"Niedrigzinsen werden kein Dauerzustand sein"

Die Notenbanken im Euroraum dürfen laut Bundesbankpräsident Jens Weidmann nicht zögern, im Falle steigender Inflation die Geldpolitik zu normalisieren. "Wenn der Preisdruck zunimmt, müssen wir geldpolitisch straffen", sagte er in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik müsse sich an ihrem Mandat der Preisstabilität ausrichten. "Wir dürfen dabei keine Rücksicht auf die Finanzierungslasten der Staaten nehmen", betonte Weidmann.

Auf dem Weg zum Inflationsziel

Ihr mittelfristiges Ziel einer jährlichen Inflationsrate von unter, aber nahe 2 Prozent hätten die Notenbanken des Eurosystems noch nicht erreicht. Weidmann zufolge sind sie aber auf dem Weg dorthin. Nach Finanzkrisen könne dies länger dauern. Laut den jüngsten Schätzungen des EZB-Stabs vom September 2017 steigen die Verbraucherpreise im Euroraum in diesem Jahr voraussichtlich um 1,5 Prozent, 2018 um 1,2 Prozent und 2019 um 1,5 Prozent.

Die Ursachen des gedämpften Preisdrucks sind Weidmann zufolge nur vorübergehend. Dazu zählten der Abbau hoher Verschuldung von Regierungen, Unternehmen und privaten Haushalten. Auch müssten Banken ihre Bilanzen aufräumen. Zudem brauche es Zeit, bis die Wettbewerbsfähigkeit in allen Euro-Ländern wieder hergestellt sei. Alles das bremse derzeit den Preisauftrieb. Die konjunkturelle Entwicklung sei jedoch eher aufwärtsgerichtet. "Wir erwarten, dass der Auslastungsgrad zunimmt und der Preisdruck steigt", so Weidmann. "Das eröffnet die Perspektive auf eine geldpolitische Normalisierung."

Im Aufschwung Zügel zügig anziehen

Weidmann sprach sich für eine symmetrische Geldpolitik aus, die gleichgerichtet auf Schwankungen der Konjunktur und der Verbraucherpreise reagiert. Im Abschwung oder in der Krise bedeute dies, die Geldpolitik entscheidend zu lockern. "Allerdings darf die Niedrigzinsphase nicht zu lange dauern, und im Aufschwung müssen die geldpolitischen Zügel dann zügig und konsequent angezogen werden", betonte Weidmann.

Im Interview ging er auch auf die Diskussion über eine Anpassung des Anleihekaufprogramms ein. Derzeit kaufen die Notenbanken des Eurosystems noch monatlich Wertpapiere im Volumen von 60 Milliarden Euro. "Selbst wenn wir die Nettokäufe reduzieren, nehmen die Bestände in unserer Bilanz weiter zu, und die Geldpolitik bleibt expansiv", betonte Weidmann. "Wir würden jedoch nicht mehr ganz so viel Gas geben wie bisher." Die Leitzinsen würden gemäß EZB-Ratsbeschluss erst steigen, nachdem die Anleihekäufe beendet worden seien. "Insofern ist die Frage legitim, wie viel Spielräume die Geldpolitik noch hat, wenn der nächste Abschwung kommt", sagte Weidmann.

Keine Anzeichen für stabilitätsgefährdende Immobilienpreisblase

Eine Folge der sehr expansiven Geldpolitik sind Weidmann zufolge kräftig gestiegene Immobilienpreise. So lägen in deutschen Großstädten die Immobilienpreise um 15 bis 30 Prozent über den Ergebnissen von Modellberechnungen der Bundesbank. Für eine Blase, bei der die Immobilienhausse mit einer überschwänglichen Kreditvergabe und lockereren Kreditstandards der Banken einherginge, sehe er jedoch keine Anzeichen.

Weidmann betonte, dass man die Geldpolitik nicht anhand der Preisentwicklung von Vermögenswerten beurteilen sollte. Ihr Auftrag bestehe darin, die Verbraucherpreise stabil zu halten. "Man würde die Geldpolitik überfrachten, wenn sie zudem einzelne Vermögenspreise steuern sollte", sagte er. Die Europäische Zentralbank habe die Finanzstabilität im Blick, mache Analysen, gebe der Politik Handlungsempfehlungen und könne nationale Maßnahmen verschärfen. "Als zusätzliches Ziel für die Geldpolitik halte ich sie jedoch für nicht geeignet", unterstrich Weidmann.

Währungsunion muss Stabilitätsunion bleiben

Kritisch äußerte sich der Bundesbankpräsident zu Vorschlägen, die Risikoteilung in der Währungsunion auszubauen. "Ich höre zwar viel von gemeinsamer Haftung, aber wenig von gemeinsamer Entscheidung und Kontrolle", führte er aus. Aus Notenbanksicht müssten Vorschläge aber daran gemessen werden, ob mit ihnen die Währungsunion eine Stabilitätsunion bleibe.

Ein europäischer Finanzminister, wie zuletzt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen, wäre Weidmann zufolge für die Geldpolitik kein Problem. Einen Finanzminister gebe es auch in jedem Nationalstaat mit eigener Geldpolitik. Weidmann zufolge komme es aber auf die Ausgestaltung an. Bisher sei jedoch noch nicht einmal klar, welche Funktionen er haben sollte. "Manche sehen in ihm einen fiskalpolitischen Zuchtmeister, andere einen spendablen Umverteiler mit großem Budget", sagte er. "Ein solches Amt muss in den Gesamtrahmen passen." Und dafür gebe es grundsätzlich zwei Wege, eine Rückbesinnung auf den Maastricht-Rahmen mit seinen Haftungsbeschränkungen und klaren Regeln oder eine Fiskalunion mit weitgehender Souveränitätsübertragung auf die europäische Ebene.

Die Bereitschaft, Souveränität abzugeben, sei auch bei denen gering, die mehr gemeinsame Haftung wollten, sagte Weidmann. Ohne ein Gleichgewicht von Handeln und Haften ließe sich aber keine stabile Fiskalunion errichten. "Wenn einer bestellt und dann andere bezahlen, geht das nicht lange gut", sagte er.

Weidmann regte an, zunächst gemeinsame Projekte in den Mittelpunkt der Politik zu stellen, die greifbare Fortschritte für die Menschen brächten, beispielsweise ein gemeinsamer Markt für digitale Produkte. Aber auch die Sicherung der Außengrenze, die Terrorbekämpfung, die Migration, die Entwicklungshilfe, der Klimaschutz oder das Schließen von Steuerschlupflöchern von Konzernen böten hier Möglichkeiten.