Bankenverbünde in neuen Märkten und Regulierungen - Anforderungen und Perspektiven aus Sicht der Bankenaufsicht Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Wissenschaft und Praxis im Gespräch" des Instituts für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich freue mich sehr, heute vor Ihnen zu sprechen. Wie Sie sicher wissen, habe ich selbst hier in Münster studiert und es ist immer etwas Besonderes, an meine Alma Mater zurückzukehren.

Friedrich Wilhelm Raiffeisen, einer der beiden Väter der Genossenschaftsidee, stellte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts fest, "was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele". Er selbst gelangte schließlich auch zu dem Entschluss, die Arbeit der Genossenschaften durch eine Bank zu unterstützen – die Raiffeisenbanken waren geboren und mit ihnen im Grunde auch der genossenschaftliche Finanzverbund.

Die Herausforderungen, denen sich Finanzinstitute insgesamt heutzutage gegenüber sehen, sind mit denen von damals natürlich nicht mehr vergleichbar. Die grenzüberschreitende Integration der Finanzmärkte, eine fortschreitende Digitalisierung des Bankgeschäfts und nicht zuletzt die Komplexität heutiger aufsichtlicher Vorgaben sind nur einige der tektonischen Entwicklungen, denen Kreditinstitute heute gegenüber stehen.

Dabei bestimmen zahlreiche Determinanten, wie gut eine einzelne Bank in der Lage ist, mit diesen Herausforderungen umzugehen. Neben ihrem Geschäftsmodell, der Qualität des Managements und der Effizienz der internen Prozesse ist die Größe einer Bank hier zweifellos von erheblicher Bedeutung. Vor dem Hintergrund, dass die überwiegende Mehrheit der Kreditinstitute des genossenschaftlichen Finanzverbunds regional begrenzt agiert und für sich genommen eine überschaubare Größe aufweist, möchte ich heute über ein Thema sprechen, das Ihnen allen sicher unter den Nägeln brennt: das Thema der Proportionalität, also der Verhältnismäßigkeit von Regulierung.

Diese gerade in Deutschland mit seiner traditionell vielfältigen Bankenlandschaft kontroverse Debatte kann in einer einzigen Frage zusammengefasst werden: Sollten regulatorische Anforderungen für kleine und mittlere Banken aus Gründen der Proportionalität noch weiter reduziert werden?

Im Kern geht es bei dieser Frage darum, ob es realistisch ist, regulatorische Anforderungen im Verhältnis zur Größe einer Bank abzustufen ohne dabei die Stabilität des Bankensystems insgesamt zu gefährden. Tatsächlich ist dies ist nicht ganz so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick scheint.

Lassen Sie uns also diskutieren, ob ein Mangel an Proportionalität in der Regulierung tatsächlich ein Problem darstellt, welche Dimensionen dieses Problem hat und wie es eventuell gelöst werden kann. Das Leitmotiv ist dabei die Forderung, dass bei Regulierung und Aufsicht Kosten und Nutzen im Gleichgewicht sein müssen, und zwar aus gesellschaftlicher Sicht.

Vor diesem Hintergrund werde ich über drei Dinge sprechen: Erstens, über die Kosten einer Regulierung, die letztlich auf eher große, global tätige Institute ausgerichtet ist; zweitens, über Möglichkeiten, die Proportionalität der Regulierung noch zu stärken, und drittens, über die Risiken, die man bei einer Stärkung der Proportionalität beachten muss.

2 Regulierung und ihre Kosten

Bei Diskussionen zum Thema Proportionalität geht es um die Vermutung, dass Regulierung und Aufsicht kleine und mittlere Banken überproportional belasten.

Ein wesentlicher Grund hierfür sei, dass die Komplexität von Regulierung und Aufsicht stetig zugenommen habe – und das entlang aller drei Säulen des Baseler Regulierungsregimes. In der Säule 1, also bei den Eigenkapitalvorschriften, seien die risikogewichteten Berechnungsmethoden komplexer und die Datenanforderungen umfassender geworden. In der Säule 2, also beim aufsichtlichen Überprüfungsprozess, seien immer detailliertere Anforderungen an die Risikomanagementsysteme formuliert worden. Und in der Säule 3, also den Offenlegungspflichten, würden Ausmaß und Häufigkeit der Meldungen weiter zunehmen. Das gelte im Übrigen nicht nur für die Offenlegungspflichten, sondern auch für die aufsichtlichen Meldepflichten.

