Joachim Nagel bei der Konferenz "20 Jahre Finanzstabilitätsbericht" ©Alexandra Lechner

Bundesbank feiert 20 Jahre Finanzstabilitätsbericht Herausforderungen gestern, heute und morgen

Die Finanzstabilitätsberichte der Bundesbank und anderer Zentralbanken sind zu einem fest etablierten Werkzeug geworden – für die Politik, den Finanzsektor und die Öffentlichkeit, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel bei einer Veranstaltung der Bundesbank zum 20. Jubiläum des Finanzstabilitätsberichts in Frankfurt. Dort diskutierten Bundesbankvorstandsmtiglied Michael Theurer mit Claudia Buch, Vorsitzende des Banken-Aufsichtsgremiums der EZB, sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Aufsicht, Wissenschaft und dem Bankenwesen über Herausforderungen für die Finanzstabilität. 

Finanzstabilitätsberichte als Frühwarnsystem

Die Krisen der 1990er Jahre hätten gezeigt, wie rasch Finanzstabilität verloren gehen kann. Unter anderem als Reaktion hierauf hätten Zentralbanken weltweit damit begonnen, Finanzstabilitätsrisiken wieder stärker zu analysieren und zu überwachen: Ein bedeutender Meilenstein auf diesem Weg war die Einführung von Finanzstabilitätsberichten. Ein Vorreiter sei die Bank of England gewesen, die ihren ersten Finanzstabilitätsbericht 1996 veröffentlichte. Die Bundesbank folgte 2005. Die Finanzstabilitätsberichte dienten fortan als Frühwarnsystem für die Öffentlichkeit und als Plattform für die Analyse von Risiken.

Mandat für stabiles Finanzsystem

Bis zur globalen Finanzkrise seien diese Warnungen Nagel zufolge häufig überhört worden. Die Krise habe den Anstoß gegeben, die Finanzstabilität institutionell neu zu verankern. So hat die Bundesbank im Mai 2009 einen eigenen Bereich für die Finanzstabilität gegründet. Mit dem Finanzstabilitätsgesetz erhielt die Bundesbank 2013 gemeinsam mit der BaFin und dem Bundesministerium der Finanzen erstmals ein offizielles Mandat für die Finanzstabilität. Seither tagen die drei Institutionen regelmäßig im Ausschuss für Finanzstabilität (AFS).

Auch auf internationaler Ebene hat die globale Finanzkrise laut Bundesbankpräsident zu weitreichenden institutionellen Anpassungen geführt. Zum Beispiel wurde 2009 das Financial Stability Board ins Leben gerufen, um die internationale Zusammenarbeit und die Überwachung systemischer Risiken zu stärken. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board – ESRB) begann 2010, das europäische Finanzsystem zu überwachen und Systemrisken zu begrenzen. Heute ist die Finanzstabilität aus dem Mandat der Zentralbanken nicht mehr wegzudenken, betonte Nagel. 

Vorausschauende Politik entscheidend

Seit der globalen Finanzkrise haben wir international gemeinsam viel erreicht, betonte Vorstandsmitglied Michael Theurer, der in der Bundesbank den Bereich Finanzstabilität verantwortet. Zu den wichtigsten Meilensteinen zählten zum Beispiel die verbesserten Eigenmittelanforderungen an Banken und neu eingeführte Kapitalpuffer. Die Abwesenheit einer Finanzkrise in den letzten Jahren dürfe laut Theurer aber nicht dazu führen, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Ereignisse wie die Bankenturbulenzen in den USA und der Schweiz im Frühjahr 2023 oder die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit den US-Zollankündigungen zeigen, dass die Lage auf den Finanzmärkten weiterhin von Unsicherheit geprägt ist. Geopolitische Spannungen oder neue technologische Entwicklungen seien dauerhafte Herausforderungen. Es ist entscheidend, dass wir unsere vorausschauende Politik mit einem ganzheitlichen Blick auf das Finanzsystem fortsetzen und weiterentwickeln.

Wichtiges Kommunikationsinstrument in unsicheren Zeiten

Der Finanzstabilitätsbericht ist Theurer zufolge insbesondere im heutigen Risikoumfeld ein wichtiges Kommunikationsinstrument der Zentralbanken: Er hilft uns, die Öffentlichkeit, Finanzintermediäre und andere relevante Akteure zu sensibilisieren, Vertrauen zu schaffen und die Grundlage für fundierte Entscheidungen zu legen. Kommunikation könne gerade in unsicheren Zeiten übermäßige Risikobereitschaft dämpfen und Finanzstabilität fördern, indem sie auf Risiken hinweist, Orientierung bietet und so Unsicherheit reduziert. Unsicherheit ist unvermeidlich. Aber wir können – und wollen – dazu beitragen, mit ihr umzugehen.

Austausch über Risiken

Während der Veranstaltung diskutierten die Teilnehmenden, welche Risiken aktuell im Finanzsystem bestehen und was diese für Zentralbanken, Aufsichtsbehörden und Marktteilnehmer bedeuten. Dazu gehörten unter anderem die Herausforderungen bei der Aufsicht von Nichtbank-Finanzintermediären wie zum Beispiel Investmentfonds, die heute über Ländergrenzen hinweg miteinander vernetzt ist. Auch neue Risiken für Banken durch Künstliche Intelligenz, Cyberrisiken und Quantum-Computing standen im Fokus der Diskussion. 

Die Teilnehmenden erörterten auch, wie sich geopolitische Risiken mithilfe von Stresstestdaten quantifizieren lassen und welche Daten notwendig sind, um neue Risiken abbilden zu können. Claudia Buch betonte, dass geopolitische Risiken insbesondere über die traditionellen Kanäle wirken würden. Die EZB habe kürzlich ein Rahmenwerk veröffentlicht, um diese Risiken zu kategorisieren. 

Mit Blick auf die Geschichte des Finanzstabilitätsberichts beleuchteten die Vortragenden, wie sich das Risikoumfeld in den letzten 20 Jahren verändert hat und wie diese sich institutionell auswirkten. Bereits im Jahr 2005 seien operationelle Risiken und der Nichtbanken-Sektor Thema des Finanzstabilitätsberichts gewesen. Heute zählen laut den Teilnehmenden unter anderem auch Cyberrisiken und Risiken durch Innovationen wie Stable Coins dazu. Die Vortragenden diskutierten zudem, wie das Thema Finanzstabilität nach der globalen Finanzkrise weltweit an Bedeutung gewann. Seither stünden die vorausschauende Analyse und Prävention im Mittelpunkt der makroprudenziellen Aufsicht, wobei die Zusammenarbeit zwischen nationalen, europäischen und internationalen Institutionen eine Schlüsselrolle spielt.