Eingangsstatement Podiumsdiskussion zum Thema "Developments in the banking industry - How to stabilize our system?" bei der German Society der London School of Economics

Es gilt das gesprochene Wort.

Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, heute mit Ihnen darüber diskutieren zu können, wie wir das Bankensystem sicherer machen können. In meinem Eingangsstatement werde ich aber auch auf das Thema Währungsunion eingehen – schließlich hat die Krise bisher gezeigt, dass Refinanzierungsprobleme von Staaten schnell zu Problemen im Bankensystem führen können und umgekehrt. Beides sind also Themen, bei denen die Staatsschulden- und Finanzkrise einen erheblichen Handlungsbedarf aufgezeigt haben. Ich werde versuchen in aller Kürze zusammenzufassen was bislang erreicht wurde und vor allem, wo noch weitere Schritte notwendig sind.

Bargeld

Aus aktuellem Anlass möchte ich zu Beginn auf eine Debatte eingehen, die seit einigen Wochen in Deutschland, aber auch in anderen Mitgliedstaaten der EU geführt wird. In Deutschland hat das Bundesfinanzministerium vorgeschlagen, Barzahlungen über 5.000 € zu verbieten. Außerdem gibt es in der EZB Überlegungen, die 500-Euro-Banknote abzuschaffen. Beide Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Terrorismus-Finanzierung zu erschweren. Dieses Ziel unterstütze ich natürlich. Zweifel habe ich aber daran, ob Terroristen oder Kriminelle wirklich an illegalen Handlungen gehindert werden, wenn eine Bargeldobergrenze eingeführt oder die großen Stückelungen abgeschafft werden. Das zeigt sich auch daran, dass in den USA inzwischen von Ökonomen sogar die Abschaffung der 100-Dollar-Note gefordert wird, die immer noch "zu groß" erscheint.

Ich möchte betonen, dass sich die Bundesbank hinsichtlich verschiedener Zahlungsformen neutral verhält. Wir wollen, dass die Bürger in der Form zahlen können, die sie sich wünschen. Gerade in Deutschland gehört dazu das Bargeld. Hier werden rund 79% aller Zahlungen an der Kasse in bar abgewickelt. Aber auch im Vereinigten Königreich sind es mehr als 50%.

Ich verzichte an dieser Stelle darauf, die Vorteile, die Bargeld für die Bürger besitzt, aufzulisten. Ich erlaube mir allerdings drei Hinweise: Erstens sind Barzahlungen keineswegs eine besonders teure Zahlungsart. Bei den Kosten pro Transaktion schlägt das Bargeld sowohl die Debitkarte als auch die Kreditkarte deutlich. Bezieht man die Kosten auf den Umsatz, muss sich das Bargeld zwar der Debitkarte geschlagen geben, schneidet aber immer noch besser ab als die Kreditkarte.

Zweitens ist Bargeld die einzige Möglichkeit für den Bürger, mit Zentralbankgeld und einem gesetzlichen Zahlungsmittel zu zahlen. Alle anderen Zahlungsmittel basieren auf privater Geldschöpfung – und unterliegen grundsätzlich einem gewissen Risiko. Das sollte man auch bedenken, wenn man Bargeldzahlungen begrenzen möchte.

Drittens haben uns im Eurosystem in der Finanzkrise die großen Stückelungen durchaus geholfen, die sprunghaft gestiegene Bargeldnachfrage der Bürger zu bedienen. Damals gab die Bundesbank in einem Monat so viele 500-Euro-Banknoten aus wie in den übrigen elf Monaten zusammen.

Von der Debatte über Beschränkungen in der Bargeldnutzung sollte die Diskussion über die vollständige Abschaffung des Bargeldes getrennt werden, was aber in der Öffentlichkeit wohl nicht so einfach ist. Durchaus prominente Ökonomen wie der ehemalige Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Kenneth Rogoff fordern, aus geldpolitischen Gründen das Bargeld ganz abzuschaffen, damit die Notenbanken negative Zinsen in der Breite durchsetzen könnten.

Dies wäre aus meiner Sicht aber die falsche Antwort auf die geldpolitischen Herausforderungen an der Nullzinsgrenze. Statt über finanzielle Repression sollte besser darüber diskutiert werden, wie die Volkswirtschaften durch stärkeres Wachstum wieder zu höheren Zinsen kommen. Es wäre aus meiner Sicht deshalb fatal, wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck entstünde, die Diskussionen über die Abschaffung der 500-Euro-Banknote und über Obergrenzen für die Bargeldnutzung stellten Schritte zu einer allgemeinen Abschaffung des Bargelds dar. Je nach Ausgestaltung der Maßnahmen haben sie das Potenzial, das Vertrauen der Bürger in die gemeinsame europäische Währung zu erschüttern. Es ist nicht leicht Vertrauen zu erwerben. Vertrauen kann aber leicht verspielt werden. Deshalb ist bei dieser Diskussion Vorsicht und Umsicht gefordert.

