Editierte Abschrift der Frage- und Antwortrunde anlässlich der Jahrespressekonferenz am 23.02.2024

Frage:

Herr Nagel, mit Blick auf die Fußball-Europameisterschaft ist es ja nicht schlecht, wenn die Null steht. Mit Blick auf die Bundesbankzahlen vielleicht nicht ganz so gut. Daher meine Frage, was bedeutet das längere Zeit? Können Sie uns da ein bisschen helfen, wie lange die Null stehen wird?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Der Ausblick hängt stark von unseren Annahmen ab. Wie ist der zukünftige Zinspfad? Wie geht es an der Stelle weiter? Was wir mit hoher Belastbarkeit sagen können ist, dass es sicherlich einige Jahre gibt, jetzt noch in diesen 2020er Jahren, in denen wir mit Verlustvorträgen zu arbeiten haben. Und dann wird es Jahre geben, in denen die Gewinne zurückkommen. Wir werden dann die Verlustvorträge abarbeiten. Und darüber hinaus müssen wir perspektivisch, das hat sich als sehr gut erwiesen, wieder Rückstellungen aufbauen. Ich habe heute Morgen in einer Zeitung gelesen, dass darüber spekuliert wird, dass die kumulierten Verluste der Bundesbank im dreistelligen Milliardenbereich liegen könnten. Diese Zahl kann ich nicht bestätigen. Wir machen natürlich auch Szenario-Rechnungen, und danach würde ich von kumulierten Verlusten ausgehen, die eher im mittleren zweistelligen Milliardenbereich liegen. 

Frage: 

Herr Nagel, was bedeutet das für die laufenden Diskussionen um die Verzinsung einer höheren Mindestreserve? Ist das Thema vom Tisch, da viel auf geldpolitische Entspannung hindeutet oder muss man vielleicht doch darüber reden, weil die hohen Zinsbelastungen nicht so gut für die Bilanz sind?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Die Diskussion um die Mindestreserve ist mir wichtig. Ich habe immer betont, dass das mit der Gewinn- und Verlustrechnung der Bundesbank nichts zu tun hat. Es geht mir dabei um die Geldpolitik, die Mindestreserve als Instrument, um den geldpolitischen Kurs zu flankieren und zu unterstützen. Das war in der Vergangenheit ein wichtiges Instrument, und wir haben uns dazu entschlossen, die Mindestreserve bei einem Prozent nicht mehr zu renumerieren. Eine gute Entscheidung. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, ich hätte mir auch eine höhere Mindestreserve vorstellen können. Die Diskussionen sehe ich komplett entkoppelt von der Diskussion um die Gewinn- und Verlustrechnung. Es kann durchaus sein, dass wieder eine Diskussion aufkommt. Momentan bin ich zufrieden, dass wir im vergangenen Jahr diesen kleinen Schritt gegangen sind.

Frage:

Frau Mauderer, gibt es Schätzungen und Hochrechnungen, wie sich die EZB-Verluste in Zukunft auswirken könnten auf die Bilanz der Bundesbank?

Dr. Sabine Mauderer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank: 

Ich kann mich nur dem anschließen, was Joachim Nagel gerade gesagt hat. Natürlich haben wir interne Berechnungen, was potenzielle Risiken anbelangt, auch für die nächsten Jahre. Aber wie ich bereits im Vortrag ausführte, hängen die Ergebnisse am Ende von vielen Stellschrauben und Aspekten ab, die wir erst im Laufe der nächsten Jahre sehen werden.

Frage:

Der 21,6-Milliarden-Minusbetrag ist der höchste in der Geschichte der Bundesbank. Sie sprachen über die deutsche Wirtschaft und sagten, es zeichnet sich mehr Licht als Schatten ab. Das widerspricht dem Eindruck an der starken Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Was sollten die machen, damit das Licht kommt, was läuft falsch da?

Die Bundesbank macht den Verlust wegen der hohen Zinszahlungen an bestimmte Banken, nämlich die mit Überschussreserven. Das verzerrt ein bisschen die ganze Bankenlandschaft. Die einen kriegen etwas, die anderen nicht. Welche Möglichkeiten jenseits der Mindestreserve gäbe es denn, um diesem Phänomen Herr zu werden?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Zunächst nochmal zur Höhe des Bilanzverlustes. Ja, das ist sicherlich die höchste Zahl, die wir ausweisen. Wenn man sich aber die 1970er Jahre anschaut und dort die Bundesbankverluste in Relation zum Sozialprodukt setzt, gab es sicherlich Jahre, in denen der Bilanzverlust in relativer Größe über dieser Zahl von 21,6 Milliarden Euro lag. Aber in der absoluten Größe gibt es nichts daran zu deuteln. Deswegen würden wir Ihnen gerne andere Zahlen präsentieren. Aber diese Zahlen sind Ergebnis der Geldpolitik, die notwendig war, um die Inflation in Zeiten, in denen die Deflation das Bild prägte, wieder zurück zu bringen. Und jetzt erleben wir die finanziellen Konsequenzen für die Bundesbank. 

