Die Geldpolitik seit der Strategieüberprüfung 2021: Ziel erreicht, aber die Herausforderungen bleiben bestehen 10. Bundesbank-IAW Lecture
Es gilt das gesprochene Wort.
1 Einleitung
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude, hier in Tübingen zu sein und anlässlich der zehnten Bundesbank-IAW Lecture vor Ihnen sprechen zu dürfen. Mein besonderer Dank geht an das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) sowie meine Kolleginnen und Kollegen in Stuttgart, die diese Veranstaltung organisiert haben.
Lassen Sie mich mit einem Zitat beginnen.
Ich gebe zu, dass unsere Strategie komplex ist. Wir leben aber nun einmal in einer recht komplexen Wirtschaftswelt (…). Demnach könnte die Durchführung der Geldpolitik niemals erfolgreich sein, wenn das Eurosystem dabei mechanisch einer simplen Regel folgen würde (…).
[1]
Dieses Zitat stammt von Wim Duisenberg, der heute seinen 90. Geburtstag gefeiert hätte. Der Niederländer war der erste Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Leider verstarb er bereits 2005 – kurz nach dem Ende seiner Präsidentschaft.
Er trug maßgeblich dazu bei, dass sich die EZB erfolgreich als glaubwürdige und stabilitätsorientierte Zentralbank etablieren konnte. Dieser Erfolg war nicht zuletzt der geldpolitischen Strategie der EZB zu verdanken.
Die ursprüngliche Strategie wurde vor der Euro-Einführung im Oktober 1998 bekannt gegeben. Nach einer ersten Überprüfung im Jahr 2003 verstrichen fast zwei Jahrzehnte, bis die Strategie 2021 zum zweiten Mal auf den Prüfstand gestellt wurde.
Das hat also ziemlich lange gedauert. Angesichts der zwischenzeitlich zu bewältigenden Herausforderungen – Finanzkrise, Staatsschuldenkrise, anhaltende Niedriginflationsphase – ist es jedoch verständlich, dass die Überprüfung immer wieder aufgeschoben wurde.
Im Jahr 2021 fiel die Überprüfung dann besonders gründlich und umfassend aus. Sie betraf nicht nur das Inflationsziel und das geldpolitische Instrumentarium, sondern auch die Rolle der Finanzstabilität, die Auswirkungen des Klimawandels und die Bedeutung der Kommunikation.
2 Die Geldpolitik seit der Strategieüberprüfung 2021
2.1 Symmetrisches Inflationsziel
Vor vier Jahren stellte der EZB-Rat seine überarbeitete Strategie vor. Die wichtigste Anpassung war dabei wohl die Einführung eines symmetrischen Inflationsziels.
Mit der neuen Strategie wurde die zuvor verwendete Formulierung des Preisstabilitätsziels ausgetauscht, die relativ kompliziert und de facto asymmetrisch war. Wie Sie sich vielleicht noch erinnern, wurde Preisstabilität damals quantitativ definiert als „Anstieg des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für das Euro-Währungsgebiet von unter 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr“. Im Rahmen dieser Definition wurde jedoch darauf abgezielt, „die Preissteigerungsrate unter, aber nahe 2 Prozent zu halten“. Dies bot einen gewissen Spielraum für Interpretationen (und Fehlinterpretationen).
Seit 2021 strebt der EZB-Rat mittelfristig eine Inflationsrate von 2 Prozent an. Dieses Ziel ist symmetrisch, da negative Abweichungen ebenso unerwünscht sind wie positive.
Außerdem bestätigte der EZB-Rat die Rolle der Leitzinsen als bedeutendstes geldpolitisches Instrument. Allerdings wies er darauf hin, dass auch andere Instrumente der EZB – die sogenannten unkonventionellen Maßnahmen – beibehalten würden. Dabei geht es insbesondere um die Forward Guidance, den Ankauf von Wertpapieren und die längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte.
