Bundesbankpräsident Joachim Nagel und Chefredakteurin des Economist Beddoes ©Jens Gyarmaty

Präsident Nagel und Economist-Chefredakteurin Beddoes beim Bundesbank-Hauptstadtempfang in Berlin

Einmal im Jahr lädt die Bundesbank Gäste aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zum Hauptstadtempfang nach Berlin ein, um sich über die wirtschaftliche Lage und aktuelle Themen auszutauschen. In diesem Jahr begrüßte Bundesbankpräsident Joachim Nagel als besondere Gastrednerin die Chefredakteurin des Economist und Mitherausgeberin der Wochenzeitung „Die Zeit“, Zanny Minton Beddoes. Sowohl sie als auch Nagel sprachen in ihren Reden vor rund 200 Gästen über „Europas neue globale Rolle: Wettbewerb, Kooperation und Konfrontation“. Unter den rund 200 Gästen waren sowohl Mitglieder des Finanz- und Haushaltsausschusses des Bundestags sowie Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Ministerien, der Wissenschaft und von Verbänden.

Die neue geopolitische Realität

Nagel ging in seiner Rede auf die geopolitischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte, insbesondere den Rückgang von Globalisierung und Multilateralismus seit der Finanzkrise, ein. Er verwies auf die zunehmenden nationalen Rivalitäten, den Krieg in Europa und die Abkehr von regelbasierten Ordnungen hin zu einer Welt, die stärker von Machtpolitik geprägt sei. Dabei betonte er, dass Europa nur durch Zusammenarbeit mehr Souveränität und Handlungsfähigkeit gewinnen könne.

Verteidigungsfähigkeit gemeinsam verbessern

Europa sollte den geopolitischen Veränderungen mit eigener Stärke begegnen – wirtschaftlich, politisch und militärisch, sagte Nagel. Dafür sei es entscheidend, Europa durch gemeinsames Handeln zu stärken. Konkret nannte er zwei Handlungsfelder: Erstens müsse bei der Verteidigung stärker europäisch gedacht werden. Angesichts der größten Bedrohung der Sicherheit seit Jahrzehnten und der Forderung der USA, mehr zur eigenen Sicherheit beizutragen, müsse Europa aus eigener Kraft handlungsfähig werden. Europa muss aus eigener Kraft Verteidigungsfähigkeit aufbauen – und das schnell. Nagel kritisierte die mangelnde Koordination bei der militärischen Beschaffung und die ineffiziente Nutzung von Ressourcen. Er begrüßte die Initiative der Europäischen Kommission, mit dem Programm „Readiness 2030“ einen einheitlichen Markt für Verteidigungsgüter zu schaffen, und forderte eine engere Zusammenarbeit auch mit Nicht-EU-Staaten wie Großbritannien und Norwegen. 

Potenzial des Binnenmarkts ausschöpfen

Der zweite Bereich, in dem Europa seine Stärke ausbauen müsse, sei der gemeinsame Binnenmarkt, der bereits der größte der Welt sei. Nagel forderte, den Binnenmarkt in strategischen Bereichen wie digitalen Technologien, Wagniskapitalfinanzierung und Zahlungsverkehr weiterzuentwickeln. Er hob die Bedeutung der Spar- und Investitionsunion sowie des digitalen Euro hervor. Beide könnten ihm zufolge Abhängigkeiten verringern und die Resilienz erhöhen. Mit dem digitalen Euro verhelfen wir Europa bei einer kritischen Infrastruktur zu mehr Souveränität, so Nagel. Er appellierte an das Europäische Parlament und den Rat, die gesetzliche Grundlage für den digitalen Euro zügig zu schaffen.

Zum Abschluss forderte Nagel die europäischen Staaten auf, gezielt an ihren Schwachstellen zu arbeiten und Europa für seine neue globale Rolle fit zu machen.

Beddoes für eine Verringerung der militärischen Abhängigkeit Europas

Im Anschluss an die Rede von Joachim Nagel sprach Minton Beddoes. Ihr zufolge steht Europa vor drei großen Herausforderungen: einer neuen geopolitischen Ordnung, in der die USA und China dominieren, einer wirtschaftlichen Transformation mit zunehmendem Protektionismus und einer technologischen Revolution durch künstliche Intelligenz. 

Europa drohe, in diesen Bereichen an Bedeutung zu verlieren, da es keine klare Strategie habe, sich auf diese Veränderungen einzustellen. Interne Probleme wie eine alternde Bevölkerung, Reformstau und der Aufstieg populistischer Bewegungen würden die Lage verschärfen.

Minton Beddoes zufolge habe Europa dennoch große Potenziale: starke Forschung, qualifizierte Arbeitskräfte, einen großen Markt und Rechtsstaatlichkeit. Um eine neue globale Rolle einzunehmen, brauche es jedoch einen radikalen Mentalitätswandel. Europa müsse seine Verteidigung stärken, wirtschaftliche und technologische Strategien entwickeln und politische Reformen umsetzen. Nur so könne es in der neuen Weltordnung bestehen und eine viel größere Rolle spielen.

Podiumsdiskussion über die Rolle Europas

Im Anschluss diskutierte sie mit Nagel über Europas globale Rolle in einer sich wandelnden Welt. Minton Beddoes betonte die Notwendigkeit der Politik, schneller und entschlossener zu handeln und kritisierte, dass die Politik sich zu oft mit Kleinigkeiten aufhalte. Nagel hob hervor, dass nicht nur die Politik, sondern alle Akteure Verantwortung tragen, und plädierte dafür, nicht alles schlecht zu reden. Minton Beddoes sah in der Künstlichen Intelligenz und spezialisierten Industrien Chancen für Europa, kritisierte jedoch die starke Fokussierung auf Regulierung. Beim Thema digitaler Euro betonte Nagel dessen Bedeutung für Europas Unabhängigkeit. Minton Beddoes wies darauf hin, dass nicht nur die Schaffung eines digitalen Euro, sondern auch ein "European Safe Asset" nötig sei, um einen tieferen Kapitalmarkt zu schaffen. Beide waren sich einig, dass Migration und Demografie zentrale Herausforderungen für Europa seien.