Tatsächlich stellte bereits der Vorgänger der aktuellen Regulierung, das sogenannte Basel II-Rahmenwerk, ein detailliertes und komplexes Regelwerk dar. Die auf die globale Finanzkrise folgende Regulierungsreform hat das nicht geändert. Durch verbesserte und neue Instrumente ist ein anspruchsvolles, vielgliedriges Regulierungssystem entstanden.

Die Komplexität der reformierten Regeln lässt sich insbesondere dadurch erklären, dass sie global harmonisiert und auf international tätige Banken ausgerichtet sind. Denn letztlich wurde die Reform von zwei Grundannahmen getrieben: erstens, dass große, global tätige Banken im Mittelpunkt der Krise standen – Stichwort "too big to fail"; und zweitens, dass eine Lösung angesichts global vernetzter Finanzmärkte ebenfalls global sein muss.

In diesem Sinne wurden die G20 und der globale Finanzstabilitätsrat aufgewertet. Zusammen mit dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht wurden sie zum zentralen Ort der globalen Regulierungsreform. Ziel war es, global tätige Banken stärker zu regulieren und gleichzeitig durch eine international harmonisierte Regulierung gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Kreditinstitute zu schaffen.

Zur Umsetzung der aktuellen Regulierungsreform, also der neuen Regeln nach Basel III, wurde in der EU die sogenannte Kapitaladäquenzverordnung, kurz CRR, entwickelt. Diese schreibt auf europäischer Ebene verbindlich vor, welche aufsichtlichen Anforderungen die Kreditinstitute zu erfüllen haben. Daneben wurde mit dem Aufbau einer Europäischen Bankenunion begonnen, die insgesamt drei Säulen umfassen soll und von denen aktuell bereits zwei ihre Arbeit aufgenommen haben.

Die erste Säule bildet der einheitliche Aufsichtsmechanismus, kurz SSM, der sicherstellen soll, dass einheitliche Standards in der Bankenaufsicht über die innereuropäischen Landesgrenzen hinweg angewendet werden. Dadurch wird verhindert, dass nationale Aufseher auf notwendige regulatorische Maßnahmen verzichten, um ihre heimischen Institute gegenüber internationalen Wettbewerbern nicht zu benachteiligen. Ein solche aufsichtliche Inaktivität kann nämlich zu einem Aufbau von Risiken auf nationaler Ebene führen, die angesichts der starken grenzüberschreitenden Vernetzung der Institute die Stabilität des internationalen Finanzsystems insgesamt gefährden kann. Dabei wiederum spielt Größe kaum eine Rolle. Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch Instabilitäten in den Finanzsystemen vergleichsweise kleiner Länder Schockwellen auslösen können, die das gesamte europäische Finanzsystem ins Wanken bringen können. Dies ist nicht hinnehmbar. In der Konsequenz bedeutet es jedoch, dass der Großteil der in Deutschland gültigen Regeln und Verfahrensvorschriften nun vor einem europäischen Hintergrund und auf europäischer Ebene bestimmt wird.

Da wir gerade über den SSM sprechen, möchte ich kurz auf ein Thema eingehen, von dem ich weiß, dass es für Sie von aktuellem Interesse ist. Die Entwicklung einer einheitlichen Methodik für den aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess, den sogenannten "SREP", bei weniger bedeutenden Instituten stellt einen der Arbeitsschwerpunkte des SSM für 2016 dar. Der größte Teil der künftigen Vorgaben findet sich bereits heute im deutschen SREP-Ansatz wieder und ist daher für Sie und die Aufseher nichts Neues. Auch in Zukunft werden Risiken im Rahmen einer umfassenden Gesamtbetrachtung sowohl quantitativ als auch qualitativ gewürdigt. Ein Umdenken wird es aber aus deutscher Sicht zumindest bei der Beurteilung der Kapitalausstattung der Banken geben, die – wie von den EBA SREP-Richtlinien vorgesehen – regelmäßig zur Festsetzung eines Säule-2-Kapitalzuschlags führen wird.