Darüber hinaus äußerte der EZB-Rat die Absicht, seine geldpolitische Strategie regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen. Die nächste Überprüfung sollte 2025 stattfinden. Vor zehn Tagen haben wir die dritte Überarbeitung abgeschlossen und die Ergebnisse veröffentlicht.[2]
Diesmal haben wir die geldpolitische Strategie nur geringfügig angepasst. So haben wir beispielsweise unser symmetrisches Inflationsziel von mittelfristig 2 Prozent bestätigt. Dabei sind Abweichungen nach oben und nach unten gleichermaßen unerwünscht. Auf große, dauerhafte Abweichungen vom Zielwert in beide Richtungen werden wir angemessen kraftvoll und lang andauernd reagieren.
Letzteres ist eine direkte Lehre aus den vergangenen Jahren, die von einer außergewöhnlich hohen Inflation geprägt waren. Bei der Strategieüberprüfung im Jahr 2021 wurde dagegen die hartnäckig niedrige Inflation der Vorjahre berücksichtigt.
2.2 Geldpolitische Reaktion auf den Inflationsschub
Vor vier Jahren begann die Inflation im Euroraum, kräftig anzuziehen, wobei sie die 2-Prozent-Marke überschritt. Danach kletterte sie rasch auf ein Niveau, das zuletzt bei der Einführung des Euro zu beobachten war. So stieg die Teuerungsrate bis Ende 2021 auf 5 Prozent und nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine auf über 10 Prozent im Jahresverlauf 2022.
Die Geldpolitik vollzog einen drastischen Kurswechsel, um dem starken Preisauftrieb nach der Pandemie entgegenzuwirken. Zunächst beendeten wir den Nettoerwerb von Wertpapieren. Anschließend hoben wir die Leitzinsen kräftig an, und zwar um insgesamt 450 Basispunkte in zehn aufeinanderfolgenden Sitzungen.
Dies trug dazu bei, dass die Inflation wieder sank und auf ihren Zielwert zurückkehrte. So konnten wir vor einem Jahr beginnen, die Leitzinsen zu senken.
Im Juni 2025 lag nicht nur die aktuelle Teuerungsrate bei genau 2 Prozent. Die Fachleute des Eurosystems präsentierten zudem in ihren Projektionen neue Inflationsaussichten, denen zufolge wir den Zielwert mittelfristig erreichen werden.
Die restriktive Geldpolitik trug dazu bei, dass die Inflationserwartungen verankert blieben. Zwischenzeitlich gab es nämlich ein quantifizierbares Risiko einer Entankerung. Anders ausgedrückt: Hätten wir nicht so entschlossen gehandelt, wären die mittelfristigen Inflationserwartungen möglicherweise deutlich gestiegen.[3] Und dadurch hätte sich die Rückkehr zum Zielwert verzögert.
Zentralbankmaßnahmen haben einen erheblichen Einfluss auf die Inflationserwartungen. Aber auch die Kommunikation gewinnt immer mehr an Bedeutung. Ein klares Bekenntnis zur Preisstabilität und eine verständliche Kommunikation der Beschlüsse tragen dazu bei, dass die Inflationserwartungen fest verankert bleiben.
Der Zentralbankkommunikation gelingt es gut, die Inflationserwartungen der privaten Haushalte in Richtung des Inflationsziels zu lenken. Dies haben Forscherinnen und Forscher der Bundesbank vor Kurzem mithilfe eines Experiments nachgewiesen. Darüber hinaus stellten sie fest, dass die Wirkung davon abhängt, wie die Zentralbank kommuniziert.
Wie sind sie dabei vorgegangen?
Zunächst erhielten die Umfrageteilnehmer unseres „Bundesbank Online Panels – Haushalte“ Mitteilungen der EZB in unterschiedlicher Form. Anschließend untersuchten die Forscherinnen und Forscher, wie sich die unterschiedlichen Formen der Kommunikation auf die mittelfristigen Inflationserwartungen der Befragten auswirkten.
Dieser Untersuchung zufolge haben Inflationsprognosen, die anhand von Prozentangaben kommuniziert werden, Einfluss auf die Erwartungen. Noch wirksamer werden die Inflationserwartungen der privaten Haushalte allerdings verringert, wenn positive, nichttechnische Formulierungen zur Beschreibung der Inflationsaussichten verwendet werden. Als noch wirkungsvoller als Worte allein hat sich schließlich eine einfache Grafik erwiesen. Getreu dem Sprichwort: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“[4]
Daher ist eine gute Kommunikation ein wichtiger Faktor für eine gute Geldpolitik. Am meisten zählt letztlich aber, dass die Zentralbank entsprechend handelt.