Sie hatten das Thema angesprochen, dass die Banken jetzt von dieser „Geldpolitik“ profitieren. Das ist für uns nicht die maßgebliche Größe. Für uns ist entscheidend, dass wir die Geldpolitik machen, die notwendig ist, um Preisstabilität herzustellen. Das tun wir, auch jetzt gerade. Wir haben zehnmal die Zinsen erhöht und es war notwendig, die Zinsen in dieser Hochinflationsumgebung zu erhöhen. Deswegen koppele ich das gedanklich komplett davon ab, was bei den Banken passiert. Aus diesem Grund habe ich die Antwort zur Mindestreserve auch so gegeben. Perspektivisch, und das wird dann auch in Zukunft das Zinsergebnis der Banken beeinflussen, erfolgt der Bilanzabbau sukzessive über die nächsten Jahre. Die eine oder andere Bank hat daher bereits den Ausblick gegeben, dass die Zinsergebnisse in Zukunft möglicherweise anders ausfallen könnten. Die Bilanz des Eurosystems wird sich verringern. Das heißt, die Einlagenseite der Notenbank wird sich sukzessive verringern. Das ist der Grund, warum wir mit einer relativ hohen Verlässlichkeit sagen können, dass die Gewinne der Notenbank in Zukunft wieder zurückkehren. Aber das eine hat aus meiner Sicht mit dem anderen nur indirekt etwas zu tun. Unser Job als Bundesbank, als Teil des Eurosystems, ist es, für stabile Preise zu sorgen. Und da haben wir in der Vergangenheit alles Notwendige getan, was getan werden musste, und das werden wir auch in der Zukunft so halten.

Zur Wirtschaftspolitik: Zunächst einmal ist es so, dass der Start ins Jahr 2024 ein wenig verhaltener ausgefallen ist, als wir es noch im Dezember letzten Jahres angenommen hatten. Dies haben wir in unserem Ausblick für dieses Jahr deutlich gemacht. Es kann durchaus sein, dass wir im ersten Quartal möglicherweise ein kleines Minus beim Wirtschaftswachstum sehen und die Wirtschaft im zweiten Quartal weitestgehend stagniert, während wir in der zweiten Jahreshälfte, getragen durch den privaten Konsum, möglicherweise auch aufgrund einer gesteigerten Auslandsnachfrage, höhere Wachstumsraten sehen.

Ich war am Mittwoch eingeladen, an der Kabinettssitzung teilzunehmen, als der Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorgestellt wurde. Wer in diesen Jahreswirtschaftsbericht schaut, findet eine wichtige Botschaft, welche mich als Notenbanker besonders freut. Ein Positivum der wirtschaftlichen Entwicklung ist, dass die Preise deutlich stabiler sind, dass die Inflation zurückgeht und dass die Zinserhöhungen somit wirken. Wenn sich das Inflationsbild verfestigen sollte und dies durch unsere Datenanalysen unterfüttert wird, gibt uns das möglicherweise wieder den Spielraum, die Zinsen zu senken. Aber im Jahreswirtschaftsbericht steht natürlich auch einiges, was im Pflichtenheft der Bundesregierung zu verorten ist. Das heißt, die strukturellen Themen anzugehen, die dafür sorgen könnten, das Produktionspotenzial in Deutschland wieder zu erhöhen. Dieses liegt derzeit lediglich in einer Größenordnung von 0,8 Prozent. In vergangenen Episoden waren wir eher deutlich über einem Prozent. Das heißt, wir müssen insbesondere an den Angebotsfaktoren ansetzen, um das Produktionspotenzial zu stärken. Dann sehen wir auch wieder höhere Wachstumsraten in Deutschland.