Viele kleine Institute steuern intern nach einem Going-Concern-Ansatz, dem die Annahme zugrunde liegt, dass die aufsichtlichen Eigenmittelanforderungen jederzeit erfüllt sein müssen. Durch den im SREP festzulegenden Säule-2-Kapitalzuschlag wird zukünftig die Verbindung zwischen Säule 1 und Säule 2 sehr viel enger sein, denn das verfügbare Risikodeckungspotenzial wird dadurch in die aufsichtlichen Eigenmittelanforderungen zumindest teilweise mit einbezogen. Sowohl aus internen Analysen der Aufsicht als auch aus Gesprächen mit Bankvertretern ist klar, dass diese Herangehensweise für die Institute, die in der Säule 2 nach einem solchen Ansatz steuern, eine Herausforderung darstellen wird.

Bundesbank und BaFin sind sich den aus diesem neuen Ansatz ergebenden Implikationen bewusst und streben eine Lösung an, die es den Instituten auch in Zukunft ermöglicht, ihre über Jahre praktizierten und sehr sinnvollen Ansätze auch weiterhin in der Unternehmenssteuerung zu verwenden. Auch in Zukunft wird der ICAAP das zentrale Instrument für die interne Steuerung der Institute entlang der Vorgaben der MaRisk bleiben. Daher gilt es den ICAAP konsequent unter den veränderten Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Kommen wir aber zurück zur Bankenunion insgesamt. Deren zweite Säule ist der einheitliche Abwicklungsmechanismus, kurz SRM, der für die Sanierung und Abwicklung von in Schieflage geratenen Kreditinstituten zuständig ist – auch über nationale Grenzen hinweg. Damit verschafft der SRM dem marktwirtschaftlichen Grundprinzip der Haftung für eigene Verluste auch für Kreditinstitute wieder Geltung.

Der Vollständigkeit halber möchte ich die dritte Säule der Bankenunion, die einheitliche Einlagensicherung, nicht unerwähnt lassen. Allerdings handelt es sich hierbei noch um Zukunftsmusik. Meines Erachtens fehlen noch grundlegende Voraussetzungen dafür, ein solches Projekt anzugehen. Wer den jüngsten Aufsatz zur Einlagensicherung im Monatsbericht der Bundesbank gelesen hat – den ich Ihnen an dieser Stelle nur sehr ans Herz legen kann – weiß, wovon ich spreche. Sie sehen, trotz SSM und SRM ist die Europäische Bankenunion noch längst nicht vollendet.

Folge all dieser Entwicklungen ist jedoch, dass beinahe alle Regulierungsmaßnahmen im Prinzip auf international tätige Großbanken ausgerichtet sind. Das ergibt vor dem Hintergrund der jüngsten Krise auch durchaus Sinn. Jedoch entsteht bei der nationalen Anwendung der Regulierung hier und dort der Eindruck, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet zu haben – dass nämlich die Regeln so komplex geworden sind, dass wir kleine und mittlere Banken damit überfordern.

Dementsprechend nimmt sowohl in den USA als auch in Europa die Debatte um die Proportionalität, also die Verhältnismäßigkeit der Regulierung, Fahrt auf. So hat sich zum Beispiel die EU-Kommission der Frage angenommen, welche Auswirkungen die europäische Umsetzung von Basel III auf die kleineren und mittleren Institute hat.[1]

Wie ist diese Debatte zu bewerten? Ganz ohne Frage ist der mit der Regulierung einhergehende Aufwand für Banken erheblich – ebenso wie für die Aufseher. Was man diesem Aufwand jedoch gegenüberstellen muss, sind die gesellschaftlichen Kosten von Finanzkrisen. Da wir uns heute an einer renommierten Universität eingefunden haben, liegt es hier natürlich nahe, den Begriff der "Externalitäten" zu bemühen. Regulierung zielt demnach im Grunde darauf ab, die privaten und sozialen Kosten der Finanzintermediation einander anzugleichen. Und vor diesem Hintergrund halte ich die Kosten der Regulierung insgesamt für durchaus gerechtfertigt.

Im Detail stellt sich allerdings durchaus die Frage, ob kleinere Banken durch die Regulierung überproportional belastet werden, wenn man die ihnen entstehenden Kosten ins Verhältnis zu den Risiken setzt, die von solchen Instituten ausgehen. In diesem Punkt denke ich, dass wir über Anpassungen nachdenken könnten – mehr Proportionalität könnte durchaus angebracht sein.