Die Erfahrungen aus den 1970er-Jahren haben uns gelehrt, dass im Falle einer Entankerung der Inflationserwartungen ein deutlich restriktiverer geldpolitischer Kurs erforderlich ist.[5] Anders als damals konnten wir die Inflation diesmal zu deutlich geringeren wirtschaftlichen Kosten (gemessen am BIP-Wachstum) senken.[6]
Zwar ist das Wachstum im Euroraum schwach, doch gab es bislang keine Rezession, wenngleich wir einer Reihe negativer Schocks ausgesetzt waren. Eine große Rolle spielten dabei die Pandemie und die damit verbundenen Lieferkettenstörungen sowie der russische Angriffskrieg und die daraus resultierende Energiekrise. In jüngerer Zeit wurden die Konjunkturaussichten durch Handelsspannungen und eine erhöhte Unsicherheit getrübt.
Dennoch dürfte das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren allmählich anziehen. Die Fachleute des Eurosystems erwarten für den Euroraum ein Wachstum von 0,9 Prozent im laufenden Jahr, 1,1 Prozent im Jahr 2026 und 1,3 Prozent im Jahr 2027.
Was die Preisentwicklung anbelangt, so rechnet das Eurosystem in seinen Projektionen vom Juni für dieses Jahr mit einer Inflationsrate von 2,0 Prozent. Das sind gute Nachrichten für uns alle – und vor allem auch für die Menschen, die Mühe haben, mit ihrem Geld über die Runden zu kommen.
Leider können wir die Zeit nicht zurückdrehen und den Inflationsschub rückgängig machen.
Anders als Statistiker haben Verbraucher in der Regel nicht die jährliche Preisänderung eines repräsentativen Warenkorbs im Blick. Sie vergleichen die aktuellen Preise der Waren und Dienstleistungen, die sie erwerben, mit früheren Preisen, die sie noch in Erinnerung haben. Und dann denken sie: Das ist ganz schön teuer geworden!
Wenn wir unsere Geldpolitik beschließen, schauen wir aber nicht auf das Preisniveau, sondern auf die Preisänderungsrate. Wie sind der Auffassung, dass Preisstabilität am besten gewährleistet werden kann, wenn wir mittelfristig eine Inflationsrate von 2 Prozent anstreben.
Es gibt auch geldpolitische Konzepte, die auf das Preisniveau abzielen. In dem Fall müssten vergangene Abweichungen kompensiert werden, um zum Trendpfad zurückzukehren. Das Eurosystem hat sich im Rahmen der Strategieüberprüfung 2021 mit dem Konzept der Preisniveausteuerung auseinandergesetzt und sich letztlich dagegen entschieden – meiner Meinung nach aus gutem Grund.
Derzeit liegt die Inflationsrate bei etwa 2 Prozent. Und was noch ermutigender ist: Unsere Experten gehen davon aus, dass sie auf mittlere Sicht weitgehend auf diesem optimalen Niveau bleiben wird. Sowohl für 2027 als auch für das laufende Jahr erwarten sie eine durchschnittliche Teuerung von 2 Prozent. Im Jahr dazwischen dürfte die Inflationsrate aufgrund von Basiseffekten leicht auf 1,6 Prozent sinken.
Das ist das günstige Basisszenario. Allerdings ist die Unsicherheit derzeit außergewöhnlich hoch. Es gibt Risikoszenarien, die zu ungünstigeren Ergebnissen führen könnten, sollten sie tatsächlich zum Tragen kommen.
Daneben haben unsere Experten auch ein negatives Risikoszenario für Deutschland berechnet, in dem die am 2. April von der US-Regierung angekündigten Zölle ab dem 9. Juli wieder in Kraft treten.[7] Das würde bedeuten, dass auf US-Importe aus der EU ab heute ein zusätzlicher Zoll in Höhe von 20 Prozent erhoben würde.