In der letzten Woche habe ich im Rahmen einer Veranstaltung vorgeschlagen, uns wieder über Wachstumsraten von drei Prozent zu unterhalten. Ich weiß, dass dies mutig ist, aber es ist wichtig, dass wir diese Diskussion führen und dass die Bundesregierung diese strukturellen Aufgaben angeht. Und dann ist mir auch nicht bange um die wirtschaftliche Entwicklung. Ich habe immer gesagt, Deutschland ist nicht der kranke Mann der Weltwirtschaft. Wir haben eine starke Wirtschaft, wir sind stark in vielen Produkten und wir sind mit unseren Wirtschaftssektoren breit aufgestellt, beispielsweise im Bereich Bioscience. Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen, dann wird es auch wieder etwas mit dem Wirtschaftswachstum.

Frage:

Rechnen Sie damit, dass mit einem Bilanzverlust von 21,6 Milliarden im abgelaufenen Jahr der Peak erreicht ist oder ist es absehbar, dass in den kommenden Jahren noch höhere Verluste auftreten könnten? Können Sie bei der Gelegenheit auch auf die durchschnittliche Laufzeit der Anleihen im Bestand der Bundesbank eingehen, die neben der Zinsentwicklung ein weiterer wesentlicher Faktor sind. 

Die zweite Frage betrifft Überschüsse an den Bundeshaushalt, die nach Ihrer Auskunft jetzt für längere Zeit ausbleiben werden. Sie hatten noch den IWF erwähnt, der schätzt, dass erst im kommenden Jahrzehnt wieder Gewinne an den Bundeshaushalt möglich sein werden. Ist das eine realistische Einschätzung? 

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank: 

Zum ersten Teil der Frage: Wenn wir von einem Bilanzverlust von 21,6 Milliarden Euro sprechen, den wir in diesem Jahr mit den Rückstellungen für allgemeine Wagnisse und einem teilweisen Rückgriff auf die Rücklagen ausgleichen konnten, können wir mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass das der Peak war. Das gilt natürlich wie immer einschränkend unter Ceteris Paribus-Bedingungen. Das heißt, es hängt von der Zinsentwicklung und anderen Faktoren ab. Wenn ich mir jedoch das Inflationsbild und die Zinsentwicklung anschaue und die Beschlüsse des EZB-Rats zum Rückbau der Portfolien mit in Betracht ziehe, war das der Höhepunkt, was die Verluste angeht. Das heißt aber auch, dass wir im nächsten Jahr mit Sicherheit einen höheren Bilanzverlust zu präsentieren haben, der jedoch mit aller Wahrscheinlichkeit niedriger ausfallen wird als die 21,6 Milliarden Euro. 

Dr. Sabine Mauderer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:

Das Bilanzergebnis im nächsten Jahr hängt von diversen Faktoren wie der Größe der Bilanz oder den angesprochenen Anleihebeständen ab. Diese haben einen maßgeblichen Anteil am Ergebnis in diesem Jahr und werden es auch in den nächsten Jahren haben. Die Laufzeitstruktur ist unterschiedlich. Sie hängt davon ab, in welchem Programm wir uns befinden und von welcher Art Anleihen wir sprechen. Sie können davon ausgehen, dass unsere Anleihen eine mittlere Laufzeit haben.

 

Frage:

Meine erste Frage bezieht sich auf das Thema Rekapitalisierung einer Notenbank, welche vor allem unter Wissenschaftlern immer mal diskutiert wird. Sehen Sie im laufenden Prozess ein Szenario, in welchem dies die Bundesbank betreffen könnte? Zweite Frage: Die Bundesbank hat selbst darauf gedrungen, dass primär Anleihen des eigenen Landes gekauft werden. Die nationalen Notenbanken kaufen im Fall der Bundesbank Bundesanleihen, die italienische Notenbank italienische Anleihen und so weiter. Das führt in meinen Augen dazu, dass das Portfolio der Bundesbank im Vergleich zu einem Portfolio mit beispielsweise Euroanleihen besonders niedrig verzinst ist. Dies verstärkt nun die Verluste. Halten Sie die damalige Entscheidung, lediglich Heimatanleihen zu kaufen, immer noch für richtig? Und die letzte Frage: Entstammen die Bewertungsreserven von 200 Milliarden primär den Goldbeständen?

 

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank: 

Die Bewertungsreserven liegen bei 197 Milliarden Euro, davon entfallen 193 Milliarden auf Gold. Die Bewertungsreserven werden damit maßgeblich durch das Gold getragen. Wenn wir die Eigenmittel anschauen, neudeutsch Net Equity, dann gehören dazu die Rückstellungen für allgemeine Wagnisse, die Bewertungsreserven mit etwa 200 Milliarden, davon 193 Milliarden Gold, sowie Rücklagen und Grundkapital. Diese Positionen bilden die Net Equity Position, die Eigenmittelposition der Deutschen Bundesbank. Diese geht weit über das hinaus, was wir an Verlusten in diesem Jahr zu vermelden hatten.

