Finanzstabilität in unsicheren Zeiten Gastbeitrag von Michael Theurer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Aktuell belasten die US-Zollerhöhungen und die geopolitischen Spannungen die wirtschaftlichen Aussichten und erzeugen hohe Unsicherheit. Solche Phasen großer Unsicherheit gehen mit steigenden Risiken für das Finanzsystem einher. Größere Verwerfungen sind bisher trotz starker Marktvolatilität zum Glück ausgeblieben, doch ein Ende der Unsicherheit ist nicht in Sicht. Die Realwirtschaft benötigt ein stabiles Finanzsystem, um sich auch in unsicheren Zeiten oder wirtschaftlichen Umbruchphasen finanzieren zu können und Risiken abzusichern. Diese Funktionen können gestört sein, wenn sich die Akteure im Finanzsystem, etwa Banken und Versicherungen, nicht mehr vertrauen. Sie könnten dann ihre Kreditvergabe einstellen oder Vermögenswerte abstoßen. Was für den einzelnen Akteur rational erscheint, kann für das System fatal sein. Dann verstärkt das Finanzsystem krisenhafte Entwicklungen. Dies zu verhindern und zu einem stabilen Finanzsystem beizutragen, ist das Ziel der makroprudenziellen Politik.
Eine der wichtigsten makroprudenziellen Maßnahmen für Banken sind Kapitalpuffer. Sie ergänzen die bankaufsichtlichen Mindestanforderungen an das Eigenkapital und werden eingesetzt, wenn sich systemische Risiken im Finanzsystem aufbauen. Sie verringern die Gefahr, dass unerwartete Verluste von Banken direkt auf ihre Mindestanforderungen durchschlagen und die Kreditvergabe drastisch reduziert wird. Kapitalpuffer sind wie Stoßdämpfer für das Bankensystem, die die Fahrt über holpriges Terrain erleichtern. Sinken die Systemrisiken, werden die Kapitalpuffer entsprechend angepasst.
Die Kritik gegen Kapitalpuffer ist unbegründet. Wie Anat Admati und Martin Hellwig in „Des Bankers neue Kleider“ überzeugend argumentieren, ist Eigenkapital kein Geld, das unnütz herumliegt und besser als Kredit ausgegeben werden könnte. Eigenkapital refinanziert Kredite und stellt sicher, dass die Eigner von Banken – also die Eigenkapitalgeber – angemessen an den Risiken beteiligt werden. Kapitalpuffer bringen mehr Flexibilität: Die makroprudenzielle Aufsicht kann Banken in Krisenphasen unterstützen, die Kreditvergabe aufrechtzuerhalten, indem sie die Kapitalpuffer freigibt, das heißt unmittelbar auf null setzt. Damit sinkt das Risiko, dass kreditwürdige Haushalte und Unternehmen keine Finanzierung mehr bekommen und sich Turbulenzen über das Finanzsystem auf die Realwirtschaft übertragen.
Die Finanzaufsicht Bafin hatte Anfang 2022 den sektoralen Systemrisikopuffer (sSyRB) und dem antizyklischen Kapitalpuffer (CCyB) aktiviert. Der Grund waren Verwundbarkeiten im Finanzsystem, die sich während der langjährigen Niedrigzinsphase aufgebaut haben. Der CCyB von 0,75 Prozent adressiert die erhöhten allgemeinen Verwundbarkeiten im deutschen Finanzsystem. Der sektorale Systemrisikopuffer von zwei Prozent wurde hingegen gezielt für Risiken am Wohnimmobilienmarkt angeordnet, er bezieht sich nur auf mit Wohnimmobilien besicherte Kredite.