Bei diesem Risikoszenario wird angenommen, dass die EU mit symmetrischen Vergeltungsmaßnahmen reagiert, der Handelskonflikt zwischen den USA und China eskaliert und die Unsicherheit erhöht bleibt. Ein solches Szenario würde zu erheblichen Verwerfungen an den Finanzmärkten führen.
Die Berechnungen der Experten zeigen hier ein erhebliches Abwärtsrisiko für das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Insgesamt könnten sich die Wachstumsverluste beim realen BIP bis 2027 auf 1½ Prozentpunkte kumulieren.
Mit Blick auf die Inflation kämen in diesem Szenario gegenläufige Effekte zum Tragen: Einerseits würden die als Vergeltung verhängten Importzölle preiserhöhend wirken. Andererseits würde die schwächere Wirtschaftsaktivität in Deutschland den Preisauftrieb dämpfen.
Außerdem würde sich der durch die weltweite Wachstumsschwäche verursachte Ölpreisrückgang in geringeren Verbraucherpreisanstiegen niederschlagen. Insgesamt fiele die Inflationsrate etwas niedriger aus als im Basisszenario.
Da im Handelskonflikt bislang keine Einigung erzielt wurde, bleibt die Unsicherheit bis auf Weiteres bestehen. Gerade hat das Weiße Haus die Frist für Zölle auf den 1. August verschoben.
Wir können also davon ausgehen, dass sich die erhöhte Unsicherheit vorerst nicht auflösen wird. Daher haben wir bei der jüngsten Bewertung unserer geldpolitischen Strategie betont, dass wir nicht nur die wahrscheinlichste Entwicklung der Inflation und der Wirtschaft berücksichtigen werden. Vielmehr werden wir verstärkt auf Szenario- und Sensitivitätsanalysen setzen.
Im derzeitigen Umfeld wäre der EZB-Rat gut beraten, umsichtig zu handeln, einen datengestützten Ansatz zu verfolgen und Beschlüsse von Sitzung zu Sitzung zu fassen.
Die Inflation im Dienstleistungssektor ist nach wie erhöht, sodass hier weiterhin Vorsicht geboten ist. Ermutigend ist allerdings, dass sie in den letzten Monaten deutlich nachgelassen hat. Und basierend auf den jüngsten Daten zur Lohnentwicklung dürfte der Preisdruck im Dienstleistungssektor noch weiter zurückgehen.
Der Leitzins liegt nun bei 2 Prozent. Nominal befindet er sich somit in der Mitte der Spanne der von Experten des Eurosystems berechneten Schätzungen des natürlichen Zinssatzes (r*).[8] Die aktuelle Geldpolitik scheint also weder einen straffenden noch einen stimulierenden Effekt auf die Wirtschaft auszuüben.
Ich würde den unsicheren Schätzungen des theoretischen Konzepts r* nicht zu viel Bedeutung beimessen. Dennoch lässt sich wohl sagen, dass wir gut aufgestellt sind, um auf die weitere Entwicklung zu reagieren. Es wäre allerdings unklug, sich im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad festzulegen, einen weiteren Zinsschritt vorzusehen oder ihn umgekehrt auszuschließen.
2.3 Strategiebewertung 2025 und geldpolitisches Instrumentarium
Was haben wir also im Hinblick auf unsere geldpolitischen Instrumente aus den Erfahrungen der letzten Jahre gelernt?
Auch wenn eine Forward Guidance zu den Leitzinsen derzeit nicht geboten ist, ist die Forward Guidance auch weiterhin Teil unseres geldpolitischen Instrumentariums. Gleiches gilt auch für die anderen Instrumente, insbesondere für die umfangreichen Wertpapierankäufe und die gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte. Allerdings werden wir diese Instrumente in der Regel nur an der Zinsuntergrenze einsetzen – dort haben sie sich als nützlich erwiesen.
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Forward Guidance zu den Leitzinsen und der Ankauf von Wertpapieren uns zu stark einschränkt haben. Der starke Inflationsschub hat deutlich gezeigt, welche Nachteile es hat, wenn man sich auf einen bestimmten Zeitplan festlegt, sich die Umstände aber plötzlich ändern.
