Blick auf den Big Ben in London durch eine EU-Flagge ©Adobe Stock/Thaut Images

Der Brexit und seine Folgen für den Finanzsektor

Am 31. Januar 2020 hat das Vereinigte Königreich die Europäische Union (EU) verlassen. Damit hat eine Übergangsfrist begonnen, die bis zum Ende des Jahres dauert: Während dieser Zeit bleibt das Vereinigte Königreich weiterhin im Binnenmarkt und in der Zollunion, verliert jedoch sein Stimmrecht in den EU-Institutionen. Voraussichtlich im März 2020 beginnen die Verhandlungen über das künftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Von deren Ausgang hängt entscheidend ab, wie sich der Brexit nach dem Ende der Übergangsfrist auf die Wirtschaft und das Finanzsystem in Europa auswirken wird.

Ohne eine entsprechende Vereinbarung verlieren britische Unternehmen mit dem EU-Austritt nach Ende der Übergangsfrist ihren freien Zugang zum EU-Binnenmarkt. Genauso können in der EU ansässige Unternehmen dann nicht mehr ohne Weiteres in das Vereinigte Königreich liefern. Sich daraus ggf. ergebende Zölle und andere Handelshemmnisse könnten weniger Handel und Wohlstand im Vereinigten Königreich und ganz Europa bedeuten. Ziel der Verhandlungen ist es deshalb, ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen beiden Partnern abzuschließen.

Was ändert sich für die Banken?

Auch für den Finanzsektor und die Bankenaufsicht hat der Brexit absehbar weitreichende Folgen. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs verlöre die EU einen Teil ihrer finanziellen Souveränität, erklärt Bundesbankvorstand Joachim Wuermeling im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „London unterliegt mittelfristig nicht mehr den EU-Regeln und könnte zu einer Art Offshore-Finanzplatz werden“, warnt er. Wuermeling, der bei der Bundesbank unter anderem den Bereich Bankenaufsicht verantwortet, befürchtet, dass das Vereinigte Königreich die bisher geltenden Regulierungsregeln für Banken wieder aufweichen könnte. „London sieht sich im Wettbewerb mit Plätzen wie New York, da ist die Versuchung groß, für die eigenen Banken die Zügel zu lockern.“

Nach dem Ende der Übergangszeit fällt mit dem Brexit der sogenannte „Finanzpass“ für Transaktionen zwischen einem britischen Vertragspartner und einer im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ansässigen Partei weg. Dieser Pass erlaubt es den Finanzunternehmen, die Finanzdienstleistungen in einem EWR-Land erbringen dürfen, diese Dienstleistung auch in allen anderen Mitgliedstaaten zu erbringen. Durch den Brexit werden bislang im Vereinigten Königreich ansässige Finanzunternehmen jedoch gezwungen, bis zum Ende der Übergangszeit eine nunmehr lizenzierte Niederlassung in einem der verbleibenden Mitgliedstaaten des EWR zu unterhalten, wenn sie auch weiterhin den „Finanzpass“ nutzen und ihre dort beheimateten Kunden betreuen möchten. Umgekehrt müssen sich im EWR ansässige Unternehmen um eine entsprechende Erlaubnis bei den britischen Aufsichtsbehörden bemühen, um weiterhin Zugang zum britischen Finanzmarkt zu haben. Viele im Vereinigten Königreich ansässige, internationale Banken haben sich frühzeitig um eine Lizenz gekümmert - und zwar überwiegend an Standorten, die der Einheitliche Europäische Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory MechanismSSM) umfasst. Der SSM ist das für die Bankenaufsicht zuständige Element der europäischen Bankenunion und beaufsichtigt sei November 2014 die 120 bedeutendsten Kreditinstitute der teilnehmenden 19 Länder.

Der lange Weg zum Brexit

Ursprünglich sollte der Brexit, für den die Briten in einem Referendum im Juni 2016 gestimmt hatten, bereits im März 2019 vollzogen werden. Das britische Unterhaus lehnte jedoch den zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ausgehandelten Entwurf eines Austrittsabkommens mehrmals ab. Der Europäische Rat stimmte daraufhin zunächst einem Aufschub bis zum Frühjahr und dann bis Ende Oktober 2019 zu. Am 24. Juli schließlich trat die britische Premierministerin Theresa May zurück und übergab die Amtsgeschäfte an Boris Johnson. Mitte Oktober einigten sich die EU27 und die neue britische Regierung auf ein überarbeitetes Austrittsabkommen. Darin enthalten waren insbesondere Änderungen an den Regelungen zur Grenzfrage zwischen der Republik Irland und Nordirland sowie an der politischen Erklärung zur künftigen Beziehung zwischen der EU27 und dem Vereinigten Königreich.

Das geänderte Abkommen sieht vor, dass Nordirland künftig ein Zollgebiet mit dem Vereinigten Königreich bildet. Gleichzeitig sollen allerdings in Nordirland das EU-Zollrecht sowie alle relevanten Binnenmarktregeln angewandt werden. Um die offene Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland zu gewährleisten, finden die entsprechenden Kontrollen bereits an den Eingangspunkten der irischen Insel in Nordirland statt. Damit das Abkommen noch rechtzeitig ratifiziert werden konnte, stimmte der Europäische Rat für eine erneute Verschiebung des Austritts bis zum 31. Januar 2020. Am 12. Dezember 2019 fanden Neuwahlen statt, aus denen Johnson mit einer deutlichen Mehrheit hervorging. Mit den Stimmen der konservativen Tory-Partei verabschiedete das Unterhaus am 9. Januar 2020 schließlich das überarbeitete Austrittsabkommen. Nachdem wenige Wochen später auch das britische Oberhaus sowie das Europäische Parlament dem Abkommen zugestimmt hatten, war der Weg für einen geordneten Brexit endgültig frei.