Die angesprochene Rekapitalisierungsdiskussion sehe ich nicht. Dieses Szenario mag ich mir nicht vorstellen, auch nicht in meinen dunkelsten Träumen. Ich kann die Diskussion nachvollziehen und verstehen. Es wird ein Vergleich zwischen Geschäftsbanken und Zentralbanken gezogen. Es gibt jedoch einen großen Unterschied. Eine Zentralbank ist immer in eigener Währung zahlungsfähig.

Betrachten wir die Relation, die wir bezüglich der Verlustvorträge in Zukunft zu erwarten haben und gehen dazu zurück in die 1970er Jahre, nach Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, als man aus ganz anderen Gründen mit Verlusten zu arbeiten hatte. Wenn wir uns die damalige Größenordnung anschauen, war die Relation deutlich ausgeprägter als das, was wir heute haben. Ich will dieses Thema nicht kleinreden. Es ist ein Thema, das wir uns anschauen müssen. Wo stehen wir als Bundesbank, was die Geldpolitik angeht und welche Konsequenzen hatte diese für unsere Bilanz. Wie gesagt, unser Mandat, Preisstabilität herzustellen, sehe ich in keiner Form durch die bilanziellen Perspektiven der Deutschen Bundesbank unterminiert. Die Entscheidung des EZB-Rats, im Rahmen der Ankaufprogramme nur Papiere des jeweiligen Landes zu kaufen, war für mich aus geldpolitischer Sicht durchaus nachvollziehbar. Deswegen ist für mich nicht der Blick zurück entscheidend, sondern der Blick nach vorne. Ich bin im hier und jetzt als Bundesbankpräsident für die aktuelle Geldpolitik verantwortlich und der EZB-Rat hat damals aus guten Gründen diese Entscheidung so getroffen.

Dr. Sabine Mauderer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:

Lassen Sie mich dazu ergänzen, dass das Halten von Papieren mit einer sehr geringen Ausfallwahrscheinlichkeit aus Risiko-Gesichtspunkten immer vorteilhaft ist.

Frage:

Gold ist im Moment so viel wert wie eigentlich noch nie. Haben Sie zumindest mal eine Sekunde drüber nachgedacht, auch Goldreserven zu verkaufen, um Verluste auszugleichen, vielleicht auch im laufenden Jahr?

Und die zweite Frage: Als damals die Anleihekäufe begonnen wurden, hatten Mahner gesagt, dass diese zu großen Verlusten bei den Notenbanken und zu Inflation führen könnten. Wie ist Ihr Blick zurück auf den Beginn der Anleihekäufe von heute aus gesehen? Waren diese trotz allem richtig?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank: 

Die Frage zum Thema Gold liebt jeder Notenbanker. Dazu kann ich Ihnen sagen, dass ich keine Nanosekunde darüber nachgedacht habe. Ich nicht, Sabine Mauderer nicht, keiner in der Bundesbank. Sie wissen, dass Gold immer, und das hat sich auch gezeigt, ein großer Vertrauensanker in der Bevölkerung ist. Insofern stellt sich diese Frage für uns nicht. Aber ich bekomme Sie immer wieder gestellt, damit ich dies dann gebetsmühlenartig erzählen kann.

Den zweiten Punkt hat die Bundesbank immer wieder adressiert. Wir haben immer wieder gesagt, übrigens auch der Finanzwirtschaft, man solle nicht davon ausgehen, dass diese Nullzins- oder Negativzinspolitik für ewig sein werde. Man hat bei dem einen oder anderen, vielleicht nicht nur in der Finanzindustrie, leider den Fehler gemacht, dass man sich auf so eine Trendumkehrzinswende nicht so vorbereitet hat, wie man sich das gerne vorgestellt hätte. Bei der Bundesbank haben wir das, was wir konnten, an Wagnisrückstellungen aufgebaut. Wir waren durchaus vorbereitet. Man muss natürlich das Jahr 2022 in Betracht ziehen und das will ich uns immer in Erinnerung rufen, damit wir es nicht vergessen, wo wir den Ursprung dieser Entwicklung finden. Das ist der fürchterliche russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das vergessen wir manchmal viel zu leichtfertig. Wir haben heute den 23. Februar. Morgen vor zwei Jahren jährt sich dieser Angriffskrieg zum zweiten Mal. Und all dieser Fallout aus diesem Angriffskrieg, mit dem wir bis heute zu kämpfen haben, spiegelt sich leider auch in der Bilanz der Deutschen Bundesbank wider.