Aus diesem Grund möchten wir die Forward Guidance künftig flexibler formulieren. Eine zustandsabhängige Formulierung würde dabei helfen. Eine zustandsabhängige Forward Guidance ist an bestimmte wirtschaftliche Bedingungen geknüpft, also beispielsweise an eine Inflationsschwelle, und nicht an einen bestimmten Zeitplan. Sie macht deutlich, unter welchen Umständen die Geldpolitik von einem angekündigten Pfad abweichen würde.
Darüber hinaus muss die Forward Guidance robuster gegenüber Prognosefehlern sein. Andernfalls können wir nicht schnell genug auf unerwartete Entwicklungen reagieren. Die Geldpolitik muss zuverlässig sein, darf sich aber in ihrer Flexibilität nicht zu stark einschränken.
Grundsätzlich sollten alle Instrumente der Geldpolitik flexibler eingesetzt werden, um den geldpolitischen Kurs anpassen zu können, wenn sich die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen verändern. Das gilt auch für den Ankauf von Wertpapieren.
Eine flexiblere Nutzung von Wertpapierankäufen würde der Tatsache Rechnung tragen, dass die Wirksamkeit solcher Käufe im Laufe der Zeit potenziell nachlässt. Mehr Flexibilität würde es uns auch ermöglichen, rasch zu reagieren und die Ankäufe zu beenden, wenn sich die Inflationsaussichten verbessern.
Zudem war unsere Bilanz durch die umfangreichen Ankäufe einem erheblichen Zinsänderungsrisiko ausgesetzt. Dieses Risiko ist mit der drastischen Zinswende dann auch eingetreten und hat zu erheblichen bilanziellen Verlusten geführt.
Wie Sie sich erinnern werden, hatte das Eurosystem im Rahmen seiner Geldpolitik zur Stimulierung der Wirtschaft niedrig verzinste Wertpapiere im Wert von mehreren Billionen Euro erworben.
Verbucht wurden die angekauften Wertpapiere auf der Aktivseite der Bilanz. Auf der Passivseite führten die Ankäufe zu sehr hohen Überschussreserven, die zum Einlagesatz verzinst werden.
Als die Leitzinsen dann angehoben werden mussten, stiegen die Ausgaben auf der Passivseite, während die Einnahmen auf der Aktivseite niedrig blieben. Im Wesentlichen erklärt dies die bilanziellen Verluste.
Im Fall der Bundesbank dürfte es mehrere Jahre dauern, bis wir wieder Gewinne erzielen.[9] Aber um es klar zu sagen: Wir haben eine solide Bilanz. Gewinnmaximierung ist nicht unser Ziel, und die Verluste behindern uns in keiner Weise in unserer Fähigkeit, Preisstabilität zu gewährleisten. Wir können damit umgehen.
Dennoch: Angesichts der jüngsten Erfahrungen bin ich davon überzeugt, dass umfangreiche Wertpapierkäufe die absolute Ausnahme bleiben sollten.
2.4 Kraftvolle oder lang anhaltende geldpolitische Reaktion
Die Strategieüberprüfung im Jahr 2021 war maßgeblich von der Herausforderung geprägt, die damals hartnäckig niedrige Inflation zu bekämpfen. Dabei wurde explizit der Asymmetrie Rechnung getragen, die sich aus der Zinsuntergrenze ergab, denn diese Untergrenze schränkt die konventionelle Zinspolitik ein. In der Erklärung zur geldpolitischen Strategie hieß es: Liegen die Zinsen in einer Volkswirtschaft in der Nähe ihrer effektiven Untergrenze, so sind besonders kraftvolle oder lang anhaltende geldpolitische Maßnahmen nötig, um zu verhindern, dass sich negative Abweichungen vom Inflationsziel verfestigen.
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Jetzt sind vier Jahre vergangen, und dieses Risiko besteht noch immer. Allerdings haben die vergangenen vier Jahre auch gezeigt, dass durchaus auch deutlich positive Abweichungen vom Inflationsziel möglich sind.
Eine kraftvolle oder lang anhaltende geldpolitische Reaktion ist daher nicht nur bei Annäherung an die Zinsuntergrenze von entscheidender Bedeutung. Sie ist auch erforderlich, wenn die Inflation signifikant nach oben vom Zielwert abweicht.
