Joachim Nagel ©Frank Rumpenhorst

Nagel: Die Zinsen müssen weiter steigen – und zwar deutlich

Die Zinsen müssen weiter steigen – und zwar deutlich“, fordert Bundesbankpräsident Joachim Nagel in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Zinserhöhungen könnten zwar kurzfristig dämpfend auf die wirtschaftliche Entwicklung wirken. „Aber damit sichern wir mittelfristig Preisstabilität und verhindern, dass unser Wachstumspotenzial durch Inflation leidet. Denn eine dauerhaft hohe Inflation ist die größte Wachstumsbremse“, so Nagel. Zunächst rechne er jedoch weiterhin mit Inflationsraten von deutlich über zwei Prozent. In diesem Jahr seien es voraussichtlich über acht Prozent in Deutschland und auch im Euroraum, so Nagel. Für 2023 habe die EZB für den Euroraum 5,5 Prozent Inflation prognostiziert. In Deutschland halte er eine sechs vor dem Komma für realistisch. 

Das Preisstabilitätsziel

Das Eurosystem, also die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Notenbanken der Euro-Mitgliedstaaten, hat für Preisstabilität im Euroraum zu sorgen. Nach Auffassung des EZB-Rats, dem auch der Bundesbankpräsident angehört, kann Preisstabilität am besten gewährleistet werden, wenn mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent angestrebt wird.

Die hohe Inflation ist Nagel zufolge zu einem guten Teil von außen getrieben, betreffe aber mittlerweile einen großen Teil des Warenkorbs. Der Haupttreiber der hohen Energiepreise sei der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. „Wir haben einen Energiepreisschock, an dessen Wirkung wir kurzfristig nicht viel ändern können“, sagt der Bundesbankpräsident. „Wir können aber verhindern, dass er überspringt und sich somit breit verfestigt. Damit knacken wir die Inflationsdynamik und bringen die Preisentwicklung auf unser mittelfristiges Ziel“, so Nagel. „Dafür haben wir die Instrumente, insbesondere Zinserhöhungen.“ In dem Interview zeigt Nagel sich davon überzeugt, dass der EZB-Rat verhindern werde, dass sich die hohe Inflation verfestigt. Dafür brauche es aber ausreichend starke und schnelle Reaktionen. Von den nächsten Sitzungen des EZB-Rats müssten deutliche Signale ausgehen. Auf die Frage, wann in Deutschland wieder mit zwei Prozent Inflation zu rechnen sei, antwortet der Präsident, dass die Prognosen der Bundesbank für das Jahr 2024 eine Inflationsrate von 2,3 Prozent für den Euroraum voraussehen. „Das reicht nicht. Aber es wäre schon ein großer Fortschritt“, so Nagel. Der Bundesbankpräsident hält es für richtig, dass die Politik angesichts der aktuell hohen Energiekosten unterstützt. Es sei dabei wichtig, dass die Unterstützung gezielt den Haushalten und Unternehmen gewährt werde, die in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, ohne dass Anreize zum Energiesparen verschwinden würden. Die Preissteigerungen könnten jedoch nicht komplett ausgeglichen werden, der Energiepreisschock mache Deutschland ärmer. Letztlich müssen das Energieangebot erhöht und die -nachfrage gedrosselt werden – das dämpfe die Teuerung. „Bei einem adäquat ausgestalteten Programm habe ich keine zusätzlichen Inflationssorgen“, sagt er mit Bezug auf das bis zu 200 Milliarden Euro schwere Programm, das die Bundesregierung zur Bewältigung der Energiekrise aufgelegt hat.

Eine Insolvenzwelle erwarte ich aus heutiger Sicht nicht

In dem Interview äußert Nagel sich auch zu den Aussichten für die deutsche Wirtschaft und den Arbeitsmarkt hierzulande. Dem Bundesbankpräsidenten zufolge steuert Deutschland zwar auf eine Rezession zu. Er geht aber derzeit davon aus, dass es kein tiefer Einbruch sein werde. Die Perspektiven zu Beginn des Jahres seien vor allem aufgrund auslaufender Corona-Schutzmaßnahmen und allmählich nachlassender Lieferengpässe sehr gut gewesen. Für 2022 insgesamt erwarte die Bundesbank deshalb noch ein Wirtschaftswachstum von zwischen 1,3 und 1,5 Prozent, im Jahr 2023 werde die Entwicklung flach sein. „Der Krieg hat die Situation dramatisch verändert“, so Nagel. Der Arbeitsmarkt sei aktuell sehr robust, er rechne aber vorübergehend mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die schlechte Wirtschaftslage werde sich aber weit weniger auf den Arbeitsmarkt durchschlagen als vor 20 Jahren. Damals hatte die Arbeitslosenquote elf Prozent betragen. Auch eine Insolvenzwelle erwartet der Bundesbankpräsident aus heutiger Sicht nicht, obwohl zeitweise mit höheren Insolvenzzahlen zu rechnen sei.