Dr. Sabine Mauderer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:

Wenn ich kurz ergänzen darf zu der Frage nach dem Gold. Ich kann nur unterstreichen, was Herr Nagel gesagt hat. Vielleicht noch ein Hinweis: Sie haben gemerkt, wir beide haben ganz stark betont, dass die Bilanz der Bundesbank solide ist und solide bleiben wird. Das hängt natürlich mit dem Gold zusammen. Deswegen ist es auch von unserer Seite klar zu verstehen, dass wir darüber nicht nachdenken und dass das kein Thema ist. 

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Es gibt unzählige Aufsätze, die die Frage diskutieren, ob Notenbanken im theoretischen Fall auch mit negativen Eigenkapital arbeiten könnten. Und nach allem, was ich in der Literatur sehe, kommen die Autoren zu genau diesem Ergebnis. Aber klar ist, man muss erklären, warum Notenbanken so dastehen, wie sie derzeit im Eurosystem dastehen und was die Ursachen dafür sind. Dann wird das auch verstanden. Dann muss auch keine Verunsicherung daraus entstehen, sondern es wird im Gegenteil klar, dass wir hier im Eurosystem Institutionen sind, die ihren Auftrag ernst nehmen, Preisstabilität herzustellen. Wir hatten in der Vergangenheit und werden auch in der Zukunft alle Instrumente dazu haben, um das gewährleisten zu können. 

Frage: 

Ihr Personalaufwand steigt um ein Dreiviertel. Frau Mauderer, Sie sagen, das sind inflationsbedingt steigende Bezüge in diesem Jahr und entsprechende Pensionsrückstellungen. Wie sind denn die Bezüge des Personals im letzten Jahr gestiegen und wie werden sie dieses Jahr steigen? 

Dr. Sabine Mauderer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:

Es ist eine signifikante Steigerung. Und die hat in der Tat mit den inflationsbedingten Erhöhungen zu tun, die wir gesehen haben. Diese Frage kam auch im letzten Jahr. Da war die Erhöhung nicht so signifikant wie dieses Jahr, aber auch schon deutlich. Damals wie heute sagen wir, wir sind der Spiegel dessen, was Sie im öffentlichen Dienst an Gehaltssteigerungen und sonstigen Verpflichtungen sehen. Ein sehr großer Posten der Aufwendung ist auch für künftige Verpflichtungen von im Ruhestand stehenden Mitarbeitern vorgesehen. 

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Die Kolleginnen und Kollegen der Bundesbank sind entweder Angestellte des öffentlichen Dienstes oder Bundesbankbeamtinnen oder -beamte. Die Lohnabschlüsse waren ordentlich und die entsprechenden Belastungen, die die Kommunen, die Länderhaushalte und die Bundeshaushalte haben, sehen Sie auch in unseren Zahlen. Natürlich ist das jetzt eine hohe Zahl, aber es ist vor dem Hintergrund der Entwicklung und der Lohnabschlüsse nachvollziehbar.

Frage: 

Herr Nagel, Sie haben etwas pessimistischer über die Konjunktur geklungen. Im Dezember hatte die Bundesbank noch ein Wachstum von 0,4 Prozent prognostiziert, während Sie jetzt von einem Potenzialwachstum von 0,8 Prozent ausgehen. Jetzt haben Sie gesagt, die Wirtschaft wird wahrscheinlich auf der Stelle treten, das klingt eher wie Nullwachstum. Welche Folgen hat das für die Geldpolitik? Heißt das eventuell, dass es frühere Zinssenkungen gibt? Und die zweite Frage ist zur Mindestreserve, für mich klang das so, dass sich das Thema aktuell für Sie nicht mehr stellt, weil Sie gesagt haben, Sie sind damit zufrieden, was passiert ist. Und weil es geldpolitisch bedingt ist, an der Logik hat sich auch nicht viel verändert. Ist das richtig oder habe ich das falsch verstanden? 

