„Es geht um die Stabilität im Eurosystem“ Interview mit der Süddeutschen Zeitung
Das Gespräch führten Meike Schreiber und Markus Zydra.
Herr Theurer, Sie waren viele Jahre lang Politiker, jetzt sind Sie seit ein paar Monaten oberster Bankenaufseher bei der Bundesbank. Fühlen Sie sich gut vorbereitet für einen solchen Job?
Ja, und ich bin sehr professionell eingearbeitet worden.
Bundesbank-Vorstandsjobs bezeichnen manche abschätzig als Versorgungsposten für Politiker.
Ich habe mich kürzlich erst bei einer ehemaligen Staatssekretärskollegin für die gute Zusammenarbeit bedanken können, das hatte ich seit September nicht geschafft. Denn ich bin von einer Mühle direkt und ohne Unterbrechung in die nächste Mühle. Und wer sich die weltpolitische Lage ansieht, erkennt, dass die Arbeit nicht weniger geworden ist. Ich finde sie herausfordernd – und faszinierend.
Können Sie dort noch so sprechen wie zuvor als FDP-Politiker?
Nein, denn die Diskussionen in der Politik sind natürlich durch manche scharfe Kante geprägt. In der Bundesbank herrscht selbstverständlich ein anderer Ton. Als Vorstandsmitglied der Bundesbank und als Mitglied im Gremium der EZB-Bankenaufsicht unterliege ich zudem bestimmten Regeln und Compliance-Vorgaben.
Über die Steuerdatenbank-Pläne des Grünen-Finanzministers Daniel Bayaz in Baden-Württemberg sagten Sie als FDP-Abgeordneter zum Beispiel, das sei Ausdruck einer „Blockwartmentalität“ und erinnere an die Nazizeit. Stehen Sie heute noch zu derart drastischen Aussagen?
Diese Diskussion ist jetzt fast vier Jahre her; also lange vor meiner Zeit in der Bundesbank gewesen. Ich war damals von den vorgebrachten Plänen nicht überzeugt. Aber ich war auch derjenige, der im Europäischen Parlament als Erster die Einrichtung eines Sonderausschusses zur Aufklärung der Lux-Leaks-Affäre forderte. Der Kampf gegen Steuerhinterziehung war und ist mir sehr wichtig.
Sie haben als Neuling einen unverstellten Blick auf die Bundesbank. Wie ist die Stimmung? Die Berater von Boston Consulting Group prüfen seit Monaten, wie die Bundesbank effizienter werden kann. Wir hören da viel Unmut.
Es ist ganz natürlich, dass solche Prozesse in Unternehmen oder auch Behörden eine gewisse Verunsicherung bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen auslösen. Das hat meine bisherige berufliche Erfahrung gezeigt, und auch jetzt nehme ich das im persönlichen Gespräch mit den Mitarbeitern wahr. Deshalb biete ich regelmäßig Mitarbeiterversammlungen an, um Fragen zu besprechen.
Die Bundesbank möchte im Zuge der Umstrukturierung auch in der Bankenaufsicht Personal abbauen, zu einer Zeit, in der es zuletzt allen voran bei Genossenschaftsbanken einige peinliche und teure Ausfälle gab, Stichwort: Volksbank Schmalkalden und Düsseldorf. Wie passt das zusammen?
Die Bankenaufsicht der Bundesbank hat bereits unter meinen Vorgängern begonnen, noch stärker risikoorientiert zu arbeiten. Das heißt: Der Ressourceneinsatz richtet sich insbesondere nach dem Risikoprofil der Institute. Es wird also nicht pauschal gespart – riskantere Geschäftsmodelle werden intensiver geprüft. Zugleich stellen wir zum Beispiel auch bei kleineren Instituten mit unauffälligem Risikoprofil über Zufallsstichproben sicher, dass diese jederzeit vor Ort geprüft werden können. Wir reduzieren in der gesamten Bank den Personaleinsatz, da ist die Aufsicht keine Ausnahme.
Die Genossenschaftsbanken verschärfen nach den Fällen aktuell ihre internen Regeln. Reicht Ihnen das?
Wir drängen auf entschlossenes und zügiges Handeln. Und wir ermutigen die Kreditgenossenschaften ausdrücklich, ihre Regularien weiterzuentwickeln und auf Probleme angemessen zu reagieren. Ich habe den Eindruck, dass Frau Kolak, die Präsidentin des Bundesverbandes der Volksbanken (BVR), die Dringlichkeit erkannt hat.
Müssen Sie da drängen, weil es im Genossenschaftsverbund auch Kräfte gibt, die Reformen verzögern?
Im BVR wird zu Recht diskutiert, ob die Governance-Strukturen bei den Problemfällen funktioniert haben. Es ist dringend nötig, dass die Qualifikation der Aufsichtsräte sichergestellt ist. Kontrolle erfordert Sachkenntnis und den Mut zur kritischen Nachfrage – das gilt nicht nur für Genossenschaftsbanken und Sparkassen, sondern auch für große börsennotierte Institute.
Auch die EZB kritisiert, dass viele Aufsichtsräte bei Sparkassen und Genossenschaftsbanken keine Profis seien.