Zu den Auswirkungen der Regulierung auf kleinere und mittlere Banken gibt es bislang nur wenige systematische Untersuchungen. Die Argumente für mehr Proportionalität sind derzeit eher noch auf den Einzelfall bezogen, und das sollte sich ändern. Vor diesem Hintergrund erachte ich eine Studie im Auftrag des BVR, die vor wenigen Monaten veröffentlicht wurde, als durchaus interessant. Auf Grundlage von qualitativen und quantitativen Analysen finden die Autoren Hinweise dafür, dass die Regulierung für kleine und mittelgroße Banken besonders belastend sein kann.

Diese Studie ist sicherlich ein hilfreicher Anfang, und ich nehme ihre Ergebnisse sehr ernst. Aber es ist auch klar, dass Studien, die Banken nach ihrer Belastung durch die Regulierung fragen, wohl nur sehr selten zu dem Ergebnis kommen werden, dass die Belastung tragbar sei. Um weitere Erkenntnisse zu sammeln, analysieren wir das Thema daher auch selbst auf Grundlage unserer eigenen Erfahrung und Informationen.

In diesem Zusammenhang appelliere ich an alle Bankenvertreter, über allgemeine Kritik hinauszugehen und konkrete Vorschläge zu machen. Wichtig hierbei wäre insbesondere, worin genau die Belastung besteht. Ist es der Implementierungsaufwand, der Aufwand für bankaufsichtliche Meldungen oder noch etwas ganz anderes? Und wie kann man den Aufwand für kleinere und mittlere Banken reduzieren, ohne das Regelwerk insgesamt zu schwächen?

3 Proportionalität ist wichtig – und sie ist nicht neu

Doch bevor ich hierauf genauer eingehe, ist es mir wichtig, eine Sache festzuhalten: Regulierung und Aufsicht sind schon heute weitgehend proportional ausgestaltet.

Denn schon während der Verhandlungen über Basel II wurde sichergestellt, dass die Regeln auch mit den Geschäftsmodellen kleiner und mittlerer Banken kompatibel sind und die Kreditvergabe an kleine und mittelständische Unternehmen nicht behindern. Dies konnte nicht zuletzt durch das Engagement Deutschlands im Baseler Ausschuss erreicht werden. Basel II enthält eine ganze Reihe von Elementen, denen der Gedanke der Proportionalität zu Grunde liegt.

Zu diesen Elementen gehört zum Beispiel die Differenzierung der risikogewichteten Berechnung von Kapitalanforderungen in den Standardansätzen und in den auf internen Ratings basierten Verfahren. Weitere Elemente sind die Einführung eines Retailportfolios zur Bestimmung regulatorischer Kapitalanforderungen und die substantiellen Reduktionen der Risikogewichtung für Kredite an kleine und mittelständische Unternehmen im Standardansatz.

Diese Elemente der Proportionalität in Basel II haben einige Beobachter zu der Einschätzung veranlasst, dass die Proportionalität eigentlich schon zu weit gegangen sei – dass die Erleichterungen für kleinere Banken schon über das aufsichtlich gerechtfertigte Maß hinaus gegangen seien. Diese Einschätzung teile ich nicht. Ich denke, dass Basel II das Thema Proportionalität sehr gut und weitgehend berücksichtigt hat.

Auch Basel III und seine europäische Umsetzung haben das Thema Proportionalität aufgegriffen. So wurden die in Basel II enthaltenen Elemente beibehalten. Zusätzlich wurde eine stärkere Differenzierung in systemrelevante und nicht systemrelevante Institute eingeführt – besonders hohe aufsichtliche und regulatorische Anforderungen gelten nur für die systemrelevanten Institute. Eine weitere Erleichterung ist die Einführung des so genannten KMU-Ausgleichsfaktors in der europäischen Eigenkapitalrichtlinie, der die Eigenkapitalanforderungen für Kredite an kleine und mittelständische Unternehmen deutlich verringert. Davon profitieren gerade die kleinen und mittleren Institute.

Wenn wir dies alles berücksichtigen, ist meines Erachtens die Einschätzung gerechtfertigt, dass Regulierung und Aufsicht auch heute schon weitgehend proportional ausgestaltet sind.