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Ich fange mit dem Ausblick der Wirtschaft an. Im Jahreswirtschaftsbericht wird davon ausgegangen, dass das Wirtschaftswachstum auf Jahresfrist im Durchschnitt bei 0,2 Prozent liegt. Das ist nicht weit weg davon, wie es auch die Bundesbank sehen wird, wenn wir noch einmal darauf schauen werden. Vor allen Dingen, weil wir davon ausgehen, dass das erste Quartal schwächer ausfallen wird als noch in unserer Dezember-Prognose. Hat das eine Auswirkung für die Geldpolitik? Zunächst einmal ist für mich bei der Geldpolitik entscheidend, wie der Preisausblick ist. Wir werden uns im März im EZB-Rat mit der neuen Projektion beschäftigen. Da sind für mich mindestens noch zwei Punkte, wo das Bild noch nicht klar ist. Wo geht die Lohnentwicklung hin? Und dann die für mich sehr große Unbekannte, was machen die Energiepreise? Ich habe mir gerade vorhin noch einmal die Gaspreise angeschaut. Als wir letztes Jahr hier zusammenkamen, waren die Gaspreise deutlich höher. Heute Morgen lag die Megawattstunde ungefähr bei 23 Euro, letztes Jahr war der Preis doppelt so hoch. Wir haben eine große Volatilität bei den Energiepreisen gesehen. Der Unsicherheitsfaktor bleibt. Wir haben die geopolitische Situation im Mittleren Osten, in der Ukraine, wir haben die Angriffe der Huthi-Rebellen und so weiter. Nach wie vor gibt es große Faktoren, die eine Rolle spielen und durchschlagen könnten auf die Energiepreise. Deswegen ist der wirtschaftliche Ausblick sicherlich ein Faktor, aber für mich entscheidend ist der Preisausblick. Und daran mache ich die Geldpolitik fest und was notwendig ist. Wir haben gesehen, dass die Zinsentscheidungen ihre Wirkung entfaltet haben. Und es war klar, dass Zinserhöhungen natürlich die wirtschaftliche Aktivität verlangsamen. Das ist Teil des Transmissionsprozesses.

Zur Mindestreserve: Ich habe zunächst gesagt, dass es wichtig für mich ist, dass diese Entscheidung im letzten Jahr getroffen wurde. Ein Prozent Mindestreserve bleibt unverzinst. Ich hätte mir auch eine leicht höhere Mindestreserve vorstellen können, nicht die Zahlen, die mitunter kolportiert wurden. Ich würde nie ausschließen, dass diese Diskussion wieder zurückkehrt. Das ist ein geldpolitisches Instrument. Und deswegen muss man immer über geldpolitische Instrumente diskutieren dürfen.

Frage: 

Ich habe zwei Fragen zur Konjunktur. Sie haben den Rückenwind von ausländischen Absatzmärkten erwähnt. Im letzten Bundesbank-Monatsbericht haben Sie auch über die schwache Konjunkturentwicklung in China geschrieben. In welchen Regionen sehen Sie jetzt noch mittelfristig Hoffnung für die deutsche Wirtschaft, die Exportnation Deutschland?

Zweite Frage: Sie haben auch die Verzögerung der konjunkturellen Erholung erwähnt und steigende Kosten. Ist Deutschland als Wirtschaftsstandort gefährdet oder ist diese These übertrieben? Und sehen Sie überhaupt keine Risiken für den Wirtschaftsstandort?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Zur Frage des Rückenwinds aus dem Ausland. Sie hatten China explizit angesprochen. China spielt eine wichtige Rolle für Deutschland, für die deutsche Wirtschaft. Wenn man sich die Größenordnung anschaut, gehen ungefähr sieben Prozent der Auslandsnachfrage in Richtung China. Sieben Prozent, das ist ein erheblicher Anteil. Wir hatten uns einmal angeschaut, was das beispielsweise bedeutet, wenn in China die Wirtschaft um ein Prozent wächst oder ein Prozent schrumpft. Dann kommen wir nach unseren Schätzungen auf eine Größenordnung des Einflusses auf das deutsche Wirtschaftswachstum von 0,1 bis 0,2 Prozentpunkten. Das heißt, wenn China um einen Prozentpunkt schneller wachsen würde, würde auch Deutschland um 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte schneller wachsen. China ist also wichtig. Wir wissen alle, dass China derzeit mit einigen Problemen zu kämpfen hat. Aber es gibt andere Regionen in der Welt, die sehr hohe Wachstumsraten haben. Beispielsweise hatte Indien Wachstumsraten in der Größenordnung um acht Prozent im vergangenen und auch in diesem Jahr. Es gibt auch weiterhin neue, wichtige oder wichtiger werdende Wachstumsmärkte. Deswegen kann es durchaus sein, dass aus diesen Regionen Rückenwind kommt. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland, ich will da richtig verstanden werden. Also es geht mir zum einen darum, deutlich zu machen, dass wir strukturelle Themen haben, an denen es jetzt zu arbeiten gibt und die auch richtigerweise im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung adressiert wurden. Diese haben wir immer schon bei der Bundesbank adressiert. Digitalisierung, Demografie, Bürokratieabbau, all das sind Herausforderungen, möglicherweise neben den neuen geopolitischen Herausforderungen. Wie können Lieferengpässe überwunden werden? Wie kann man sich in vielen Bereichen resilienter aufstellen? Wir haben es gesehen, welche Probleme es bereitet, wenn man ein Konzentrationsrisiko im Energiebereich hat. Diese Themen sind also abzuarbeiten. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nach wie vor gut im weltweiten Konzert gut aufgestellt.