Diese Kritik ist zum Teil berechtigt. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Qualifizierung nicht auch durch gezielte Schulungen sichergestellt werden kann. Viele dieser Institute sind klein, die Tätigkeit im Aufsichtsrat ist oft ehrenamtlich oder gering vergütet. Da ist es schon bemerkenswert, wenn jemand vor Ort aus dem Handwerk oder Einzelhandel bereit ist, diese Verantwortung in seiner Freizeit zu übernehmen.
In Ostdeutschland sitzen zunehmend AfD-Vertreter in Sparkassen-Verwaltungsräten, weil die AfD auf kommunaler Ebene zuletzt viele Mandate gewonnen hat. Macht Ihnen das aufsichtsrechtliche Sorgen?
Für die aufsichtsrechtliche Prüfung zählen die Qualifikation und die Zuverlässigkeit der Kandidaten, nicht deren politische Gesinnung, die im Übrigen oft gar nicht bekannt ist. Wenn mir als Mitglied im obersten Gremium der EZB-Bankenaufsicht Unterlagen zur Besetzung von Chefposten bei italienischen Banken vorliegen, weiß ich auch nicht, ob jemand Anhänger von Meloni oder der Lega ist – genauso wenig in Frankreich in Bezug auf Le Pen.
Aber in Deutschland haben wir es mit einer Partei zu tun, die inzwischen als gesichert rechtsextrem eingestuft ist. Als FDP-Politiker haben Sie die AfD bekämpft.
Als Bundesbankvorstandsmitglied kann ich Ihnen sagen, dass der Aufseher nur Umstände berücksichtigen kann, die nach dem Aufsichtsrecht relevant sind. Für Aufsichtsgremien gelten Anforderungen an die fachliche Qualifikation, die sowohl bei der Bestellung als auch fortlaufend geprüft werden. Jedes Aufsichtsrats- und Verwaltungsratsmitglied ist dabei individuell zu beurteilen.
Aber Aufsichtsräte und Vorstände von Kreditinstituten müssen zuverlässig sein. Im Kreditwesengesetz steht dazu, dass es keine Zweifel an der Rechts- und Ordnungstreue geben sollte, worunter auch nachweisliche extremistische Aktivitäten fallen können.
Durchaus, aber auch das Kriterium der Zuverlässigkeit unterliegt im Bankenaufsichtsrecht der individuellen Prüfung. Liegen konkrete Verfehlungen vor, kann die Aufsicht eingreifen und Maßnahmen ergreifen. Verfehlungen können etwa strafrechtlich relevante Handlungen, Verstöße gegen das Aufsichtsrecht oder sonstige Ordnungswidrigkeiten sein.
Was halten Sie von einer möglichen Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit?
Grundsätzlich gilt: Zusammenschlüsse bieten Chancen, bergen jedoch auch immer Risiken. Und bei feindlichen Übernahmen steigen erfahrungsgemäß die Risiken.
Also besser mit Zustimmung des Managements?
Ja, natürlich. Und auch mit der Zustimmung der aktuellen Eigentümer. Aber Unicredit-Chef Andrea Orcel ist sich dessen bewusst; er hat mehrfach betont, er wolle nicht gegen den Willen der Bundesregierung handeln. Und da sieht man, wo die Verantwortung für den nächsten Schritt liegt: bei den Eigentümern – und die Bundesrepublik Deutschland ist hier eine Großaktionärin. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Bundesregierung verhält. In meiner Rolle als Bankenaufseher kann ich sagen: Das Inhaberkontrollverfahren bis zu einem Anteil von 29,9 Prozent ist abgeschlossen. Alles darüber hinaus würde neue Fragen aufwerfen, die in einem neuen Verfahren sehr sorgfältig geprüft werden müssten. Ein Selbstläufer ist das nicht.
Bestehen bei so einer großen grenzüberschreitenden Fusion nicht auch systemische Risiken?
Diese Risiken gibt es generell, das Thema „Too big to fail“ ist nicht vom Tisch. Bei grenzüberschreitenden Fusionen erhöht sich die Komplexität eines Instituts, und Fragen nach der Haftung und von Zuständigkeiten im Krisenfall müssen genau beleuchtet werden. Für systemrelevante Banken besteht aber ein Abwicklungsregime, das etwaige systemische Risiken bei Schieflagen verhindern soll. Wichtig ist dabei auch, wie groß der Staatsanleihe-Bestand einzelner Banken ist.
Unicredit hält rund 38 Milliarden Euro italienischer Staatsanleihen in der Bilanz.
Grundsätzlich gilt: Konzentrationsgrenzen für Staatsanleihen wären wichtige Instrumente. Wir sollten auch wieder darüber reden, warum Banken zwar alle Arten von Krediten mit Eigenkapital unterlegen müssen, aber Kredite an Staaten und Staatsanleihen nicht. Ich empfehle den politischen Entscheidungsträgern, dieses Thema in den anstehenden Reformen ernsthaft anzugehen. Es geht um die Stabilität des Euro-Raums.
Auch Deutschland verschuldet sich nun aber stärker und braucht Abnehmer für Staatsanleihen, da wird die Lust nicht groß sein, über solche Themen zu reden.
Da könnten Sie recht haben. Aber ich tue es trotzdem. Wir sollten auch den Euro-Rettungsschirm ESM endlich so reformieren, dass er im Krisenfall dem einheitlichen Abwicklungsfonds als Letztsicherung Liquidität geben kann, denn die EZB kann es nicht. Doch dafür muss der ESM-Vertrag geändert werden, und Italien lehnt leider bislang eine Ratifikation ab.
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