4 Proportionalität weiter entwickeln

Dennoch scheint es gerechtfertigt, das immer noch im Entstehen begriffene neue Regelwerk auf den Prüfstand zu stellen. Die Frage ist, ob wir nicht im richtigen Versuch, das Bankensystem stabiler zu machen, Regeln vor allem für große, international tätige Banken entworfen haben, die kleinere Banken überfordern.

Dabei sollten wir uns allerdings nicht darauf konzentrieren, einfach die Eigenkapitalanforderungen zu verringern. Risikoorientierte Eigenkapitalanforderungen sind auch für kleine und mittlere Institute ein entscheidendes Instrument der Regulierung. Lassen Sie mich, aus aktuellem Anlass sozusagen, dazu ergänzen, dass ich die Bestrebungen zur Einführung von Mindestwerten, so genannten "floors", in den modellbasierten Ansatz durchaus kritisch sehe. Meines Erachtens sollte darauf geachtet werden, dass die derzeitigen Bemühungen, eine möglicherweise unangemessene Variabilität der risikogewichteten Aktiva einzudämmen, nicht zu unverhältnismäßigen Einbußen in der Risikosensitivität der Modelle führt.

Grundsätzlich sollten wir Vorgaben, die zu hohen operative Belastungen führen, stets daraufhin überprüfen, welchen aufsichtlichen Nutzen sie tatsächlich stiften. Dabei könnte es sinnvoll sein, bestimmte Anforderungen nicht auf kleine Banken anzuwenden, wenn der damit einhergehende operative Aufwand sehr hoch ist, die positive Wirkung auf die Stabilität der Bank hingegen eher gering. Konkret bin ich zum Beispiel der Auffassung, dass die Komplexität des neuen Standardansatzes für Marktrisiken für kleine Banken, die nur geringe Risiken in diesem Segment übernommen haben, reduziert werden sollte. Ich begrüße daher die Überlegungen, für solche Fälle eine vereinfachte Variante dieser Methodik zuzulassen, die jedoch zu konservativeren Bewertungen der entsprechenden Risikopositionen führen wird.

Bei allen Überlegungen zum Thema Proportionalität gelten meines Erachtens stets zwei notwendige Bedingungen. Erstens: Systemrelevante Banken bedürfen weiterhin einer stringenten Regulierung auf Grundlage sehr hoher Standards; zweitens: Auch kleine Banken müssen angemessen beaufsichtigt werden und dürfen nicht zu regulatorischer Arbitrage ermuntert werden. Sie dürfen keinen Anreiz bekommen, Lücken im Regelwerk auszunutzen.

Wenn diese beiden Voraussetzungen erfüllt sind, gibt es aus meiner Sicht drei Ansatzpunkte, um die Proportionalität der Regulierung zu stärken.

Der erste Ansatzpunkt ist die Reduktion unverhältnismäßig hoher, regulatorisch bedingter operativer Kosten. So könnten zum Beispiel die Anforderungen an die Unternehmenssteuerung und an Governance-Strukturen differenziert und proportional zur Größe der Bank ausgestaltet werden. In Deutschland ist das über die Mindestanforderungen an das Risikomanagement bereits sichergestellt. Diese legen explizit fest, dass kleine, risikoarme Institute weniger strenge Vorgaben erfüllen müssen als große Banken. Dennoch sollte immer geprüft werden, ob die Einrichtung neuer Gremien, Stellen und Prozesse für kleinere Institute einen Aufwand darstellt, der weder der Größe noch dem Risiko der Institute angemessen ist.

Der zweite Ansatzpunkt ist die risikoorientierte, proportionale Aufsicht durch den neuen europäischen Aufsichtsmechanismus. Im Grunde genommen bemühen sich die Europäische Zentralbank und die nationalen Aufsichtsbehörden schon seit den ersten Planungen zur Bankenunion, Proportionalität angemessen zu berücksichtigen. Die Tatsache, dass nur die größten Banken des Euro-Raums direkt von der Europäischen Zentralbank beaufsichtigt werden, ist ein wichtiges Ergebnis dieser Bemühungen. Letztlich geht es aber auch darum, im konkreten Aufsichtshandeln eine stärkere Proportionalität zu erreichen.

