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Ist das „Geschäftsmodell Deutschland“ in Gefahr?

Die deutsche Wirtschaft steht unter erheblichem Anpassungsdruck, schreibt die Bundesbank in ihrem Monatsbericht September. Herausforderungen bestehen mit Blick auf den demografischen Wandel, die Umstellung auf emissionsarme Energieversorgung sowie Abhängigkeiten zu China beim Bezug wichtiger Vorleistungsgüter. Eine plötzliche Entflechtung von China wäre wohl kurzfristig mit weitreichenden Beeinträchtigungen der Lieferketten und der Produktion verbunden, schreiben die Autorinnen und Autoren. Aus keinem anderen Land importierten deutsche Unternehmen 2022 mehr, darunter zahlreiche Vorprodukte. Unter anderem die Produktion und Weiterverarbeitung wichtiger Rohstoffe wie Seltene Erden, oder auch Lithium und Kobalt werde weltweit von China dominiert. Die Autoren schlagen eine stärkere Diversifizierung der Bezugsquellen im internationalen Handel vor, was auch durch regionale Freihandelsabkommen vereinfacht werden könnte. So könnten die Abhängigkeiten zu China reduziert und möglichen großflächigen Störungen von Lieferketten vorgebeugt werden.

Höhere Energiekosten führten bisher kaum zu Produktionsverlagerungen 

Infolge des russischen Angriffskrieges seien die Energiekosten durch rückläufige Erdgaslieferungen aus Russland und die erhöhte Unsicherheit über die Energieversorgung massiv gestiegen. Auch in den kommenden Jahren sei mit höheren Energiepreisen in Deutschland als vor Beginn des Krieges in der Ukraine zu rechnen. Zudem könnten die Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels zu einem weiteren Anstieg der Preise fossiler Energieträger wie Öl oder Gas beitragen. Die deutsche Industrie konnte den Energiepreisschock dank guter Ertrags- und Finanzierungsverhältnisse zunächst gut abfedern, so die Fachleute. Laut der Analysen der Bundesbank seien die Einbußen bei der Profitabilität für Sektoren des Verarbeitenden Gewerbes im Durchschnitt wohl verkraftbar gewesen. Größere Beeinträchtigungen gebe es vor allem in den besonders energieintensiven Sektoren des Verarbeitenden Gewerbes, wie zum Beispiel Chemie- und Papierindustrie sowie die Metallerzeugung.  Laut Umfrage der Bundesbank begegneten viele Unternehmen den höheren Energiepreisen mit Anpassungen wie Energieeinsparungen oder Erhöhungen der Absatzpreise. Zudem passten sie sich viele Unternehmen an die erhöhten Energiekosten an, indem sie Investitionen in Energieeffizienz erhöhten und vermehrt Erneuerbare Energien nutzten oder dies planen. Produktionsverlagerungen seien auch im Verarbeitenden Gewerbe hingegen bisher selten zu beobachten gewesen. Eine breit angelegte Deindustrialisierung ist nicht in Sicht, sagt Marcus Jüppner, Mitautor des Berichts. Dennoch würde der Energiekostenschub laut Schätzung der Bundesbank das trendmäßige BIP-Wachstum Deutschlands senken.

Der Weg zu einer emissionsfreien Wirtschaft ist eine der größten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Um private Investitionen für die grüne Transformation hinreichend zu mobilisieren, ist vor allem eine verlässliche und konsistente Energie- und Klimapolitik elementar, heißt es im Bericht.  Denn sie schaffe die nötige Planungssicherheit für Unternehmen und reduziere die gesamtwirtschaftlichen Kosten der notwendigen Dekarbonisierung. Dies zeigen Simulationsrechnungen der Bundesbank. Wenn die Energiewende gelingen will, muss Deutschland massiv in erneuerbare Energien investieren. Vor allem in einem Tempo, was um ein vielfaches größer ist, als was wir bisher gesehen haben, sagt Jens Ulbrich, Chefvolkswirt der Bundesbank. Er plädiert für einfachere Genehmigungsverfahren und dafür, die rechtlichen Prozesse zu beschleunigen. 

Demografische Veränderungen belasten Arbeitsangebot

 Der demografische Wandel ist eine weitere große Herausforderung für die deutsche Wirtschaft, so Jüppner. Der demografische Wandel mindert das Arbeitskräfteangebot und verschärft die Konkurrenz um Fachkräfte. Ab der zweiten Hälfte der 2020er Jahre werde die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter sinken. Da in den nächsten 15 Jahren die Babyboomer das Erwerbsalter verlassen, wird auch die Zuwanderung diesen Effekt voraussichtlich nicht mehr ausgleichen, so die Fachleute.

Überlegungen der Bundesregierung bezüglich der Ergänzung des im Jahr 2020 eingeführten Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wiesen in die richtige Richtung. Dazu gehöre auch die Überführung der EU-BlueCard für Hochqualifizierte in nationales Recht und die Entfristung der Westbalkan-Regelung. Auch die über die Fachkräftezuwanderung hinausgehende Zuwanderung solle schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden. Darüber hinaus gebe es weitere Möglichkeiten, die Erwerbsbeteiligung oder die Arbeitszeit zu erhöhen, sei es durch bessere Betreuungsangebote für Kinder oder einen späteren Eintritt ins Rentenalter. Hierfür müsste von der Regierung der institutionelle Rahmen angepasst werden. 

Digitalisierung bietet Wachstumschancen

Handlungsbedarf sehen die Autorinnen und Autoren zudem im Bereich der Digitalisierung, von der wichtige Wachstumsimpulse ausgehen können. Analysen der Bundesbank zeigten, dass die digitalen Sektoren seit den 1990er Jahren eine wichtige Triebfeder für das gesamtwirtschaftliche Produktivitätswachstum waren. Die Digitalisierung habe in der Pandemie einen Schub bekommen. Um das Potenzial der Digitalisierung zu nutzen, bedürfe es unter anderem einer leistungsfähigeren Digitalinfrastruktur, digitaler Weiterbildung von Beschäftigten und mehr Fokus im Bildungssystem auf digitale Fähigkeiten.

Deutsche Wirtschaft gut aufgestellt, aber es besteht Handlungsbedarf

Trotz der komplexen Herausforderungen ist die deutsche Wirtschaft nach Ansicht der Bundesbank-Fachleute in weiten Teilen gut aufgestellt. Deutsche Unternehmen nutzten weiterhin in hohem Maß die Möglichkeiten, die sich auf internationalen Märkten ergeben. Auch die Energiekrise hätten die deutschen Unternehmen gut abgefedert. Die deutsche Wirtschaft hat zudem gut ausgebildete Arbeitskräfte, eine immer noch solide Infrastruktur, konsensorientierte Tarifparteien und vergleichsweise stabile Rahmenbedingungen, schreiben die Autorinnen und Autoren.  Der Staat muss gleichwohl durch Änderungen des institutionellen Rahmens dafür sorgen, dass die zweifelsfrei bestehenden großen Herausforderungen gemeistert werden können. Die Autorinnen und Autoren geben zahlreiche Hinweise für wichtige Stellschrauben. Die Politik unternehme gegenwärtig einige Schritte in diese Richtung. Diese müssten allerdings auch umgesetzt und fortgeführt werden.