Joachim Nagel ©Frank Rumpenhorst

Nagel: Ungewöhnliche geldpolitische Maßnahmen allenfalls in Ausnahmesituationen

Bundesbankpräsident Joachim Nagel hat davor gewarnt, mit geldpolitischen Instrumenten Risikoprämien begrenzen zu wollen. „Denn es ist in Echtzeit so gut wie unmöglich, sicher festzustellen, ob eine Spread-Ausweitung fundamental gerechtfertigt ist“, sagte er anlässlich des Frankfurt Euro Finance Summit. Dass mit der angekündigten Zinswende die Risikozuschläge auf Anleihen hochverschuldeter Mitgliedstaaten gestiegen seien, sei ja durchaus plausibel, so Nagel. „Allenfalls in Ausnahmesituationen und unter eng gesteckten Voraussetzungen lassen sich ungewöhnliche geldpolitische Maßnahmen gegen Fragmentierung rechtfertigen.“

Zum Begriff der Fragmentierung

Mit der vom EZB-Rat angekündigten Zinswende sind die Risikozuschläge auf Anleihen hochverschuldeter Mitgliedstaaten des Eurosystems gestiegen. Seitdem wird diskutiert, ob und wie die EZB gegen diese sogenannte Fragmentierung, also die Abweichung der Renditeabstände zwischen den Anleihen von Mitgliedstaaten von Fundamentaldaten, vorgehen soll. Wie genau vorgegangen oder ein geldpolitisches Instrument konkret ausgestaltet werden soll, ist aber noch unklar.

Aus Sicht des Bundesbankpräsidenten kann es deshalb nur um ein klar eingegrenztes Instrument gehen, welches vom EZB-Rat aus geldpolitischen Erwägungen heraus und nach Erfüllung von drei Bedingungen aktiviert werden sollte. Erstens dürften die Zinsabstände in der beobachteten Höhe fundamental nicht gerechtfertigt sein. Das hieße, dass sie das Resultat von Übertreibungen auf den Finanzmärkten seien. Zweitens kommen die geldpolitischen Signale in einzelnen Mitgliedstaaten nicht wie intendiert an. Der Transmissionsmechanismus sei also beeinträchtigt. Und drittens sei die Fähigkeit des Eurosystems, Preisstabilität für den Euroraum zu gewährleisten, dadurch eingeschränkt. Zudem sei es zentral, „dass diese Maßnahme zeitlich eng begrenzt ist“, so Nagel weiter.

Instrument müsste ausschließlich geldpolitisch begründet sein

Laut dem Bundesbankpräsidenten muss sichergestellt werden, dass der Einsatz des Instruments den geldpolitischen Kurs nicht verändert. „Wäre dies der Fall, müssten gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden, die die Auswirkungen auf den geldpolitischen Kurs neutralisieren“, so Nagel. Um mit dem Mandat vereinbar zu sein, müsste das Instrument ausschließlich geldpolitisch begründet sein, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und ausreichende Garantien enthalten, damit es nicht in Konflikt mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung gerate. „Hier müsste man auch erläutern, wie sich ein neues Instrument vom OMT abgrenzt“, sagte Nagel. Das Anleihekaufprogramm OMT sei an klare Voraussetzungen gebunden und auch durch den Europäischen Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht überprüft und für rechtmäßig befunden worden, so Nagel. Zuletzt sei entscheidend, dass die Mitgliedstaaten weiterhin genügend Anreize hätten, ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik nachhaltig auszurichten und Schuldenstände zu reduzieren. „Eine wirksame fiskalische Konditionalität ist hier unverzichtbar“, so der Bundesbankpräsident.

„Entankerung der Inflationserwartungen verhindern“

Bei seiner Rede ging Nagel auch auf die aktuell hohen Inflationsraten ein. So hatte die Inflationsrate im Juni laut Schnellschätzung und gemessen am Harmonisierten Verbraucherpreisindex hierzulande 8,2 Prozent betragen. „Eine Entankerung der Inflationserwartungen ist auf jeden Fall zu verhindern“, sagte Nagel. Je zögerlicher die Geldpolitik jetzt handele, desto mehr laufe sie Gefahr, in eine Situation zu geraten, in der sie umso abrupter und stärker straffen müsste, um Preisstabilität zu gewährleisten.

In seiner Rede verglich der Bundesbankpräsident dabei die vom EZB-Rat zu gehenden Zinsschritte zur Straffung der Geldpolitik mit Treppenstufen. Bislang habe der EZB-Rat eine erste Erhöhung der Leitzinsen für die nächste geldpolitische Sitzung am 21. Juli in Aussicht gestellt und einen zweiten Zinsschritt für den 8. September angekündigt. „Wie viele Treppenstufen wir dann nach oben erklimmen, hängt vom mittelfristigen Inflationsausblick ab“, so Nagel. „Sollte sich dieser nicht bessern, halte ich einen größeren Zinsschritt für ganz klar angemessen. Und wir gehen davon aus, dass weitere Zinsschritte folgen werden und die geldpolitische Normalisierung fortgesetzt wird.“ Für die Geldpolitik sei die Verankerung der mittel- bis langfristigen Inflationserwartungen zentral, betonte Nagel „denn sie stellt sicher, dass vorübergehende Bewegungen der Inflationsraten nicht auf die Löhne und Preise durchschlagen und sich damit verstetigen.“ Die kurzfristigen Inflationserwartungen seien zuletzt deutlich gestiegen. Gemäß Expertenbefragungen seien die mittel- bis langfristigen Inflationserwartungen zwar gestiegen, liegen aber in etwa noch auf dem Zielwert von 2 Prozent, so Nagel.

Das Inflationsziel des EZB-Rats

Im Euroraum hat das Eurosystem, also die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Notenbanken der Euro-Länder, die Aufgabe, für stabile Preise zu sorgen. Nach Auffassung des EZB-Rats, dem auch der Bundesbankpräsident angehört, kann Preisstabilität am besten gewährleistet werden, wenn mittelfristig eine Inflationsrate von 2 Prozent angestrebt wird. Dabei sind Abweichungen der mittelfristigen Inflationsaussichten nach oben genauso unerwünscht wie Abweichungen nach unten. Das Wort „mittelfristig“ ist unter anderem deshalb so wichtig, weil kurzfristige Abweichungen von diesem Ziel nicht vermeidbar sind und auch nicht unbedingt eine Antwort der Geldpolitik erfordern. Für die Geldpolitik ist vielmehr entscheidend, dass die mittel- und langfristigen Inflationserwartungen fest auf dem angestrebten Niveau von 2 Prozent verankert sind. Die Fachleute des Eurosystems haben in ihrer Projektion von Anfang Juni einen durchschnittlichen Anstieg der Verbraucherpreise im Euroraum um 6,8 Prozent für 2022 vorausgesagt. Im nächsten Jahr wären es demnach 3,5 Prozent. Und im Jahr 2024 läge die durchschnittliche Inflationsrate noch leicht über dem Inflationsziel von 2 Prozent.