Damit dies nicht nur Lippenbekenntnisse bleiben, gibt es noch einen dritten Ansatzpunkt, um den Gedanken der Proportionalität weiterzuentwickeln: ein standardisiertes Vorgehen zur Berücksichtigung von Proportionalität im europäischen Regelsetzungsprozess. Eine Blaupause also, die vorgibt, wie die europäischen Regulierer und Aufseher bei der Entwicklung von Maßnahmen Proportionalität berücksichtigen sollten. Eine solche Blaupause zu entwickeln, ist derzeit auch ein Anliegen des Europäischen Parlaments.[2]

5 Die Risiken unzureichender Regulierung

Auch wenn mehr Proportionalität zu begrüßen ist, möchte ich eines klar stellen: Proportionalität in der Regulierung darf keine Schlupflöcher öffnen, die regulatorischen Arbitrage ermöglichen und dadurch die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

Das eingangs formulierte Leitmotiv von Regulierung und Aufsicht war und ist, dass ihre Kosten und ihr Nutzen im Gleichgewicht sein müssen. Die Folgen von Finanzkrisen – und dabei meine ich nicht nur die der jüngsten Finanzkrise – zeichnen hier ein eindeutiges Bild: Ja, die Kosten der Regulierung sind substantiell. Allerdings verursacht zu wenig Regulierung letztlich jedoch deutlich höhere Kosten. Der gesellschaftliche Nutzen guter Regulierung übersteigt deren Kosten für die Banken deutlich.

Bei allen Überlegungen zu mehr Proportionalität in der Regulierung ist also entscheidend, dass die Stabilität des Bankensystems gewahrt bleibt. Und hier sollten wir nicht dem Irrglauben erliegen, dass kleine Institute per se ein geringeres Risiko darstellen als große Banken. Für ein einzelnes Institut mag das vielleicht zutreffen. Wenn aber viele kleine Institute ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgen und ähnliche Risiken eingehen, kann das durchaus ein Risiko für das gesamte System bergen. Das Stichwort ist hier nicht "too big to fail", sondern "too many to fail".

Jede Debatte zur Proportionalität muss also berücksichtigen, dass auch von kleinen und mittleren Banken Risiken ausgehen können. Vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit dürfen die regulatorischen Anforderungen also nicht soweit reduziert werden, dass diese Risiken schlagend werden.

6 Zusammenfassung

Meine Damen und Herren,

Regulierung und Aufsicht stellen kleinere Banken ohne Frage vor hohe operative Anforderungen. Und ohne Frage stehen diese Anforderungen in manchen Fällen nicht im Verhältnis zur Größe und zum Risiko der Bank. Vor diesem Hintergrund gilt es nun, solche Regeln und Praktiken zu prüfen, die unverhältnismäßig hohe operative Kosten verursachen, ohne signifikanten bankaufsichtlichen Nutzen zu stiften.

Ich habe drei Ansatzpunkte genannt, um den Gedanken der Proportionalität in der Regulierung zu stärken. Erstens, die Abstufung von Anforderungen, um unnötig hohe operative Kosten für kleine und mittlere Banken zu vermeiden; zweitens, eine stärker differenzierte europäische Aufsicht und drittens, ein standardisiertes Vorgehen zur Berücksichtigung von Proportionalität im europäischen Regelsetzungsprozess.

Zwei Dinge dürfen wir dabei aber nicht außer Acht lassen: Regulierung und Aufsicht sind bereits heute in hohem Maß verhältnismäßig ausgestaltet und nehmen direkt wie indirekt auf die Größe von Banken Rücksicht. Außerdem muss stets darauf geachtet werden, dass eine stärkere Proportionalität keine Anreize zur regulatorischen Arbitrage bietet, und dass die Stabilität des Bankensystems gewahrt bleibt.

Wir nehmen das Thema Proportionalität ernst und analysieren es umfassend. Letztlich geht es um Vielfalt im Bankensystem – Vielfalt mit Blick auf die Größe von Instituten und Vielfalt mit Blick auf die Geschäftsmodelle. Diese Vielfalt zu erhalten muss das Ziel einer Debatte über Proportionalität sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Fußnoten:

  1. http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5347_de.htm
  2. http://www.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?lang=&reference=2015/2106(INI)