Bei diesem Exkurs möchte ich es – was das Thema Bargeld angeht - bewenden lassen. Ich komme zurück zu der Frage was schon getan wurde, und was noch getan werden muss, um das Bankensystem im Euro-Raum und die Währungsunion stabiler zu machen.

Im Kern geht es darum, dem Prinzip von Haftung und Kontrolle wieder mehr Geltung zu verschaffen. Walter Eucken, der im Januar 125 Jahre alt geworden wäre, und der das Denken vieler Ökonomen in Deutschland immer noch prägt, hat dies einmal so formuliert: "Wer den Nutzen hat, der muss auch den Schaden tragen." Im Bankenbereich war dieses Prinzip lange nicht konsequent genug verfolgt worden. Die Finanzkrise wurde auch dadurch verursacht, dass Banken bei der Kreditvergabe, beziehungsweise dem Ankauf von Wertpapieren, Risiken nicht  ausreichend berücksichtigt haben, weil sie darauf spekulieren konnten, im Zweifelsfall vom Steuerzahler gerettet zu werden - Stichwort: "Too big to fail".

Im Euro-Raum gilt die im Vertrag von Maastricht festgehaltene Nichtbeistandsklausel, mit der sichergestellt werden sollte, dass die jeweiligen Mitgliedstaaten für die Konsequenzen ihrer eigenen Wirtschafts- und Finanzpolitik gerade stehen. Die Märkte haben diesen Aspekt bis zur Finanzkrise nicht eingepreist. Es gab bis zum Jahr 2007 nur einen minimalen Zinsunterschied zwischen deutschen und zum Beispiel griechischen Staatsanleihen. Die Investoren gingen davon aus, dass Euro gleich Euro sei, unabhängig vom Schuldner. Dies hat dazu geführt, dass die individuellen Risikoprämien, die vor Beginn der Währungsunion verlangt wurden, drastisch sanken und Kredite günstiger wurden. Dadurch konnten die öffentlichen und privaten Haushalte in einigen Ländern des Euro-Raums hohe Schuldenstände aufbauen. In der Krise hat die Rettung privater Gläubiger  durch den Steuerzahler – sowohl von Banken als auch von Staaten – das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen gestört. Es kann auch nach meinem Dafürhalten nicht richtig sein, dass Gewinne privatisiert und Verluste von der Allgemeinheit getragen werden. Jetzt geht es darum, das Bankensystem und den Ordnungsrahmen des Euro-Raums so auszurichten, dass sich so etwas nicht wiederholt.

Bankenregulierung

Im Bereich der Finanzmärkte haben die Staats- und Regierungschefs der G20 schon im November 2008 beschlossen, alle systemisch relevanten Finanzinstitute, Finanzmärkte und Finanzinstrumente einer angemessenen Regulierung und Überwachung zu unterziehen. Wichtige Meilensteine dieser Reformagenda sind inzwischen erreicht. Für die Finanzinstitute insgesamt gelten höhere Kapitalanforderungen. Sie müssen mehr und besseres Eigenkapital vorhalten, damit künftig die Eigentümer der Banken für Verluste gerade stehen.

Für Finanzinstitute, die ein Risiko für das gesamte Finanzsystem darstellen wenn sie in Schieflage geraten – das können zum Beispiel sehr große oder sehr stark vernetzte Institute sein – wurden zusätzliche Anforderungen eingeführt. Für diese Institute gelten zum Beispiel zusätzliche Kapitalanforderungen. Die Höhe dieser Zuschläge hängt von der Systemrelevanz des Finanzinstituts ab. Zudem wurden die Regeln und Instrumente verbessert, mit denen Banken saniert oder abgewickelt werden können, wenn sie insolvent sind – und das bei substanzieller Verlustbeteiligung der Eigentümer und Gläubiger, der sogenannte "Bail-in". Die Eigentümer und die Gläubiger der Institute sollen haften, bevor die Allgemeinheit bzw. der Staat hilft. In Europa wurde zudem eine gemeinsame Bankenaufsicht geschaffen, die die 120 größten Banken überwacht. Damit soll sichergestellt werden, dass die Regulierung in ganz Europa gleichmäßig strikt angewandt wird. Bislang bestand stets die Gefahr, dass die nationalen Aufseher "ihre" nationalen Banken mit Samthandschuhen anfassen.