Dieser Punkt ist nach der aktuellen Strategiebewertung nun klarer geregelt, was ich sehr begrüße.
3 Schlussbemerkungen
Meine Damen und Herren, ich möchte allmählich zum Schluss kommen.
Die jüngste Rückkehr zur Preisstabilität ist ermutigend. Nun gilt es, die Inflation nachhaltig bei 2 Prozent zu stabilisieren.
Wir müssen jedoch darauf vorbereitet sein, dass die Preisentwicklung generell volatiler wird. Ich befürchte, dass die erhöhte Unsicherheit zur neuen Normalität werden wird. Zudem lassen gewisse strukturelle Entwicklungen vermuten, dass der Preisdruck auf mittlere Sicht erhöht bleiben wird.
Zu diesen Entwicklungen zählen beispielsweise die Bevölkerungsalterung, der Klimawandel und die Klimapolitik, aber auch die geopolitische Fragmentierung.
Die Gewährleistung von Preisstabilität wird auch in Zukunft eine schwierige Aufgabe sein. Mit einer glaubwürdigen Verpflichtung zur Erfüllung seines Mandats, einer transparenten Kommunikation und einer klaren Strategie kann das Eurosystem diese Herausforderung jedoch meistern.
Es stimmt nach wie vor, was Wim Duisenberg sagte: Unsere Strategie ist komplex, aber wir leben nun einmal in einer komplexen Welt. Verglichen mit damals, als unsere gemeinsame Währung noch in den Kinderschuhen steckte, ist die Welt wahrscheinlich sogar noch komplexer geworden.
Mit der Strategiebewertung 2025 ist das Eurosystem meiner Meinung nach gut dafür gerüstet, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern. Wir haben das, was wir aus den einzigartigen Erfahrungen der letzten zehn Jahre gelernt haben, in unsere Entscheidungen einfließen lassen.
Der EZB-Rat verpflichtet sich zu einer klaren und transparenten Kommunikation, um sicherzustellen, dass seine Maßnahmen von den Märkten und der Öffentlichkeit gut verstanden werden. In diesem Sinne hoffe ich sehr, dass ich mich heute klar und ausgedrückt habe und meine Punkte gut verständlich waren.
Ich freue mich auf die Diskussion und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
- Vgl. Duisenberg, W. (1999), Einleitende Bemerkungen beim Europäischen Bankenkongress, 1. Vortragsblock: Do markets need guidance?, Frankfurt am Main, 19. November.
- Vgl. EZB (2025), Erklärung zur geldpolitischen Strategie der EZB.
- Vgl. EZB (2025), Report on monetary policy tools, strategy and communication, Workstream 2: Monetary Policy Tools, Strategy and Communication, Occasional Paper, Nr. 372.
- Vgl. Hoffmann, M., E. Mönch, L. Pavlova und G. Schultefrankenfeld (2025), A KISS for central bank communication in times of high inflation, Diskussionspapier der Deutschen Bundesbank, Nr. 12/2025.
- Vgl. Nagel, J. (2022), Stagflation redux can be prevented with smart policy. Is it now the economy’s turn to experience a 1970s revival?, Politico, 25. Juni 2022.
- Vgl. Nagel, J. (2024), Welche Lehren können wir aus der jüngsten Disinflationsphase ziehen?, Tischrede anlässlich der Jahrestagung der CEBRA, 29. August 2024.
- Vgl. Deutsche Bundesbank (2025), Zu möglichen Auswirkungen einer restriktiveren US-amerikanischen Handelspolitik auf die deutsche Wirtschaft, Exkurs, Monatsbericht, Juni 2025.
- Vgl. Brand, C., N. Lisack und F. Mazelis (2025), Schätzungen des natürlichen Zinssatzes für den Euroraum: Erkenntnisse, Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten, in: EZB, Wirtschaftsbericht, Ausgabe 1/2025.
- Vgl. Nagel, J. (2025), Einleitendes Statement bei der Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Geschäftsberichts 2024, 25. Februar 2025.
- Vgl. EZB (2021), Erklärung zur geldpolitischen Strategie der EZB.