglich bemerken.
Dies wird dann Ihren Instituten auch noch stärker die Möglichkeit geben, die Digitalisierung für noch mehr Effizienz und für neue Einkommensquellen zu nutzen.
Und damit komme ich zum Schluss.
5 Schluss
Meine Damen und Herren,
wir erleben derzeit eine tektonische Verschiebung der internationalen Partnerschaften und der multilateralen Ordnung. Dies hat massive Auswirkungen auf die Organisation unserer Wirtschaft; und deshalb ist die Frage danach, wie wir unsere wirtschaftspolitische Ordnung weiterentwickeln, wichtig.
Bürokratie, Regulierung und Aufsicht spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. Aber nicht als der Prügelknabe, den manche darin gerne sehen. Sondern als ein integraler Bestandteil einer demokratischen, offenen Gesellschaft, die fair, stabil und wirtschaftlich erfolgreich ist.
Zweifelsohne kann Bürokratie auch über das Ziel hinaus schießen. Hier müssen und wollen wir handeln. Neue Technologien können zudem helfen, den Aufwand für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen zu reduzieren. Deshalb arbeiten die Bundesbank und die deutsche Bankenaufsicht zusammen mit unseren europäischen und internationalen Partnern daran, Regeln und Verfahren zu vereinfachen und zu digitalisieren.
Unsere Linie ist dabei unmissverständlich: Reduzierung des Erfüllungsaufwands ja; Absenkung oder Aufweichung von Mindeststandards nein.
Nach diesem Prinzip arbeiten wir an diversen Vereinfachungen – eine Auswahl habe ich Ihnen heute vorgestellt.
Zu diesen Themen müssen Institute und Aufsicht konstruktiv miteinander im Gespräch sein, weshalb Veranstaltungen wie diese heute so wichtig sind. Es geht also um gute Kommunikation und um Vertrauen trotz unterschiedlicher Interessenlagen.
Ich appelliere an uns alle: Über Bürokratie, über Regulierung, über Aufsicht sowie über Bürokratieabbau und -vereinfachung kann und soll diskutiert, ja auch gestritten werden. Mal wird etwas eher für eine Regel, mal eher gegen sie, mal für eine andere Art der Regelung sprechen – und in vielen Fällen wird es unterschiedliche Sichtweisen auf ein- und dieselbe Regel geben.
Doch bei all diesen wichtigen, sachlichen Diskussionen gilt es zu beherzigen: Verwaltung, Bürokratie ist kein böses Laster, sondern sie ist eine wichtige Errungenschaft unseres Rechtsstaats.
Und nun wünsche ich Ihnen ein bereicherndes Bundesbank-Symposium – mit anregenden Beiträgen und interessanten Gesprächen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Fußnoten:
- Bürokratiekostenindex - Statistisches Bundesamt
- DIW Berlin: Verwaltungsqualität entscheidet mehr als Regulierungsdichte über Wachstumspotenziale von Unternehmen
- Harari, Y. N. (2024). Nexus: A brief history of information networks from the stone age to AI. Signal.
- Goldbach, Roman. Global governance and regulatory failure: the political economy of banking. Basingstoke, Hants: Palgrave Macmillan, 2015.
- Evaluation of the impact and efficacy of the Basel III reforms
- https://www.bis.org/bcbs/publ/wp38.pdf
- Admati, A. R., DeMarzo, P. M., Hellwig, M., & Pfleiderer, P. (2010). Fallacies, irrelevant facts, and myths in the discussion of capital regulation: Why bank equity is not expensive (No. 2010, 42). Preprints of the Max Planck Institute for Research on Collective Goods; Admati, A., & Hellwig, M. (2014). The bankers' new clothes: What's wrong with banking and what to do about it. Princeton University Press.
- Review of the Federal Reserve’s Supervision and Regulation of Silicon Valley Bank