Insgesamt wurde also schon viel erreicht. Das Risiko, dass Banken gerettet werden müssen, weil sie zu groß sind, um zu scheitern, wurde verringert. Ganz ist die Gefahr aber noch nicht gebannt. Auf internationaler Ebene arbeitet man daher daran, die Regulierungsagenda zu finalisieren. Beispielsweise muss bis zum Jahr 2018 die Obergrenze für den Verschuldungsgrad für Banken endgültig festgelegt werden. Im Moment befinden wir uns in einer Testphase in der eine Mindestanforderung an die ungewichtete Eigenkapitalquote von 3 % gilt. Wir werden auch in der Bundesbank genau hinschauen, wie die Erfahrungen mit dieser Verschuldungsobergrenze sind. Zudem hat man sich darauf geeinigt, dass Banken in Zukunft zusätzlich darauf achten müssen, dass ein bestimmter Teil ihrer Gläubiger Verluste auch tatsächlich tragen kann. Diese Gläubiger wissen dann umgekehrt, dass sie als erste Fremdkapitalgeber haften müssen, wenn die Bank Verluste macht. Diese Regeln befinden sich gerade im Feinschliff und müssen im Anschluss noch in nationale Gesetze gegossen werden. Insgesamt ist man im Bereich der Finanzmarktregulierung schon ein großes Stück vorangekommen, Haftung und Kontrolle wieder in Übereinstimmung zu bringen. Jetzt kommt es vor allem darauf an, dass die neuen Regeln und Instrumente von den Aufsehern auch konsequent angewandt werden.

Reform der Währungsunion

Bei der notwendigen Reform des Ordnungsrahmens der Währungsunion sind die Fortschritte leider noch nicht so groß. Eine Asymmetrie war in der Währungsunion von Anfang an angelegt: Denn mit dem Vertrag von Maastricht wurde zwar die Geldpolitik vergemeinschaftet, die Fiskalpolitik blieb jedoch in nationaler Verantwortung.

Eine solche Konstruktion beinhaltet einen besonderen Verschuldungsanreiz für die einzelnen Staaten. Denn die Staaten konnten darauf setzen, dass sie die negativen Folgen einer höheren Verschuldung wenigstens zum Teil auf alle anderen Mitgliedstaaten abwälzen konnten. Deshalb versuchten die Gründerväter diesem Verschuldungsanreiz mit drei Sicherungsmechanismen vorzubeugen: den fiskalpolitischen Regeln für das Haushaltsdefizit und den Schuldenstand, der bereits erwähnten Nichtbeistandsklausel und dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Heute wissen wir, dass diese Sicherungsmechanismen die übermäßige Verschuldung einzelner Mitgliedstaaten nicht verhindern konnten.

Natürlich trägt die Politik ihre Verantwortung am Entstehen der Krise: Zum einen wurden die Fiskalregeln nicht hinreichend beachtet – auch von Deutschland nicht. Deshalb wurde nicht nur ein makroökonomisches Überwachungsverfahren eingeführt, das frühzeitig anschlagen soll, wenn sich gesamtwirtschaftliche Ungleichgewichte aufbauen. Auch die Fiskalregeln wurden mittlerweile geändert. Hier ist allerdings mehr Ehrgeiz der Europäischen Kommission erforderlich, diese Regeln auch durchzusetzen.

Ein entscheidendes Problem besteht jedoch weiterhin. Ein Grund dafür, dass die disziplinierende Wirkung der Kapitalmärkte unterlaufen wurde und die Nichtbeistandsklausel die Verschuldung nicht begrenzte, lag sicherlich auch in einer Festlegung der Bankenregulierung, wonach Staatsanleihen als risikolos angesehen werden. Banken müssen, anders als bei Unternehmensanleihen, das Ausfallrisiko von Staatsanleihen nicht mit Eigenkapital unterlegen. Die Banken haben diese Regel dazu genutzt, um sich mit Staatsanleihen vollzusaugen. Aus diesem Grund birgt eine Restrukturierung von Staatsschulden die Gefahr, dass gleichzeitig das Bankensystem des Landes zu Fall gebracht wird – was die Glaubwürdigkeit der Nichtbeistandsklausel untergräbt. Diese unheilvolle Verbindung von Staaten und Banken hat sich in der Krise als Brandbeschleuniger erwiesen. Im Ergebnis haben sich klamme Staaten und wankende Banken gegenseitig nach unten gezogen. Die regulatorische Bevorzugung von Staatsanleihen muss beendet werden. Dazu gehört übrigens nicht nur die Einführung von Risikogewichten für Staatsanleihen. Mindestens genauso wichtig ist es, Kredite von Banken an einzelne Staaten zu deckeln. Denn nur dann wird die Gefahr wirklich verringert, dass eine Insolvenz eines Landes die Bank mit in den Abgrund reißt. Deshalb freue ich mich, dass die Diskussionen darüber jetzt in den internationalen und europäischen Gremien begonnen haben.

Noch ein letztes Wort zu den Rettungsschirmen: Ich glaube, wir haben im vergangenen Sommer gesehen, zu welchen Spannungen es führen kann, wenn Mitgliedstaaten die Solidarität anderer in Anspruch nehmen, aber dabei die Souveränität über ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik behalten wollen. Auch hier müssen Haftung und Kontrolle wieder mehr ins Gleichgewicht gebracht werden. Zum Beispiel durch eine Laufzeitverlängerung von Staatsanleihen um drei Jahre, die automatisch in Kraft tritt, wenn der betreffende Staat Hilfe vom Rettungsschirm ESM in Anspruch nimmt. Dies würde allen Beteiligten ausreichend Zeit einräumen, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Staat nur kurzfristig illiquide ist, oder ob es sich um ein dauerhaftes Solvenzproblem handelt.