Die BaFin aktivierte den Puffer nach einer langen Phase dynamischen Preis- und Kreditwachstums am deutschen Wohnimmobilienmarkt: Das Preiswachstum war 2021 zweistellig, das Wachstum des Kreditbestandes für private Wohnimmobilienfinanzierungen betrug gut sieben Prozent. In den deutschen Städten waren Wohnimmobilien um 15 bis 40 Prozent überbewertet. Vieles deutete auf eine nicht nachhaltige Preisentwicklung und ein hohes Rückschlagpotential. Verwundbar gegenüber sinkenden Preisen waren vor allem die jüngsten Kreditjahrgänge, die um den Preishöhepunkt vergeben wurden. Begleitet wurden die Maßnahmen durch ein Monitoring möglicher Nebenwirkungen. Dabei hat sich gezeigt, dass der sektorale Systemrisikopuffer weder kurz- noch mittelfristig dazu geführt hat, dass in der Wohnimmobilienfinanzierung das Kreditangebot reduziert wurde. Der Rückgang des Kreditwachstums war aufgrund des allgemeinen starken Zinsanstiegs allein nachfragebedingt. Die Kapitalpuffer selbst haben die Hypothekenzinsen und die Vergabestandards nur geringfügig beeinflusst. Aktuell bauen sich die Verwundbarkeiten am deutschen Wohnimmobilienmarkt geordnet ab. Dies spiegelt sich in einer Reihe von Indikatoren. Beispielsweise stabilisierten sich die Wohnimmobilienpreise 2024, auch die Überbewertungen haben sich größtenteils abgebaut. Zudem ist die Verschuldung der privaten Haushalte im Verhältnis zu ihrem verfügbaren Einkommen deutlich gesunken. Insgesamt sinkt somit die Wahrscheinlichkeit, dass es zu stark steigenden Kreditausfällen kommt.
Allerdings sind die Verwundbarkeiten am Wohnimmobilienmarkt nicht vollständig abgebaut. Insbesondere bei Wohnimmobilienkrediten mit hohem Fremdkapitaleinsatz, die um den Preishöhepunkt vergeben wurden, sind die seinerzeitigen Überbewertungen noch in den Kreditsicherheiten enthalten. Laut unseren Schätzungen ist der Anteil von Krediten signifikant gestiegen, bei denen infolge der Preisrückgänge das ausstehende Darlehensvolumen den aktuellen Immobilienwert übersteigt. Um den gesunkenen, aber nach wie vor bestehenden Verwundbarkeiten Rechnung zu tragen, hat die Bafin zum 1. Mai den sSyRB von bislang zwei Prozent auf ein Prozent gesenkt.
Während sich die Risikolage am Wohnimmobilienmarkt entspannt hat, ist der allgemeine Ausblick für das deutsche und globale Finanzsystem deutlich unsicherer geworden. In dieser volatilen Situation sind unvorhersehbare negative Ereignisse für das Finanzsystem bedeutsam, auf die man sich nur eingeschränkt vorbereiten kann. Der CCyB von 0,75 Prozent ist daher weiter angemessen. Sollte das deutsche Finanzsystem in eine akute Stressphase geraten, kann die BaFin den CCyB freigeben. Er ist daher gerade in der aktuellen Situation ein wichtiger Stoßdämpfer, um die Finanzstabilität zu sichern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Kapitalpuffer breit abgesenkt werden könnten, um die Kreditvergabe von Banken anzukurbeln. Kapitalpuffer eignen sich nicht zur Konjunktursteuerung, auch wenn mancher sie gerne dafür einsetzen würde. Sollte sich Anpassungsbedarf an der makroprudenziellen Politik ergeben, kann die Aufsicht auch kurzfristig reagieren und die Puffer anpassen. Bauen sich die Risiken sukzessive und geordnet ab, werden Kapitalpuffer angepasst, wie jetzt der sSyRB auf ein Prozent. Angesichts der unsicheren Aussichten für die Weltwirtschaft und der weiterhin hohen Risiken sind wir gut beraten, die weiteren Kapitalpuffer, unsere Stoßdämpfer für das Bankensystem, beizubehalten. Sie können bei krisenhaften Zuspitzungen freigegeben werden.
Forderungen der Interessenverbände, die Puffer komplett abzusenken, passen nicht zu den aktuellen Risiken: Auch der IWF und die EZB betonten jüngst die hohen Risiken im internationalen Finanzsystem. Vor uns liegt eine holprige Strecke mit Schlaglöchern. Daher wäre es leichtfertig, ohne Stoßdämpfer weiterzufahren, also die Puffer vollständig abzusenken. Angesichts der großen wirtschaftlichen Herausforderungen sollte ein Achsbruch des Finanzsystems unbedingt vermieden werden.