Ich will jetzt nicht auf die Zahl eingehen oder auf das Ranking, dass Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft ist. Wir wissen, dass Japan andere Probleme hat und sich möglicherweise langsamer bewegt hat als Deutschland. Ich dachte, das ist für mich kein Maßstab. Der Maßstab muss sein, dass wir unser Produktionspotenzial wieder angeschoben bekommen, dass die Kräfte, die in Deutschland ja da sind, sich besser entfalten können. Und in vielen Bereichen sind wir auch sehr gut aufgestellt. Deswegen denke ich manchmal, dass wir verdammt gut in der Art und Weise sind, uns selbst auch nicht immer so gut ausschauen zu lassen. Wir sollten vielleicht das eine Auge auch auf das richten, was richtig gut in Deutschland läuft.

Frage:

Können Sie sagen, wie hoch die Zinserträge der Deutschen Geschäftsbanken aus ihrer Überschussreserven genau waren? Etwa dreieinhalb Milliarden, schätze ich, dürften es ungefähr gewesen sein.

Dann: Die Wertpapierbestände werden bei Ihnen zu fortgeführten Anschaffungskosten bilanziert. Der logische Schluss wäre, dass Sie und auch die anderen Ratsmitglieder dafür plädieren, keine Anleiheverkäufe vorzunehmen auf absehbare Zeit bzw. überhaupt keine Verkäufe zu starten und einfach die Bestände ausschleichen zu lassen, um da nicht noch weitere Belastungen ertragen zu müssen?

Eine grundsätzliche Frage: Kann die Bundesregierung eigentlich zur Kapitalzufuhr verpflichtet werden, wenn es rein theoretisch die EZB verlangen würde? 

Eine letzte Frage: Die Verlustvorträge werden dafür sorgen, dass wieder keine Gewinne ausgeschüttet werden. Könnte das Auswirkungen auf Ihren operativen Betrieb haben, sprich, dass Sie stärker auf die Kostenbremse treten müssen? Ein gewisser Stellenabbau läuft ja schon, dass der verstärkt werden müsste?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Das ist ein ganzes Potpourri von Fragen. Die Kollegen berechnen Ihnen, was letztlich an Zinserträgen bei den Banken angekommen ist. Das gibt mir noch einmal Gelegenheit zu erläutern: Das ist für mich immer eine Restante dessen, was wir auf der geldpolitischen Seite tun. Für mich maßgeblich ist, was ich geldpolitisch zu tun habe. 

Was es geldpolitisch heißt: Wir hatten uns geldpolitisch darauf verständigt, und ich halte das für den richtigen Weg, wie der Rückbau unserer Anleiheportfolien auszusehen hat. Es geht auch darum, dass wir die Märkte an der Stelle nicht überstrapazieren, die aus einer Situation herauskamen, in der die Überschussliquidität überreichlich war. Sie ist immer noch reichlich, wenn Sie sich die Größenordnung anschauen. Die Überschussreserve liegt bei 3500 Milliarden Euro. Ich sehe derzeit geldpolitisch keine Notwendigkeit, an diesem Beschluss irgendetwas zu ändern. Ich bin sehr damit einverstanden, dass wir uns darauf verständigen konnten, dass das PEPP-Programm ab Juli zurückgefahren wird und dass es dann, was die Netto-Reinvestition angeht, auslaufen wird. Also an der Stelle bin ich mit den geldpolitischen Beschlüssen, die wir trafen, sehr zufrieden.

Was die Auswirkung auf die operative Tätigkeit der Bundesbank angeht, auch das würde ich komplett separiert sehen wollen von dem, was ich Ihnen heute vorgestellt habe. Wir haben keinen Beschluss gefasst in dem Sinne, dass wir unseren Bestand an Personal zurückfahren wollen, weil die Gewinn- und Verlustrechnung der Bundesbank so ist, wie sie ist. Wir haben verschiedene Themen in der Bank angegangen, die seit Jahren schon verfolgt wurden, aus ganz anderen Gründen. Wenn Sie beispielsweise das Thema Bargeld anschauen: Die Filialstrategie der Bundesbank, die Konsolidierung bei der Anzahl der Filialen, hängt zum großen Teil mit dem Automatisierungsgrad der Bargeldbearbeitung zusammen. Das ist der Kernpunkt. Ich glaube, in den 1990er Jahren hatten wir 90 Filialen oder sogar mehr. Derzeit liegen wir noch bei 31 Filialen. Die Bundesbank ist derzeit in einem Programm, in dem wir die Bundesbank noch fitter machen wollen für die Zukunft. Da geht es insbesondere um Digitalisierungsthemen, weil das, was draußen passiert, auch bei den Notenbanken passieren muss. Wir digitalisieren weitestgehend unsere Front-to-End-Prozesse, aber wir sind in keiner Form eingeschränkt durch die Ergebnisse und durch das, was wir heute präsentiert haben. Sie haben eine Nachfrage?

Frage:

Eine Verständnisfrage zu den möglichen Anleiheverkäufen. Ich habe Ihren Ausführungen nicht ganz folgen können. Würden Sie dafür plädieren, keine Anleihen zu verkaufen, sondern die komplett ausschleichen zu lassen?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank:

Aus geldpolitischer Sicht gibt es derzeit überhaupt keine Notwendigkeit, Anleihen zu verkaufen. Ich habe es ja betont, die Beschlüsse, die wir getroffen haben, gehen genau in die richtige Richtung.

Dr. Sabine Mauderer, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank:

Ich würde gerne die Antwort ergänzen, die Herr Nagel gegeben hat auf die Frage, wie es sich verhält mit Verlustverträgen auf der einen Seite und operativem Betrieb auf der anderen Seite. Herr Nagel hat es schon gesagt, unseren Aufgaben werden wir nach wie vor nachgehen und es ist nicht so, dass wir ein Kostensparprogramm haben. Es wird eher so sein, dass wir ein sehr bewusstes Cost-Management haben, das heißt, dass wir einfach noch mehr als bislang genau schauen, wie wir unsere Mittel allokieren, auf welche Projekte und auf welche nicht.

Frage (original in englischer Sprache, Übersetzung durch Dolmetscher):

Herr Nagel, da die EZB nun die Framework Review durchläuft, sollte es den nationalen Notenbanken erlaubt werden, als Teil eines strukturellen Anleiheportfolios auch ausländische Anleihen anzukaufen? 

Und dann zur Bankenunion: Sie haben Unterstützung für die gemeinsame europäische Einlagensicherung EDIS zugesagt, und das liegt ja nicht unbedingt immer im Ermessen der Bundesbank. Könnten Sie erläutern, was Ihre Meinungsänderung bewirkt hat?

Dr. Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank (original in englischer Sprache, Übersetzung durch Dolmetscher): 

Zum operativen Framework: Das ist eine laufende Diskussion, deswegen möchte ich den Ergebnissen nicht vorgreifen, wo wir in der Diskussion stehen und wie der künftige Rahmen aussehen kann. Was ich aber sagen kann, und das ist jetzt nicht nur eine diplomatische Antwort, der Rahmen wird sich ändern. Wir werden also nicht im gleichen Setup weiter operieren wie vor der Krise, vor dem Jahr 2008. Es wird ein anderer Rahmen, ein anderes Framework sein und es mag sein, dass wir in Zukunft das System mit einer gewissen Überschussliquidität betreiben. Aber die Diskussion dazu dauert noch an, da möchte ich nicht zu viel spekulieren und ich denke, es wird dann dazu kommuniziert werden. Das hat auch Christine Lagarde schon gesagt. 

Zum zweiten Teil Ihrer Frage, zu EDIS und der Bankenunion: Ich habe mich vor zwei Wochen dazu geäußert und mir war klar, dass es zu Reaktionen führen würde. Aber es ist mir wichtig. Und es ist auch wichtig, dass es nicht nur von mir als Bundesbankpräsident gesagt wurde, sondern auch vom Bundeskanzler in seiner Rede zum Bundeshaushalt. Und auch er hat die Tatsache angesprochen, dass wir für eine bessere Integration der Europäischen Union nicht nur die Kapitalmarktunion brauchen, sondern auch eine Bankenunion. Ich bin der Meinung, dass wir eine gute Lösung finden können, in der sich EDIS in die Bankenunion integrieren lässt, also eine Art Hybridlösung. Ich bin froh, dass ich diese Diskussion losgetreten habe. Vielleicht entwickelt sich daraus etwas, das beobachten wir über den Jahresverlauf hinweg.